Günnis Reviews

Kategorie: Konzertberichte (page 21 of 44)

22.07.2016, Hamburg, Menschenzoo: PROTESTERA + EAT THE BITCH

protestera-+-eat-the-bitch-@menschenzoo,-hamburg,-20160722

Nachdem mir eine Freundin um die Weihnachtszeit herum die Hamburger HC-Punk-Band EAT THE BITCH ans Herz gelegt hatte, war ich neugierig geworden. Tatsächlich hatte ich nach Ende meiner (für meine Verhältnisse) Konzertflautenzeit ja die meisten der aktuell aktiven HH-Underground-Punkbands mind. einmal live gesehen, EAT THE BITCH waren mir bislang aber immer durchgeflutscht. Am 13.02. hätte es im Menschenzoo eigentlich soweit sein sollen, doch leider fielen sie verletzungsbedingt aus. Am 22.07. dachte ich mir dann „Jetzt oder nie!“, wenngleich mir das Datum strenggenommen schon wieder nicht ganz in den Zeitplan passte. Egal, denn mittlerweile hatte ich mich längst mit dem Material der Band befasst und hatten mich die kurz zuvor ins Netz gestellten brandneuen Aufnahmen umso neugieriger gemacht.

Der nach wochenlangem Schmuddelwetter nun sehr schwüle Freitag lud nach einem Abstecher zur Protestaktion an der Hafenstraße ein, so lange wie möglich vor dem Menschenzoo „Platte zu machen“, statt sich in den Keller an den Tresen zu begeben oder sich am Kicker zu vergnügen. Auffallend war, wie viel weibliches Publikum diese Bandkombination anzog. So wurden die ersten Ratsherrn geköpft (klingt doch gut, diese Formulierung…), bis EAT THE BITCH vor die Bühne baten, um den Schweißausstoß endgültig auf die Spitze zu treiben. Von der ersten Sekunde an gab’s derben, rauen, unprätentiösen HC-Punk ohne Umwege auf die Zwölf. Sängerin Jona singt auf den neuen Aufnahmen noch mal extremer, aggressiver als früher und dementsprechend auch auf der Bühne, angenehmerweise ohne auf ein dezentes melodisches Timbre zu verzichten, was einen zusätzlichen Wiedererkennungseffekt bewirkt. Die Texte verfügen über eine düstere, desillusionierte Note (die neue Scheibe heißt dann auch „Desillusioniert“) und unterscheiden sich generell stark von Parolengedresche oder abgegriffenen Klischees. Die sich vornehmlich mit politikbedingten Missständen auseinandersetzenden Lyrics empfinde ich mitunter als noch etwas holprig, die persönlicher geprägten sind hingegen exakt nach meinem Geschmack! Soundmann Norman zauberte einen glasklaren, differenzierten Sound, so dass Gitarre und Bass kräftig wummerten und sägten, die (ebenfalls von Damenhand bedienten) Drums druckvoll kesselten und Jonas Stimme durch Mark und Bein ging. Die zahlreich erschienenen Anwesenden dankten es mit ausgelassener Stimmung, Applaus und der eine oder andere legte trotz der Temperaturen grobmotorische Tanzschritte aufs Parkett. So geil die neuen Aufnahmen auch sind, mein Favorit bleibt „Fressen & kotzen“ vom Demo, ohne den man erschreckenderweise die Bühne verlassen wollte. Ohne Rücksicht auf den konditionellen Zustand der Band zu nehmen, mischte ich den Titel unter die „Zugabe“-Rufe. Diese wurden dann auch erhört und Jona durfte noch einmal beweisen, wie unfassbar schnell sie singen kann. Diese astreine Gänsehautnummer ist der reinste Zungenknoter. Sogar ‘ne weitere Zugabe war noch drin: „I Saw You Die“ der Hannoveraner NEUROTIC ARSEHOLES, der ebenfalls prima ins Set passte. Dumm nur, dass ich den gefühlt 100 Jahre nicht mehr gehört hatte und zwar die titelgebende Zeile prima mitsingen konnte, den Rest aber nicht und so auf phantasieenglisches „blablabla CRY!“ zurückgreifen musste, als Jona mir aufmerksamerweise das Mikro vorhielt („And I Began to Cry“ wär’s gewesen). Wie unangenehm 😀 Meine positive Erwartungshaltung wurde voll bestätigt, EAT THE BITCH reihen sich vorne in eine ganze Reihe Hamburger Underground-Band aus der Punk- und HC-Ecke ein, die dafür sorgen, dass die lokale Szene zumindest in Sachen Livemucke seit einiger Zeit wieder so viel Spaß macht!

Nach äußerst erholsamer Pause an der guten alten Frischen war es an PROTESTERA aus Göteborg, den Energielevel wieder nach oben zu peitschen. Die Anarcho-/HC-Punkband gibt’s glaube ich bereits seit Ende der ‘90er und hat meines Erachtens 2010 ‘ne deutliche Metal-Kante bekommen. Den Hauptgesang übernimmt die Bassistin, die sich jedoch häufig mit einem der beiden Gitarristen abwechselt, die Texte sind überwiegend in Landessprache gehalten. PROTESTERA verfügen über eine bissige, kämpferische Attitüde, die im Auftreten und natürlich in den Ansagen der Band zur Geltung kommt, auch ohne die Texte zu verstehen. Was ich aus der Konserve als auf Dauer etwas gleichförmig und monoton empfunden habe, kam bei diesem Live-Sound sehr kompakt und zwingender rüber, so dass auch dieser Gig gut ins Bein ging. Das hatte ich mir im Vorfeld irgendwie schablonenhafter vorgestellt, doch so kann man sich täuschen. Die Mischung aus Aggressivität, positivem Kampfgeist und musikalischer Vollbedienung zwischen hektisch, brachial und atmosphärisch lief mir an diesem Abend ausgezeichnet rein, wozu abermals die von wenigen Momenten abgesehen gute Stimmung im Menschenzoo beitrug. Aber auch andere Faktoren trugen zu meiner Euphorisierung bei – beispielhaft seien nur die kopflosen Ratsherrn genannt, aber auch meine Vorfreude auf den nächsten Abend –, so dass ich jegliche Objektivität weit von mir weise. Angesichts all dessen lud der Menschenzoo ein, noch das eine oder andere Stündchen zu verweilen, doch Pflicht und Vernunft riefen, also sieben Sachen inkl. EAT-THE-BITCH-Merch (leider kein weißes T-Shirt in meiner Größe mehr), „Feierabendbier“ und an diesem Sommerabend unnützer Jacke zusammengesammelt und zurück in den eigenen Atombunker, bevor es am nächsten Nachmittag mit DMF in den wilden Osten ging…

15.07.2016, Gängeviertel, Hamburg: Hannes‘ und Günnis Birthday Disaster mit UPPER CRUST + THRASHING PUMPGUNS + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

