Günnis Reviews

Kategorie: Konzertberichte (page 16 of 44)

15.07.2017, Wagenplatz, Norderstedt: Sommerfest mit DISCO CRUNCH + BRUTALE GRUPPE 5000 + BOLANOW BRAWL + AUS DEM RASTER + IOAK + mehr…

Wie heißen wir…?

Ursprünglich wollte ich meinen Geburtstag am 21.07. zusammen mit Hannes im Gängeviertel nachfeiern und dort mit meiner Krawallcombo DMF zocken. Das ist auch nach wie vor der Plan, doch als zwischenzeitlich eine Anfrage vom Norderstedter Wagenplatz reinkam, dort exakt an meinem Geburtstag auf dem Sommerfest mit BOLANOW BRAWL zu spielen, nahmen wir diese Gelegenheit dankend wahr. Den Geburtstag gleich doppelt feiern – da mach‘ ich mit! Zudem bot sich so die Gelegenheit, dem Wagenplatz endlich einmal einen Besuch abzustatten. Nach Baustellen-, Schlagermove- und Triatholon-bedingtem Bahnchaos war ich Samstagnachmittag jedoch schon völlig neben der Spur und musste den Weg nach Norderstedt ohne meine Bandkollegen antreten, was letztlich jedoch eine dann entspannte U-Bahnfahrt durch Hamburg nach S-H bedeutete. Der vermeintliche Umweg, den ich genommen zu haben befürchtete, entpuppte sich dann auch als gar keiner (auch wenn ich noch immer verwirrt auf dem Platz Gegenteiliges verlautbarte) und so traf ich als erster am Ort des Geschehens ein, einem lauschigen kleinen Wagenplatz mitten in den grünen Wicken Norderstedts. Manch Bewohner machte einen etwas verkaterten Eindruck, denn das Fest hatte bereits am Tag zuvor begonnen, wenn auch ohne Livemucke. Bei verdammt angenehmem Wetter wurden nach Eintreffen meiner Band und weiterer Freunde die ersten Kaltgetränke gekostet und das leckere Futter vertilgt: Tofu-Zwiebel-Pfanne mit Pellkartoffeln, Sauerkraut und Tzatziki. Genau mein Geschmack, arschlecker, wenn natürlich auch unverantwortlich, Sauerkraut an eine Band wie die meine zu verabreichen, in der alle außer mir auch ohne Kraut bereits an permanenter Flatulenz „leiden“ (i.d.R. bin ich der einzige, der unter deren Darmwinden zu leiden hat…).

Vorm Auftritt wurde jedenfalls noch der eine oder anderen Dixi-Gang notwendig, vorher eröffneten jedoch IOAK („Im oder am Körper“) kurz vor halb 8 den bunten Bandreigen. Deutschsprachiger Schrammel-HC-Punk vom Platz in Triogröße mit Aggrogesang, angepisst, authentisch und kurzweilig – gefällt! Mit AUS DEM RASTER folgte die nächste Platzband, wie IOAK wohl erst seit Kurzem am Start. Zu sechst fand man Platz auf der Bretterbühne, mit zwei Klampfen (an einer der ehemalige KAOS-KABELJAU-Drummer) und männlich-weiblichem Wechselgesang blies man ebenfalls mittels deutschsprachigem HC-Punk zum Angriff und ging dabei durchaus abwechslungsreicher und musikalisch versierter als zuvor IOAK zu Werke. Schade, dass der Gesang ziemlich übersteuert war, weil die P.A. an ihre Grenzen gelangte, ansonsten war’s nämlich ein geiler Gig, der neugierig darauf macht, was in Zukunft noch von der Band zu hören sein wird. Ich war jedenfalls positiv überrascht. Die Bitte der Band, keine Fotos zu machen, habe ich natürlich respektiert.

Mittlerweile waren wir gut angetrunken – und an der Reihe. Mit reichlich Getränken ausgestattet – man hatte unlängst den Cocktail-Stand für sich entdeckt – ging’s mit dem ersten Streich meiner Mitmusiker los: Statt wie zuvor abgesprochen und notdürftig auf der Setlist markiert mit „Brigitte Bordeaux“ statt „Total Escalation“ anzufangen, ließ man mich Brigitte ansagen, um daraufhin „Total E.“ zu zocken. Super, Jungs. Und damit (natürlich) nicht genug: Anlässlich meines Geburtstags hatte man sich weitere Fisimatenten ausgedacht und nutzte die Pausen zwischen den Songs, um mich in ungewohnter Frequenz  in Misskredit zu bringen zu versuchen, unverhältnismäßig oft auf meinen Geburtstag hinzuweisen, sich Fantasiealter für mich auszudenken, … Christian verzichtete erkältungsbedingt auf ein Mikro, dafür übernahmen andere das Reden für ihn… Für das verwunderte Publikum dürfte sich so ein selbst für unsere Verhältnisse ungewohnter Schlagabtausch ergeben haben, denn natürlich konterte ich, sodass verbal bereits vorweggenommen wurde, was sich später im Rahmen der Wrestling-Show physikalisch entladen sollte (mit anderen Anta- und Protagonisten, versteht sich). Zurück zum Gig: Die Jungs vom Platz versuchten, das Maximum aus ihrer Anlage für uns herauszukitzeln und zumindest oben klang’s auch gar nicht so schlecht, wenn ich auch später den Zeitpunkt verpasste, um Erhöhung meiner Monitor-Lautstärke zu bitten und stattdessen wieder gegenanzubrüllen begann, bis von meiner nachtigallengleichen Stimme nicht mehr viel übrig war. Auch machten sich bei der einen oder anderen Textzeile gewisse Konzentrationsschwierigkeiten bemerkbar, was außer Stulle jedoch niemand bemerkte. Der Flow wurde etwas durch zwei ausufernde Stimmpausen Christians gestört, was noch mehr Zeit für Dummgequatsche brachte. Eine Buddel Bolanow-Verschnitt ging ins Publikum, die anderen landete in unseren Kehlen. Ab und zu gesellten sich ein paar Leute zum Tanzen nach vorne, der Großteil lauschte jedoch andächtig und/oder guckte leicht irritiert. Alles in allem sicherlich nicht unser bester Gig, aber ein verdammter spaßiger – und zum ersten Mal wurde mir ein Plüschtier auf die Bühne geworfen (von einem Kerl).

