krenz, egon - herbst '89Statt einer Kurzkritik eine Diskussion zum Thema, die ich einst in einem Forum führte.

Wann das genau war, kann ich nicht mehr nachvollziehen, müsste aber der Herbst 2009 gewesen sein.

Die hell unterlegten Passagen stammen von meinem Diskussionspartner:

Egon Krenz,der noch heute vor Stasioffizieren seine wirren Selbstbetrüge als Geschichte vorträgt und erzählt, wie die Stasi dafür sorgte, dass die 89er Revolution überhaupt stattfinden konnte und so friedlich blieb?

Ich weiß so gut wie nichts über Egon Krenz, weshalb ich eben dieses Buch jetzt lese. Der letzte Beitrag über ihn, den ich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sah, war so dermaßen billig und offensichtlich auf reine Polemik und Vorführung ausgerichtet, dass man meinen könnte, der Kalte Krieg wäre noch in vollem Gange, was letztendlich den entscheidenden Ausschlag dazu gab, dass ich mich dieser Lektüre annahm. Möglicherweise liegt die wahrheit wie so oft irgendwo in der mitte?

Du bezweifelst, dass die DDR-Führung zum weitestgehend friedlichen Ablauf des Umbruchs ihren Beitrag geleistet hat? (keine rhetorische, sondern ernstgemeinte Frage)

Zu seiner Ehrlichkeit und seinem Bild der Vergangenheit reicht es eigentlich zu wissen, dass er bis heute sagt, es habe in der DDR an der Grenze keinen Schießbefehl gegeben. (obwohl die etwaigen Paragraphen ja bekannt sind)

Wie bekannt ist, wurde wenige Tage vor der großen Leipziger Demo noch jedes Treffen von der Stasi und nicht zu vergessen, den Betriebskampfgruppen zusammengeknüppelt, in dermaßen brutaler Form, da ist das, was die Hamburger Polizei diesen Sommer so macht, Kindergeburtstag gegen.

Zwei Dinge haben sie dann zum Nachlassen gebracht:
1. Die schiere Größe der Demos.
2. Fehlende Rückendeckung aus Moskau. Dies verschweigt Krenz ja gern und kann sich so als friedliebender Demonstrantenfreund zeigen.

Bernd Lade sagte dazu passend:
Wenn Breshnew noch an der Macht gewesen wäre, dann hätte Krenz schießen lassen. Die Planungen dafür gab es ja.

Wie gesagt, ich lese mich gerade erst etwas intensiver in die Thematik hinein. Vielleicht schreib ich da später noch mal was zu. Von „was wäre wenn (z.B. Breshnew noch an der macht gewesen wäre)“-Spekulationen halte ich aber nicht viel. Es waren ja nicht nur personelle Faktoren, die den Zusammenbruch der UDSSR bewirkt haben, sondern auch politische und wirtschaftliche.

Dein letzter Satz ist richtig, mein Beispiel sollte nur verdeutlichen, wie wenig unabhängig die DDR-Führer in ihren Entscheidungen waren, sondern sich immer nur im jeweils vorgegebenen Freiraum entscheiden konnten.

Das stimmt natürlich, ist aber nicht Krenz anzulasten. Diesen Umstand macht er in seinem Buch, das ich mittlerweile durch habe, ebenso deutlich wie den völligen Realitätsverlust und die Paranoia des Politbüros, die letztendlich kontraproduktive Machtauf- und -verteilung und vieles andere. Gleichzeitig übernimmt er die Verantwortung, soweit es ihm möglich ist. Er beschreibt auch recht nachvollziehbar den damit einhergehenden, aus meiner Sicht quasi unmöglichen Spagat zwischen Reformwillen auf der einen und Verantwortung für den bewaffneten Machtapparat auf der anderen Seite. Im Übrigen gab es durchaus einen Befehl Honeckers, Gewalt anzuwenden, den Krenz unverzüglich abgewendet und damit seine Kompetenzen überschritten hat. Die in der DDR stationierten Sowjettruppen haben, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, ihre Unterstützung angeboten, wurden aber aufgefordert, sich zurückzuhalten. Ich denke nach meinem aktuellen Kenntnisstand sehr wohl, dass er unter seiner Führung einen großen Anteil am unblutigen Verlauf der Wende hat. Das wurde ihm im Urteilstext zu seiner Verurteilung wegen Totschlags sogar höchstrichterlich bestätigt.

Ich muss sagen, ein sehr, sehr interessantes Buch. Man muss natürlich auch ein wenig zwischen den Zeilen lesen können. Aber krenz äußert sich tatsächlich sehr kritisch der DDR gegenüber, aber eben auch ggü. der westdeutschen Politik seinerzeit. Ich glaube, wer sich für das Thema interessiert, kann hier viele interessante Hintergrundinformationen aus erster Hand erfahren. Fast alles, worauf er sich bezieht und woraus er zitiert, wurde übrigens mit Quellenangaben beinhaltenden Fußnoten unterlegt, um für soviel Objektivität wie möglich zu sorgen. Man sollte allerdings etwas Grundwissen mitbringen, da Krenz direkt im Herbst ’89 einsteigt und es leider auch kein Organigramm oder ähnliches gibt, das das damalige System anschaulich mit seinen Abhängigkeiten und Zuständigkeiten skizziert.

Was den Schießbefehl an der Grenze vor dem Herbst ’89 betrifft, so äußert er sich in diesem Buch leider nicht. Spätere Aussagen erscheinen mir widersprüchlich. Es gab ja sozusagen zwei „Versionen“: einen offiziellen Paragraphen (ab 1982?) und „interne“ Handlungsaufforderungen. Wenn ich das richtig (aus zweiter oder dritter Hand) verstanden habe, sagt er, es habe zwar einen Schießbefehl gegeben, der aber nicht mit der Aufforderung zum Töten einhergegangen sei. Inwieweit ihm zu seinen Politbüro-Zeiten die internen Auslegungen bekannt waren, weiß ich nicht.