upper crust + thrashing pumpguns + disillusioned motherfuckers @gängeviertel, hamburg, 20160715 01Als mich der gute Hannes auf dem „Metal Bash“ fragte, ob ich nicht Bock hätte, mit DMF auf seinem Geburtstag am 15.07. im Gängeviertel zu zocken, staunte ich nicht schlecht, fiel das doch auch genau auf meinen! Zwillinge, bei der Geburt getrennt? Mitnichten, dafür bin ich viel zu jung… äh… Wie auch immer, jedenfalls waren wir natürlich dabei, um gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Hannes‘ Ehrentag zu feiern, meinen zu feiern, unser ausgefallenes Konzert mit UPPER CRUST nachzuholen und endlich unseren Live-Einstand in der neuen Besetzung mit Eisenkarl am Viersaiter zu geben. Als dritte Band konnte Hannes die Hamburger Metal-Punks THRASHING PUMPGUNS verpflichten. Zwischen 18 und 19:00 Uhr fanden sich an jenem zumindest etwas sommerlicheren Freitag schließlich nach und nach die Bands ein, wobei ich mich praktischerweise direkt nach der Arbeit zum Ort des Geschehens begeben konnte, während die übrigen Motherfucker mitsamt Kais Herzdame Jana und dem Equipment per Taxi anreisten (was den Taxifahrer offenbar leicht verstörte). Shakehands, Aufbau, Soundcheck, Nudelsalat, Dithmarscher und Jever – und mich von den Bandkollegen mit Geschenken wie dem „Selbstmord-Quartett“, dem „schwarzen Hamburg-Buch“ und Bud Spencers Autobiographie überhäufen lassen! Gegen 22:00 Uhr war’s dann gut gefüllt und wir bliesen zur Live-Premiere in aktueller Vierer-Besetzung, reduziert auf nur noch eine Klampfe. Bischn ungewohnt war es nach so langer Live-Abstinenz ja schon, ein komplettes Set ohne Kippenpause oder Toilettengänge durchzuziehen, Ansagen zu machen etc… Ich war im Vorfeld plötzlich wieder aufgeregt wie vor dem ersten Gig und meine Stimme war glaube ich durch die Probe am Abend zuvor nicht 100%ig auf der Höhe, dafür kamen wir aber schneller auf den Punkt, die Pausen zwischen den Songs wurden deutlich reduziert und an den Instrumenten waren wir souveräner als oftmals früher. Einen Songauftakt haben wir verkackt, aber ansonsten lief alles ohne gröbere Schnitzer – das lässt für die Zukunft hoffen, wenngleich vielleicht noch etwas am Sound gefeilt werden muss, um maximalen Druck mit nur noch einer Gitarre zu erzeugen. Das Ziel, räudigen Hatepunk möglichst ungehobelt herauszurotzen, darf jedenfalls als erreicht betrachtet werden.

Über zwei Gitarren verfügten dann die THRASHING PUMPGUNS, die den guten alten Hektiker-HC/Punk/Metal-Crossover-Sound ins Gängeviertel trugen. Shouter Rolf hielt es nicht lange auf der Bühne und sorgte stattdessen für Bewegung im Publikum, es wurde gebangt, gemosht und erstmals an diesem Abend mit Bier gespritzt. Bei „Too Old to Skate“ wurde ein Mikro ins Publikum gereicht und ich änderte den Text kurzerhand in „Too Drunk to Fuck“ um. Auf der Bühne sah man in erster Linie Gitarrenhälse und wild umherfliegende Haare, dazu pumpte im Hintergrund der unerbittliche Pumpgun-Beat eines der härtesten Drummer Hamburgs. Geile Show einmal mehr, die in aller gebotenen Kürze ein Maximum an Songs, Riffs und Themen unterbrachte. Rufe nach Zugabe verhallten jedoch ungehört; die Pumpguns nachzuladen pflege man grundsätzlich nicht, gab Rolf zu Protokoll.

Als UPPER CRUST an Position drei durchgereicht wurden, hatte ich ja ein leicht ungutes Gefühl, da ich bereits ein, zwei Mal erlebt hatte, dass es eine etwas undankbare Aufgabe sein kann, als letzte Band des Abends im Gängeviertel ran zu müssen. Viele Leute hatten in der Vergangenheit da bereits die Segel gestrichen. Bullshit, UPPER CRUST spielten um ihr Leben und rissen alles ab! Seit Kurzem um einen Shouter verstärkt, ist viel mehr los auf der Bühne und wirken die an alte D.R.I. etc. erinnernden HC-Punk-Eruptionen mit Mosh- und Crossover-Kante noch kompakter. Da wird giftig gekeift, wild geschrubbt, gehämmert und genagelt und Basser Jörg zappelt tranceartig zu seinen Tieftönen. Der nach wie vor vollzählig anwesende Mob drehte nun richtig durch und bescherte der Band verdientes „Headliner-Feeling“, auch ich stürzte mich ins Getümmel. Das war wohlgemerkt gar nicht mal so ohne, denn der Boden war arschrutschig und einmal hätte ich beinahe eine junge Dame unter mir begraben. Die Stimmung war auf ihrem Siedepunkt, die Temperatur ebenfalls und ohne Zugabe ließ man niemanden mehr von der Bühne. UPPER CRUST zockten drei Stück und besiegelten damit einen ihrer m.E. besten Gigs!

Im Anschluss wurde weitergefeiert, bis man uns ganz Hartnäckige zusammen mit dem Unrat hinausfegte, doch nebenan hatte die Gängeviertel-Punkbar noch geöffnet, die ebenfalls ausgetrunken wurde. Es war ein wahrlich desaströses Birthday-Disaster und an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an alle Beteiligten und Verantwortlichen, insbesondere natürlich an Hannes, das gesamte Team der Gängeviertel-Konzert- und Kneipengruppe und alle Bands! Genial auch, dass manch Gesicht, das ich dort nun so gar nicht erwartet hatte, überraschenderweise auftauchte und meinen bzw. unseren Geburtstag mitfeierte. Ich kam das Wochenende gar nicht mehr aus dem Feiern heraus und zog ausnahmsweise zwei Tage durch. Außerdem danke an Jana und Bolanow-Christian für einen Großteil der Bilder. So macht Älterwerden Laune!

Weitere Fotos gibt’s dort:
=> DMF-Facebook-Album
=> Upper-Crust-Facebook-Album I
=> Upper-Crust-Facebook-Album II

09.07.2016, Wohlwillstraßenfest, Hamburg: PLASTIC PROPAGANDA + DER UNFUG UND SEIN KIND

wohlwillstraßenfest 2016

Das Wohlwillstraßenfest, das sich über diverse Straßen nördlich der Reeperbahn erstreckt, ist eines der angenehmsten seiner Art. Ich weiß nicht, wie lange es bereits existiert, aber die letzten beiden Jahre habe ich als äußerst lohnend in Erinnerung: So etwas wie das weniger überfüllte Schanzenfest, zudem ohne Bullenterror oder Krawalltouristen. Straßenfest-Obligatoria wie Verzehrstände, Hüpfburgen etc. gehen dort einher mit politischem Anspruch, der sich in Form von Infoständen zu unterschiedlichen Missständen äußert, sowie einem schönen Flohmarkt, auf dem ich regelmäßig Vinyl abgreife. Auch die Angebote fürs leibliche Wohl heben sich deutlich von anderen Veranstaltungen ab und so lassen sich hier z.B. zum von Flüchtlingen hergestellten und verkauften Veggie-Döner leckere Cocktails vom True-Rebel-Stand schlürfen. Zunächst einmal führte mich die anfängliche Stippvisite meiner Begleiter in den Silbersack jedoch in regen Austausch mit Besitzer Dominik, so dass ich tatsächlich schon mittags mein erstes Astra genoss. Vom auf 12:00 Uhr ausschläferfreundlich angesetzten Straßenfest verpassten wird dadurch aber nicht viel; das Abklappern aller Flohmarktstände nahm viel Zeit in Anspruch und wurde immer wieder durch kurze Schnacks mit Bekannten unterbrochen. Das Wetter spielte – in diesem Sommer ausnahmsweise – auch mit, also sprichwörtlich alles eitel Sonnenschein (mal abgesehen von diesem einen Himmelhochjauchzendzutodebetrübt-Moment, als sich das falsche Vinyl in der richtigen Hülle befand und man so leider nicht ins Geschäft kam).