Verrichteter Dinge ließen wir den Alkohol nun so richtig kreisen und einen wunderschönen Anlass dazu bot die Wrestling-Einlage, die auf Gummimatten neben der Bühne stattfand: Cindy irgendwas (den Namen habe ich leider vergessen) vs. irgendeinen Bösewicht (Name ebenfalls weggespült). Die Dame im Leopardendress war der Publikumsliebling und fauchte auf Englisch bitterböse Worte über ihren Gegner, einen fiesen Frauen- und Katzenschläger. Zwischenzeitlich sah es nicht gut für die toughe Cindy aus, doch letztendlich siegte die Gerechtigkeit und nach einer aufregenden Jagd über den Wagenplatz riss sie ihm die Rübe vom Leib, dass es nur so splatterte und präsentierte seinen abgenagten Schädel. Welch großartiger Sport!

Zur dargebotenen Brutalität passte nun bestens der Gig der Chef-Paranoiker und Laser-Punks BRUTALE GRUPPE 5000, die einmal mehr mit Aluhütchen und Pornobalken auftraten, ihre Mini-Orgel zum Glühen brachten und den Zeitgeist zwischen Glyphosat, Chemtrails und Fickpisse angemessen kommentierten – in Form eines zappelnden und sich die Seele aus dem verseuchten Leib schreienden Sängers. Fand ich sogar noch geiler als auf dem Wohlwillstraßenfest kürzlich und war der mehr als willkommene Soundtrack zum nachhaltigen Abschuss – nicht zuletzt, weil mind. einer der Organisatoren uns immer wieder nahezu nötigte, gefälligst dem Platz den Getränkevorrat wegzusaufen.

Der Elektro-Auftritt von DISCO CRUNCH verschwindet deshalb neben dem Qualm des Lagerfeuers auch hinter weiteren Nebelschwaden, ich erinnere mich jedoch an überraschend gute Texte zu nicht minder überraschend hörbarem Proleten-Techno-Beat. Und der Überraschungen nicht genug, enterte auch noch ein spontan hinzugestoßenes Hip-Hop-Kommando die Bühne, zunächst als Duo agierend, schließlich zu Trio-Größe gewachsen. Soweit mich meine spärliche Erinnerung nicht trügt, dominierten auch hier wirklich geile, unpeinliche Texte zu hör- und tanzbarem Hop, vorgetragen von sympathischen Zeitgenossen, die es glücklicherweise nicht nötig haben, sich in Genre-Klischees zu suhlen. Respekt!

Ist also eine bunte Melange verschiedener Musikstile geworden, in der wir die Streetpunk-Quote zu erfüllen versuchten. Zu vorgerückter Stunde ist es sogar noch zu einem Spontanauftritt der Trinker/Songwriter-Legende ANTOINE DE LA KACQUE gekommen, der auf geliehener Akustikklampfe und aus alkoholgeschwängerter Kehle seine intellektuellen, sozialkritischen Weisen dem kulturell aufgeschlossenen Publikum entgegenschmetterte. Der Abbau fand jedoch schließlich nicht nur auf der Bühne statt, sondern war auch bei uns deutlich vernehmbar. Ich stolperte böse über eine Holzpalette und stürzte, rettete mich jedoch schließlich auf einen Logenplatz, wo ich wegknackte und erst gegen 8:00 Uhr morgens die Äuglein wieder öffnete – kurz, nachdem die anderen Brawler in den verschiedensten Ecken erwacht waren und fluchtartig die Heimreise angetreten hatten. Fazit: Geiler Platz, sympathische Leute und eine denkwürdige Geburtstagsfeier. Danke! Mal gucken, ob ich das diesen Freitag noch gesteigert bekomme…

P.S.: Danke auch an Flo für die Fotos unseres Gigs!

08.07.2017, No-G20-Kiez, Hamburg: SLIME + SPIKE + NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN + RESTMENSCH

Der Hamburger Anti-G20-Protest war ein sehr musikalischer: Nachdem ich am Mittwoch beim „G20 wegbassen“-Rave („Lieber tanz’ ich als G20!“) aufgrund der furchtbaren Musik verzichtete, war ich Donnerstag am Start, als DIE GOLDENEN ZITRONEN, NEONSCHWARZ sowie JOHNNY MAUSER & CAPTAIN GIPS auf dem Fischmarkt Gratis-Freiluft-Konzerte gaben. Da ich zuvor noch arbeiten war, schaffte ich es – wenngleich ich früher Feierabend bekommen hatte – nicht pünktlich, was aber auch gar nicht mein Anliegen war. Für keine der Bands interessiere ich mich heutzutage sonderlich und als wir eintrafen, war das Areal bereits menschenüberflutet. Insbesondere vor der Bühne wurde es richtig eng. Mir ging’s in erster Linie darum, Zeuge des Spektakels zu werden, Leute zu treffen und mich auf die anschließende Demonstration vorzubereiten. Schnell trafen wir Freunde und Bekannte, saßen jedoch auf dem Trockenen – und der nächstgelegene Kiosk war verrammelt. Auf der Suche nach einem geöffneten Vertreter seiner Zunft bog ich nach einer vagen Wegbeschreibung offenbar falsch ab und beschloss, mich Richtung Reeperbahn zu begeben. Der auf dem Weg liegende Kiosk jedoch hatte nur noch warmes Bier und eine für meinen verwöhnten Gaumen enttäuschende Markenauswahl, weshalb ich schnurstracks den Kiez herunterstiefelte und auch den nächsten Getränke-Höker aufgrund übertriebener Preisvorstellungen ablehnen musste. Nun befand ich mich ohnehin schon wieder so weit vom eigentlichen Geschehen entfernt, dass ich mir „Scheiß drauf,“ dachte, „stiefele ich eben zu meinem Stamm-Kiosk“. Kurz davor begegnete ich jedoch einem bekannten Kneipenwirt, der kurzerhand ’nen kalten Kasten Astra für den guten Zweck spendierte – ohne jetzt Namen nennen zu wollen, you know who you are. Cheers und besten Dank! Die ersten beiden Pilsetten wurde ich direkt an einen Punk los, den Rest verteidigte ich im Schweiße meines Angesichts an diesem einmal mehr ziemlich heißen Tag auf meinem Weg zurück zum Fischmarkt, vorbei an etlichen durstigen und gierigen Kehlen, stieß jedes monetäre Angebot aus und schaffte es tatsächlich, unbeschadet bis zu meiner Peer-Group vorzudringen. Diese feierte mich für diesen Move und stieß kräftig mit mir an, nun konnte der Abend beginnen. Wir hatten es uns irgendwo seitlich von der Bühne eingerichtet und nahmen die Mucke in erster Linie als angenehme Hintergrundbeschallung war. Die Stimmung der Massen war trotz Getränkemangels bestens, fast alle waren fröhlich und motiviert.

