Günnis Reviews

Kategorie: Konzertberichte (page 2 of 44)

25.-27.07.2024, Brande-Hörnerkirchen: HEADBANGERS OPEN AIR

Nachdem meine Liebste und ich 2018 zum bisher ersten und einzigen Mal das Headbangers Open Air im schleswig-holsteinischen Dorf mit dem Metal-Namen Brande-Hörnerkirchen besucht, uns dort ziemlich wohlgefühlt hatten und erschwerend hinzukommt, dass ich mal wieder Bock auf ein lauschigeres, kleineres Festival frei von jedweder Gigantomanie habe – und mich dann auch noch das Programm diesmal ziemlich reizte –, machen wir dem HOA unsere zweite Aufwartung. Da wir wie üblich keinen Bock auf Zelten haben, organisiere ich eine Unterkunft in Bokel, ein Dorf weiter. Mit unseren sieben Sachen machen wir uns am sehr sonnigen Donnerstag von Hamburg-Altona aus mit der Nordbahn auf den Weg und können bis Dauenhof durchfahren, wo uns ein Shuttle-Service in Empfang nimmt, der uns freundlicherweise nicht auf dem Festivalgelände, sondern am Dorf-Edeka absetzt, wo wir Frühstückszeug einkaufen und uns anschließend per pedes zur Unterkunft begeben. Diese entpuppt sich als derart idyllisch gelegen und luxuriös ausgestattet, dass sie nur zum Pennen eigentlich viel zu schade ist – und unser Gastgeber ist auch noch selbst Metal-Fan, Plattensammler und Besucher des Festivals. Die Entfernung zum Festival beträgt 3,8 km, was in etwa der Strecke zwischen Zeltplatz und Bühne auf herkömmlichen Festivals entspricht. Und da, wie wir erfahren müssen, der örtliche Taxidienst letztes Jahr pleitegemacht hat, müssen wir diese auch latschen.

 

Tag 1: Sodomy and Dust

Durch die eine willkommene Abwechslung zum urbanen Alltag bietende Landschaft, die Wege vorbei an Pferden, Kühen und Getreidefeldern, ist das aber alles andere als unangenehm, zumal wir’s schon von unserem vorausgegangenem Besuch gewohnt sind. Wir legen eine Punktlandung hin, indem wir um Punkt 15:00 Uhr auf dem Gelände eintreffen. Also flugs Bändchen geholt und Programmheft eingesackt, die lokale Spezialität Kirschbier bestellt (alles ohne jegliche Wartezeiten) und ab vor die Bühne, deren großes Dach sowohl vor der knallenden Sonne als auch vor etwaigem Regen schützt! Dort spielt seit ein paar Minuten der traditionelle lokale Opener, diesmal B.S.T. aus Hamburg mit deutschsprachigem Brachial-Doom – kehliger Gesang, schleppend und runterziehend. Gut, ein englischer Song ist auch darunter. Das ist sicherlich kompetent gezockt, aber halt so gar nicht mein Ding. Es haben sich indes schon reichlich Fans eingefunden, denen das gefällt – und es sei ihnen gegönnt!

Die serbische Band CLAYMOREAN existiert schon seit Mitte der ‘90er, allerdings ohne, dass ich sie auf dem Schirm gehabt hätte. (Edit: Zumindest der Song „Mystical Realm (Deorum in absentia)“ ist Teil einer meiner selbst zusammengepfriemelten Metal-Playlists, wie ich im Nachhinein feststelle.) Ihr Power Metal weist als auffälligstes Alleinstellungstellungsmerkmal Sängerin Dejana auf, die zwischen Klargesang und heiseren Screams changiert. Diese animiert das Publikum zum Mitsingen, Fistraisen und Heyen und die flotteren Songs gefallen mir ganz gut, die teils von beiden Gitarristen abwechselnd gezockten Soli ebenfalls. Der nominell letzte Song wartet mit coolen mönchschoralähnlichen Backgroundgesängen auf und anschließend ist sogar noch Zeit für ‘ne Zugabe, die Mark „The Shark“ Shelton von MANILLA ROAD gewidmet wird, der seinerzeit 2018 leider nach seinem HOA-Auftritt verstarb. Gelungener Auftritt, ich komme auf Temperatur.

HIGHWAY CHILE stammen nicht etwa aus Südamerika, sondern aus Holland, brachten es zwischen 1983 und 1991 auf drei Langdreher und veröffentlichten 2008 ein Comeback-Album. Von all dem kenne ich aber nichts und der Midtempo-Hardrock klingt für unsere Ohren eher belanglos. Doch was wissen wir schon, denn die Leute finden’s super. Anscheinend wird eines der Alben in voller Länge gespielt. Die zwei, drei Uptempo-Nummern laufen mir dann auch doch ganz gut rein, vor allem der vorletzte (oder letzte?) Song entpuppt sich als Hit. Kommen auf meine Noch-mal-reinhören-Liste.

TAILGUNNER aus dem UK zählen zu den jungen Wilden im klassischen Metal, letztes Jahr erschien ihr Debüt-Album „Guns for Hire“. Die vier Jungs und die Gitarristin wollen’s wissen und knien sich ordentlich rein, so ist dann auf der Bühne auch gleich bischn mehr los. Als dritten Song covert man den Überhit „Beast in the Night“ von RANDY, den Angeberspot mit schrottigen Gitarrensoli hätte es für so’nen Festivalauftritt hingegen nun wirklich nicht gebraucht. Das gilt auch für Synchronklampfengepose und alberne Choreos, aber, jut, wenn’s Spaß macht… Mich überzeugt man schon eher mit den hymnischen Refrains, wie beispielsweise in „New Horizons“. Das Publikum dankt es (ähnlich wie zuvor bei CLAYMOREAN) mit „Tailgunner!“-Sprechchören und wird im Gegenzug zu Whohoho-Chören während „Revolution Scream“ animiert. Generell versucht man den Mob vor der Bühne mittels massiver Animationen weitestmöglich miteinzubeziehen. Das „Painkiller“-Cover schließlich ist sehr souverän gesungen, nur das Riff ging im Soundgewand der Band etwas unter. Das Publikum hat man im Sack und beim Abbau ertönt aus der Konserve „Hurry Up Harry“ von SHAM 69. Gute Wahl und ein durchaus beeindruckender, energetischer Gig. In die Platte höre ich doch glatt noch mal rein.

Das Rabiatheitslevel wird anschließend durch die Landsmänner von GAMA BOMB (aus denen die Autokorrektur meiner Notiz-App „Gamaschen Bomb“ macht) weiter gesteigert, ebenso die Bühnenaction: Mit punkigem Thrash wird kräftig Alarm und Party gemacht, ein Monster torkelt auf die Bühne, trockenes Shouting trifft auf hohe Screams und natürlich Riffs galore. Die Ansagen werden stets kurzgehalten, bevor’s mit full speed ahead weitergeht, mit einer Ausnahme: Für die Ankündigung eines antifaschistischen Songs nimmt sich Sänger Philly etwas mehr Zeit und formt anschließend eine Wall of Death. Mit dem THE-POGUES-Cover „If I Should Fall From Grace With God” läutet man nur scheinbar so langsam das Ende ein, denn es gibt immer noch ‘nen Song, und noch einen usw… Auf Platte sind mir GAMA BOMB etwas zu gleichförmig, und so super abwechslungsreich klingen sie hier nun auch nicht gerade, aber die Show ist spitze, mitreißend und macht Bierdurst.

Meine Vorfreude auf die belgischen EVIL INVADERS ist immens, denn obwohl das Quartett nicht gerade spiel- und tourfaul ist, liegt mein letzter Gig schon viel zu lang zurück. Das ist eine Band, die beim Blick aufs heurige Line-Up mit den Ausschlag für den Ticketerwerb gab, und erwartungsgemäß ließen die Speedster es ordentlich krachen. Die Songs vom aktuellen Album sind auch live klasse, die älteren natürlich auch – da ist’s fast ein bisschen schade, dass man mit „Witching Hour“ (VENOM) und „Violence and Force“ (EXCITER) gleich zwei Coverversionen integriert. Dafür bekomme ich aber endlich mal wieder meinen Uralt-Überfavoriten „Tortured by the Beast“ um die Ohren gehauen. Mittlerweile ist’s dunkel geworden, was die großartige Lightshow voll zur Geltung bringt, wenn sie nicht gerade von kiloweise Rauch und Nebel torpediert wird – was es natürlich umso geiler macht. Leider übertreibt man es beim Sound mit dem Hall, wodurch alles ein bisschen verwaschen klingt und Joe Anus‘ herrlich asoziales Gekreische etwas untergeht. War der eigentlich schon immer so spindeldürr? Junge, iss ma‘ wat! Zur Übertreibung neigt man auch beim Posing, insbesondere wenn Joe am Schluss seine Klampfe wie seinen Schwanz behandelt und einen, äh, Höhepunkt simuliert – „Gitarrengewichse“ etwas zu wörtlich genommen…

Fast schon unprätentiöses Understatement ist dagegen das, was Sodom als Headliner des Abends abliefern. Nach dem „Klash of the Ruhrpott“ ist das mein zweiter SODOM-Gig innerhalb einer Woche, und tatsächlich variiert die spielfreudige aktuelle Besetzung um Tom Angelripper, Veteran Frank Blackfire und die beiden Jüngeren Toni Merkel und Yorck Segatz erneut die Setlist, die mittlerweile mehr und mehr einer Wundertüte gleicht und damit jeden SODOM-Gig unvorhersehbar und interessant macht: Mit einem meiner (so vielen…) Lieblingssongs „Christ Passion“ steigt man nach dem Instrumental „Procession to Golgatha“ ein, spielt Songs von acht bis neun verschiedenen Platten, liefert sich Frotzeleien untereinander, gräbt die uralte Demo-Kamelle „Let’s Fight in the Darkness of Hell“ (!!!) aus, weil noch die Zeit dafür ist, obwohl „Agent Orange“ schon angesagt worden war, haut „Leave me in Hell“ als VENOM-Hommage (und damit zweites VENOM-Cover des Festivaltags) raus – und gibt sich zwischen den Songs ganz entspannt, bodenständig und publikumsnah. Tom kritisiert die hohen Getränkepreise auf dem Klash und reicht immer wieder Getränke, einmal sogar eine Kippe von der Bühne herunter, nachdem er eine kurze Pause brauchte, weil er schließlich „nächstes Jahr 48“ werde (*räusper*), lobt das Ambiente dieses kleineren Festivals, auf dem er lieber spiele als vor 100.000 Leuten, und wird ein bisschen wehmütig, als er sagt, dass er die ‘80er vermisse. Wir alle, Tom, wir alle! In Sachen Lightshow und Nebel bekommt man auch hier einiges geboten, beim Sound hätte ich den Hall ein My zurückgedreht und die Snare etwas leiser, dafür Toms Gesang entsprechend lautergefahren. Aber das ist (noch nicht mal) Jammern auf hohem Niveau. „Ausgebombt“ geht nahtlos in „Bombenhagel“ über, womit der härteste Song des Festivals diesen trotz Krieg, Tod und Teufel herzerwärmenden Auftritt beschließt und aus der Konserve wie gewohnt das Steigerlied erklingt. Glück auf!

Am Ende des ersten Festivaltags ist es noch immer recht warm; in unseren Nasen sammelt sich der Staub, der vor allem bei GAMA BOMB und SODOM aufgewirbelt wurde. Wir trinken noch ‘nen Absacker und machen uns zu Fuß auf den Weg zur Unterkunft. Währenddessen beginnt es tatsächlich zu regnen, allerdings nicht unwetterartig, also ohne Weiteres auszuhalten – und sogar ganz angenehm. Ein bisschen erschöpft fallen wir in die Koje.

 

Tag 2: The Boys Are Back In Town

Am nächsten Morgen frühstücken wir erst mal in Ruhe und erfahren währenddessen über Facebook, dass die Spanier IRON CURTAIN von einem Flugausfall betroffen sind und deshalb nicht wie ursprünglich geplant um 16:40 Uhr, sondern erst am nächsten Morgen zur Frühstückszeit um 10:45 Uhr auftreten werden! Den eigentlichen Slot übernehmen ARKHAM WITCH, die eigentlich um 12:00 Uhr den Reigen eröffnen sollten. Der Beginn verschiebt sich daher auf 13:05 Uhr. Daraufhin starten wir allerdings derart entspannt in den Tag, dass wir die nun erste Band, die polnischen HELLHAIM, leider glatt verpassen und erst zu ihren Landsleuten ROADHOG eintreffen. Diese zocken guten traditionelle Metal ohne Gekreische. Wenn ich das richtig mitgeschnitten habe, kommt für einen Song der HELLHAIM-Sänger auf die Bühne und singt mit. Für „Liar“ wird zum Circle Pit aufgerufen, aber dafür ist’s noch ein bisschen zu früh. Der Song jedoch kann definitiv wat. Ein angenehmer Einstieg in den musikalischen Teil des Tages für uns. Und mit dem Œuvre der Band werde ich mich mal beschäftigen (ebenso mit dem HELLHAIM‘schen).