wohlwillstraßenfest,-20160709_163107Am Nachmittag gesellten wir uns zur Live-Bühne in der Paulinenstraße um die Ecke vom Jolly Roger, wo neben günstigem Getränkeausschank gegrillte Veggie-Steaks im Brötchen angeboten wurden und sich der subkulturelle Dreh- und Angelpunkt des Fests bildete. Bei der Bühne handelte es sich wie gewohnt um die Ladefläche eines Lkws, wobei das B5, vor dessen Bühnen der Liveteil letztes Jahr stattgefunden hatte, anscheinend diesmal zeitweise parallel eigene Bands auf eigener Bühne spielen ließ, u.a. war wohl von einer türkischen Ska-Band die Rede. Davon bekam ich aber nichts mit und auch die Eröffnung der Paulinenstraßen-Live-Party mit NEOPIT PILSKI (dürfte so Singer/Songwriter-Mucke gewesen sein), lief noch größtenteils an mir vorbei. Ähnliches gilt für KATARRH, die mir ebenfalls rein gar nichts sagten und ich glaube arg rustikalen HC-Punk mit kehligem Gegröle als Gesang zockten, während der Bassist kurioserweise permanent dem Publikum dem Rücken kehrte. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit galt schließlich DER UNFUG UND SEIN KIND, entweder umbenannt oder nur auf dem Flyer radikal gekürzt in UNFUG, einer der vielleicht Promo-faulsten Punk/HC-Bands Hamburgs. In Trio-Besetzung gab’s hier 100%ig schnörkellosen Hardcore mit größtenteils englischen Texten um die Ohren geprügelt, der an ‘90er-Groove-Zeug erinnerte, dafür aber in seiner Kompromisslosigkeit herrlich spröde und knochentrocken durchgebolzt wurde. Shouter und Gitarrist Beastar entledigte sich für den Gig seines Shirts und beschränkte die Kommunikation mit dem Publikum darauf, kurz nachzufragen, ob der Sound so ok sei. Die einzige Ansage lautete schlicht „Letzter Song, keine Zugabe!“ und war auch noch verkehrt, denn mit dem wüstesten und ich glaube einzigen deutschsprachigen Song „HC Farmsen“ folgte eine ebensolche. Schönes Ding und von mir aus gern mal öfter.

Die längeren Umbaupausen luden ein, sich zwischenzeitlich immer wieder auf Jolly Roger, Kiosk, Bier- oder Cocktail-Stand zu verteilen und zu PLASTIC PROPAGANDA kam ich dann auch tatsächlich etwas zu spät, was u.a. am zwischenzeitlichen Regenschauer lag, ganz ohne den es diesen Sommer nicht zu gehen scheint. Mit zwei Gitarren wurd’s nun für den Mischer auch etwas anspruchsvoller, was den Umständen entsprechend aber m.E. ganz gut gelöst wurde. Die Stimmung war gut, vor der Bühne tanzte eine Gruppe verkleideter Kinder und die Band dürfte die meistfotografierte des Tags gewesen sein – was nicht zuletzt an ihrem äußeren Erscheinungsbild liegen dürfte, beim dem anscheinend nur wenig dem Zufall überlassen wird. Als Hits der Neo-’77-Punks erwiesen sich während dieses meines zweiten Live-Eindrucks „Bullshit Limbo“ und „Propaganda Superpower“ (noch besser als auf Platte!). PLASTIC PROPAGANDA sind stilistisch mit ihren zwei halbclean gespielten Klampfen allein schon deshalb interessant, weil sie sich an anderen ’77-Ikonen als den SEX PISTOLS oder RAMONES orientieren, wie es so viele andere taten und tun. Auch der weiblich-männliche Wechselgesang ist fast so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Neben etwas mehr Dreck fehlt mir hier und da vielleicht noch etwas der letzte Melodie-Kick, das aber eigentlich auch nur, weil das große Potential aus jedem Akkord erklingt. Während ich das hier schreibe, läuft das Album gerade mal wieder durch und bestärkt mich ebenso wie der Gig im Vorhaben, mir PLASTIC PROPAGANDA alsbald gern wieder anzuschauen.

Mein anderes Vorhaben, nämlich rechtzeitig den Absprung zu schaffen, konnte ich in die Tat umsetzen, verzichtete auf den letzten Act WOLLE POLLE und begab mich zurück nach Hause. Wo ein Wohlwill ist, ist auch eine Straße!

02.07.2016, Hochbunker, Kiel: THE GUV’NORS + BOLANOW BRAWL + I.N.A.B.

guv'nors,-the-+-bolanow-brawl-+-i.n.a.b.-@hochbunker,-kiel,-20160702Eigentlich sollte es ein dänischer Abend mit deutschem Support werden, doch LAST SEEN LAUGHING hatten sich leider spontan aufgelöst. Micha von „Tribes of Gaarden – Subculture Concerts“ fragte daraufhin bei uns an und glücklicherweise konnten wir relativ kurzfristig einspringen. Auf einen Gig in Kiel hatten wir schon länger wieder Bock und ein besonderer Bezug ist allein schon dadurch gegeben, dass 3/5 der Band ursprünglich aus jener schleswig-holstein’schen Metropole stammen und Ole noch immer seinen Hauptwohnsitz dort hat. Während wir kurzerhand mit der Bahn anreisten, hatte Ole das Equipment bereits im Kofferraum und war pünktlich um 19:00 Uhr am Hochbunker im Kieler Arbeiter-Stadtteil Gaarden, stand jedoch erst mal am falschen, nämlich dem verschlossenen Eingang. Als wir kurz darauf eintrafen, war der schon wieder weg und seine fragenden Nachrichten und Anrufversuche erreichten uns ebensowenig wie unsere Nachfragen ihn, da man innerhalb des Bunkers tatsächlich NULL Empfang hat. Mit etwas Verspätung fand man dann aber doch noch zueinander und wuchtete das Zeug in den rustikalen Bau. Im Bunker, den unterschiedliche Veranstalter für unterschiedliche Veranstaltungen nutzen können, roch es etwas befremdlich, da irgendwelche Elektro-Hippies zuletzt mit irgendwelchen Räucherkerzen u.ä. herumhantiert hatten, anzusiedeln irgendwo zwischen Wunderbaum und alter Pisse. Doch auch daran hatten sich unsere feinen Nasen bald gewöhnt und während ich mir schon Janas schmackhaftes Veggie-Chili mit frischem Brot beim ersten (ok, zweiten) Bierchen reinschaufelte, bauten die Jungs ihr Zeug auf und suchte Raoul verzweifelt nach einer Alternative zum vor Ort vorhandenen, zu niedrigen Drumhocker. Als auch dieses Problem wegimprovisiert worden war und schließlich der emsige lokale Mischer und Bühnentechniker alles vorbereitet hatte, war noch ausreichend Zeit für einen vernünftigen Soundcheck und letztlich alles im grünen Bereich.

Langsam aber sicher trudelten auch die ersten Gäste ein und das Frankfurter Duo (!) I.N.A.B., was wohl für so viel wie „Ih, Nudel auf Boden“ (?!) steht, sollten den Abend eröffnen. Obwohl’s eigentlich nicht unsere Art ist, hatten wir diesmal andere Pläne, immerhin war EM-Viertelfinale und Jogis Kicker spielten gegen die italienische Auswahl. Also vereinbarten wir ‘ne Uhrzeit mit Micha und begaben uns auf die Suche nach einer Gaardener Kneipe, in der wir das Spiel verfolgen konnten. Im „Kieler Treff“ wurden wir fündig, der etwas übertrieben dekorierte Laden hatte ‘ne zünftige Leinwand, Holsten Export für 1,10 EUR (!!!) und ein separates Kotzbecken bei den Toiletten zu bieten. Genau das richtige Ambiente also. Wir reihten uns hinter den lokalen Sportsfreunden auf, begrüßten weitere lokale Bekannte und Konzertbesucher, stießen auf eine faire Partie an und sahen einen hochspannenden Kick – bis zur 60. Minute. Dann nämlich rissen wir uns pflichtbewusst los und noch auf dem Weg zum Bunker vernahmen wir, dass irgendetwas passiert sein musste. Ein Blick in den Smartfön verriet, dass Özil das 1:0 erzielt hatte! Halleluja! Kaum verlässt man die Spelunke, fallen die Tore… Zurück im Bunker befanden sich I.N.A.B. gerade im letzten Drittel ihres Sets: Der Drummer knüppelte und schreibrüllte sich durch die Songs, begleitet von seinem wild schrammelnden, keine Miene verziehenden Gitarristen. Das Publikum zeigte sich etwas irritiert und irgendetwas sagt mir, dass das seitens der Band durchaus einkalkuliert war. Ich finde ja, „Die abgestürzten Brieftauben“ wäre der bessere Bandname gewesen, hätte aber womöglich rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen. So oder so war’s ein kurioses Brett, von dem ich aber aus genannten Gründen den Großteil verpasst hatte.