Nach Ende des musikalischen Teils wurde es dann spannend: Man formierte sich zur „Welcome To Hell“-Demo, von der ich mir eine entschlossene, im positiven Sinne radikale ihrer Art abseits von naivem Peace-Hippie-Geplänkel o.ä. versprach. Im Vorfeld hatte jedoch die Kunde die Runde gemacht, ungewöhnlicherweise sei die Demo mit keiner einzigen Auflage belegt worden, weshalb möglicherweise davon auszugehen sei, dass die Polizei sie gar nicht erst starten lassen würde. Und tatsächlich: Weiter hinten, abseits des sog. Schwarzen Blocks, standen wir uns die Beine in den Bauch, die weiter weg stehenden Riot-Cops faselten irgendein unverständliches Zeug, das gar nicht bis in jenen Demo-Bereich vordrang und erst verständlich wurde, wenn man zum Pinkeln in die Elbe ausscherte: Man solle seine Vermummung ablegen. Kunststück, im von mir überblickbaren Bereich war niemand vermummt. Mit solch einem Blödsinn würde ich gern auch einmal meinen Lebensunterhalt bestreiten können… Während der nächsten Pinkelpause bot sich jedoch beim Blick auf den vorderen Bereich des Demozugs urplötzlich ein unfassbares Bild: Menschenmengen stürzten sich panisch die Mauer hinunter, die die Straße vom direkten Promenadenbereich abtrennt und nur kurze Zeit später wüteten die Bullen wie die Berserker auch weiter hinten, prügelten sich wahllos durch die Massen, sprengten die Versammlung und räumten den Fischmarkt. Dudde, dieser Pillemann, hatte die vollkommen friedliche Demo tatsächlich vorsätzlich eskaliert! Sämtliche Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Wie sich herausstellte, hatten die Bullen vorn am Schwarzen Block versucht, das Vermummungsverbot durchzusetzen. Dass sich tatsächlich bis auf einen geringen Teil alle Teilnehmer daraufhin entmummt hatten, interessierte sie jedoch nicht. Der ganze Zinnober diente lediglich der nachträglichen Legitimierung ihres kalkulierten Amoklaufs. Nachdem die Demonstranten gerade wenige Schritte gegangen waren, sorgten die Bullen für den reinsten Staatsterrorismus und prügelten die Menschen ohne Vorwarnung oder Ultimatum ins Krankenhaus, nahmen Schwerverletzte unter friedlichen Demoteilnehmern nicht nur billigend in Kauf, sondern produzierten sie und hätten wohl auch Tote schulterzuckend hingenommen. Eine derartige Eskalation hatte ich persönlich noch nie erlebt. Die zuvor so gute Stimmung war natürlich zerstört, wenngleich sich später dennoch ein von Schaulustigen begleiteter und immer und immer wieder wegen Nichtigkeiten gestoppter Demonstrationszug quälend langsam in Bewegung setzte und die Bullen immer wieder weiterprovozierten und ihre Wasserwerfer einsetzten. Die Quittung für diesen „Einsatz“ bekamen diese Feiglinge am nächsten Abend im Schanzenviertel, der Rest ist bekannt und wurde bzw. wird entsprechend medial und politisch ausgeschlachtet.

Aber ich fürchte, ich bin reichlich abgeschweift, denn eigentlich sollte es hier ja um Musik gehen (ist schließlich ein Konzertblog). Freitag spielten im Anschluss an die „Gay20“-LGB+-Veranstaltung – einer bunten Kundgebung auf dem Spielbudenplatz mit recht guten, auf die internationale Situation Homo-, Trans- usw.-Sexueller hinweisenden, pointierten, engagierten Redebeiträgen (u.a. Volker Becks, dem Grünen-Politiker (und Bremer Bierbrauer, höhö…)) – ALEX MOFA GANG auf der Platzbühne ihren Mix aus Punk’n’Roll und Schweinerock (oder so ähnlich), was ein paar Songs lang ok war. Uns stand indes eigentlich der Sinn nach der „G20 entern“-Demo, die, wie sich nach einigen Irrungen herausstellte, jedoch abgeblasen worden war. Der FC St. Pauli wiederum hatte unter dem Motto „Football vs. G20“ die Tore zu den Kunstrasenflächen des Stadions geöffnet und bot dort am Freitag und Samstag die Möglichkeit, sich in einer bullenfreien Zone mit Speis und Trank zu stärken, sein Mobilfon aufzuladen, für umme DJs und Bands zu lauschen, schlicht zu entspannen und – natürlich – Fußi zu buffen. Freitag spielten bereits coole Hamburger Bands wie FAST SHIT und KANISTERKOPF, Samstag stand mit sechs Bands sogar noch eine weitere auf dem Flyer. Nachdem ich Freitag verzichtet hatte, hatte ich Samstag Bock und machte mich mit unserem Tross im Anschluss an die anscheinend mit rund 76.000 Teilnehmern angetretene größte G20-kritische Demo, die vom Deichtorplatz auf den Kiez geführt hatte, auf den Weg zum Millerntor. Dort stellten wir beim Flaschenleertrinken vorm Einlass fest, dass es sich nicht mehr wirklich lohnen würde, denn wir wollten lediglich die Zeit überbrücken, bis SLIME im Rahmen der Abschlusskundgebung auf dem Millerntorplatz spielen würden. Also kämpften wir uns durch die Menschenmassen zurück, besorgten Getränkenachschub und wurden Augen- und Ohrenzeugen, wie SLIME vor tausenden Teilnehmern klare Kante zeigten, indem sie geflissentlich auf den schlechten Ruf, den die Medien nach der vorausgegangenen Nacht zu erzeugen versuchten, schissen und neben neuerem Zeug Klassiker-Kracher wie „Legal, illegal, scheißegal“, „A.C.A.B.“ und „Deutschland“ lautstark intonierten. Man mag von den heutigen SLIME halten, was man will, aber das hatte Gesicht!

Da es sich um keinen Vollzeit-Gig handelte, ging’s recht zeitig zurück zum Stadion, wo in tatsächlich ausgesprochen wohliger Atmosphäre bei nach wie vor bestem Wetter SPIKE zockten – diesmal wieder volle Pulle und begnadet wie eh und je. Wer sie zuvor noch nicht gesehen hatte, wurde hier überzeugt. Der Sound der Lkw-Bühne war gut (lediglich der Bass etwas leise), das gezapfte Bier bezahlbar und die Runde illuster. Über SPIKEs Qualitäten als melodisch-rockige Punk-Band mit weiblichem Ausnahmegesang brauche ich hier keine weiteren Worte verlieren, das habe ich in den letzten Tagen ja bereits 2x getan.