Bühne frei für SPELL: Das mir bis dato unbekannte kanadische Quartett, das offenbar einst als Duo gegründet wurde, jagt erst mal eine alte Jazznummer oder so durch die Konserve und legt dann mit einem sehr eigenwilligen Sound, einer Art Mischung aus ‘70er-Hardrock, klassischem Metal und ‘80er-Synthie-Sounds, los. Der bassspielende Sänger hat eine sehr gewöhnungsbedürftige Fistelstimme, die zudem oft daneben liegt – klingt echt schräg. Es lohnt sich aber, nicht gleich Reißaus zu nehmen, denn nach und nach offenbaren sich einem einige wirklich schöne Melodien, an der Gitarrenarbeit gibt’s zudem nichts zu mäkeln. Eines der Bandmitglieder bedient mal den Oldschool-Synthesizer, mal die zweite Klampfe oder auch beides parallel. Ein langsamer, getragener Song ist fast schon Pop, aber in gut! Eine Gastgitarristin namens Alison Hell (ANNIHILATOR, anyone?) stößt fürs THE-DEVIL’S-BLOOD-Cover „A Waxing Moon Over Babylon” hinzu. Dabei gibt’s zunächst technische Probleme, während derer Teile des Publikums die Band mit „Spell! Spell!“-Rufen anfeuern, und in deren Anschluss man eine sehr gelungene Version des Songs mit sehr charakteristischem Gitarrensound zu hören bekommt. Beim letzten Song „Watcher of the Seas“ spielt sie dann kurzerhand auch gleich mit. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Werde mich mal in die Alben reinhören. Vor allem diesen „Popsong“ muss ich finden… [Edit: Gefunden! „Dawn Wanderer“]

ARKHAM WITCH aus Keighley (West Yorkshire) tun mit einer komplett weiblichen Rhythmusfraktion etwas für die ansonsten etwas magere Frauenquote auf der Bühne und treten mit einem jungen Sänger an, der seine Sache formidabel macht. Der sich beim doomigen klassischen Metal und der NWOBHM bedienende Sound der Band läuft ganz gut rein, das punkige Uralt-Stück „We’re From Keighley“ (mit schönem „Fuck you, we’re from…“-Mitgrölrefrain) sorgt für Abwechslung, man covert „I Love The Lamp“ von THE LAMP OF THOTH, mit denen es Personalüberschneidungen gibt, besingt „Viking Pirates of Doom“ und den „Death by Heavy Metal“, bis man als Zugabe die punkige Anti-„Star Wars“-Nummer „Droid Fucker!“ auspackt.

Wir bleiben in England, begeben uns aber in die Abteilung sinnloser Umbenennungen: TRÖJAN aus der NWOBHM-Spätphase hatten sich für ihr zweites (und bis dato letztes) Album in TALIÖN umbenannt, für ihr Comeback aber wieder den alten Namen angenommen. Demnächst soll tatsächlich ein brandneues Album folgen; selbstbewusst steigt man mit einem Song von diesem ins Set ein, in dessen Verlauf zwei weitere neue Nummern präsentiert werden. Die ersten Songs sind sehr speedig, das Instrumental „Speed Thrills“ verschafft Sänger Graeme Wyatt eine Verschnaufpause (für die er kurz von der Bühne verschwindet). Die hat er sich mehr als verdient, denn seinen durchdringenden hohen Gesang beherrscht er absolut perfekt und schließt man die Augen, glaubt man, es stehe ein junger Hüpfer auf der Bühne! Bis auf anscheinend den dreadgelockten Drummer sind auch seine Kollegen älteren Semesters aus der Originalbesetzung, aber gemeinsam legt man einen Mördergig hin, dessen Höhepunkt mein Favorit „Chasing the Storm“ ist, der als vorletzte Nummer gezockt wird. Respekt! Da freut man sich doch umso mehr aufs neue Material. Eine meiner positivsten Überraschungen auf diesem HOA.

Bei den als RUNNING-WILD-Tributband (der mittleren Phase) gestarteten BLAZON STONE hat sich, seit ich sie zuletzt sah (nämlich exakt hier 2018), das Besetzungskarussell kräftig gedreht, von damals ist offenbar nur noch die Gitarrenfraktion um Bandgründer Ced Forsberg übriggeblieben. Damals war dessen Bruder am Gesang, nun haben sich die Schweden mit dem Finnen Matias Palm verstärkt. Seinerzeit hatte ich noch geargwöhnt, die fetten Chöre seien anscheinend aus der Konserve gekommen, was diesmal definitiv nicht mehr der Fall ist. Der erste Song klingt noch ein bisschen nach SANTIANO auf Metal, aber was die Gitarristen hier im weiteren Verlaufe auffahren, ist die pure Spielfreude, die gern in doppelte Leads mündet. Matias fehlt das Kehlige, Verrauchte, Bluesige in der Stimme, was RUNNING-WILD-Cheffe Rock’n’Rolf mitbringt; aber nicht, dass wir uns missverstehen: Ein hervorragender Metal-Sänger ist er zweifelsohne. Generell scheint mir der eine oder andere Song eher in einer etwas höheren Tonart angesiedelt zu sein als die mir bekannten alten RUNNING-WILD-Schoten. Hier und heute gibt’s viele Speed-Nummern und viel Melodie, wobei mir der bis zum Schluss zurückgehaltene „Stand Your Line“ vom Debüt am besten gefällt. Mit „Down in the Dark“ hat man sogar noch eine Zugabe parat. Seine Texte scheint Matias zumindest zeitweise vom Bühnenboden abzulesen – kein Wunder, wenn man in vier Bands gleichzeitig spielt…

DUST BOLT aus Bayern spielen einen etwas moderneren Thrash-Sound mit zwei Klampfen, das jüngste, mittlerweile fünfte Album erschien im Februar. Ist nicht 100%ig meine Mucke, macht live aber einiges her. Als eine Saite riss (oder so), muss man etwas Zeit überbrücken, zieht ansonsten aber konsequent durch. Während eines Songs begibt sich, wenn ich das richtig mitbekommen habe, Sänger und Gitarrist Lenny in die Mitte eines amtlichen Circle Pits, um dort weiterzuzocken. Gegen Ende packt man reichlich Kunstnebel aus und beendet den Gig mit dem NEIL-YOUNG-Cover „Keep On Rockin In The Free World“, das mit schweren lauten Gitarren einfach geil klingt und von der Meute begeistert mitgesungen wird.

Als ich im Vorfeld gesehen hatte, dass THIN LIZZY alias BRIAN DOWNEY’S ALIVE AND DANGEROUS auf dem HOA spielen würden, war das neben EVIL INVADERS, SODOM und PYRACANDA einer der Gründe, mir ‘ne Karte zu besorgen. Denn obwohl ich kein ausgewiesener LIZZY-Fan bin, hat mich das, was ich vom Auftritt auf dem Rock-Hard-Festival letztes Jahr noch mitbekommen hatte (fußballbedingt nur ungefähr das letzte Drittel) doch sehr beeindruckt und überzeugt. Seither glaube ich an Reinkarnation, denn unter dem Namen Matt Wilson scheint Phil Lynott zurückgekehrt zu sein, damit er zusammen mit Original-THIN-LIZZY-Drummer Brian Downey wieder auftreten und die Songs des legendären Livealbums (und ein bisschen mehr) spielen sowie singen kann. Ungelogen: Wilson sieht Lynott nicht nur verdammt ähnlich, sondern singt auch wie er, ohne sich dafür verstellen zu müssen. Die Illusion ist perfekt und die beiden Gitarristen Michal Kulbaka und Joe Merriman beherrschen den Heavy-Bluesrock-Sound der irischen Legende perfekt. Meine Liebste und ich beschließen, erst einmal genug vor der Bühne gestanden zu haben, und beziehen eine seitliche Sitzbank bei trotzdem guter Sicht. So lauschen wir den Twin-Gitarren, den pumpenden Rhythmen und der leichten irischen Melancholie in den mit warmer Stimme vorgetragenen Songs. Downey & Co. erweisen sich eines Headliners mehr als würdig, bringen nicht nur mit dem Traditional „Whiskey in the Jar“ zig heisere Kehlen zum Mitsingen und haben noch drei Zugaben im Köcher, darunter eine Coverversion des ehemaligen LIZZY-Gitarristen GARY MOORE. Auf unserer Sitzbank haben wir jedoch eine nun nicht mehr 100%ig gertenschlanke und nüchterne Piratin (darauf lassen zumindest ihr Hut und ihr Rumdurst schließen) an Bord, die ihrer Begeisterung durch exzessiven Sitztanz Ausdruck verleiht und sich für Selfies so weit zurücklehnt, dass sie uns fast auf dem Schoss liegt. Immer wieder fühlt es sich fast an, als würden wir bald kentern, letztlich schippern wir aber in sichere Fahrwässer.

Nass werden wir dennoch ein bisschen, denn das Wetter ist heute unbeständiger als noch gestern. Weil wir’s am nächsten Morgen möglichst zu IRON CURTAIN schaffen wollen, machen wir uns flott auf den Weg. Zu unserem Glück steht direkt an der Straße ein aus Elmshorn bestelltes Taxi, das noch etwas Zeit hat und uns gerne zu unserer Unterkunft fährt. Das ist nicht zuletzt deshalb praktisch, weil ich dadurch meine Plattenkäufe vom Dying-Victims-Stand nicht durch die Gegend zu schleppen brauche und die guten Stücke nicht nasswerden können.

 

Tag 3: Vera am Mittag Abend

Anstatt wie am Vortag herumzutrödeln, lassen wir schon früh den Wecker schellen, schließlich sollen IRON CURTAIN schon um 10:45 Uhr den dritten und letzten Festivaltag eröffnen. Zum Einen haben wir Bock auf die Band, zum Anderen wollen wir ihr mit unserer Anwesenheit Dank dafür erweisen, diese irre Odyssee auf sich genommen und nicht einfach abgesagt zu haben. Nach dem stärkenden Frühstück marschieren wir im Stechschreit in Rekordgeschwindigkeit zum Gelände und verpassen lediglich die ersten Minuten. Angesichts der hübschen Bühnendeko wird auch der Grund für den verpassten Flug klar – mit solch schweren Ketten kommt niemand durch den Metalldetektor. Sehr viel Metal(l) ist auch in ihrem Sound auszumachen, der zackigen Speed mit MOTÖRHEAD-Räudigkeit kreuzt und zu derart ungewohnt früher Stunde die Frühstückseier hartkocht. Die Kulisse ist für die Uhrzeit beachtlich und Bandkopf Mike Leprosy nimmt sich die Zeit, kurz von der beschwerlichen Anreise zu berichten – mit dem Lächeln eines Metal-Gladiators (Songtitel) auf den Lippen. Ein Zwischendrintro aus dem Off sorgt für eine kurze Verschnaufpause, bevor einem weiter mit der Streitaxt der Schlaf aus den Klüsen geprügelt wird. Die Fans dankten es mit „Iron Curtain!“-Sprechchören, in die Mike mit einsteigt, aber versehentlich „Iron Maiden“ skandiert… Es wird nicht ihr einziger Auftritt auf diesem HOA bleiben, aber dazu später mehr.

Nicht ganz so weit zum Festival hatten es die dänischen ‘80er-Veteranen ALIEN FORCE, die seit 2021 mit einem Comeback-Album wieder am Start sind. Im Gepäck haben sie ein paar gute Nummern, aber für meinen Geschmack auch viel etwas arg gemütliches Midtempo-Zeug. Der Sänger hat ein schön kräftiges Organ und kommt ohne Eierkneif-Screams aus, was mich positiv an manch andere dänische Band erinnert. Die letzte Nummer, der Titeltrack ihres Debüts „Hell and High Water“, wird am meisten gefeiert.

Dann endlich PYRACANDA! Die Koblenzer, die in den Jahren 1990 und 1992 zwei Alben veröffentlichten (von denen ich das Debüt „Two Sides of a Coin“ sehr schätze), sind seit 2019 mit drei Originalmitgliedern zurück und wirken wie eine hungrige Band, der man ihr Alter kaum anmerkt. Sänger Hansi ist überaus agil und mit seinem Klargesang bestens bei Stimme. Die Klampfen liefern derbes Geschrubbe, Groove und Melodie zugleich, die tiefen Background-Shoutings besorgen schöne Kontraste und kommen verdammt gut rüber. Im Oktober erscheint ein neues Album, worauf Hansi mehrfach hinweist, und so gibt’s auch zwei neue, noch unveröffentlichte Stücke zu hören, von denen das erste (sehr gelungene!) hier seine Live-Premiere feiert. Das zweite taucht später im Set auf, heißt „Hellfire“ und wird wohl die erste Single werden. Auch PYRACANDA gönnen sich ein kurzes Intermezzo aus der Konserve. Zwischendurch stellt Hansi den neuen Gitarristen Frank vor, der hier seinen Einstand feiert, und versingt sich bei „Democratic Terror“ kurz, wofür er sich im Anschluss entschuldigt. Letzteres wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, denn das war ein ziemlich geiler Auftritt!

Die US-Amerikaner MEGA COLOSSUS sind in der Szene derzeit irgendwie in aller Munde, was sich mir nicht so ganz erschließt, denn so richtig meins ist ihr klassischer Metal mit Epic-Schlagseite nicht. Gute Musiker sind’s zweifelsohne, doch das Songwriting kickt mich nicht so ganz. Aber was weiß ich schon, die Leute feiern die Band mit Sprechchören – und mit dem letzten Song, dem Speedster „Razor City“, entdecke ich tatsächlich einen (nach „Fortune and Glory“) weiteren Song, der mir gefällt.