Szenenwechsel, nächster Act: Noch mal ordentlich mit Jever eingedeckt und auf die Bretter. Die trotz des EM-Spiels in angenehmer Anzahl erschienen Kieler sammelten sich brav in den hinteren beiden Dritteln des „Saals“, vorne blieb Platz für Aerobic und Ausdruckstanz. Dieser wurde vereinzelt genutzt, während wir uns spieltechnisch so gut wie keine Blöße gaben. Die zunehmende Routiniertheit äußert sich zunehmend in der Lockerheit und Souveränität auf der Bühne, von der Ole diesmal gleich zweimal sprang, um mit seinen Soli anzugeben. Zwischendurch wurde eine Fußball-Ansage Stulles missverstanden, so dass man uns für HSV-Fans hielt, was wir stante pede richtigstellten und den guten alten AFC-Schlachtruf durchs Kieler Gemäuer skandierten. Ansonsten wurde wieder munter durch- und übereinandergequatscht, was man hinterher nach einigem fast schon beschämenden Lob als einzigen Kritikpunkt uns gegenüber äußerte. In Folge dessen denke ich über Knebelmöglichkeiten bestimmter Bandkollegen nach… Zwangsgeknebelt fühlte ich mich dann und wann, denn mein Mikrokabel hatte offenbar einen Wackelkontakt entwickelt und verschluckte die eine oder andere Silbe – egal. Etwas nordisch unterkühlt fielen bisweilen die Reaktionen zwischen den Songs aus, Kieler können ganz schön ruhig und maulfaul sein – dafür verließ aber niemand den Raum oder warf mit Kuhdung. Der eine oder andere wollte dann auch tatsächlich noch ’ne Zugabe, doch unser Pulver war verschossen und außerdem waren zur längst vorgerückten Stunde nun auch langsam mal die Dänen dran. Noch während des Abbaus kolportierte der aus Hamburg angereiste und in letzter Zeit verdächtig nüchterne IN-VINO-VERITAS-Ladde etwas von „7:6 nach Elfmeterschießen“ und ich wusste noch nicht so recht, ob ich das glauben sollte. Das Letzte, was ich kurz vor’m Gig per App-Ticker mitbekommen hatte, war der Ausgleich nach Handelfmeter für Italien. Doch er sollte Recht behalten; wie genau das Ergebnis zustande gekommen war, wusste ich da aber noch nicht! Für den Moment war’s mir auch egal und ich freute mich, dass der historische Sieg – erstmals in einem Turnier gegen Italien – endlich geglückt war!

Die fünfköpfigen GUV’NORS spielten schließlich als Headliner gut abgehangenen Oi!- und Streetpunk der klassischen Sorte mit schönem Rock’n’Roll-Einschlag, der manch Besucher zum Tanzen animierte und ich feierte ausgelassen mit. Die Band aus Aarhus hat zwei Studio-Langdreher sowie eine Vielzahl an 7-Zöllern und Splits am Start; das Set war gespickt mit englischsprachigen Hits wie „40, Fat and Finished“ und anderen amtlichen Kalibern der melodischen Muse mit viel Oldschool-Attitüde, eingängigen Refrains und tighter Darbietung, gecovert wurde kollegialerweise auch ein LAST-SEEN-LAUGHING-Stück. Die sympathisch unprätentiöse Band bildete einen klasse Abschluss des offiziellen Teil des Abends, bevor wir nach reiflichen Überlegungen, Diskussionen und Abwägungen beschlossen, uns zu verabschieden und auch unsere Schlafmöglichkeiten nicht wahrzunehmen, um uns in die „Pumpe“ abzusetzen. Bei ihr handelt es sich um eine Art Alternative-Disco, wo diesmal auf zwei verschiedenen „Floors“ sowohl eine Oldschool-Reggae- als auch eine ’80s-Gothic/-Wave-Party stattfanden, zwischen denen wir im weiteren Verlauf sprichwörtlich hin- und herschwankten. Und obwohl ich solch Disco-Gedöns eigentlich nicht sonderlich viel abgewinnen kann, machte selbst das irgendwie Spaß. Die Einheimischen sorgten für eine entspannte Stimmung, was meinen positiven Eindruck von Kiel erneut bestätigte. Das allgemeine Chaos, das diese Form der Nachtgestaltung für manch einen nach sich zog, behalte ich an dieser Stelle jedoch für mich. Nur so viel: Während ich am nächsten Nachmittag längst wieder zurück in Hamburg war, wachte ein Gitarrist gerade erst mit Mörderschädel in Kiel auf… Zuhause schaute ich mir dann genüsslich das Spiel ab der 60. Minute an und staunte nicht schlecht über das kuriose Elfmeterschießen. Vermutlich war es gut, dass ich das nicht live mitansehen musste, bin ja schließlich auch nicht mehr der Jüngste – und außerdem hab’ ich dadurch ‘ne coole Antwort parat, sollte man mich irgendwann fragen: „Und wo warst DU, als Deutschland Italien besiegte?“

Danke an alle, die zu diesem Abend beigetragen haben, insbesondere Micha, Jana und das ganze „Tribes of Gaarden“-Team, die das Ding gut geschaukelt haben! Wir kommen gern wieder, Kiel!

P.S.: Danke auch an Bützi für die Fotos unseres Gigs!

24.06.2016, Bambi Galore, Hamburg: PROTECTOR + PRIPJAT + SKULLED + EMPIRESFALL + RAYDER

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„Thrash Overdose“ im Bambi mit PROTECTOR als Headliner, also nix wie hin. Da der gute Flo aber gleich fünf Bands durch den Abend peitschte, begann der Tanztee bereits so früh, dass ich RAYDER verpasste: Die Hamburger Speedster hatten ihren ersten Gig und unbestätigten Gerüchten zufolge soll der sehr ordentlich gewesen sein. Ich hoffe, ich bekomme die auch noch zu Gesicht, bevor sie sich in TWYX umbenennen. Bei den zweiten Lokalmatadoren EMPIRESFALL war ich aber rechtzeitig vor der Bühne. So konnte ich dann auch die Herren, die ich gerade erst bei den Tipsy Apes gesehen hatte, diesmal wesentlich aufmerksamer verfolgen. Der aggressive, raubeinige Thrash lief mir prima rein und wurde gebührend gefeiert. Zwar würde ich mir den einen oder anderen Refrain etwas ausgearbeiteter wünschen, aber davon unabhängig war das bei von der Örtlichkeit gewohntem Spitzensound ein für mich perfekter Einstieg in den Abend. Gegen Ende des Sets ließ man den Höhepunkt von der Leine: „Psychopath“ – welch geile Abrissbirne! Zugaben wurden gefordert und die Band hätte auch gern eine gespielt, doch Flo sah sich aufgrund des engen Zeitplans gezwungen, dem einen Riegel vorzuschieben.

Nach den üblichen Sabbelpausen an der Frischen durften die Bremer Thrasher SKULLED ran, die 2014 ihr Debüt-Album „Chaos Through Order“ veröffentlicht haben. Was aus der Konserve bisweilen etwas modern klingt, tendierte live stark in Richtung Hektiker-Crossover-Sound der ‘80er-Schule und machte trotz zeitweise etwas lichter gewordenem Publikum (Durchschnaufen nach den Lokalheroen, Kraft sammeln für die Haupt-Acts) viel Spaß. Die Band kann wat, so einiges sogar, wenn auch vielleicht noch das gewisse Etwas fehlt, der Schuss Wahnsinn, das Quäntchen Genialität…?

