Nachdem sich der Braunschweiger Dr. phil. Frank Schäfer in „Rumba mit den Rumsäufern. Noten zur Literatur“ dem Literaturbetrieb gewidmet hatte, spürte der Autor, Journalist und ehemalige Musiker im 2011 im Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf veröffentlichten „Talking Metal“ wieder seiner zweiten großen Leidenschaft nach: dem Hardrock und Heavy Metal.

Über rund 270 gebundene Seiten zwischen zwei festen Deckeln im illustrierten Schutzumschlag erstrecken sich diesmal keine Essays oder Rezensionen, sondern Interviews mit 15 Protagonistinnen und Protagonisten der Szene. Vom Produzenten und ehemaligen HEAVEN‘S-GATE-Gitarristen Sascha Paeth und der CRIPPER-Sängerin Britta Görtz über den Musikwissenschaftler Dietmar Elflein, den Metal-aus-Ostdeutschland-Kenner Christian Heinisch, den Radiomoderator Jakob Kranz und den Bandlogo-Gestalter Christophe Szpajdel bis hin zum Online-Rezensenten Björn von Oettingen, dem Roadie Henrik Schwaninger, dem A&R-Manager Markus Wosgien und dem Verleger Matthias Mader, nicht zu vergessen dem Buchautor Matthias Penzel, dem Coverkünstler Axel Hermann, dem Wacken-Open-Air-Chef Thomas Jensen oder dem Printredakteur Götz Kühnemund, reicht das ebenso überraschend wie angenehm breite Spektrum, das das Buch abdeckt.

So erhält man also Informationen aus erster Hand sowie zahlreiche Einblicke hinter die Kulissen des metallischen Teils des Musikgeschäfts und der headbangenden Subkultur. Die jeweils mit einer Vorstellung und Einordnung des jeweiligen Gesprächspartners respektive der Gesprächspartnerin eröffnenden Interviews sind weniger klassischer Natur wie beispielsweise in Musikzeitschriften, sondern wesentlich ausführlicher und entwickeln sich meist zu Gesprächen, bisweilen gar Diskussionen, auf Augenhöhe. Dietmar Elflein wird von Schäfer zuweilen gar in Grund und Boden gequatscht, bevor es dann etwas arg musiktheoretisch wird. Im Gespräch mit Britta Görtz geht Schäfer u. a. Fragen nach Ungleichbehandlung aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit nach, was 2011 noch nicht allgegenwärtig oder gar en vogue war. „Ostbeauftragter“ Christian Heinisch spielt bei GORILLA MONSOON, hat eine Diplomarbeit über Heavy Metal verfasst und ist etwas zu jung, um noch den Metal zu DDR-Zeiten erlebt zu haben, kann über die Nachwendezeit aber berufen aus dem Nähkästchen plaudern. Im Gespräch mit dem Roadie Henrik Schwaninger irrlichtern beide Gesprächspartner ein bisschen bei der Definition von Speed Metal, aber Schäfer fordert ihn auch mit ein paar Spitzen heraus und versteht es, möglichst konkrete Antworten zu seinem Beruf aus ihm herauszukitzeln.

Schwer irritiert hat mich, was von Oettingen, Mitarbeiter einer Promo-Agentur und Betreiber des Online-Fanzines „Metalglory“, aus seinem Alltag berichtet. Das klingt alles eher danach, wie man es gerade nicht machen möchte bzw. sollte, nämlich nach purem Stress, der mit Musikgenuss oder Spaß am Schreiben und Rezensieren nicht mehr viel gemein zu haben scheint. Himmel! Oder vielmehr: Hölle! Ernüchternd auch das Gespräch mit Szene-Schreiberling Matthias Mader, hier in erster Linie in seiner Eigenschaft als Verleger metallischer Bücher mit dem Iron-Pages-Verlag. Dass es derart schwierig ist, mit Metal-Literatur höhere Absatzzahlen zu erreichen, hätte ich nicht gedacht. Das Gespräch mit A&R-Manager Markus Wosgien entbehrt leider jeder Kritik an von seinem Label gehypten Dünnbrettbohrern wie SABATON – da wäre es sicher interessant gewesen, einmal zu fragen, inwieweit Szenegroßlabels mit dem gezielten Pushen bestimmter Bands eigentlich Einfluss auf die Szenelandschaft nehmen. Auch dem Wacken-Häuptling hätte man gern mit ein paar kritischeren Fragen auf den Zahn fühlen dürfen, Ansätze gäb’s genug. Und wie sehr Penzel ausgerechnet die 1990er-Dekade abfeiert, ist im Metal-Bereich sicherlich eher ungewöhnlich.

Gewohnt gut aufgelegt ist der damalige Chefredakteur des Rock-Hard-Magazins und heutiger Böss des Deaf Forever, Götz Kühnemund, mit dem Schäfer übers Altern im Metal plaudert, wobei Götz zahlreiche Fußballvergleiche anstrengt. Dokumentiert ist hier auch, dass Judas Priest damals als nicht unbedingt in Würde gealtert galten (was sich längst wieder geändert hat). Es gibt in diesem Schmöker noch weit mehr zu entdecken, beispielsweise das letzte Kapitel, in dem Schäfer mit seinem Alter Ego Fritz Pfäfflin in Klausur geht, sich also selbst interviewt. Diesen Kunstgriff nutzt er u. a., um sich hinsichtlich der Auswahl der Gesprächspartner(innen) zu erklären und so ganz nebenbei noch eine Rezension des ANVIL-Albums „Juggernaut of Justice“ ins Buch zu schmuggeln.

Schäfers leidenschaftliches, ehrliches Interesse beschert eine Vielzahl angenehm zu lesender Gespräche, die auch für jemanden wie mich, der seit zig Jahren mehrere Musikzeitschriften aus dem härteren Sektor im Abo hat, einige neue Erkenntnisse, interessante Perspektiven und streitbare Ansichten vermitteln, gerade weil der Fokus nicht auf Musikerinnen und Musiker gerichtet ist. Irgendwo hat sich ein „Gravedigger“ (statt GRAVE DIGGER, Digger!) eingeschlichen, und weshalb der Verlag wie bereits für Schäfers „111 Gründe, Heavy Metal zu lieben“ auf Lemmy Kilmister fürs Cover zurückgriff, obwohl auf S. 64 festgestellt wird, dass jener mit Metal gar nicht so viel zu tun habe, erschließt sich einem erst, wenn man Maders Ausführungen zu Buchverkaufszahlen gelesen hat. Das ändert aber nichts am positiven Gesamteindruck, der mir das Gefühl vermittelt, dass „Talking Metal“ vielleicht tatsächlich gleichermaßen für Szenekenner wie für Außenstehende, die etwas über die Szene abseits von Bandporträts erfahren möchten, geeignet ist.