Nun stand die NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN auf dem Plan, jene allseits beliebten hanseatischen Schlaupunks, die ich bisher lediglich einmal im Menschenzoo live gesehen hatte. Das ist so’ne Band, mit der ich im Laufe der Zeit immer wärmer wurde und deren Zoo-Gig ich als ziemlich gut in Erinnerung hatte. Gitarrist Stemmen hat ’ne recht einnehmende positive Ausstrahlung, die durchaus ansteckend wirkt, wenn er in ausführlichen Ansagen die aktuelle politische und/oder gesellschaftliche Situation kommentiert, die Song-Inhalte erläutert, das Publikum zu diesem oder jenem animiert oder sich freundlich bei allen bedankt, die den Gig ermöglicht haben. Das ist schon cool, denn man merkt ihm das Herzblut und idealistische Engagement an, mit dem er bei der Sache ist. Ging dann auch gleich gut mit einem eingedeutschten Cover von AGNOSTIC FRONTs „Police State“ los, in dem die Namen der gerade an diesem Wochenende aktuellen Verantwortlichen für den Bullenterror eingesetzt wurden. Sein Drummer und er teilten sich den Gesang grob zu gleichen Teilen auf. Die Songs lassen sich generell dem Hardcore-Punk zuordnen, sind jedoch relativ offen für Melodien, melancholische Momente etc. Die Mischung aus kämpferischer Polit-Punk-Attitüde, Raum für Persönliches und viel Emotion ist es, die das Trio ausmacht. Auf knallharte Systemkritik folgt dann z.B. ein herzergreifendes Stück über pflegebedürftige Verwandte und ihre Pfleger, und zwar auf ganz selbstverständliche, völlig unpeinliche Weise. Das ist definitiv die höhere Kunst. Anderes halte ich hingegen für diskussionswürdig: Gibt es wirklich keine Alternative zu linker Politik, wie Stemmen verlautbaren ließ? Weshalb diese unhinterfragte Übernahme parlamentarischer Begriffe, wenn der Fehler doch bereits im System liegt? Aber ich will auch keine Wortklauberei betreiben. Dummen Nazis, die Israel das Existenzrecht absprechen wollen, ein „Deutschland hat kein Existenzrecht!“ entgegenzuklatschen, ist verständlicher provokanter Trotz gegenüber Leuten, mit denen es nichts mehr zu diskutieren gibt. Wenn das jedoch ernst gemeint sein sollte und zu Ende gedacht würde, türmten sich Fragen über Fragen auf. Und wenn man das Konzert so beendet, wie man es begonnen hat, nämlich mit dem sacklässigen AF-Cover, weshalb greift man dann die elende, leidige Diskussion um oberkörperfrei spielende Bands auf? Ist AF-Shouter Roger Miret nicht genau so’n Kandidat? Und ist das überhaupt wirklich ein Problem? Meines Erachtens lässt sich unschön übertriebenes, zu Recht kritisierbares Macho-Proll-Verhalten nicht am Ausziehen eines Shirts festmachen. Muss man wirklich über jedes Stöckchen springen, das einem von „Ich hätte da gern mal ein Problem“-Bedenkenträgern hingehalten wird? Und was hätten good old Sid und GG wohl dazu gesagt? Nichtsdestotrotz hat mir auch dieser Gig eine Menge gegeben, gerade weil er mehr Punk als P.C.-Agitationspropaganda war und Herz und Hirn ebenso ansprach wie meinen natürlich über jeden Zweifel erhabenen Musikgeschmack. Und sind halt schon sympathisch, die Anti-Ager, auch außerhalb der Bühne.

Dass ZSK , die eigentlich als letzte spielen sollten, ausgefallen waren, fand’ ich nun so überhaupt nicht schlimm, da ich RESTMENSCH für die wesentlich interessantere Band halte – diese hatten um 16:00 Uhr den Reigen eröffnet, als ich noch anderweitig unterwegs war, und spielten anstelle der Skate-Punks einfach noch mal, sodass ich doch noch in den Genuss kam. Auch RESTMENSCH zählen zur Top-5 der Bands, über die ich bisher am meisten geschrieben habe, also belasse ich’s mal dabei, dass sie mit ihrem ’80s-style-D-HC-Punk wieder die richtigen Synapsen stimulierten, bei mir offene Türen einrannten und den perfekten Soundtrack dazu lieferten, sich in der Sonne weiter zu betrinken. Auf dem Gelände waren Plüschwürfel aufgetaucht, mit denen nun fröhlich vor der Bühne gekickt wurde, manch einer bekam sogar respektable Kopf“bälle“ hin. Ich war beileibe nicht der einzige, der mittlerweile kräftig Schlagseite hatte. Genug hatten wir jedoch noch immer nicht, als RESTMENSCH ihren letzten regulären Song gespielt hatten. Als dann als Zugabe ein beliebter HH-Punk-Klassiker vom legendären „Soundtracks zum Untergang“-Sampler interpretiert wurde, verteilte ich das Bier durch ’ne Pogo-Tanzeinlage bis in die letzten Zellen meines Körpers und grölte lauthals mit, nicht viel anders erging es mir beim krönenden Abschluss, „BRD & Co. KG“ von der ersten RAZZIA-Platte.

Das war’s dann auch an Live-Mucke im Rahmen der Anti-G20-Woche. Im Anschluss gingen wir noch ein wenig die allgemeine Lage inspizieren und landeten schließlich über die Zwischenstation Onkel Otto am Fischmarkt, der gar nicht stattfand, um einem EIGHT-BALLS-Klassiker gerecht zu werden: „Wir saufen jedes Wochenende durch, bis sonntagmorgens auf’m Fischmarkt!“ Damit war auch dieser Platz wieder befriedet. Auch von meiner Seite größtmöglichen Dank an ausnahmslos alle und jeden, die in diesen wilden und unübersichtlichen Tagen für kulturelles Programm, kreativen, friedlichen und/oder radikalen Protest, Hilfe in jederlei Hinsicht und vor allem das schöne Gefühl, mit seiner Wut und Verzweiflung, aber auch seinem Willen zu Ungehorsam und Courage alles andere als allein gewesen zu sein. Alles in allem dürfte diese Zeit viele politisiert und radikalisiert haben, wenn auch auf „beiden Seiten“ (vereinfacht ausgedrückt, natürlich gibt es zahlreiche Facetten und Schattierungen und das Letzte, das man jetzt gebrauchen kann, ist undifferenzierte Schwarzweißmalerei). Auch heute noch ist die mediale Berichterstattung ebenso voll von diesen Themen wie mein Facebook-Zeitstrahl und unabhängig davon, wie es weitergeht:

Scholz, Grote und Dudde, VERPISST EUCH!
ROTE FLORA BLEIBT!