Wahnsinn zuhauf lieferten dann die Kölner mit ukrainischem Hintergrund PRIPJAT, die ich so gar nicht auf dem Schirm hatte. Eine spätere kurze Recherche ergab, dass ich mal ein, zwei Kritiken ihres Debüts „Sons of Tschernobyl“ gelesen, aber anscheinend nie reingehört hatte. Das rächte sich live! Die nach einer ukrainischen Geisterstadt in der Nähe Tschernobyls benannte Band drehte auf, als sei’s der letzte Gig vorm Strahlentod und hackte sich in Höchstgeschwindigkeit durch ein Inferno, das das abartig hohe Geschrei des Sängers um eine apokalyptische Hysterie ergänzte. Klar, dass das Publikum da eskalierte und die nicht zu knappe Bühnen-Action mit reichlich Matteschütteln und ‘nem kleinen Pit quittierte. Nach und nach entledigten sich Super-GAU-Citys Söhne ob der Affenhitze ihrer Kleidung, der zweite Gitarrist hatte öfter mal mit der Bühnentechnik zu kämpfen („Bühne kaputt!“), doch beides änderte nichts am permanenten Vollgas und der Hyperaktivität der Band, die ansteckend wirkte. PRIPJAT greifen den nuklearen Sound diverser ‘80er-Thrasher auf und haben als Ukrainer einen derartigen persönlichen Bezug dazu, dass es fast schon beängstigend authentisch wirkt.

Nachdem das Bambi fast einer Kernschmelze anheimgefallen war, nahm jeder die letzte Pause dankbar an – und manch einer wird sich gefragt haben, ob PROTECTOR das noch würden toppen können. Von 1986 bis 1993 versorgten die Wolfsburger das geneigte Publikum mit Brutalo-Thrash mit immer stärker hervortretender Death-Kante, bevor erst mal Schluss war. Anfang des Jahrzehnts reanimierte Original-Shouter Martin Missy die Band bzw. baute sie mit schwedischen Musikern mit Segen der übrigen Originalmitglieder neu auf und veröffentlichte seitdem zwei ordentliche Thrash-Alben. Und da ich PROTECTOR noch nie live gesehen hatte, waren sie der Hauptgrund meines Erscheinens. Mit dem superben „Xenophobia“ vom aktuellen Langdreher „Cursed and Coronated“ stieg man ein und wütete sich durch ein Set, das das neue Material ebenso berücksichtigte wie das alte Zeug, aufgelockert durch das MOTÖRHEAD-Cover „Overkill“. Missy hat’s zweifelsohne immer noch drauf und seine Mitmusikanten sind alles andere als von schlechten Eltern, so dass auch dieser im Vergleich mit PRIPJAT düsterer, schwerer wirkende Gig auf durchgehend hohem Niveau Laune machte und mit Befriedigung erfüllte. Ich freue mich ja über jede kompetente Thrash-Band, die wirklich etwas zu sagen hat – und PROTECTOR gehören definitiv dazu. Die Stimmung war auch hier bestens, der Sound nach wie vor prima, das Bier kalt und der Abend aber ausnahmsweise einmal nicht zu früh zu Ende, denn noch eine weitere Ballercombo wäre mir an diesem Abend dann tatsächlich zu viel des Guten gewesen. Danke an jede einzelne Band sowie an Flo & Co. für diese Überdosis, die ich mir mit dem größten Vergnügen gedrückt habe!

18.06.2016, Menschenzoo, Hamburg: AUSBRUCH + HAMBURGER ABSCHAUM

ausbruch @menschenzoo, hamburg, 20160618

Mit AUSBRUCH haben sich weitere „Deutschpunk“-Veteranen aus den ‘80ern reformiert und wollen’s noch mal wissen. Damals hatte man mit „Harte Zeiten“ ein Album am Start und fiel ansonsten insbesondere durch Sampler-Beiträge auf. Die Texte waren zum Teil zeitgenössisch plakativ, gern aber auch abseits von Parolengedresche gesellschafts- und politkritisch und dabei durchaus durchdacht. An diesem Abend verschlug es sie in den Menschenzoo und mir wurde die Ehre zuteil, für adäquate Beschallung aus der Konserve zu sorgen. Den Vorturner machten die Platzhirschen von HAMBURGER ABSCHAUM mit einem verglichen mit ihren Shows als Haupt-Act gekürzten Set, das sehr kurzweilig und griffig ausfiel und zum Feiern einlud, was die Gäste in der bestens gefüllten Spelunke dann auch hingebungsvoll taten. Diverse eingängige Refrains wurden fleißig mitskandiert, vorne wütete der Pogo-Mob und auf der Mini-Bühne drängelten sich faszinierenderweise so sieben, acht Leute…? Die Kettensäge kam glücklicherweise nur kurz zum Einsatz, jedoch nicht, ohne die Kellerbutze nachhaltig mit Benzinduft zu erfüllen. Beste Stimmung bei einer bis auf kurze charmante Verhacker fitten Band, die ihre mit reichlich Lokalkolorit gewürzten Songs wie üblich mit charakteristischem Trompeten-Einsatz versah und gleichzeitig mit doppelter Gitarrenschrammelfront und zweistimmigem Gesang punk as fuck war sowie inhaltlich mit starkem Hang zur Selbstironie sympathisch und schwer authentisch wirkt. Ob nun gegen Yuppies und Gentrifizierung und für mehr Bauwagenplätze geworben wird, im einzigen englischsprachigen Song Flüchtlinge willkommen geheißen werden, den Vorzügen eines Treckers im Stadtverkehr gehuldigt, diversen Unsympathen zurecht „Auf’s Maul“ angedroht oder der LABSKAUS-Volltreffer „Lauf um dein Leben“ gecovert wird – der „Abschaum aus dem Norden, vollgepackt mit zwei Akkorden“ macht jedes Konzert zur rustikalen Abrissparty.

Welchen Stellenwert HAMBURGER ABSCHAUM bei uns genießen, zeigte sich auch darin, dass direkt nach deren Gig dann doch einige bereits aufbrauchen und sich AUSBRUCH erst gar nicht mehr anschauten. Nichtsdestotrotz war’s natürlich immer noch amtlich gefüllt, als die augenscheinlich gut gealterte (und geschmackssicher gekleidete – gleich zwei THE-CLASH-Shirts auf der Bühne) Band mit ihrem Midtempo-lastigen Punkrock begann. Vor der Bühne war die meiste Zeit gut was los, mit meinen immer noch frischen Beintattoos musste ich mich jedoch weiter hinten aufhalten. Einmal wagte ich mich nach vorne, um ein paar Fotos zu schießen und direkt sprang mir eine Olle (aus Versehen) barfuß (!) an die Wade… Einige der großen Hits hatte man ans Ende des Sets gepackt, das mit rund 80 Minuten recht lang ausfiel und somit auch Platz für ein paar wenige Songs bot, die meines Erachtens kleine Rohrkrepierer sind, ansonsten aber Abwechslung bot: Altes Material mischte sich mit unveröffentlichtem neuem, die Offbeat-Nummer „Deine Freiheit“ wurde ebenso mittig platziert wie das klasse TRACY-CHAPMAN-Cover „Talking ‘bout Revolution“ und das englischsprachige „I’ve Got a Picture“ – und am Ende hieß es dann „Deutscher Eid“, „Kämpf um dein Recht“ und „Wo ist die Freiheit?“. Die älteren Semester sangen alles kräftig mit und letztlich dürften alle eine gute Zeit gehabt haben. Natürlich sind AUSBRUCH nach wie vor relevant, weil textlich leider alles andere als überholt, so dass sich mir die Sinnfrage einer Reunion wie dieser gar nicht erst stellt – zumal wenn eine Band augenscheinlich Bock auf genau diese Kellergigs hat und sich allürenfrei und ohne Gepose authentisch präsentiert. Hier und da hätte ich das Set etwas gestrafft, alles in allem zeigt der Daumen aber eindeutig nach oben!

Im Anschluss durfte ich den verbliebenen (und neu hineingestolperten) Gästen und den Zoowärterinnen noch bis 4:00 Uhr morgens meinen Musikgeschmack aufzwängen. Danke an den Menschenzoo, AUSBRUCH und HAMBURGER ABSCHAUM für den geilen Abend!