Nun wird’s wieder etwas spezieller: NOTHING SACRED aus Australien waren, wie manch andere Band hier, bereits in den ‘80ern am Start und veröffentlichen seit 2020 in veränderter Besetzung wieder neue Musik, liefen bisher aber unter meinem Radar. Unter dem vieler anderer anscheinend auch, denn vor der Bühne ist’s zunächst noch ein bisschen übersichtlich, es füllt sich dann aber. Der Sänger sieht aus wie ein Familienpapa, der sich gern die Nachbarn zum Grillen auf die Veranda seines Häuschens nahe der Outbacks einlädt, erzählt von einer 40-stündigen Anreise (Alter…), fordert die Leute auf, alle mal ‘nen Schritt näherzukommen, und changiert zwischen hohem, melodischem und klagendem Gesang in normaler Stimmlage. Die Band hat irgendwas herrlich Irres an sich, das mich schmunzeln lässt. Der Drummer liefert heftiges Speed-Drumming, das die Grundlage für den eigenwilligen Thrash mit Power-Metal-Elementen, dargeboten von zwei Gitarristen, bildet. Irgendwann zieht der Sänger endlich die Kopfsocke ab und gießt sich sogleich eine Flasche Wasser über die Rübe. Bei den Kindern im Publikum entschuldigt er sich „for the language“ (womit er anscheinend die Schimpfwörter in den Texten meint), und verschafft sich eine Verschnaufpause, indem er die Bandmitglieder vorstellt. Am Schluss spielt man „Deathwish“, die erste Single „aus dem Jahre 1471 oder so“. Sehr sympathische, klasse Liveband, deren Tonträger ich mir ebenfalls mal in Ruhe anhören werde.

NOTHING SACRED waren vermutlich mit ihren Landsleuten SILENT KNIGHT zusammen angereist – und mir bis dato ebenso unbekannt. Man existiert seit 2009, hat vier Alben und zwei EPs draußen – und seit 2020 Sänger Dan Brittain am Start. Dieser kreischt im ersten Song zur mir von PENNYWISE bekannten „Bro Hymn“-Melodie, während die Gitarren gegen den etwas zu lauten Bass ankämpfen. Vornehmlich setzt Dan seine Kopfstimme ein, growlt aber am Refrain- oder Strophenende gern die letzten Silben an. Das ist geil und etwas anstrengend zugleich; am besten gefällt mir die Band aber ehrlich gesagt, wenn mal ein bisschen in normaler Tonlage gesungen wird. Der Sound wird mit der Zeit besser, kategorisieren würde ich ihn als so was wie angedüsterten Melodic-Speed. Die mehrstimmig gesungenen Refrains kommen ziemlich cool und musikalisch ist’s ohnehin top. Der eine Gitarrist greift dem anderen während eines Solos ständig ins Griffbrett, Dan ist permanent am Headbangen und Luftgitarrespielen. Gegen Ende gelingt ein Whohoho-Mitsingspielchen gut als Interaktion mit dem Publikum. Die letzte Nummer erhält ein Intro vom Band und als auch diese um ist, klingeln mir so richtig die Ohren. Klar, dass ich mich auch durchs Œuvre dieser Band hören werde…

Besser vertraut bin ich mit dem Material, das jetzt kommt: Eine fette Überraschung, die zum Zeitpunkt unseres Kartenkaufs noch nicht feststand. Zum 40-jährigen Jubiläum des RUNNING-WILD-Debütalbums „Gates to Purgatory“ taten sich der damalige zweite Gitarrist (und Freund des HOA) Preacher und BLAZON STONE zusammen, um das komplette Album, erweitert um Sampler-Beiträge und EP-Stücke der damaligen Zeit, live auf die Bühne zu bringen! RUNNING-WILD-Mastermind Rock’n’Rolf hatte keinen Bock, also stellte man das kurzerhand in dieser Konstellation auf die Beine. Einer der Veranstalter erläutert die Vorgeschichte, und dann kommt auch noch der damalige Drummer Hasche hinzu. Dieser erklärt, gesundheitlich angeschlagen zu sein und sich zwischen zwei OPs zu befinden, später aber zumindest einen Song mitzuspielen. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen und wurde nicht enttäuscht. BLAZON-STONE-Sänger Matias hat seine Stimme „heruntergestimmt“ und singt nun dunkler – und Preacher hat sichtlich Spaß und posiert, als hätte es für ihn nie eine Bühnenabstinenz gegeben. „Adrian S.O.S.“ wird dermaßen schnell runtergeholzt, dass Matias kaum hinterherkommt. RUNNING WILD waren damals noch weit von ihrem erst mit dem dritten Album etablierten Piraten-Image entfernt und so jagt hier ein satanischer Song den nächsten, süffisant kommentiert vom Sänger. Das ist umso kurioser, als Preacher nicht umsonst Preacher heißt, hat er doch tatsächlich Theologie studiert und ist evangelischer Pfarrer. Aber wie er unlängst in einem Interview sagte: Das sei ja alles allegorisch gemeint gewesen. Und das war es ja auch! „Gengis Khan“ wird um einen beeindruckenden Publikumschor ergänzt, „Walpurgis Night“, „Warchild“ und „Iron Heads“ werden zwischengeschoben, der kongeniale Stampfer „Chains and Leather“ lässt die Fäuste in die Höhe recken und wird lauthals mitgesungen – und dann ist erst mal Umbaupause angesagt: Das Schlagzeug wird von Links- auf Rechtshänder (oder umgekehrt) umgebaut, damit Hasche seinen Song trommeln kann. Währenddessen lobt Preacher BLAZON STONE und holt den Wirt der Lauschbar auf die Bühne, der sie kostenlos und unkompliziert in seinen Räumlichkeiten hat proben lassen. BLAZON STONE erzählen auch noch den einen oder andere Schwank, u.a. welches RW-Album in ihrem jeweiligen Geburtsjahr herausgekommen war… „Prisoner Of Our Time“ soll also das große Finale werden, die Fans singen den Song schon mal selbst – bis es losgeht und Hasche beweisen kann, nichts verlernt zu haben. „We are prisoners of our time, but we are still alive! Fight for freedom, fight for the right – we are Running Wild!” wird zum Singalong des Abends und auch ich brülle mich heiser. Mit diesem historischen Ereignis wurde Metal-Geschichte geschrieben! Vielen Dank allen, die das ermöglicht haben, besonderer Dank an BLAZON STONE, deren sich an späteren RUNNING WILD orientierender Sound mit diesem wesentlich simpleren Teutonen-Metal aus der Pionierzeit nicht viel zu tun hat, diese Zelebrierung mitgemacht zu haben, und rasche Genesung dem guten alten Hasche!

Nun ist der Veranstalter leider gezwungen, eine traurige Nachricht zu überbringen: Die MAGNUM-Coverband KINGDOM OF MADNESS um den ehemaligen MAGNUM-Keyboarder Mark Stanway und anscheinend weitere Ex-Mitglieder (und benannt nach dem Debütalbum) muss leider passen: Der Pilot ihres Fliegers von Manchester nach Amsterdam fiel krankheitsbedingt aus, wodurch die Band ihren Anschlussflug nach Hamburg verpasste und somit keine Chance mehr besteht, es rechtzeitig zum HOA zu schaffen. Zumindest eines der Bandmitglieder ist laut Veranstalter anwesend und sitzt weinend backstage. Ich bin beileibe kein großer Fan der britischen Pomprocker, traurig stimmt mich das aber doch, denn auf dem Programm stand eine Art Best-of der Zeit von 1978 bis 1994 – und auch für meine Ohren haben MAGNUM einige echte Hits komponiert, die ich gern einmal live gehört hätte. Insbesondere hat es mir das „Wings of Heaven“-Album angetan. Mit MAGNUM-Bandkopf Tony Clarkins Tod dieses Jahr hat sich das Kapitel MAGNUM ja zudem bedauerlicherweise für immer geschlossen. Dafür steht jetzt mein Plan, KINGDOM OF MADNESS auf ihrem nächsten Hamburg-Besuch beizuwohnen.

She’s got the look

Seitens der Veranstalter wurde improvisiert: MEGA COLOSSUS und IRON CURTAIN treten nacheinander noch einmal auf. Gut, MEGA COLOSSUS spielen halt noch mal eine Handvoll Songs, während wir uns die Zeit mit Biertrinken und Sabbeln vertreiben. Aber dann: IRON CURTAIN zum Zweiten, nun zu einer wesentlich Günni-kompatibleren Uhrzeit! Also ab vor die Bühne. IRON CURTAIN sind laut Mike etwas angetrunken, er klingt auch deutlich heiserer als am Morgen und dadurch noch dreckiger und stärker nach Lemmy. Auf der (diesmal undekorierten) Bühne herrscht zunächst helle Aufregung seitens der Techniker, anscheinend stimmt irgendetwas mit den Monitoren nicht. Die Band lässt sich davon nicht irritieren und klopft noch mal ordentlich aufs Mett, spielt vier oder fünf Songs, darunter die spanischsprachige Pretiose „Brigadas Satanicas“, und haut sogar noch ‘ne Zugabe raus. Anschließend lässt man sich zurecht feiern. Danke, Jungs!

Einen hat das HOA noch: ARMORED SAINT als finaler Headliner des heurigen Festivals. Die US-Metal-Institution aus L.A. um Frontmann John Bush und Basser Joey Vera erfreut sich hierzulande seit jeher großer Beliebtheit, was sich mir nie so ganz erschloss. Ich mag den Signature-Song „March of the Saint“, aber das war’s dann eigentlich auch schon. Aber wenn wir schon mal hier sind, ziehen wir uns natürlich auch den gepanzerten Heiligen noch rein. Und das ist eine gute Entscheidung, denn nun kommen wirklich alle zusammen und stehen eng zusammengepfercht vor der Bühne, auf der SAINT eine absolut hochkarätige Show abreißen. Bush ist ein grandioser Sänger, den ich mir mit dieser Leistung auch gut und gerne seinerzeit als Dickinson-Nachfolger bei IRON MAIDEN hätte vorstellen können (statt Belladonna bei ANTHRAX abzulösen), zumal er in einen Jungbrunnen gefallen zu sein scheint, derart drahtig und topfit wirkt er, während er einige Kilometer auf der Bühne zurücklegt, ohne dass der Atem schwer würde. Die Band ist bestens aufeinander abgestimmt und eingespielt, da sitzen jeder Ton und jede Geste und Grimasse punktgenau. Vera am Mittag Bass geht ab und mit, als sei er selbst der größte Fan seiner Band, und Drummer Gonzo sieht mit seinem ulkigen Hut am Schluss aus wie ein Zauberer. Ich habe wirklich selten eine so tighte Band gesehen – dafür meinen Respekt! Eine tolle Show, wenn, ja wenn… man etwas anderes als diesen Halbgroove-Metal und dafür mehr Songs vom „March of the Saints“-Kaliber spielen würde. Musikalisch werde ich mit ARMORED SAINT wohl nicht mehr warm, ein unterhaltsamer Festival-Abschluss ist‘s dennoch. Bush bittet die Menge noch, nicht mehr betrunken nach Hause zu fahren, und draußen hat es angefangen zu regnen, was wir unter dem Dach vor der Bühne (beste Festivalerfindung ever) immer dann bemerken, wenn wir unsere letzten Bar-Moneten fürs Dithmarscher verprassen. Bei dieser Gelegenheit eines noch zum P.A.-Sound: Ich hatte es bei SODOM angemerkt, aber auch bei anderen Bands habe ich‘s zuweilen so empfunden und bei ARMORED SAINTS, wo wir wirklich mittig vor der Bühne stehen, fällt es uns besonders stark auf: Klar, die Snare muss knallen, darf aber den Gesang nicht übertönen! Das erhöht nicht etwa den Druck, sondern nimmt im Gegenteil etwas Wumms aus der Darbietung.

Ansonsten bin ich aber weitestgehend glücklich mit dem Festival. Es war ein echter Kurzurlaub und nicht nur eine willkommene Abwechslung zum Alltag, sondern auch zu meinen sonstigen Konzertaktivitäten. Ab und zu kann ich es sehr genießen, mich einfach mal vor eine Bühne zu stellen und einer mir mehr oder weniger unbekannten Band nach der anderen interessiert zu lauschen, um meine Favoriten schließlich zu feiern. Und da man sich in einem Funkloch befindet, geht vom Smartphone eine herrliche Ruhe aus, während es auf der Bühne kracht und scheppert – oder auch einfach nur wohlklingt. Bis auf die ein, zwei Ach-so-edgy-Typen mit BURZUM-Aufnähern war das Publikum nicht unangenehm. Die kostenlose Trinkwasserabgabe verhinderte allzu schlimmen Suff, Kater und Dehydration, und gesoffen dürfte trotzdem genug worden sein – nur einer von mehreren Punkten, von denen sich andere Festivals ‘ne Scheibe abschneiden können. Auch außerhalb des Bühnenbereichs gab’s sonnengeschützte Sitzmöglichkeiten. 3,- EUR für 0,3 Liter lokales Bier sind kein Schnäppchen, aber in Ordnung. Die Preise der Essensstände für Lagosch, Ofenbrot, Baumstriezel etc. erscheinen mir Festival-typisch etwas zu hoch, aber dafür sind die Dinger sättigend. Die Preise am von der HOA-Crew selbstbetriebenen Bratwoscht- und Pommes-Stand wiederum sind glaube ich heutzutage auch außerhalb von Festivals normal. 2018 gab’s noch einen von einer rührigen älteren Dame betriebenen Fischbrötchen-Stand, den wir gern frequentierten. Nun gibt’s dort irgend’nen Fischersfritz, der preislich den Vogel in negativer Hinsicht abschießt: Fischbrötchen 7,- EUR! Und zwar nicht nur die vergoldete Kaviarvariante, sondern auch das ganz normale Bismarckbrötchen, für das ich sogar im Amphitheater „nur“ 4 Öcken gelatzt habe. Nee, Alter – dat friss ma‘ schön selbst. Alles in allem ist die häufig kolportierte besondere Atmosphäre des Festivals kein Märchen, sondern gelebte und geförderte Realität.