04.07.2017, Hedonistisches Massencornern, Hamburg: DIE HANDLUNG + SPIKE

Die Bewohner Hamburgs hatten für diesen Dienstag zum hedonistischen Massencornern aufgerufen, um der durch die perverse Machtdemonstration namens G20 übertriebenen Bullenpräsenz etwas entgegenzusetzen und zu zeigen, wem eigentlich die Stadt gehört.  Auch nicht aktiv in die Anti-G20-Bewegung Involvierte, jedoch dennoch Interessiere bzw. Couragierte hatte der ganze faule Gipfelzauber bereits mehrere Tage auf die Straße getrieben, so z.B. am 29.06., als ein Brutalo-SEK morgens in zwei Privatwohnungen randaliert und mit Maschinenpistolen herumgefuchtelt hatte, was eine abendliche Spontandemo auf der Reeperbahn nach sich zog – nicht zu vergessen der in kritische Redebeiträge eingebettete Irie-Révoltés-Gig einen Tag später in der Roten Flora, der so unfassbar viele Leute anzog, dass sich die Einlassschlange bis in die Querstraße bog und natürlich ratzfatz die Bude voll und für uns kein Hineinkommen mehr war. Da hatten wir trotzdem noch eine ganze Weile draußen im Regen ausgeharrt, wo das Konzert auf einer Leinwand übertragen wurde, bis es uns dann doch ins O-Feuer zog, um dem U21-EM-Finale beizuwohnen. Im Anschluss war die Straße noch immer voll, die Stimmung war feierlich, ein Feuerwerk trug sein Übriges dazu bei.

Die Corner-Sause jedenfalls zog sich über die üblichen Viertel in Altona/Ottensen, St. Pauli sowie der Schanze und roch nach netter Freiluft-Party bei gutem Wetter und Bier vom Kiosk. Also nach Feierabend erst mal am Ottenser Pansenplatz vorbeigeschaut, den die Bullen zurückhaltend „bewachten“. Das neue Symbol des Widerstands, ein Zelt, wurde in der Mitte des Platzes aufgestellt und da sich niemand zum Pennen hineinlegte, provozierte es auch keinen Knüppeleinsatz der Dudde-Dödel. Von einer Bühne lärmte Technoschrott; der Platz füllte sich mit der Zeit beachtlich, jedoch waren eher wenige bekannte Gesichter auszumachen.

Mit einem Besucher floh ich nach den ersten Kannen Bier in erster Linie vor der Plastikmucke in Richtung Kiez, wo ich mich an der Ecke Wohlwill-/Thedestraße mit weiteren Menschen bei schon besserer Musik und fröhlicher Stimmung traf, die jedoch kippte, als von der Räumung des nahegelegenen Camps im Gählers-Park berichtet wurde. Dort angekommen hatten die Bullen ihr destruktives Werk anscheinend gerade beendet und ließen sich unter kaum misszuverstehenden Ausrufen der hedonistischen Camp-Sympathisanten aus dem Park hinauskomplimentieren, was natürlich schön anzusehen war, jedoch schnell den Verdacht nahelegte, dass man dadurch zwecks Einkesselung in den Park gelockt werden sollte. Dem war glücklicherweise nicht so, die Staatsmacht hatte anscheinend schlicht ihren Einsatz beendet und erst mal nichts mehr zu tun.

Außer natürlich, ohne Sinn und Verstand irgendwelche Straßen zu blockieren, indem sie sich vermummt, martialisch und bewaffnet postierte.  Eine der noch freien Straßen jedoch führte dann über kurz oder lang an die Schanze-Kiez-Grenze, den Arrivati-Park am Neuen Pferdepark – und, siehe da: da spielten SPIKE vor beachtlicher Kulisse. Wir platzten mitten ins Set, sahen eine gewohnt stimmgewaltige und diesmal in feinem Zwirn barfuß auftretende Sängerin mit ihrer Pokerface-Band und hörten ihren Punkrock mit viel Melodie, mal ruhiger, mal wilder, stets dominiert von der weiblichen Ausnahmestimme. Der Sound hatte diesmal nicht ganz so viel Wumms, man konnte sich noch gut dabei unterhalten – offenbar ging es weniger darum, klassische Konzertatmosphäre zu schaffen und alles zu dominieren als mehr um eine etwas offensivere Form der Volksfestbeschallung. Der letzte Song wurde unterbrochen, weil jemand eine Durchsage zur aktuellen Entwicklung des Bullenterrors machte und uns darüber informierte, dass sich in unserem Rücken bereits wieder eine ganze Schergenschar aufgebaut hatte. Anschließend unterschätzte Beastar kurz die Länge seines Gitarrenkabels, als er sich Richtung Publikum bewegte, but the band played on und das Ding war schnell wieder eingestöpselt. Coole Nummer, der Gig, vor allem endlich mal GUTE MUSIK an diesem Dienstag! Geht doch.

Bier gab’s im gut frequentierten Grünen Jäger, wo man auch auf Toilette gehen konnte, oder eben weiterhin an den Kiosken, vor denen die Hedonisten mittlerweile in langen Schlangen anstanden, als befände man sich 1985 in der DDR und es gäbe Bananen. Manch Kioskbetreiber machte vermutlich den Umsatz seines Lebens. Ob die dadurch evtl. pro-G20 wurden…? 😉