P.S.: Fototechnisch diesmal auch hier sehr mau, beim ABSCHAUM hab‘ ich mich gar nicht erst nach vorn getraut…

15.06.2016, Bambi Galore, Hamburg: NERVOSA + REZET + KILLBITE

nervosa + rezet + killbite @bambi galore, hamburg, 20160615

Brazil’s finest in Sachen Thrash sind für mich momentan die Mädels von NERVOSA, die gerade ihr zweites Album „Agony“ veröffentlicht haben. Letztes Jahr hatte ich sie erstmals im Rock-Café St. Pauli gesehen (und mich direkt – wie vermutlich jeder Anwesende – ein bisschen in Bassistin/Shouterin Fernanda verknallt), dieses Jahr verschlug es sie nach Billstedt in Hamburgs geilste Metal-Butze. Den Anfang machen die Bremer KILLBITE, die ‘ne Mischung aus Crust und metalbeeinflusstem Hardcore zocken und vom aufgeschlossenen Publikum recht gut aufgenommen wurden. Der Shouter ging etwas auf Tuchfühlung, indem er auch mal die Bühne verließ und die ganze Band wirkte sympathisch und hochmotiviert. Kein schlechter Stoff!

Mit den Schleswigern REZET glaubte ich im Vorfeld, eigentlich weniger anfangen zu können. Auf eine Empfehlung hin hatte ich mir das jüngst veröffentlichte dritte Album „Reality is a Lie“ einmal angehört und konnte mit dem early-MEGADETH-beeinflussten Sound wenig anfangen. Live allerdings zog man nicht nur kräftig vom Leder, sondern auch ordentlich die Wurst vom Teller, so dass ich der Faszination der technisch anspruchsvollen, dennoch herrlich aggressiven Kompositionen mit dem recht eigenständigen, angepissten Organ Richtung Mustaine zu Demo-Zeiten immer mehr erlag. Ich werde mich noch mal in Ruhe mit der Diskografie der Band auseinandersetzen müssen und diesmal mit dem alten Material anfangen. Zugegebenermaßen liefen mir damals MEGADETH auch nicht gleich rein und musste ich mich erst mal an den Stil gewöhnen. Der Bombensound im Bambi wird seinen Teil zum positiven Gesamteindruck beigetragen haben und größere Teile des Publikums gingen längst steil.

Nach einem weiteren Bierchen an der frischen Luft und ’nem Klönschnack mit den TORTENSCHLACHT-Mädels, die eigens aus Rostock angereist waren (obwohl sie NERVOSA ein paar Tage zuvor bereits in Rostock gesehen hatten), betraten Prika Amaral, Fernanda Lira und Pitchu Ferraz die Bühne, um nach kurzem Linecheck das Tor zur Hölle aufzustoßen. Anfangs musste der Sound, insbesondere die Lautstärke des Basses und des Gesangs, noch kräftig nachjustiert werden, doch ab dann blies der Oldschool-Thrash des Trios ungetrübt durch die Gehörgänge. Atmosphärisch erinnerte mich der spezielle Klang, der an diesem Abend erzeugt wurde, in Verbindung mit der düsteren Lightshow an die Atmosphäre des SODOM-Erstlings „In the Sign of Evil“ – jedoch beherrschen NERVOSA ihre Instrumente weitaus besser als Angelripper & Co. damals. Trotz ihrer herrlich morbiden Ästhetik verstehen sich NERVOSA vornehmlich auf ernstzunehmende No-Bullshit-Lyrics und Fernanda mit ihrem gleichsam akzentuierten wie von Growls, Fauchen und Gekeife durchsetzten Gesang schreit und brüllt auf der neuen Platte gefühlt noch mehr als auf dem Debüt, dass es die reinste Freude ist, nur um live Sekunden später ihr entwaffnendes Lächeln aufzusetzen und fröhlich und entspannt mit dem Publikum zu kommunizieren. Allgemein knallt der neue Langdreher noch stärker als der erste, live kam Material beider Alben zum Zuge. Vom Demo spielte man leider nur „Masked Betrayer“, der Hammer wäre natürlich „Invisible Oppression“ gewesen. Ansonsten gab’s absolut nix zu mäkeln, das war großes Thrash-Kino! Fernanda riss mitten im Set übrigens eine Basssaite, was den weiteren Verlauf jedoch nur unwesentlich verzögerte. Ein großer Wermutstropfen war für mich, dass ich mich mit meinen frischen Beintattoos vom Vortag auf gar keinen Fall in den Pit stürzen oder nach vorn drängeln konnte, so dass ich mich vornehmlich im Hintergrund aufhielt. Deutlich gewachsen ist die Band, was sich an der vergrößerten Anhängerschaft ablesen lässt. Im Rockcafé letztes Jahr war noch wesentlich mehr Platz, diesmal war die Bude auch an einem Mittwochabend fast voll. Und wie ein Bekannter so schön bemerkte, schienen sich die Alpha-Banger gegenseitig darin übertreffen zu versuchen, die Mädels auf der Bühne zu beeindrucken. 😉 Leider schlugen am Merch-Stand LP und T-Shirt mit je 20,- EUR zu Buche, was mir dann doch etwas zu viel war, hatte ich doch auf Preise um die 15 Taler gehofft, immerhin atmen NERVOSA wesentlich stärker den guten alten D.I.Y.-HC- und Punk-Spirit als den Kommerz-Metal-Geschäftssinn. Nichtsdestotrotz war das Vinyl schnell vergriffen und evtl. war’s auch ‘ne Mischkalkulation, um den Eintrittspreis niedrig zu halten, der lag nämlich bei lediglich 8,- EUR! Das Timing passte perfekt, direkt nach dem letzten Scream, Akkord und Beat bekam ich noch die letzte Bahn nach Hause, Zugaben waren anscheinend ohnehin nicht eingeplant – auch meinerseits nicht, wenngleich ich mir vorsorglich den nächsten Tag freigenommen hatte. Man lernt ja dazu… Ich hoffe, NERVOSA beehren Hamburg bald wieder, denn momentan könnte ich mir die locker mehrmals pro Jahr geben.

P.S.: Leider auch hier keine vernünftigen Fotos, ist echt schlecht aus den hinteren Reihen…

11.06.2016, Monkeys Music Club, Hamburg: DEMENTED ARE GO + HOLSTEIN ROCKETS + RUSTY ROBOTS

demented are go + holstein rockets @monkeys music club, hamburg, 20160611

Subkulturelles Überangebot in Hamburg, die Drölfzigste: EMILS im Menschenzoo, FAT FLAG und SPIKE im Hafenklang, der zweite Tag des Gaußfests und das war bestimmt längst nicht alles… Ich beschloss, an diesem Abend mal wieder meine ‘billy-Quote zu erhöhen, zumal DEMENTED ARE GO mit ihrer dreckigen Zombie-Interpretation des Psychobillys wohl zum geilsten gehören, was das Genre zu bieten hat. Zunächst galt es aber, das Spiel der Engländer gegen die Russen im Pub-Bereich zu verfolgen, weshalb ich die RUSTY ROBOTS lediglich als Hintergrundbeschallung vernahm. Was ich hörte, war aber nicht verkehrt, hörbarer Rockabilly mit Surf-Vibe. Nach Abpfiff des für die Briten enttäuschenden 1:1 konnte ich mir dann noch den Großteil des HOLSTEIN-ROCKETS-Sets geben, die klasse Rockabilly mit deutschen Texten zockten. Wenn ich so’ne klassisch-betollten Typen sehe, muss ich ja immer an die kultverdächtigen „Vorstadtgang“-Comics um Lucien & Co. denken. Blickfang war aber die schnieke Drummerin im ‘50s-Look mit Schiffchen auf dem Kopf, die an ihrem minimalistischen Kit im Stehen einen satten Beat kredenzte und dabei stets übers ganze Gesicht strahlte. Stilecht klackerte wie bei allen Bands des Abends der Kontrabass dazu. Das war alles angenehm kurzweilig und ging gut ins Bein, ein paar eingedeutschte Coverversionen werden auch dabei gewesen sein. Gute Band, die mich positiv überrascht hat!