Zurück zum letzten Festivalabend: Nach ARMORED SAINT warten wir ab, ob der Regen sich verziehen würde, was natürlich am besten am Bierstand geht. Ist leider nicht so, also packen wir unsere Ponchos aus (was ich zuletzt 2016 getan hatte, aber der fisselige Müllsack mit Aussparungen für die Extremitäten ist noch immer tadellos in Ordnung) und latschen ein letztes Mal zu unserer Unterkunft. Alles kein Problem, zu einer kleinen Herausforderung wird nur der noch mal deutlich längere Weg am nächsten Vormittag zum Bahnhof Dauenhof bei sengender Sonne, mit vollem Gepäck (u.a. den neuen Platten – es heißt nicht umsonst Heavy Metal) und nun doch so langsam dem Festival in den Knochen. Dafür erwartet uns am Bahnhof eine Rundum-sorglos-Gewerbeansiedlung mit Tanke, Imbiss und Eisdiele. Die Nordbahn ist pünktlich; bischn durchgedengelt, dafür mit ausdefinierten Wanderwaden treffen wir wohlbehalten wieder zu Hause ein. Danke ans HOA-Team für dieses geile Festival!

Teile des nächstjährigen Programm stehen übrigens schon fest, regelmäßig aktualisierte Infos gibt’s auf www.headbangers-open-air.com.

20.07.2024, Amphitheater Gelsenkirchen: KLASH OF THE RUHRPOTT

Liebes Konzerttagebuch,

kaum hatte ich meine negativen Erfahrungen auf dem letztjährigen Rock-Hard-Festival und meine daraus resultierende Konsequenz, dass sich mehrtägige Kommerzfestivals für mich bis auf Weiteres erledigt haben, niedergeschrieben, wurde bekanntgegeben, worauf die Thrash-Szene so lange hatte warten müssen: Die „Big Teutonic Four“, also die vier deutschen Thrash-Größen KREATOR, SODOM, DESTRUCTION und TANKARD, würden ein gemeinsames Konzert geben, ein Ein-Tages-Open-Air im – da war es wieder – Gelsenkirchener Amphitheater. Das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen, also wie so viele andere gleich mal ein Ticket gesichert und ruckzuck war der Bums auch ausverkauft. Eine bezahlbare Übernachtungsmöglichkeit in GE war leider schwer zu finden, in Veranstaltungsnähe fand ich keine – dafür ‘ne AirBnB-Bude im Stadtteil Buer. Für die Bahnfahrt musste ich dank Deutschland-Ticket nichts extra zahlen, denn Gelsenkirchen ist von Hamburg aus mit den Regionalverkehr ganz gut zu erreichen. Für den Notfall wäre damit auch etwas Taxikohle übrig gewesen.

Und dieser trat natürlich ein. Von Altona nach Harburg, von dort nach Bremen und von Bremen nach Osnabrück lief alles gut, aber auf der letzten Teilstrecke tat die Bahn dann das, was die deutsche Bahn eben so tut: Sie fuhr mit einem kaputten Zug, dessen Türdefekt dazu führte, dass an jeder Haltestelle ewig lang gewartet werden musste – was sich auch noch potenzierte, als man beschloss, zwischen zwei Käffern außerplanmäßig jede Milchkanne anzufahren. Die Fahrgäste wurden immer unruhiger, einer schien kurz vorm Ausrasten zu ein. Die Informationspolitik war desolat. Letztlich brauchte man für die Strecke doppelt so lange wie ursprünglich geplant, mit satten 80 Minuten Verspätung kam ich im schönen Gelsenkirchen, der grünen Lunge des Ruhrgebiets, endlich an. Gut, dass ich für diesen auf Schienen schleichenden Elektroschrott nicht noch Kohle hatte latzen müssen. Ca. 45 Minuten später war ich dann auch in meiner Unterkunft. Mit noch in Ruhe etwas essen und irgendwo ‘ne 0,5-Liter-Plastikbuddel für die aufgrund der Hitze „großzügigerweise“ gestattete Softdrink-Mitnahme auftreiben war’s essig. Zu allem Überfluss landete ich auch noch beim langsamsten Frittenschmied Deutschlands. Wenigstens etwas gestärkt rief ich mir also ein Taxi und ließ mich vom freundlichen und sehr interessierten Fahrer zum Amphitheater chauffieren. Ohne abgetastet zu werden (was mich etwas überraschte) kam ich rein und zehn Minuten oder so später eröffneten dann auch schon TANKARD den Ruhrpott-Klash.

Der Veranstalter hatte im Vorfeld aufgrund der erwarteten (und eingetroffenen) brütenden Hitze dazu geraten, eine Kopfbedeckung aufzusetzen und sich gut einzucremen, was ich brav tat, daraufhin aber noch mehr schwitzte. Mir lief die Suppe nur so runter und ich sehnte mir etwas Schatten herbei. TANKARD begannen mit „One Foot in the Grave“, der sich als cooler Opener entpuppte, gefolgt vom großartigen Klassiker „The Morning After“, dem jungen „Ex-Fluencer“, mit „Alien“, „Chemical Invasion“ und „Zombie Attack“ weiteren Klassikern und „Beerbarians“ vom aktuellen Langdreher. „A Girl Called Cerveza“ wurde als TAYLOR-SWIFT-Cover angekündigt, womit man ironisch Bezug auf die Swift-Manie nahm, von der Gelsenkirchen kurz zuvor ergriffen worden war, weil die US-Pop-Sängerin drei aufeinanderfolgende Konzerte gegeben hatte und die Stadt sogar in „Swiftkirchen“ umbenannt worden war. „(Empty) Tankard“ schloss wie üblich den Gig, mehr als neun Songs waren leider nicht drin. Dafür war die sympathische Band bestens drauf, hatte sichtlich Bock und wurde zurecht gefeiert. Wer gehofft hatte, TANKARD würden anlässlich dieses besonderen Ereignisses eine spezielle Setlist mit einigen Überraschungen schnüren, sah sich aber getäuscht. Wahrscheinlich hatte man das aufgrund des erst kürzlich zurückliegenden Personalwechsels an den Drums auch einfach nicht erwarten können. Ex-HOLY-MOSES-Drummer Gerd Lücking, der Olaf Zissel auf dem Drumhocker beerbte, machte seine Sache dafür ganz ausgezeichnet. Als nicht so ausgezeichnet entpuppte sich die Getränkeversorgung. Von den zwei Bierbuden am Innenrund hatte ich mich an die mit der kürzeren Schlange gestellt, briet aber locker 20 Minuten in der Sonne, bis ich unverschämte 5 Öcken für 0,4 Liter Veltins berappen und auch noch 4 (!!!) Euro Becherpfand drauflegen durfte. Derartige Schnarchnasen hatte ich noch an einem Bierstand erlebt. Die schienen das tatsächlich zum ersten Mal zu machen…

Anschließend schaute ich mich auf dem übrigen Gelände mit Merchstand (35,- EUR für’n T-Shirt, wurden seltsamerweise trotzdem fleißig gekauft) und Verzehrbutzen um und hatte damit anscheinend die gleiche Idee wie alle anderen, denn das artete in ein übles Gedrängel aus. Immerhin war damit die Zeit bis DESTRUCTION totgeschlagen, die mit „Curse The Gods“ kongenial einstiegen und auch darüber hinaus ausschließlich Hits im Köcher hatten, von „Invincible Force“, „Mad Butcher“, „Life Without Sense“, „Total Desaster“ und „Thrash ‘til Death“ aus den glorreichen ‘80ern über „Nailed to the Cross“ als leider einzigem ‘00er-Song bis hin zu „Diabolical“ vom bisher letzten Album und der aktuellen Single „No Kings No Masters“, die live so viel geiler klang als in der Studioversion, mit deren Sound ich hadere. Überhaupt, der Sound: Der knallte mit ordentlich Druck aus der P.A. und die aktuelle Besetzung mit zwei Klampfern lässt diesen erst gar nicht abfallen. Zwar zockten auch DESTRUCTION kein speziell angepasstes Set (wie gerne würde ich mal wieder „Unconscious Ruins“, „Reject Emotions“ oder mehr Kracher der 2000er-Reunion-Alben hören), muss aber auch gar nicht, denn das hier hatte es reichlich in sich. Mehr als die Hälfte des Auftritts verbrachte ich durstiger Depp aber wieder in der nun noch länger gewordenen Schlange am entschleunigten Bierstand…

Langsam wurde ich schlauer und nutzte die nächste Umbaupause, um mich direkt wieder für’n Bierchen anzustellen, um vielleicht sogar pünktlich zu SODOM eines zu bekommen. Was dann auch klappte. Gelsenkirchens Finest starteten nach dem Instrumental „Procession to Golgatha“ überraschend mit „S.O.D.O.M.“ vom „Epitome of Torture“-Album – welch geiler und eigentlich so naheliegender Live-Opener! – und spalteten anschließend Schädel mit unverwüstlichen Splittergranaten wie „Nuclear Winter“, „Blasphemer“ (diesmal anscheinend mit Toms Livelache anstelle der sonst üblichen aus der Konserve) und „Sodomy and Lust“, entmottete den „Crippler“, zog „Napalm in the Morning“ aus dem Giftschrank, setzte auf „Agent Orange“-Standards wie den Titeltrack und „Remember the Fallen“ und ließ abschließend den „Bombenhagel“ aufs Amphitheater nieder. Wat’n mehr als gediegener Abriss! Die Band zockte tight und holte, ähnlich wie zuvor DESTRUCTION, eine deftige Soundwand aus den beiden Gitarren heraus. Mit dem Nebel und Rauch übertrieb man es zuweilen vielleicht etwas, zeitweise ließ sich die Anwesenheit der Band nur noch erahnen. Die Refrains wurden aus etlichen Kehlen lauthals mitgesungen. Vorm „Crippler“ gab Tom bekannt, was eifrige ZDF-Volle-Kanne-Gucker (lol) schon längst wussten, nämlich dass die langerwartete „Tapping The Vein“-Vinylbox noch vor Weihnachten endlich erscheinen werde, und stellte auch Neuveröffentlichungen von „Obsessed by Cruelty“, „Get What You Deserve“ und „Masquerade in Blood“ in Aussicht! Sehr geil, dass sich da endlich etwas tut. Eine kleine Spitze gegen den TAYLOR-SWIFT-Hype konnte sich Tom, der das Amphitheater mit „Hallo Heimat“ begrüßt hatte, natürlich nicht verkneifen. Frank Blackfires Posing ist immer noch, äh, Geschmackssache, aber das Großartige an diesem Line-up ist – neben der Double-Axe-Power – die Freude, die es offenbar dabei empfindet, immer wieder die Setlist stark zu variieren und Songs auszugraben, die ewig nicht mehr gespielt wurden. Das ist Eins-A-Service (nicht nur) für die Die-Hard-Fans! Mich hat der Gig einmal mehr geflasht – und viel geiler geht’s in Sachen Thrash meines Erachtens auch gar nicht. Erlebnisse wie dieses rufen mir nicht nur immer wieder ins Gedächtnis, dass ich Fan bin, sondern auch warum.

Die Stimmung im Publikum war mittlerweile prächtig, zumal es auch nicht mehr so dermaßen heiß war, da die Sonne langsam im Untergang begriffen war. KREATOR schienen sich mir für die Umbauphase, die hinter einem riesigen Transparent konspirativ stattfand, etwas mehr Zeit zu lassen. Links und rechts an den Bühnenrändern wurden Gummidämonen angebracht und vermutlich wurden auch die Pyros installiert, die gezündet wurden, als es endlich losging. Das geniale „Sergio Corbucci is Dead“-Intro im Italo-Western-Stil erklang aus der Konserve, die erste livegespielte Nummer war – natürlich – „Hate über alles“, der Titeltrack des aktuellen Albums (und der klingt auf diesem ehrlich gesagt etwas garstiger). Mit „Phobia“, dem zweiten Song, war aber auch die Aggressivität voll da. Bereits hiernach rief Mille zur Wall of Death auf, woraufhin ich mich dann ehrlich gesagt aus dem Pit verkrümelte. Ein weiteres, wenn live auch altbekanntes Highlight war „Hordes of Chaos“, bei dem ich mich dann – zusammen mit einem großen Publikumschor – endgültig heiser brüllte. Neben den Pyros wurden auch Papierschlangenbomben oder sowat gezündet, spaßigerweise auch auf den Stufen des Theaters. Vor der Bühne ging’s so richtig rund und eigentlich war alles prächtig. Sogar mein Pils bekam ich aufgrund einer anscheinend entzerrten Situation auf dem Gelände außerhalb des Halbrunds nun recht flott.