Nach einer kurzen Umbaupause betraten ein paar Herrschaften mittleren Alters die Bühne, der Frontmann inkl. Magier-Umhang: DIE HANDLUNG sah bizarr aus und spielte bluesigen Heavy-Rock mit eigentümlichen Texten z.B. über Kastratensänger TINY TIM, der auf der Bühne gestorben sei, jedoch lediglich möglicherweise. Meinem Besuch beschrieb ich die Band scherzhaft als „German BLACK SABBATH“ und tatsächlich erinnerte der erste Song ein wenig an „Sabbath Bloody Sabbath“. In der Folge wechselten sich wohl launige Ansagen, in denen man z.B. den permanent überm Viertel kreisenden Hubschrauber als eigens für den Gig anberaumtes, sauteures Hintergrundgeratter ausgab, mit weiteren eigenwilligen Songs ab, während die Laune allgemein ziemlich gut war, ich aber viel mit Getränkenachschub, Klogängen und Gequatsche beschäftigt war. Mich gar nicht mehr der Band widmen konnte ich dann, als die Bullen sich um ihre Show betrogen fühlten und sich plötzlich auf der großen Kreuzung am Park mit einem Riesenaufgebot positionierten und damit nicht nur den Straßenverkehr zum Erliegen brachten, sondern auch sämtliche Aufmerksamkeit auf sich und Schaulustige anzogen. Und als sich nach Polizeimeinung schließlich zu viele Menschen auf der Kreuzung aufhielten, fotografierten, quatschten, weitertranken etc., war man der Meinung, die Straße sei nun besetzt worden, weshalb man endlich mal die protzigen neuen Wasserwerfer zum Einsatz bringen konnte. Dass der Verkehr vor der eigenen Abriegelung normal floss, interessierte da natürlich nicht mehr – so sieht Hamburger Einsatzplanung unter Klobürsten-Dudde aus, diesem vielleicht dämlichsten aller selbstverliebten Vollpfosten, die seine Position im Nachkriegs-Hamburg besetzten, aus. Innerhalb seiner Truppe hat er sich permanent hochgeputscht, ist für seine schräge Rechtsauffassung bekannt, wird ständig von Gerichten zurückgepfiffen und hatte nun – nach wochenlangem unverhältnismäßigem Generve der Hamburger Bürger und vor allem dem widerrechtlichen Einschreiten gegen G20-Kritiker-Camps – die Stimmung abermals sinnbefreit hochgekocht.

Nachdem wir das Schaulaufen und Gespritze zusammen mit den mittlerweile immer größer gewordenen Menschenmassen – schließlich wollte jeder mal gucken, was da los ist – bei ein, zwei Absackern lange genug beobachtet hatten, machten wir uns auf den Heimweg. Die Provokationen schienen zur Kenntnis genommen worden zu sein, doch um deshalb durchzudrehen o.ä. bestand seitens der Trinker kein Anlass. Ganz so leicht lässt man sich den Spaß in Hamburg eben nicht verderben.

24.06.2017, Wohlwillstraßenfest, Hamburg: SPIKE + BRUTALE GRUPPE 5000 + SPITTING NAILS + S.O.S.

Wie bereits mehrfach erwähnt, ist das Wohlwillstraßenfest auf St. Pauli eines der angenehmsten, was in erster Linie an seiner nichtkommerziellen Ausrichtung liegt. Zudem ist es eine erstklassige Fluchtmöglichkeit vor den zeitgleich den Kiez vereinnahmenden „Harley Days“, die für Zahnarzt- und Anwalts-Massenwanderung gen Reeperbahn sorgen – Midlife Crisis olé! Für das ganze Drumherum mit Flohmarkt, diversen Fressbuden etc. hatte ich diesmal keine Zeit, leider auch für die erste Band des Hamburger-Band-Reigens BIJOU IGITT, die wie eine Verwandte unserer mit BOLANOW BRAWL besungenen „Brigitte Bordeaux“  klingt, nicht. S.O.S. jedoch zockten offenbar noch nicht allzu lange, als ich am Paulinenplatz vor der Anhängerbühne eintraf und mich am melodischen Punkstoff von Sängerin Cecilie & Co. ergötzen konnte. Die hatten sich in letzter Zeit etwas rar gemacht, waren nun jedoch in alter Stärke wieder mit ihren ohrenschmeichelnden Melodien und Cecilies kräftiger Ausnahmestimme am Start, natürlich inkl. ABBA-Cover „S.O.S.“. Das ist nach wie vor kein Wischiwaschi-Trallala-Zeug, sondern flott gespielter, gern mal hymnischer Punk mit HC-Einflüssen, echten Hits und Wiedererkennungseffekt. Cecilie wurd’s zu eng auf der Bühne und so wandelte sie durch’s Publikum, das sich gerade warmtrank. Gesungen wird auf Englisch, mit der einen Ausnahme, wenn die Dame mit ihrer großen Country-Gitarre eine spanischsprachige Nummer schmettert. Dank der zwei Gitarren ist der Sound auch immer schön dicht. Perfekter Auftakt für einen sonnigen Samstag!

Weitaus weniger anfangen konnte ich dann mit SPITTING NAILS, die in Trio-Größe einen zwar durchaus brachialen, jedoch in Richtung Sludge oder so tendierenden modernen Hardcore kredenzten, bei dem keine rechte Freude aufkommen will. Der getragene Brüllgesang nimmt den Songs jegliche Energie und macht aus dem tiefergestimmten Gerödel ein ermüdendes, monotones Etwas. Das geht mir aber auch bei allen anderen Bands dieses Bereichs so, weshalb ich diese Musikrichtung generell überflüssig finde – sorry. Während sich der Drummer seinen Schnurri schwindelig trommelte und der Gitarrist sich die Seele aus dem Leib brüllte, kam einfach nichts rüber, das mich irgendwie angesprochen hätte und selbst der Bassist zog es irgendwann vor, lieber auf seinem Hocker Platz zu nehmen.

Die paranoiden Laser-Punks, Pollenallergiker und Möchtegern-Münchener BRUTALE GRUPPE 5000 treiben schon länger ihr Unwesen, liefen bisher aber immer unter meinem Radar – vermutlich dank ihrer Aluhüte und Anti-Gesichtserkennungs-Pornobalken. Die sich aus Leuten von CONTRA REAL, LOSER YOUTH und PRAXIS DR. SHIPKE rekrutierende Band konnte mir nun aber nicht mehr entwischen und meine Befürchtungen, dass sie sich irgendeinem nervigen, klinischen Elektroschrott verschrieben haben könnten, wurden nicht bestätigt, im Gegenteil: Das ist schon gitarrendominierter Hardcore, nur eben zusätzlich mit so’nem lütten Casio-Keyboard, das der Shouter, der sich damit unten vor der Bühne positioniert hatte, hin und wieder bediente und als Fixpunkt zum Drumherumrennen nutzte. Nun ging ich von konzeptionellen Inhalten aus, die auf die dämlichsten Verschwörungstheorien hereinfallenden und gern mit mind. einem Bein im rechten Sumpf watenden Paranoiker abzielen, doch dies scheint nur bei einem Teil der Songs der Fall zu sein; andere setzen sich mit sehr realen und weltlichen Themen auseinander, dabei sich die künstlerische Freiheit herausnehmend, klassische Song-, Vers- und Textlängen außer Acht zu lassen – der kürzeste Song ist vier Sekunden „lang“ – und sich schön aggressiv freizupöbeln. Anhänger der leisen Töne sind BG5k eher nicht, das geht mehr Richtung Urschreitherapie, nur eben nicht auf die dumme Tour. Wenngleich bis auf manch als Refrain prominent platziertes Hauptwort („Glyphosat“) nicht viel von den Texten zu verstehen war, machte der Gig gerade aufgrund seiner sich aus dem Bandkonzept ergebenden Entrücktheit Laune und wirkte extrem kurzweilig, wenn auch die eine oder andere populäre Videospiel-Melodie, die nach den Stücken aus dem Keyboard ertönte, dem eigenen Material fast die Show zu stehlen drohte. 😉 Freue mich jedenfalls auf unseren gemeinsamen Gig in Norderstedt.