Dann DEMENTED ARE GO im längst sehr gut gefüllten Club. Keine Ahnung, wann ich die zuletzt gesehen hatte. Irgendwie mache ich mir nicht mehr sonderlich viel aus Psychobilly, noch weniger als früher. Meine zwei, drei DAG-Platten hab‘ ich trotzdem im Schrank – und dieser Gig hat’s dann auch locker geschafft, mich wieder anzufixen! Bei Spitzensound ging’s von der ersten Minute an rund, ein amtlicher Pit bildete sich und der überwiegende Teil der Besucher feierte die Band um Sänger Sparky mit seiner charismatischen, kaputten Stimme frenetisch ab. Dieser trug übrigens keinen Flat mehr, sondern punkigen Struwwel-Look und war natürlich genau wie die Bandkollegen komplett auf Zombie geschminkt. Zusammen mit diesem visuellen Element legt die Mucke tatsächlich noch mal an Atmosphäre zu und erfreulicherweise war die Band topfit, Sparkys Stimme ebenfalls zu 100% präsent und ließ man sich auch spielzeittechnisch nicht lumpen: Das mit vielen Höhepunkten seit den 1980ern bestückte Set wurde um mehrere Zugaben ergänzt! Das hatte ich so nicht erwartet, fragte mich stattdessen im Vorfeld, was DEMENTED ARE GO 2016 wohl noch zu bieten hätten. Die Antwort: So ziemlich alles. Manch einer soll sogar behaupten, sie seien heutzutage live so gut wie nie zuvor. Überhaupt, der Sound: Ordentlich Hall, Pfeffer im Arsch, manch geiles Gitarrensolo, bisweilen auch nur kurz angetäuscht, um schnell wieder in den Untiefen der dominanten Rhythmussektion unterzutauchen. Das gefällt mir deutlich besser als der x-te MISFITS-Klon und hat für mich mehr mit vertonter Horror-Ästhetik zu tun als manch fast schon poppige Hochglanz-Combo. Zum Line-Up zählt übrigens offenbar ein Deutscher, wie der Kommunikation mit dem Mischer zu entnehmen war. Nachdem ich mich zunächst eher im Hintergrund aufgehalten hatte, zog’s mich später, nachdem der Wrecking-Pit schon etwas entkräftet war, dann doch nach vorne zum Feiern, was auch nach dem letzten Akkord noch lange nicht beendet wurde: Zu viele alte Bekannte waren vor Ort, hatten teilweise auch noch Geburtstag und so wurde noch das eine oder andere Bierchen gekippt und viel Blödsinn verzapft, bis die Putzbeleuchtung anging und der Getränkeverkauf eingestellt wurde. Ein grandioser Abend!

10.06.2016, Gaußplatz, Hamburg: GAUSSFEST 2016

gaußfest,-hamburg,-2016

Ist schon blöd, wenn man sich immer noch nicht klonen, schnell mal per Zellteilung vermehren oder sonstwie dafür sorgen kann, auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. So wurde ich dem diesjährigen Gratis-Open-Air auf dem Altonaer Gaußplatz kaum gerecht, denn gleichzeitig fiel in Frankreich der Startschuss zur Fußball-EM. Arbeitsbedingt etc. verpasste ich direkt das erste Highlight, einen der ersten Gigs der Hamburger Punks LIQUOR SHOP ROCKERS, der neuen Band um ex-LEFT-JAB-Weste, ex-RECHARGE-Nina, SWELLBELLYS-Needlz und ex-STONE-COLD-BLACK-Toni. Wüsten, dreckigen Punk’n’Roll sollen die zocken und ein paar private Amateuraufnahmen klingen verdammt vielversprechend. Dafür bekam ich den Großteil des UPPER-CRUST-Sets mit, der Hamburger HC-Punk-Band, die sich jüngst in Person Lars‘ Bruders um einen Shouter verstärkt hat. Dadurch ist deutlich mehr Action auf der Bühne und stimmlich passt’s auch prima, zudem macht der Gute einen hochmotivierten, hungrigen Eindruck. In Kombination mit dem Gaußplatz-Sound klangen UPPER CRUST an diesem Abend noch krachiger und ungehobelter als sonst und wie so oft war Basser und Zappelphilipp Jörg ebenfalls ein großer Aktivposten, der sich zudem die Flossen blutig gespielt hat. Mit den norwegischen Riot Grrrls LUCKY MALICE verpasste ich dann schweren Herzens einen weiteren Höhepunkt, aber das Eröffnungsspiel lockte und stellte sich tatsächlich als spannender Turnierauftakt heraus. Auf dem Platz schien’s niemand zu schauen, also begab ich mich mit meiner Begleiterin ins angrenzende Vivo, wo sich das Spiel gediegen verfolgen ließ. Als wir zurückkehrten, lärmten dann noch DIS DISASTER aus Berlin und Tel Aviv ihren disigen HC-Punk-Stiefel herunter – und sahen so ganz anders aus als zuletzt: Corpsepaint in den Fressen und ‘ne Dame auf der Bühne?! [Nachtrag: Ich Schussel, na klar, die war auch schon damals in der Lobusch dabei!] Bedeutete das dieses „& FREAKAHOLIC“ auf dem Flyer? Keine Ahnung, aber danach war leider auch schon Schluss, natürlich nicht, ohne im Anschluss noch ein paar Veltins zu unschlagbaren Preisen zu pitschen und sich ins eine oder andere Gespräch verwickeln zu lassen, immerhin war der Platz wieder gut gefüllt mit Punks und anderen Freaks aus ganz Deutschland. Fast leidtun konnte einem der arme Tropf, der den Wagen seines Gastgebers einfach nicht mehr wiederfand und irgendwann resigniert neben uns Platz nahm, was mich an die eine oder andere Zeltplatz-Odyssee auf Festivals erinnerte.

Am nächsten Tag musste ich dann komplett passen und vernünftige Fotos gibt’s diesmal auch nicht, sorry…

04.06.2016, Tipsy-Apes-Vereinsgelände, Hamburg: SOURCE OF STEEL Festival

source of steel 2016, hamburg

source-of-steel-2016,-hamburg,-20160604_154746Bei den Tipsy Apes scheint es sich um einen Hamburger Metal-Club zu handeln, den es schon seit Anbeginn der Zeitrechnung gibt. Einmal jährlich richtet er auf seinem Gelände in Hamburg-Harburg ein Open-Air-Festival für ‘nen recht schmalen Schein aus und dieses Jahr war ich erstmals dabei. Kurzentschlossen hatte ich nämlich Bock bekommen, an diesem mal wieder vielleicht heißesten Tag des Jahres tagsüber etwas an der frischen Luft zu unternehmen und statt in den Zoo, in Wald und Flur oder an den Strand fuhr ich nach Harburg, fand dank zwei Besuchern, die mit mir aus dem Bus ausstiegen auch gleich den Weg und war sogar fast pünktlich.

So bekam ich noch den Großteil des Sets des Openers EMPIRESFALL mit. Die Hamburger haben 2009 ihre Debüt-EP und 2014 ein erstes Album jeweils in DIY-Manier veröffentlicht und spielen schnörkellosen, rauen Thrash. Was für meine Ohren zunächst noch etwas gleichförmig klang, gewann mit fortlaufender Spielzeit an Klasse – hatte man sich die Hits für die zweite Hälfte aufgehoben? Gefiel mir gut, wenn ich meine Aufmerksamkeit auch zu ein paar Anteilen aufs Begrüßen bekannter Gesichter, Erstehen von Bierbons und Vertrautmachen mit der Location verteilte.