Bis, ja bis… die ersten Tropfen fielen. Diese nahm ich zunächst noch dankbar als kleine Erfrischung entgegen. Als es richtig zu plattern begann, suchte ich allerdings ein halbwegs trockenes Plätzchen, das ich schließlich nur noch unterm Vordach eines Verzehrstands fand und die nächsten KREATOR-Nummern glatt verpasste. Der Regenguss täuschte aber bald an, lediglich ein Schauer zu sein, und versiegte fast komplett, sodass ich mich zurück vor die Bühne begab, wo KREATOR gerade ins Oldschool-Set, beginnend mit „Ripping Corpse“ und „Riot of Violence“, gestartet waren. Doch nach letzterem gab einer der Organisatoren bekannt, dass die Veranstaltung aus Sicherheitsgründen unwetterbedingt abgebrochen werden müsse. KREATOR hatten bis hierher ca. 50 Minuten gespielt. Der Überbringer der schlechten Nachricht erntete ein paar Buhrufe, weil das Schlimmste überstanden schien, doch rasch entwickelte sich ein veritables Gewitter mit gar nicht mehr aufhörendem Starkregen. Ich gab noch schnell meinen Pfandbecher zurück, lernte dabei sogar noch einen seit seiner Bundeswehrzeit in Hamburg verliebten Gelsenkirchener kennen, der mir von der Hansestadt vorschwärmte, und kämpfte mich durch den Regen übers keinerlei Schutz bietende Gelände bis zur Bushaltestelle an der Straße, deren Wartehäuschen natürlich längst überfüllt war. Außer einem Reisebus nach Recklinghausen ließ sich dort allerdings anscheinend kein Bus blicken, von den versprochenen Shuttle-Bussen zum Bahnhof keine Spur. Stattdessen trieb die Security sämtliche Gäste unwirsch vom Gelände. Mittlerweile dürften alle, die nicht mit dem Auto gekommen waren, bis auf die Knochen durchnässt gewesen sein. Ein Blitz schlug sogar in unmittelbarer Nähe ein. Ich versuchte, ein Taxi herbeizurufen. Die seien bereits alle auf dem Weg, hieß es. Dauerte trotzdem gefühlt ewig. Während ich unter der unablässigen Himmelsdusche wartete, lernte ich kurioserweise noch jemanden aus meiner alten Heimat kennen, dem ich dort nie übern Weg gelaufen bin, der sich aber auch öfter auf Hamburger Konzerten herumtreibt. Grüße! Mit ihm zusammen kaperte ich ein Taxi, das mich zurück zur Unterkunft und ihn nach Bochum brachte, wo er untergekommen war. Klitschnass schälte ich mich aus den Klamotten, war im AirBnB-Smarthome damit überfordert, die Glotze anzukriegen, ließ es gut sein und haute mich nach ‘ner letzten Kippe etwas frustriert in die Koje.

Weshalb dieser Frust, fragst du, liebes Konzerttagebuch? Die Bands waren doch alle bockstark und für so’n Unwetter könne schließlich niemand etwas? Ich will es dir erklären: Dass es arschheiß werden würde, war klar. Darauf, dass der Veranstalter im Halbrund keine zusätzlichen schattigen Orte schaffen würde, z.B. durchs Spannen von Planen im Gestänge oder zwischen den Tauen des Theaters, war ich eingestellt, denn mehr oder weniger konnte ich das aus seinem Aufruf herauslesen, sich gut einzucremen und Kopfbedeckungen mitzubringen. Etwas schade ist das trotzdem, aber sei’s drum. Dass lokales Industriebier zu Champagner-Preisen verkauft wird, kannte ich schon vom Rock-Hard-Festival und hatte ich zähneknirschend einkalkuliert. Statt WC-Wagen mit fließend Wasser Dixis und Pisspilze, auch ok. Händewaschen wäre schön, muss aber nicht… Dass man Valiumpatienten in die Bierbuden stellte, war dann aber schon ein Wermutstropfen. Dass sich die großspurig angekündigte Gratis-Trinkwasser-Ausgabestelle Überlieferungen zufolge (ich habe sie gar nicht gesehen, geschweige denn gesucht) als Schlauch mit genau einer Öffnung herausstellte, vor dem sich lange Schlangen bildeten, ist hingegen nicht nur ein Witz, sondern Verarsche. Wenn’s nach mir ginge, wäre es Pflicht (statt Gnade), seinen Gästen bei Freiluft-Veranstaltungen im Hochsommer Trinkwasser kostenlos zur Verfügung zu stellen, wenn man die Mitnahme eigener Getränke unterbindet oder stark rationiert. Muss dafür auch erst ein Gesetz her oder kapiert ihr das vielleicht doch noch selbst? Dass man aus Sicherheitsgründen die Veranstaltung abbricht, war sicherlich richtig. Die zigtausend Leute dann aber ohne jeden Evakuierungsplan mitten in ein heftiges und langanhaltendes Gewitter hinauszupferchen und sich selbst zu überlassen, dabei nicht einmal die Shuttle-Busse bereitzustellen, ist hingegen eine Frechheit sondergleichen. Sein Wucherpfand hat dabei mit Sicherheit auch nicht jeder zurückerhalten. Da war sie wieder, diese Gewissheit, dass man als Fan und Gast nicht mehr ist als eine Cash-Cow, die gemolken wird, bis nichts mehr geht, und sich anschließend möglichst schnell zu verpissen hat. Danke für nichts!

Das bringt mich aber auch zu generellen Überlegungen hinsichtlich Open-Air-Veranstaltungen in Zeiten des Klimawandels. Zumindest hierzulande scheint es mittlerweile ja eher die Regel denn Ausnahme zu sein, dass es im Sommer ständig Wetterextreme gibt: Schwüle Affenhitze und heftigste Niederschläge oder Gewitter. Die Veranstaltungsbranche sehe ich zunehmend in der Pflicht, dies einzukalkulieren und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Anderenfalls dürfte manch einem nachhaltig die Lust auf solche Veranstaltungen vergehen. Beim „Klash of the Ruhrpott“ wurde die Leidensfähigkeit des Publikum jedenfalls wieder einmal auf eine harte Probe gestellt – und ich für meinen Teil bin, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, eine solche Scheiße ein für alle Mal leid.

Abschließend noch ein paar versöhnliche Worte: Dies gilt keinesfalls für die Bands, die allesamt gute bis sehr gute Shows gespielt haben, und dies gilt auch nicht für die Soundcrew, die, abgesehen von ein paar kleineren Schwächen wie dem zu leisen Gesang bei SODOM, wenn man eher seitlich stand, oder den bei DESTRUCTION zeitweise im Vergleich zur Snare überproportional lauten Toms und der Bassdrum im Vergleich zur Snare, einen für meine tauben Ohren amtlichen Job machte. Natürlich ist auch mir daran gelegen, dass möglichst viele, die an einem solch besonderen Happening teilnehmen wollen, auch die Möglichkeit dazu bekommen. Immerhin kamen hier Fans aus ganz Deutschland und dem Ausland zusammen. Für Veranstaltungen dieser Größenordnung wäre es aber erstrebenswert, Organisatoren und Orte zu finden, für die bzw. in denen dies auch ohne all die von mir beschriebenen negativen Begleiterscheinungen möglich ist. Oder wat?

P.S.: Der Fairness halber sei noch angemerkt, dass die Bahn es auf der Rückfahrt mitunter etwas spannend machte, ob die Anschlüsse erreicht werden, letztlich aber alles reibungslos lief.

P.P.S.: Sicher gibt es bessere Fotos, aber dies sind die meinigen (Schnappschüsse mit dem Fon). Im Netz gibt’s aber reichlich sehr gute und professionelle Fotos. Wer sich dafür interessiert: Am besten mal in den asozialen Netzwerken umgucken!

12.07.2024, Lobusch, Hamburg: THRASHING PUMPGUNS + GIF

Die Hamburger THRASHING PUMPGUNS luden zum Record-Release-Gig ihres nach „The Lord is Back“ aus dem Jahre 2014 (echt schon zehn Jahre her?!) zweiten Albums in die Lobusch. Das konnte natürlich nur gut werden. Als Vorband hatte Shouter Rolf die seit letztem Jahr existierenden JPEG PNG GIF verhaftet, nachdem er sie auf dem Gaußplatz live gesehen hatte. Verständlich, denn das sich, wenn ich richtig informiert bin, aus Mitgliedern von ATTACK OF THE MAD AXEMAN und KSM40 zusammensetzende Quartett spielt musikalisch einwandfreien, schnörkellosen und vom Drummer mit flottem, wuchtigem Punch vorangetriebenen Hardcore, zu dem der vor statt auf der Bühne agierende Shouter überwiegend deutschsprachige, prägnant auf den Punkt gebrachte Texte herausschreit, die sich kritisch mit den Begleiterscheinungen von Kokainkonsum („König Kunde“), dem Klimawandel („Anthropozän“) oder auch zynischem Gelächter („ROFL“) auseinandersetzen. Mit „Tot geboren“ coverte man BLITZKRIEG bzw. BOSKOPS, „Es Mentira“ war ‘ne spanischsprachige Nummer und weil vehement Zugaben gefordert wurden, zockten GIF noch „Löschkalk“ und „Friedensnobelscheiß“, bis dem Gitarristen ‘ne Saite riss. Nach gut 30 Minuten war Schluss. Geiler Gig, geile Band – geht absolut klar! GIF haben ein Tape draußen, anhören kann man es sich auch auf Bandcamp: https://gifpunk.bandcamp.com/album/das-lachen-der-hyaene

Beim HC-/Thrash-Crossover-Sound der THRASHING PUMPGUNS rappelte es dann so richtig in der mehr als gut gefüllten (und an diesem Sommertag entsprechend temperierten) Kiste. Man zockte einen bunten Mix aus Klassikern und neuem Material, das zwar auf Vinyl erhältlich war, aber zumindest Stand heute noch nicht im Netz zu finden ist. Wie schon bei GIF war der P.A.-Sound schön druckvoll, und hier kamen auch die beiden Gitarren relativ differenziert durch. Erstmals sah ich die Band mit meinem Bandkollegen Holler am Bass, der seine Sache absolut souverän zu meistern schien. Die beiden ehemaligen Bandmitglieder Flo und Oli befanden sich im Publikum und alle hatten Bock auf Party, die die Band mit Entertainer Rolf am Mikro dann auch wie bestellt abfackelte. Nach wenigen Songs war vor der Bühne gut was los, die speedigen Riffs flogen einem nur so um die Ohren und manch launige Ansage sorgte für zusätzliche Kurzweil. Vic an den Drums haute kräftig auf die Pauke und schwitzte sämtliche Klamotten durch. Der MANOWAR-Diss-Track „Girlowar Not Manowar“ hat das Zeug, die True-Metal-Fraktion zu vergrätzen, aber die war gar nicht da. Was von der Decke tropfte, war übrigens kein Schweiß, sondern Rolfs Rotze, die er dort verteilte, bis sie sich wie glibberige Stalaktiten abseilte… Wie viele Songs genau gespielt werden würden, hatte sich laut Holler erst während des Gigs entschieden; dafür gab’s dann wie üblich bei den PUMPGUNS keinen Nachschlag in Form einer klassischen Zugabe, immerhin aber noch ‘nen kleinen Jam. Astreines Oldschool-Crossover-Geschrote, das demnächst wohl auch quer durch die Republik getragen werden wird. Viel Erfolg mit der neuen Platte (die ich mir mangels verbliebenem Kleingeld in der Tasche noch nicht direkt mitnahm – aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben) und hoffentlich auf bald mal wieder!

Danke an den eigens aus dem hohen Norden angereisten Rohrpost-Torben, auf dessen Fotofundus ich zurückgreifen durfte – alle mit „Foto: TR“ markierten Bilder stammen von ihm!

06.07.2024, Indra, Hamburg: St. Pauli Punk Festival #5 mit COCK-UPS + FREVEL + ASTRA ZOMBIES + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS + FIRST-CLASS LEG SPACE

Die von Bitzcore-Juergen organisierten St.-Pauli-Punk-Festivals – eintägige Indoor-Festivals mit jeweils vier bis fünf lokalen Bands – gingen in die fünfte Runde und nachdem wir vor ‘nem guten halben Jahr bereits bei der mehr oder weniger improvisierten #3 dabei waren, durften wir erneut ran. Diesmal konnte man auch seine eigenen Amps mitbringen, statt seinen Sound über einen Kemper simulieren zu müssen, konnte sich somit seinen gewohnten Bühnensound zurechtpfriemeln, und bei der P.A. funktionierten auch die Tieftöner wieder. Das waren schon mal gute Voraussetzungen. Um 20:00 Uhr sollte es losgehen und obwohl die Boxen für die Bühne erst kurz vor knapp kamen, wurde der Zeitplan glaube ich weitestgehend eingehalten. Keine der Bands habe ich ihren kompletten Auftritt lang konzentriert verfolgt, weil ich viel zwischen Backstage, Merch-Stand und Biergarten hin und her lief, aber doch jeweils genug mitbekommen – zumal der Sound eigentlich überall (außer im Backstage) gut zu vernehmen war. FIRST-CLASS LEG SPACE machten mit punkigem Alternative Rock den Anfang, der mir dann am besten gefiel, wenn der gut aufgelegte, bewegungsfreudige Sänger etwas rauer zur Sache ging. ‘ne Offbeat-Nummer inklusive Tröteneinsatz gab’s auch, doch auch ohne hatte man das Publikum zum Tanzen gebracht – und somit als Opener alles richtig gemacht! (War der letzte Song eigentlich ‘ne Coverversion? Kam mir jedenfalls irgendwie bekannt vor.)

Dann gaben wir uns die Ehre. Monitor- und Bühnensound passten, das war ein großer Unterschied zum Dezember-Gig hier. Um ‘ne ordentliche Anzahl Songs unterzubringen, versuchten wir, relativ stringent und ohne viel Palaver durchzuziehen. Trotzdem gab’s natürlich die eine oder andere Stimmpause, eine überraschenderweise mitten im Song – zunächst dachte ich, Kai sei ‘ne Saite gerissen, was sich zum Glück nicht bewahrheitete. „Wæende“ mussten wir allerdings abbrechen und von vorn beginnen, weil ich Depp meinen Einsatz vergessen hatte. Ebenso erging es mir mit der Hälfte der letzten Strophe, die ich glatt unterschlug. Dat üben wir noch mal… Dafür feierte das größtenteils von unserem Ex-Drummer Dr. Tentakel getextete „Straße“ (Arbeitstitel) seine Live-Premiere. Ansonsten gaben wir uns glaube ich keine allzu große Blöße. Auch wir brachten einige Leute zum Zappeln und erhielten Zuspruch, der sich auch am Merchstand bemerkbar machte. Bei den knackigen Temperaturen im Indra geriet der Gig wie so oft zu ‘ner Art Workout; umso angenehmer war dann das Klima im Backstage, wo das Schraibfela-Video-Fanzine ein Kurzinterview mit uns führte (wie übrigens auch mit allen anderen Bands).