Die alten DER-UNFUG-UND-SEIN-KIND-Haudegen Beastar, Paul und Alex hatten vor einiger Zeit die Punkrock-Band SPIKE aus der Taufe gehoben, an der es nun war, den musikalischen Teil des Abends abzuschließen.  Ganz im Mittelpunkt steht die Sängerin im etwas gewöhnungsbedürftigen Trainingsanzug- und Riesenohrringe-Outfit, die jedoch eine Hammerstimme hat, mit dieser umzugehen weiß und sich in englischer Sprache souveränst durch das melodische, arschtretende Material singt, dabei gern mal sportlich um sich tretend. Das Zeug geht super in die Gehörgänge und begeisterte den überwiegenden Teil der größeren Menschenmenge vor der Bühne mit seiner Energie, Attitüde und Finesse. Schön, dass die jetzt offenbar öfter mal was machen, denn nach ihrem Live-Debüt vor etwas über zwei Jahren im Kraken war das erst mein zweiter SPIKE-Gig. Da dürfte noch einiges gehen!

Gute Ausbeute also mal wieder und ein schöner Noch-nicht-ganz-Ausklang des Straßenfests, das erst in der Kneipe sein Ende fand und im Vergleich zu manch anderem „alternativen“ Straßenfest angenehm entspannt und stressfrei ablief. Danke an die Veranstalter und Mitverantwortlichen und bis nächstes Jahr, wa?

23.06.2017, Rondenbarg, Hamburg: TORTENSCHLACHT + AMOKDRANG

Ost-Punk-Abend in der Rodenbarg’schen Dröhnbude, u.a. mit den Mädels von TORTENSCHLACHT – das versprach, ein Spaß zu werden, also schleppte ich mich nach einer anstrengenden Woche mit letzter Kraft dorthin (ok, ganz so schlimm war’s auch nicht). Leider war ich alles andere als pünktlich, sodass ich verpasste, wie Robotta höchstpersönlich aus dem SCHLEIMKEIM-Buch „Satan, kannst du mir noch mal verzeihen“ vorlas. Um die Platzkneipe herum hatte man ein paar Stände aufgebaut, u. a. einen mit Ossi-Leckereien wie Sternburg Export für 1,20 den Halben – geile Scheiße. Dem Lockruf des Ostens waren trotz des üblichen Hamburger Überangebots an Ausgehmöglichkeiten erfreulich viele erlebnisorientierte Subkulturanhänger gefolgt und tummelten sich bei gutem Wetter zwischen den Ständen sowie an und in der Kneipe. Was die Live-Musik betrifft, hieß es diesmal nicht „Ladies first“, sondern die Gentlemen von AMOKDRANG aus Leipzig alias Hypezig brachten ab kurz nach 22:00 Uhr Soljanka und Sterni zum Schäumen. Das derbe Organ des Shouters und Rhythmusgitarristen röhrte durch deutschsprachige, räudige Oi!- und Ska-Punk-Songs, wie sie derart dreckig und authentisch irgendwo auf Sachsens Straßen zwischen Mülltonnen und Erbrochenem gezeugt wurden. Das gute Sterni wurde gleich mehrfach besungen (u.a. in der TERRORGRUPPE-Interpretation „Mein Sternburg ist wichtiger als Deutschland“), Leipzig in „Hypezig“ umbenannt und per „Asoziale Druckbetankung“ Lust auf dieselbe gemacht. Der Leadgitarrist und auch der Bassist hatten’s technisch überraschend gut drauf, wobei nicht immer beide Gitarren zum Einsatz kamen; bei manch Ska-Punk-Nummer legte der Sänger seine Klampfe beiseite.  Derer waren’s für meinen Geschmack dann auch ein paar zu viel, nicht alle davon gingen mir so glatt in Bein. Als besonderen Trumpf hatte man aber einen Song im Gepäck, der sich den jüngst verstorbenen GUNTER GABRIEL vorknöpfte, genauer: sein sozialchauvinistisches Anti-Hartz-IV-Empfänger-Gepöbel irgendwann Ende des letzten Jahrzehnts in Eisleben, als es hieß: „Ihr habt ja so viel Zeit, sonst wärt ihr nicht am Nachmittag schon hier! Ich hab‘ leider keine Zeit, ich muss meinen Arsch immer in Bewegung halten!“ Ähnlich wie unter ADOLF NOISE wurde daraus ein Song, diesmal jedoch im angenehmeren Punk-Gewand. Je länger AMOKDRANG zockten, desto mehr ging’s vor der Bühne bei allgemein guter Stimmung rund und zu Zugaben nötigte man sie auch. Drückt euch AMOKDRANG ruhig mal unter https://amokdrang.bandcamp.com/, wobei dort seltsamerweise die Songs der Split-Scheibe wesentlich besser in der (dort ebenfalls hörbaren) Tape-Version klingen.

Mit Rostocks vielleicht femininster Band, dem Trio TORTENSCHLACHT, verbindet mich seit unserem gemeinsamen Gig im Bagehl ‘ne freundschaftliche Bekanntschaft, sodass jedes Wiedersehen eine Freude ist, doch auch ohne könnte ich nichts Negatives berichten. Deutschsprachiges hanseatisches Liedgut über Dinge, die nicht nur Mädels Spaß machen sowie über weniger Erfreuliches, erweitert um wohlgewählte Coverversionen von SCHLEIMKEIM („In der Kneipe zur trockenen Kehle“), INA DETER („Neue Männer braucht das Land“) und, schelmisch augenzwinkernd, den DIMPLE MINDS („Durstige Männer“) – dann auch inkl. Publikumsmikro, wodurch die drei sich den Gesang teilenden Kodderschnauzen Unterstützung aus vollen Kehlen bekamen. Die Instrumentierung schrammelte, zupfte und schlagklopfte dazu, was Material und Kondition hergaben und Dank des Ausbleibens technischer Probleme flutschte das alles flüssiger und souveräner als beim vorherigen HH-Gig. Dabei rappelt es immer noch überaus charmant in der Kiste, weshalb mir Vergleiche mit SMEGMA und einst ähnlich unbefangen aufspielenden Kapellen in den Sinn kommen, als man frei von der Leber weg sang und spielte, was man wollte und der Spaß an erster Stelle stand. Den hatten auch alle Anwesenden und feierten inkl. meiner Wenigkeit eine zünftige Party vor und auf der Bühne, weshalb dieser mein bisher östrogenialster ToSchla-Gig wurde.