Nach der Umbaupause folgte einer der Hauptgründe für mein persönliches Erscheinen, die Hamburger Nachwuchs-Thrash-Hoffnung REAVERS. Die Dame und die Herren spielen ja doch öfter mal in Hamburg, aber in die Pooca-Bar z.B. verschlägt’s mich dann doch eher nicht – umso besser, sie in diesem Rahmen oder auch in Kürze in der Bambi Galore endlich mal wieder zu sehen (war mir bisher nur einmal im Marx vergönnt). Auch im wahrsten Sinne des Wortes nüchtern betrachtet ging der Oldschool-Thrash gut ins Bein. Der bewegungsfreudige Sänger und Bassist Klitz lieferte ‘ne ungestüme Show, der barfüßige Drummer hat sich manch Sperenzien und Details einfallen lassen, um auch die Rhythmusarbeit aufregend zu gestalten und die beiden Gitarren rifften amtlich, wenngleich hier und da vielleicht noch Raum für etwas mehr Leadgefiedel wäre. Songtitel wie „Sleeping Toxic“, „Artillery Death“ und „Madness“ lassen auf die nie überholten Themen Krieg, Wahnsinn und Verderben schließen, „Fire in the Hole“ entpuppte sich als deutschsprachiger und mehrdeutiger Song über Krieg und Analverkehr… und zum finalen TANKARD-Cover „Freibier“ gesellten sich EMPIRESFALL mit auf die Bühne, die Klitz seinen Bass abnahmen und kräftig beim Freibierverteilen ans durstige Publikum halfen – geile Aktion!

BOOZE CONTROL war dann die erste Band mit ein wenig weiterer Anreise: Das Quartett stammt aus Braunschweig und überzeugte mit klassischem Heavy Metal, zu dem ich jetzt gar nicht so viel sagen kann, außer dass er zu gefallen wusste, hatte man sich nach der doppelten Thrash-Attacke erst mal auf den Sound eingegroovt. Das „Angel Witch“-Cover lud zum kollektiven Mitsingen ein und sorgte zusätzlich für beste Laune. Guter Gesang, Songs mit Ecken, Kanten und Melodie und ‘ne sympathische Attitüde – schönes Ding!

Das Gelände, das bisher noch weitaus mehr Leuten Platz geboten hätte, füllte sich während des BLACKSLASH-Auftritts nun auch langsam aber sicher mit den Spätaufstehern unter den Festivalbesuchern. Der Sänger der Baden-Württemberger sah mit seinem verbotenen Outfit verdächtig nach Poserrotz aus, doch der Sound erinnerte mich vielmehr an eine weniger punkige, melodieorientiertere NWOBHM-Variante mit Power-Metal-Einflüssen – und ich hoffe, mich damit jetzt nicht in den Schubladen vergriffen zu haben. Die fünf Jungs posten, was das Zeug hielt, die gute alte Doppelläufige kam oft zum Einsatz und die für solch ein Festival großzügig bemessene Spielzeit ließ sogar Zeit für ‘ne Ballade. Das war besser als erwartet und mir dämmerte, dass sich hier und heute eine handverlesene Crème de la Crème des Underground-Metals quer durch den stilistischen Gemüsegarten entdecken lässt.

Die anschließend auf dem Plan stehenden MESSERSCHMITT aus Remscheid standen mit ihrem Kabinenroller leider im Stau und verspäteten sich deshalb, so dass die nächste Pause etwas länger ausfiel. Zeit für geschmackvolle Mucke vom Band, ausgiebige Klönschnacks und noch mehr Bier. Letzteres machte sich nun gerade auch im Zusammenhang mit der Affenhitze langsam aber sicher bemerkbar und vermutlich hätte ich in diesem Zustand schlicht alles abgefeiert, was ‘ne Klampfe schrammeln kann. Ich habe aber den instinktiven Verdacht metaphysischen Charakters, dass mir MESSERSCHMITTS wüstes Speed-Riffing auch unter normalen (?) Umständen die Nackenmuskeln trainiert und meine No-Bullshit-Straight-In-Your-Face-Geschmacksknospen aufblühen lassen hätte. Die Stimmung war mittlerweile allgemein ausgelassen, zur generellen Entspanntheit der Anwesenden gesellte sich in zunehmendem Maße Feierwut. Die Band um ihren Sänger/Gitarristen im Cliff-Burton-Gedächtnislook konnte sich in Sachen Show auf ihren Detlev-Buck-Lookalike am Viersaiter verlassen, der allgemein der Publikumsliebling der Band zu sein scheint. Den Schalk im Nacken bewies dieser auch, als er irgendwann sein geschmackssicheres IRON-KOBRA-Shirt gegen ein HSV-Trikot tauschte, was natürlich völliger Quatsch ist. Das bisher einzige Album der Band werde ich auf jeden Fall mal antesten und die MESSERSCHMITT-Shirts im Publikum bewiesen, dass nicht wenige genau auf diese Band gewartet hatten.

Mein zweiter Hauptgrund fürs Partyzipieren war hingegen IRON KOBRA. Nach diversen EPs etc. sowie zwei Studioalben hatte ich locker meine Handvoll Hits zusammen, die mich neugierig auf ‘nen Gig der Gelsenkirchener werden ließ. Das Image der Heavy Metal mit Power- und Epic-Metal-Einflüssen spielenden Band erscheint mir zwar reichlich klischeebehaftet und das Augenzwinkern konnte ich weder auf den Promofotos noch in den Texten bisher entdecken, habe aber auch gar nicht danach gesucht. Wie wurscht mir das tatsächlich sein kann, bewies dieser durchgehend arschtretende Gig, der auch ohne aufwändige Bühnenshow oder sonstiges Klimbim großes Metal-Entertainment bescherte und genau die Mischung aus Härte und Melodie, aus Düsterheit und Okkultismus, aus Pathos und Kitsch zelebrierte, die die klassische Metal-Szene seit Jahrzehnten immer wieder aufs Neue begeistert. Ich raiste meine Fist „for the glory of Isengard“ (wo auch immer das liegt) und bangte zu Zeilen wie „Black magic spells, dark wizards break lose, satanic Blitzkrieg strikes, doomsday!“ – hell fuckin‘ yeah! Und mit ein paar Litern Astra im Astralkörper macht’s gleich doppelt so viel Spaß.

Aber einer ging noch: Die Wedeler METAL WITCH, die’s mit Unterbrechung schon ewig gibt und sich trotz nur eines Longplayers eines außerordentlich gutes Rufs in der lokalen Szene erfreuen, luden zum Hexentanz und der Pöbel leistete willig Folge. Ich muss zugeben, mich nicht mehr wirklich an den Auftritt, in dessen Rahmen abermals Freibier gereicht wurde, erinnern zu können und vernünftige Fotos habe ich auch keine mehr hinbekommen. Ich weiß aber, dass die Party auf ihrem Siedepunkt angelangt war, der klassische Teutonen-Metal mit seinen eingängigen Refrains noch einmal zum kollektiven Durchdrehen einlud und so viel euphorisierendes Adrenalin freisetzte, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Besucher auch die Aftershow-Party noch mitnahm.

Fazit: Ein durch und durch gelungener Tag, Abend, Nacht. Zu meiner positiven Überraschung war kein einziger Ausfall dabei, ich konnte tatsächlich allen Bands etwas abgewinnen, für die Auswahl hatte man ein gutes Händchen entwickelt. Bis auf eine kurze Rauferei blieb alles friedlich, das Publikum war gut aufgelegt und die Organisatoren, soweit ich’s mitbekommen habe, ‘ne lockere, sympathische Bande, die auch schon mal Pyros vom Bühnendach zündete. Als echte Party-Animals erwiesen sich auch EMPIRESFALL, von denen irgendwie ständig jemand auf der Bühne rumsprang und den Musikerkollegen Bier einflößte. Die günstigen Preise luden ein, es besonders kräftig krachen zu lassen (als ein Bekannter von mir auch noch den Ausschank übernahm, war’s aus mit mir) und das vegane Chili war schmackhaft – wenn man anscheinend auch überrascht war, dass das tatsächlich jemand bestellt. So war nun wirklich für alles gesorgt. Danke ausnahmslos ALLEN Beteiligten für diese feiste gotteslästerliche Sause, die bewies, wie lebendig und vielfältig die Szene ist. Ich drohe hiermit an, nächstes Jahr wiederzukommen – dann vielleicht mit THRASHING PUMPGUNS, SHADOWBANE oder MORBITORY?

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