Die MISFITS-Coverband ASTRA ZOMBIES hatte im Anschluss mehr zu bieten als lediglich das Nachspielen der altbekannten Horrorpunk-Gassenhauer, denn zum einen fanden sich auch ein paar nicht ganz so populäre (bzw. zumindest mir nicht so geläufige) Nummern im Set und zum anderen hatte man keinen Möchtegern-Danzig am Mikro, sondern eine Sängerin, die mit ihrer tollen Stimme die Songs in einem ganz anderen Licht erstrahlen ließ. Alle Bandmitglieder waren stilecht geschminkt, der Gitarrist im Jason-Voorhees-Look sogar unter seiner Eishockey-Maske, damit’s an deren Rändern hübsch modrig durchscheint. (Ich hoffe, das war jetzt keine versehentliche „Maske? Welche Maske…?“-Taktlosigkeit von mir.) Und das bei den Temperaturen – Respekt! Vorbehaltlos zu empfehlende Band, die entsprechend bejubelt wurde. An Halloween übrigens live im Monkeys Music Club!

FREVEL packten wieder die grobe Kelle aus und wüteten sich durch ein deutsch- und englischsprachiges Hardcore-Punk-Set, dessen RAWSIDE-Einflüsse (von denen Shouter Tim auch ein Shirt trug) unüberhörbar waren – was ja nun beileibe keine verkehrte Inspirationsquelle ist. Songs voller authentisch rüberkommender Aggression gegen „Bullen, Bonzen, BRD“ (so der Name des Albums), gespielt mit ‘ner gut ballernden, Druck erzeugenden Rhythmusfraktion und ‘ner sehr kompetenten, sägenden Metal-Klampfe. Tim hielt es nicht dauerhaft auf der Bühne, stattdessen ging er auf Tuchfühlung mit dem Mob davor. Gecovert wurde „Greif ein“ von DRITTE WAHL und „Fascist Scum“ als Zugabe ein zweites Mal dargereicht. All das wurde dankend angenommen, gefeiert und war teilweise gar nicht so weit weg von dem, was wir so machen. Vielleicht sollte man mal zusammen zocken?

Mit meiner anderen Band hatte ich 2016 mal zusammen mit COCK-UPS in Rotenburg gespielt, sie seitdem aber nicht mehr zu Gesicht bekommen. Von der Besetzung ist seit damals nur noch Bandkopf und Sänger Sven übrig, an der Schießbude aber nun ein Altbekannter: Jaybee, der u.a. in den ‘90ern bei LA CRY spielte. Ich glaube, die Band ist etwas härter geworden, jedenfalls hat Jaybee ‘nen ordentlich treibenden Punch. Musikalisch geht’s stark Richtung UK-’82-HC- und Chaos-Punk, der aber immer mal wieder durch kleine Gitarrenmelodien und Soli aufgelockert wird. Ansonsten geht’s schnörkellos und relativ puristisch zur Sache und Sven bellt sich amtlich durchs Repertoire. Ein Teil der zahlenden Gäste schien mittlerweile ein wenig ausgelaugt und müde zu sein, andere genossen aber auch diese Adrenalinkicks noch in vollen Zügen, bevor irgendwann Feierabend war. Danke übrigens für Stellen des Drumsets!

Alles in allem war’s ‘ne geile Party bei durch die Bank weg gutem, wuchtigem Sound (Danke, Andy!), wenngleich parallel das Wohlwill-/Brigittenstraßenfest mit zwei Open-Air-Gratis-Punkrock-Bühnen gleich um die Ecke stattfand. Dafür hatte sich dann doch eine ansehnliche Anzahl Besucherinnen und Besucher ins Indra verirrt. Juergen führt dort diese Festivals in schöner Regelmäßigkeit vierteljährlich durch und ich kann, auch unabhängig von etwaigen Straßenfesten oder „Konkurrenz“veranstaltungen, nur hoffen, dass sich das für alle auch wirklich lohnt. Uns als Bands kann’s egal sein, wir dürften alle unseren Spaß gehabt haben! Nur scheint mir das Indra nach wie vor etwas überdimensioniert für diese Festivals, solange kein zugkräftiger, „großer“ Name dabei ist. Läden wie die Lobusch oder die Gängeviertel-Druckerei hingegen wären wahrscheinlich voll gewesen. Und die eine oder andere Werbemaßnahme (Flyer, Plakate, Fratzenbuch-Event) etwas früher anzuberaumen, hätte sicherlich nicht geschadet 😉 Wie auch immer, das Konzept hinter diesen Lokalfestivals ist ‘ne feine, unterstützenswerte Sache.

P.S.: Auch diesmal wurden mit Profiequipment Audioaufnahmen aller Auftritte angefertigt und an die Bands verteilt – auch dafür besten Dank! Ebenso danke an Dr. Martin für die Fotos unseres Gigs. Und hier noch das erwähnte Schraibfela-Video:

15.06.2024, Gaußplatz, Hamburg: GAUSSFEST 2024

Der Bauwagenplatz im Herzen der Stadt lud einmal mehr zum zweitägigen Gratis-Open-Air-Festival bei Bier für ‘nen lumpigen Euro sowie Essen und Eis zum Selbstkostenpreis. Das Wetter spielte diesmal nicht ganz so gut mit wie beispielsweise noch letztes Jahr und am ersten Tag musste ich passen, am zweiten ließ ich mir einen Besuch aber nicht nehmen. Zwei Bands hatte ich dennoch auch diesen Samstag schon verpasst; FRONTALANGRIFF, die aktuelle Band um Ex-RAWSIDE- und Ex-TROOPERS-Mitglied Ralle an der Gitarre schienen aber noch nicht allzu lange zu spielen, als ich eintraf. Rustikaler deutschsprachiger HC-Punk der alten Schule aus Berlin, der gut Alarm machte und sich inhaltlich mit den Schattenseiten der Gesellschaft und der menschlichen Existenz auseinandersetzte. Wurde entsprechend gut aufgenommen und machte Lust auf mehr. Es war noch früh am Abend, das Wetter hatte sich bereits seit ein paar Stunden beruhigt und der Platz war neben den Bewohnerinnen und Bewohnern voller Gäste, die Bock auf Party hatten.

Nach relativ kurzer Umbau- und Soundcheck-Phase betrat mit THE SYSTEM eine uralte (1980 gegründete) UK-Anarchopunk-Combo die Bühne, die sich – im Gegensatz zu den alten Aufnahmen – mittlerweile mit weiblichem Gesang präsentiert. Hatte ich beim ersten Song noch die Befürchtung, dort würden ein paar alte Säcke gelangweilt ihr Set runterschrubben, änderte sich dies schon mit der zweiten Nummer: Die Stimme der Sängerin erweitert den Sound um eine reizvolle zusätzliche Klangfarbe, zudem zockte die Band derart tight, dass sich die Mischung aus ’77, Anarcho-Stakkato und UK ‘82 angenehmerweise eher zu letzterem verschob. Die meist mehrstimmigen Refrains blieben im Ohr und ließen sich rasch mitsingen, u.a. weil der von Wurzel gezauberte Sound so gut war, dass der Gesang mitsamt seinem charmanten britischen Akzent schön im Vordergrund stand. Auch wenn die Sängerin wie angewurzelt dastand und lediglich ein bisschen hin und her wippte: Vor der Bühne ging’s nun richtig rund und es wurde fröhlich durch den Matsch gesprungen. So schnell wollte THE SYSTEM dann auch niemand gehen lassen, sodass zwei, drei Songs noch mal als Zugaben über den Platz schallten. Sehr geiler Gig!

BARACKCA aus Budapest, Ungarn (oder wie es die Band sagt: „aus Scheißland“), existieren auch schon seit 1993 und sind sowas wie ‘ne lebende Ostblock-Punk-Legende – wie mir mein Kollege Holler verriet, denn ich hatte die nicht wirklich auf dem Schirm. Der Sound bewegt sich irgendwo zwischen Punkrock und Melodic Hardcore, frei von etwaigen folkloristischen Elementen. Der Sänger machte sämtliche Ansagen auf Deutsch und bereits während des Soundchecks Werbung fürs auf dem Platz angebotene Speiseeis für Mensch und Hund. Während seiner langen, zum Teil ironie- und humorgespickten Einführungen ließ sich prima Punk-Bingo spielen: Gegen Religion: check, gegen Politik: check, gegen Geld, Polizei und Arbeit: check, gegen Grenzen, Krieg und Nationalismus: check, für Hausbesetzungen, Anarchismus, und die Arbeiterklasse: check, für Alkohol: check, für Atomkrieg, damit endlich Ruhe ist: Bingo! Gesungen wurde vornehmlich in Landessprache, zuweilen aber ebenfalls teutonisch, beispielsweise beim „Arbeit ist scheiße“-Song oder beim Alkohollied – inklusive „Jawohl, jawohl, ich liebe Alkohol“-Mitsingpart fürs Publikum. Dieses – und da nehme ich mich keinesfalls aus – hatte seinen Spaß, sodass noch ‘ne Zugabe und sogar ein bisschen mehr durchgepeitscht wurde.

Schöne Bandauswahl wieder, soweit ich es dieses Jahr mitbekommen habe, und bei den Getränkepreisen geht man irgendwann voll wie tausend Ungarn nach Hause und hat nächsten Mittag trotzdem noch ein paar Kröten für die Frühstücksbrötchen auf Tasch‘. Danke den Bewohnerinnen und Bewohnern des Gaußplatzes für die einmal mehr gelungene Sause! Und die Arschlöcher, die am Freitag Teile der sanitären Anlagen zerstört haben, soll der Blitz beim Scheißen treffen! Sind wir hier auf dem Gaußfest oder bei FCSP vs. HRO im Millerntorstadion?!

17.05.2024, Lobusch, Hamburg: 1323 + BOMBE + RE-NI-TENT

Zurzeit kommt man aus dem Feiern kaum noch raus: Nach dem Hafengeburtstag und dem Aufstieg des FC St. Pauli stand die letzte reguläre Partie des AFC vor der Aufstiegsrunde an, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits die Meisterschaft der Hamburger Oberliga gesichert hatte. Aus dem Stadion ging’s direkt in die Lobusch, wo zwei (von drei) Bands spielten, die sich bereits eine Woche zuvor auf dem alternativen Hafengeburtstag ein Stelldichein gegeben hatten, von denen ich eine – BOMBE – jedoch verpasst hatte. Ich war dabei anscheinend etwas sehr schnell, denn um kurz nach 21:00 Uhr war noch nicht viel los. Nach und nach trudelten aber so einige bekannte Gesichter aus dem Stadion und weitere Freundinnen und Freunde des deutschsprachigen HH-Punks ein, ohne dass es übermäßig voll und drängelig geworden wäre – was auch mal sehr angenehm ist.

Das Trio RE-NI-TENT mit Leuten von ANSCHLAG und 1323 machte den Anfang. Bei im Vergleich zum Hafengeburtstag (wo ich sie erstmals sah) wesentlich saftigerem P.A.-Sound kamen die melodischen, aber auch flotten und zuweilen mit HC-Punk-Kante versehenen Songs noch mal besser rüber. Von ANSCHLAG fanden sich Songs wie „Revolution“, „Fundament“ und der Ohrwurmgarant „Melodie“ im Set, das Stück über Georg Elser hatte ich gar nicht derart, äh, kompakt in Erinnerung, sein Fett weg bekam u.a. die Hamburger Karikatur eines Innensenators, namentlich Andy Grote. Der Gesang kann Melodie, ist aber kein Gefistel, sondern schön angeraut. Leider verhinderte ein Atemwegsinfekt des Sängers/Gitarristen, dass auf die Zugabeforderungen eingegangen worden wäre. Egal – überzeugender Gig, weiter so!

BOMBE scheinen mir eine Art Nachfolgeband von HOT SCHROTT zu sein, die letztes Jahr auf dem Gaußfest ihren Abschiedsgig gespielt hatten (und sich wiederum zum Teil aus Leuten von CIRCUS OF HATE rekrutierten). Größte Auffälligkeit bei allen drei Bands ist die Geige, die bei einigen Songs zum Einsatz kommt. Zumindest zu Beginn des Lobusch-Auftritts wurden auch schon mal die Instrumente durchgetauscht, beim Gesang wechselten sich Männlein und Weiblein ab. Statt auf große Melodien oder Geballer setzt man eher auf leicht postpunkige Monotonie als Stilelement und kombiniert diese mit metapherreichen Texten. Den Leuten gefiel’s, Zugaben wurden verlangt, gleich drei Stück gab’s. Der unnachgiebige Ohrwurm „Die Uhr“ von HOT SCHROTT entließ aus diesem Auftritt, während der Gitarrist ins Publikum sprang. Das ist zweifelsohne kreatives, originelles Zeug, das seine Zielgruppe hat, auch wenn ich mich damit etwas schwertue.

Meinem persönlichen Geschmack kamen dafür 1323 umso mehr entgegen. Keine Ahnung, warum es schon wieder fünf Jahre oder so her ist, dass ich die zuletzt live sah, verlernt ham’se jedenfalls nix: Hardcore-Punk der guten alten ‘80er-Schule in Musik und Attitüde, meist eher desillusioniert-düster und/oder derbe angepisst nach vorne peitschend, hier und da mit Auflockerungen (z.B. dem spanischen „La pinche soledad“) und manch mitsingkompatiblem Refrain versehen. Drummer Andi brachte mit seiner Bassdrum die Bude zum Beben, Ali (der nach seinem Auftritt mit RE-NI-TENT nun noch mal ranmusste) schepperte ‘nen richtig geilen Bass und Phil schrammte sich durch die Akkorde, während er am Mikro seinen Aggressionen freien Lauf ließ. Ein paar Songs wurden wie üblich auch von Andi gesungen, dessen Lautstärke dabei leider eher auf Background eingepegelt worden war. Das auch im Original alles andere als balladeske „Staatsfeind“ von CANALTERROR wurde in gefühlt doppelter Geschwindigkeit durchgeholzt, dominiert wurde das Set aber natürlich vom Material des „Realität“-Albums. Arschgeiler Gig ganz nach meiner Kragenweite, der mich dann auch zum Tanzen und Bierrumspritzen animierte. Brauchte ich mal wieder!

04.05.2024, Punk im Viertel, Hamburg: GRANNY’S MILK | 10.05.2024: Hamburger Hafengeburtstag von unten / Affengeburtstag | 12.05.2024, Jolly Roger, Hamburg: LOS FASTIDIOS

Die Gratiskonzerte der letzten Zeit mal im Schnelldurchlauf:

Bei angenehmem Frühlingswetter luden BETON DE ROUGE und GRANNY’S MILK am Nachmittag zum „Tanzbier mit Kuchen“ im Viertel, sprich: Zwischen den Neubauten in Altona-Nord wurde ‘ne kleine Bühne improvisiert und neben der unmittelbaren Nachbarschaft samt Kind und Kegel kamen Punkrockerinnen und Punkrocker aus den anliegenden Stadtteilen zusammen, um zu schnacken, paar Getränke zu zischen und die beiden Bands zu begutachten. Meiner Liebsten und mir war das bischn zu früh, aber immerhin zu GRANNY’S MILK schafften wir’s. Das anscheinend noch nicht lange bestehende Quartett mit gut aufgelegter Sängerin zockte englischsprachigen Oldschool-Punk/HC mit knackig kurzen Songs, starken, dominanten Bassläufen und sympathischer Ausstrahlung. Kam gut und würde ich mir mit ‘ner P.A. mit etwas mehr Wumms auch noch mal angucken.

Hier kann man sich einige Demo- und Proberaumaufnahmen anhören:
https://soundcloud.com/daily-junk-572607099

Dann stand mal wieder der Hafengeburtstag an, satte vier Tage lang Spektakel und Gedrängel in St. Pauli. Die Jolly-Roger-Bühne wird weiterhin schmerzlich vermisst, aber es gibt ja das Alternativprogramm mit zwei subkulturellen Bühnen unten vor der Vokü (mit lokalen Acts) und oben vorm Störtebeker (mit internationalem Line-up). Dass es unten bereits am Donnerstag mit u.a. VIOLENT INSTINCT losging, hatte ich komplett verpeilt, hätte aufgrund der Probe mit meiner eigenen Combo aber auch keine Zeit gehabt. Am Freitag schaffte ich’s dann auch erst am frühen Abend, verpasste somit die ersten Acts auf beiden Bühnen. Nach Verzehr meines allhafengeburtstaglichen Lieblings-Veggie-Döners waren BOMBE bereits durch und die zweite Band des Abends – das dürften POSSIBLE DAMAGE gewesen sein – lärmten gerade amtlich, lagen aber auch schon in den letzten Akkorden. Also ging ich runter und pfiff mir RE-NI-TENT rein, die aktuelle Band des ehemaligen ANSCHLAG-Bandkopfs, wie ich mir erzählen ließ, und zudem die Zweitband von 1323-Ali (der hier Bass spielt und kräftig beim Gesang unterstützt). Der erste Auftritt ist erst ein paar Monate her, die Band ist also noch jung. Das Trio zockt melodischen deutschsprachigen Punkrock, wie man ihn insbesondere in den 1990ern goutierte, und scheint ein gutes Gespür für Hooks zu haben. Im Set fanden sich dann auch noch Songs von ANSCHLAG, in Erinnerung geblieben ist mir zudem eine Nummer zu Ehren Georg Elsers – jenem Hitler-Attentäter, der kein Nazi war. Diese gab’s ebenso wie einen klasse ANSCHLAG-Singalong-Ohrwurm als Zugabe noch mal. Der Sound war – besonders, wenn man gerade von oben kam – aufgrund der etwas schwachbrüstigen P.A. gewöhnungsbedürftig, entwickelte aber rasch rauen Impro-Charme. Das Publikum stand bereits bis auf die Straße, und die Stimmung war bestens, Bengalos und Rauchtöpfe sorgten für ein Plus an Atmosphäre. Fotos machen ist an dieser Bühne leider nicht erwünscht, was ich natürlich respektierte. RE-NI-TENT spielen übrigens noch mal am Freitag zusammen mit 1323 und BOMBE inner Lobusch!

Nun war hier Umbaupause angesagt, also wieder hoch vors Störtebeker. URBICYD, ein polnisches Quartett, lud zum Tanztee. Mucke: Crust, Gesang: Gegurgel, Gespeie und Gegrowle. Der Drummer kloppte ‘nen verdammt heftigen Snare-Punch und der Sänger hatte seine Schuhe vergessen (oder versoffen). Ansagen gab’s keine; es wurde durchgeballert, und zwar dann doch auch mit etwas Groove, was gar nicht so verkehrt klang. Alles in allem aber mehr Geräusch als Musik und nach rund 20 Minuten war auch schon wieder Schluss.

Stimmungsvoller und unterhaltsamer ging’s im Anschluss unten bei den TRÜMMERRATTEN ab, die ich nun schon ‘ne ganze Weile nicht mehr gesehen hatte. So ist mir offenbar auch entgangen, dass der lütte Sänger gar nicht mehr dabei ist, sondern der Gitarrist das Mikro übernommen hat. Oder war das nur ‘ne Ausnahme? Wie auch immer, die bewusst simpel gehaltenen, meist kurzen Songs für Punk und ansonsten gegen alles treffen für gewöhnlich die Richtigen, gehen sofort in Ohr und Pogobein und sind hübsch rotzig und frech, ohne dabei übermäßig aggressiv zu sein. Die Straße war mittlerweile rappelvoll und vor der Bühne wurde vergnügt auf und ab gehüpft, aber die P.A. schien nun endgültig an ihre Grenzen gelangt und war schlicht verfickt leise. Zunächst zumindest. Ich drängelte mich weiter nach vorne, wo’s besser wurde, vielleicht hatte man aber auch doch noch eine Möglichkeit gefunden, ein paar Dezibel mehr herauszukitzeln. Gut, der Schwarzfahrsong ist in Schlandticketzeiten ein wenig überholt, dafür ließ mich ein sarkastisches Liedchen übers Nichttempolimit auf den Autobahnen aufhorchen – und bei „Nicht genug“ am Schluss sang gefühlt die ganze Straße mit. Hat Spaß gemacht!

Mittlerweile gut angedengelt kraxelte ich wieder die Balduintreppe hoch und bekam noch den Schluss von SEURAT mit, finnischer HC-Punk mit sehr expressionistischer Sängerin. WÜT (Berliner Metal-Punk) hatte ich komplett verpasst, aber als letzte Band standen noch BAD JESUS EXPERIENCE, ebenfalls aus Finnland, ebenfalls mit Sängerin, auf dem Plan. Die gefielen mir musikalisch fast am besten, HC-Punk mit ordentlich Druck auf dem Kessel und dem gewissen atmosphärischen Etwas. Zu Beginn des Gigs gab’s Reibereien mit jemandem im Publikum, der ein Palituch demonstrativ vor der Bühne hochhielt. Dies hatte er anschließend zu unterlassen, tragen durfte er’s aber weiterhin und der Bassist der Band tat es ihm gleich. Das sorgte in der politisch derzeit aufgeheizten Stimmung und vor dem Hintergrund des tobenden Krieges im Nahen Osten natürlich für gemischte Reaktionen und die richtig gute Stimmung wollte nicht mehr recht aufkommen. So zumindest mein Eindruck – und ich hoffe, ich habe hier jetzt keine Bandnamen durcheinandergeworfen, denn mir die Running Order abzufotografieren habe ich leider versäumt. Bei dieser Gelegenheit: Ein echter Knaller wär’s, wenn sich die Betreiber(innen) beider Bühnen zukünftig absprechen könnten, sodass während der Umbauphase auf der einen ‘ne Band auf der anderen zockt. Aber das ist vermutlich zu viel verlangt und organisatorisch kaum zu stemmen…

Ich gab mir noch bischn die Kante, (a)sozialisierte und merkte am nächsten Tag, wie alt ich geworden bin, als ich mich dann doch so gar nicht mehr erneut zum Hafengeburtstag aufraffen konnte. Stattdessen verfolgte ich zu Hause den Ausgang des Spiels Holstein Kiel gegen Fortuna Düsseldorf und hätte mich lediglich im Falle eines Kieler Siegs noch mal in Richtung Kiez aufgemacht, denn dieser wäre gleichbedeutend mit einem Aufstieg des FC St. Pauli ins Oberhaus gewesen. Das Unentschieden aber reichte den Störchen und so sah ich mir auf Sport 1 noch den Platzsturm und die Jubelarien an. Glückwunsch nach Kiel!

Dadurch ausgenüchtert und relativ fit fand ich mich Sonntagmittag pünktlich in der Sportkneipe ein, um mit Freunden dem Sieg des FC St. Pauli gegen den VfL Osnabrück beizuwohnen, durch den auch der eigene Aufstieg perfekt gemacht wurde. Freudetrunken ging’s weiter zum Jolly Roger, wo sich nach und nach eine riesige Traube feiernder und sich gegenseitig herzender Menschen einfand, die das zeitweise ausgeschenkte Freibier genossen und dafür sorgten, dass die Straße abgesperrt werden musste. Zudem hatte das Jolly da mal, äh, „spontan was vorbereitet“: LOS FASTIDIOS, deren „Antifa Hooligans“ bei jedem Heimspiel erklingt, gaben ein Konzert auf dem Balkon über der Fankneipe! Die italienische Band zockte nicht nur ein, zwei Songs, sondern ein reguläres Set, also ein buntes Potpourri aus Oi!-Punk, Reggae und Ska, stimmte insgesamt dreimal die Hooligans-Nummer sowie diverse Sprechchöre und Fan-Gesänge an, machte zwischendurch Platz für die HARBOUR REBELS, die als besondere Gäste ihren St.-Pauli-Skinheads-Song (mit LOS FASTIDIOS‘ Unterstützung) brachten, und coverte sich ein gutes Stück weit durch die Two-Tone-Historie. Wann erlebt man so was schon mal? Etwas kurios mutete es an, dass man den natürlich sitzenden Drummer nicht sehen konnte, weshalb er sich zwischen den Songs immer mal wieder zu erkennen gab. Glückwunsch, FC St. Pauli, und danke allen, die dazu beigetragen haben, dieses Wochenende derart legendär zu machen und mir am nächsten Tag auf Arbeit diese seltene Mischung aus etwas schwerem Kopf, müden Gliedern und seligem Grinsen einzuhandeln!

17.04.2024, Kulturpalast, Hamburg: BLAZE BAYLEY + ABSOLVA

Da es schon ewig her war, dass ich den ehemaligen IRON-MAIDEN-Sänger BLAZE BAYLEY live gesehen hatte, war ich voller Vorfreude auf seinen Hamburger Abstecher im Zuge seiner Tour zum dreißigjährigen Jubiläum seines Einstiegs bei den Eisernen, der 1995 und 1998 zwei Alben mit ihnen veröffentlichte, nachdem Bruce Dickinson zeitweilig ausgestiegen war. Die Fan-Resonanz war seinerzeit eher verhalten, insbesondere live wollte Blaze‘ dunkleres Timbre nicht so recht zum Dickinson-Material passen. Ich bin seit jeher der Meinung, dass man aus beiden Alben ein einzelnes, richtig fettes hätte machen können, und tatsächlich sind im Laufe der Zeit etliche Songs zu Klassikern gereift. Blaze veröffentlicht zudem auch wieder fleißig Solomaterial, lässt sich auch von einem Herzinfarkt nicht stoppen und hat mit „Circle of Stones“ eine aktuelle Langrille am Start. Das Publikumsinteresse war derart groß, dass das Konzert vom kleinen Kellerclub Bambi galore in den wesentlich größeren Kronensaal des Kulturpalasts verlegt wurde – bei fairen 20,- EUR Eintritt. Ein bis eineinhalb Stunden vor Konzertbeginn nahm sich Blaze für ein kostenloses „Meet & Greet“ Zeit, signierte Material und ließ Fotos mit sich schießen – das ist gelebte Fan-Nähe.

Seine Band besteht aus den Mitgliedern der Heavy-Metal-Kapelle ABSOLVA aus Manchester, die auf dieser Tour zudem das Vorprogramm bestreitet, also unter Doppelbelastung steht. Ein Begriff waren ABSOLVA mir bisher nicht, was sich an diesem Abend änderte. „Hells Bells“ erklang als Intro aus der Konserve, sodass ich mich kurz bei einem Spiel des FC St. Pauli wähnte, wobei hier die P.A. leider nicht ganz mitkam und der AC/DC-Hit nach 96-kbps-MP3 klang. Live fiel mir ziemlich nerviges Bassgeklacker auf, entweder von der Bassdrum oder vom Bassisten kommend, vielleicht auch von beidem – wurde zum Glück mit der Zeit besser, irgendwann aber auch wieder schlimmer. Der Sänger/Gitarrist zog gern Grimassen auf der Bühne, die Background-Chöre kamen gut, einige coole Gitarren-Leads kristallisierten sich heraus, auch mal mit der zweiten Klampfe gedoppelte. In eine der Nummern integrierte man einen „Ohoho“-Mitsingpart fürs Publikum, das tatsächlich auf Temperatur kam. Dann sollten alle einen Schritt näherkommen und die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Ein Animationsversuch, der Früchte trug; im nun zusammengerückten Pulk kam man sich im ohnehin mehr als ordentlich gefüllten Saal wie auf einem engen, etwas drängeligen Gig vor, was zur entsprechenden Atmosphäre beitrug. In „Code Red“, laut Band seinerzeit ihre erste Single, fiedelten beide Gitarristen ein feistes Synchron-Angebersolo. Vor „Refuse“ bat man das Publikum um eine Pose und nahm ein Video auf, im Song erklang dann ein weiteres Angebersolo inklusive Tapping und so’nem Zeug. Die Publikumsanimationen nahmen immer weiter zu, was die Show aber ziemlich unterhaltsam gestaltete. Nach weiterem Synchron-Sologewichse war irgendwann Schluss.

Nach einer etwas längeren Pause, die sich ABSOLVA redlich verdient hatten, betraten sie erneut die Bühne, gefolgt vom herzlich empfangenen Blaze. Man spielte „Lord of the Flies“ als Opener an, brach aber rasch ab, damit sich Blaze über die mangelnde Publikumsaktivität beschweren konnte – schließlich gölten BLAZE-BAYLEY-Fans als die lautesten Mitsinger wo gibt und überhaupt zähle nur der Moment und der morgige Tag sei jetzt einfach mal scheißegal. Das war natürlich eine von vornherein eingeplante Unterbrechung, die aber die gewünschte Wirkung zeigte. Weiter ging’s mit „Sign of the Cross“, einer alles andere als anspruchslosen Nummer (was auch fürs später gespielte „Virus“ gilt), die live erst ihre ganze Kraft entfaltet und durch die heute von Blaze animierten, fantastischen Publikumsreaktionen noch eine Ebene höhergehievt wurde. Spätestens ab jetzt wusste ich: Das wird ein hochklassiger Gig! Bei „Judgement of Heaven“, jenem Song, dessen Refrain man so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommt, bekam ich dann erstmals Gänsehaut. „Fortunes of War“ war nach „Sign of the Cross“ ein weiteres gelungenes Beispiel für die getrageneren, düstereren MAIDEN-Songs der Bayley-Phase, bevor er mit „Circle of Stone“ und „Rage“ zwei Songs vom aktuellen Soloalbum strategisch gut im Set platzierte. Blaze hing sich in jeden Ton voll rein und zeigte vollen Einsatz. Und das nach ‘nem Herzinfarkt – Respekt!

„When Two Worlds Collide“ und „Lightning Strikes Twice” zählen zwar nicht gerade zu meinen Favoriten aus Maidens Blaze-Ära, kamen an diesem Abend aber sehr hörenswert rüber. Zwischen beiden Nummern wurde ein krass geshreddetes Gitarrensolo untergebracht. Bei „The Clansman“ über den schottischen Freiheitskampf gab es dann gar kein Halten mehr und das Publikum sang mit, so laut es konnte. Der Stimmungshöhepunkt des Abends! Generell wurden bei den Klassikern vor der Bühne jeder Refrain und jede Gitarrenmelodie mitgesungen – und drohte dies einmal nachzulassen, riss Blaze wieder die Arme in die Luft und animierte zum Weitermachen. Im weiteren Verlauf musste Blaze „Man on the Edge“ allerdings wieder abbrechen und mahnend an seine Worte vom Beginn erinnern. Anschließend stellte er die Bandmitglieder vor und nahm sich die Zeit, zu erläutern, welche Bedeutung all dies für ihn hat, ermutigte aber auch das Publikum zur Selbstermächtigung. „Futureal“, einer meiner ewigen Lieblinge, war dann bedauerlicherweise schon die vorletzte Nummer, bevor Blaze ausgerechnet mit dem Stinker „The Angel and the Gambler“ sein Set beschloss. Da hätte ich doch lieber noch beispielsweise „Don’t Look to the Eyes of a Stranger” gehört.

Sei’s drum! Das war ein begeisterndes Konzert, Heavy-Metal-Entertainment vom Feinsten mit einer technisch überaus versierten Band und einem bestens aufgelegten, anscheinend topfitten BLAZE BAYLEY! Und ich finde es großartig, dass man für die Dickinson-Songs auf reguläre IRON-MAIDEN-Konzerte gehen kann, fürs Material der Frühphase zu PAUL DI’ANNO und für die ‘90er-Ära eben zu BLAZE BAYLEY.

Auf der Rückfahrt lauschte ich einem Gespräch zwischen ein paar Endfünfzigern, von denen einer Blaze‘ Worte zur Selbstermächtigung rekapitulierte und als Konsequenz eine Tankstelle anzusteuern überlegte, um sich eine Palette Bier zu besorgen. Dass Blaze auch mehrmals darauf hinwies, dass man heute den morgigen Tag komplett ausblenden solle, fügte ich kurzerhand an, um ihn in seinem Vorhaben zu unterstützen…

11.04.2024, Markthalle, Hamburg: SARAH BOSETTI – Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!

Die Aktivitäten der Kabarettistin, Satirikerin, Autorin und Moderatorin Sarah Bosetti lernte ich kennen, als mir meine Liebste „Bosetti will reden!“-Beiträge vorspielte, kurze Clips, in denen sie sich seit dem Jahre 2020 rhetorisch ausgefeilt und unheimlich pointiert zu gesellschaftlichen und politischen Themen äußert. Ihren vierteiligen Fernsehversuch „Bosetti die Erste“ fand ich dann nicht so prall und in ihrer seit Ende 2023 auf 3Sat ausgestrahlte monatlichen Late-Night-Show erscheint sie mir politisch zuweilen ein wenig naiv, trumpft aber auch dort immer dann auf, wenn sie ihre Schlagfertigkeit und ihre kabarettistischen Stärken ausspielen kann. Als ich einer Litfaßsäule entnahm, dass sie mit ihrem aktuellen Buch „Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!“ (anscheinend bereits seit über einem Jahr) tourt und ich ohnehin noch ein Geburtstagsgeschenk für meine wesentlich bessere Hälfte brauchte, erntete ich rasch zwei Karten ab und war gespannt darauf, was uns erwarten würde.

In der Markthalle war ich bisher lediglich auf Konzerten, noch nie auf einer bestuhlten Veranstaltung wie dieser. Diese war ausverkauft bei freier Platzwahl, rechtzeitiges Erscheinen sicherte also vernünftige Plätze. Bosetti nahm an einem Tisch auf der Bühne Platz, hinter ihr wurden einzelne Zitate von Politikern oder anderen Personen des öffentlichen Interesses an die Wand geworfen. Das Programm entpuppte sich als Mischung aus klassischer Lesung und bissigem satirischen Kabarett: Dem Motto „Mit Poesie gegen Populismus“ entsprach Bosetti, indem sie mit hinsichtlich ihres strukturellen Aufbaus und ihrer Sprachgewandtheit recht anspruchsvollen und inhaltlich ebenso spöttisch-witzigen wie in ihrer Aussage klugen humanistischen Gedichten auf populistische Aussagen reagierte, die mitnichten lediglich im rechtsextremistischen Spektrum zu finden sind. Dies tat sie mit perfekten Betonungen und ohne sich auch nur einmal zu verhaspeln oder in der Zeile zu verrutschen. Zwischen den jeweiligen Deklamationen kommunizierte sie mit dem Publikum, flocht Anekdoten ein und unterfütterte ihre Poesie mit Hintergrundinformationen und blieb dabei stets im sympathischen wie humorigen Duktus.

Nach ungefähr der Hälfte gab es eine Pause, die auf ca. eine halbe Stunde ausgedehnt wurde, sodass auch angesichts der Schlangen am Getränkestand keine Hektik ausbrach. Ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber insgesamt dürfte Bosetti es auf rund zwei Stunden Spielzeit gebracht haben. Mit welcher Eloquenz, Empathie und scheinbarer Gelassenheit Bosetti dem populistischen, rechtsextremistischen oder auch schlicht idiotischen Wahnsinn entgegentritt, ist eine hohe Kunst, die sie offenbar in Form eines solchen Bühnenauftritts am besten ausleben kann – und Balsam für die Publikumsseele. Leider muss sie dafür in Kauf nehmen, angefeindet und bedroht zu werden, wovor in heutigen Zeiten allerdings kaum jemand gefeit ist, der öffentlich Haltung beweist. Auch sprachlich war das alles höchst interessant, denn Bosetti ist nicht zuletzt eine großartige Rhetorikerin. Der viele Applaus, mit dem sie bedacht wurde, war da nur angemessen und gerecht.

Im Anschluss verkaufte und signierte sie noch ihr aktuelles Buch, das bei Rowohlt erschienen ist. Meine Liebste erstand ein Exemplar, das nun die Widmung „Für Flo und Günni“ ziert. Eine schöne Erinnerung an einen überaus gelungenen Abend! So was könnte man eigentlich öfter mal machen.

09.04.2024, Bambi Galore, Hamburg: TOXIKULL + VENATOR

Darauf, die Österreicher VENATOR mal live zu sehen, hatte ich mich schon länger gefreut. Die nach dem einheimischen Wort für „Tomate“ benannte 3-Song-Mini-LP aus dem Jahre 2020 hatte es mir angetan; das 2022 erschienene Debüt-Album „Echoes from the Gutter“ enthält ebenfalls feinen Oldschool-Metal-Stoff, der mich an Mitt-‘80er-Mausoleum-Bands oder auch Geheimtipps wie die dänischen RANDY erinnert. Bisschen doof, dass die gemeinsame Tour mit den portugiesischen Heavy-/Speed-Metallern TOXIKULL statt am Wochenende ausgerechnet an ‘nem Dienstag im Hamburger Bambi haltmachte, aber hilft ja nüscht. Dafür war die Bude ganz ansehnlich gefüllt, als VENATOR mit „Blind Ambition“ den Anfang machten und anschließend erwartungsgemäß viel Albumstoff zockten, als dritten Song aber mit dem bisher unveröffentlichten speedigen „Steal The Fire“ auch einen Ausblick aufs offenbar kommende zweite Album gewährten. Hits wie „Nightrider“, „Manic Man“ und das hardrockige „Streets of Gold“ sind auch live wahre Ohrenschmeichler, die – wie der ganze Gig – entsprechend wohlwollend vom Publikum aufgenommen wurden. Leider läutete der Titelsong der Mini-LP, „Paradiser“, dann auch schon das Ende ein, für eine Zugabe war anscheinend keine Zeit mehr. Das ist auch deshalb äußerst bedauerlich, weil sie anderswo angeblich den Überhit „The Beast“ der eingangs erwähnten RANDY als Zugabe gezockt haben. Hrmpf. Zu den Mitt-‘80ern passt bei VENATOR übrigens auch das optische Erscheinungsbild der Musiker perfekt, von den Frisuren über die Schnurries bis hin zu Kleidung und Posen. Das wirkt aber weniger wie bemühter Retrokult als vielmehr wie ein Ausdruck von Authentizität, die die Band mit ihrem wunderbar atmosphärischen Heavy Metal mit zwei Gitarren, dafür ohne jeden Firlefanz erzeugt. Die Monitorprobleme, die einer der Klampfer hatte, schienen sich nicht auf die Qualität seines Spiels auszuwirken, und der P.A.-Sound war grandios. Die Sprachbarriere zwischen Österreichisch und Norddeutsch überwand der vornehmlich dem halligen Klargesang verpflichtete Sänger interessanterweise durch konsequent auf Englisch gehaltene Ansagen. Klasse Band, von der man hoffentlich noch einiges hören wird.

TOXIKULL sind schon ein paar Jährchen länger am Start, ihr Debütalbum datiert aufs Jahr 2016. 2019 folgte dessen Nachfolger „Cursed and Punished“ und im heurigen Februar wurde die neue Langrille „Under the Southern Light“ veröffentlicht – die ich noch gar nicht kenne. Basser Antim leistet sich die Extravaganz, einen fünfseitigen Bass zu spielen, ansonsten regiert aber auch hier ein Sound der alten Schule mit zwei Gitarren. Lex Thunder, einer der Gitarristen, übernimmt zugleich den Gesang und wird dabei vielfach von Antim unterstützt, der beim dritten Song sogar den Hauptgesang übernahm. Speed Metal wie „Nightraiser“ oder „Cursed and Punished“ ging einher mit Material vom neuen Album, das eher im klassischen Heavy Metal zu Hause zu sein scheint. Das davon dargebotene „Around The World“ jedenfalls klang rockiger als das ältere Material, und auch die nächste Nummer, die mit einem kurzen Mitsingspielchen eingeleitete, priestige, an „Metal Gods“ erinnernde Stampfnummer „Battle Dogs“ (witzigerweise hatte ich stets „Metal Dogs“ verstanden…) drosselte das Tempo. Unter den weiteren neuen Songs fand sich sogar ein sehr getragenes Stück, gegen Ende brachte man dafür das sehr kompetent gezockte MOTÖRHEAD-Cover „Iron Fist“ unter.

Ein ausgesprochen schöner Konzertabend für Freundinnen und Freunde des verchromten Echtmetalls.

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