Fazit: Perfekter Abend für Freunde der rustikalen Rutsche und ein Leckerbissen für Ostzonen-Gourmets.

17.06.2017, Molotow, Hamburg: BAD MOJOS + BOLANOW BRAWL

Von Freud und Leid eines Bolanow Brawlers

Nachdem das Molotow ins schicke neue Gebäude nahe der Großen Freiheit umgezogen war, etablierte es die „Punk Cocktail“-Reihe mit kleinen Punk-Konzerten, die i.d.R. erst um Mitternacht beginnen und im kleinen „Karatekeller“ stattfinden. Nicht selten finden im großen Saal Parallelveranstaltungen wie Indie-Discos oder andere Konzerte statt und genau so war’s auch für diesen Samstag geplant: Zwei Bands und Disse oben, wir mit den eidgenössischen BAD MOJOS unten. Der gute DJ Starry Eyes, der uns zum Brawl herausgefordert hatte, hatte im Vorfeld einen stringenten Zeitplan verschickt und so fanden wir uns um 19:00 Uhr am neuen Proberaum ein, um unser Equipment inkl. drei Boxen und Gedöns aus dem sechsten Stock in unsere zwei Karren zu hieven und auch ja pünktlich um 20:00 Uhr am Molli zu sein.

Nachdem ich Sonntag nach dem zweitägigen Gaußfest heiser wie ein Marktschreier nach seinem ersten Tag auf dem Fischmarkt erwacht war, hatte sich eine linksseitige Mandelentzündung herauskristallisiert, die ich einmal mehr mit Locabiosol und Fenchelhonig zu bekämpfen versuchte, mich jedoch nicht davon abgehalten hatte, mit meinen beiden Bands bis zum Gig noch drei Proben hinzulegen. Ole hatte dann im Vorfeld schon bekundet, verkatert von Freitagnacht zu sein,  Christian kam gleich mal kräftig angetrunken von einer Geburtstagsfeier, die tagsüber (!) stattgefunden hatte und bei mir wurden Erinnerungen an unseren suffbedingten Totalausfall damals im Skorbut wach. Christian machte auch keinerlei Anstalten, mit dem Gesaufe aufzuhören, stattdessen lautete seine Taktik „Pegel halten“. Ich war gestresst. Vor Ort eröffnete man uns dann, dass der Karatekeller heute dicht bleiben und man alle Bands über die große Bühne peitschen würde. Für uns bedeutete das: Statt direkt auf die Bühne unser Zeug die Treppen hoch in den Backstage zu wuchten und zeitbedingt auf den Soundcheck zu verzichten, dafür aber die eindeutig geilere Bühne besudeln zu dürfen. Nun standen unsere Karren auf dem Gehsteig vorm Molotow denkbar ungünstig und Parkplatzsuche mitten auf dem Kiez ist auch immer so’ne Sache, weshalb wir beschlossen, die Dinger kurzerhand nach Hause zu chauffieren und später mit der Bahn zurück auf den Kiez zu gurken. Außerdem hatte ich Depp die Tüte mit unserem spärlichen Merch zu Hause gelassen und Christian die Setlist auszudrucken vergessen, weshalb ich mit zu ihm fuhr, um wenigstens ein paar Platten einzupacken und ihn an seinen Printjob zu erinnern. Letztlich druckte er gleich zehn Exemplare und machte sich später einen Spaß daraus, die halbe Bühne mit ihnen zu pflastern…

Bei Christian musste ich dann sein „Pegelhalten“ mitansehen, was meinen Puls nicht unbedingt senkte, den gerade wieder ausgenüchterten Ole involvierte man in Pfeffi-Verköstigungen (Sortenraten nach Art einer Blinde-Kuh-Variation) und als ich mir langsam wenigstens mein erstes Bierchen gönnen wollte, war keines da. Zu viert machten wir uns auf den Weg zum sich nicht unbedingt um die Ecke befindenden Supermarkt, wo wir für unsere paar warmen Bier gefühlte Stunden an der Kasse darben mussten. Denselben Weg ging’s zurück und endlich konnte ich meine trockene Kehle mit dem kühlen alkoholhaltigen Nass benetzen. Fürs zweite Bier war schon keine Zeit mehr, denn für 22:30 Uhr hatten wir uns am Ort des Geschehens verabredet und ich musste vorher unbedingt noch etwas essen. Gelatsche zur Bahn; angekommen auf dem Kiez seilte ich mich Richtung Pizzabäcker ab und harrte in der Schlange, während die Uhr unerbittlich tickte. Kaum die Mafiatorte vertilgt, galt es, sich über die wie üblich samstags um diese Zeit überfüllte Reeperbahn zu schieben und zu drängeln. Endlich zurück im Molotow war’s dann auch schon 23:00 Uhr und kaum hatte ich mir ‘ne Kippe gedreht, angesteckt und auf dem gemütlichen Backstage-Sofa platzgenommen, verdonnerten mich meine Bandkollegen, mit ihnen den ganzen Ranz wieder herunter auf die Bühne zu schleppen und straften mich, als ich nicht sofort Gewehr bei Fuß stand, in einer Mischung aus Realitätsverlust und Missgunst mit ihren teuflischen „Du alter Drückeberger schleppst doch eh nie was außer deinem Bier!“-Blicken. Also Kippe in den Mundwinkel, dat janze Jelöt wieder die Treppen runter, als ich mich erschrak: Verdammt, gleich würden wir anfangen müssen und ich hatte gerade einmal ein längst wieder ausgeschwitztes lüttes Pils intus! Mit gemütlichem Abhängen im Backstage oder am Merch-Stand (oder dem pittoresken Molotow-Garten) und sich langsam trinkend auf den Gig eingrooven war ja nix. Aus Stress wurde Panik und während die anderen ihre Kabelage zusammenfriemelten und dabei möglichst kompetent aus der Wäsche zu lugen versuchten, versuchte ich mich in Druckbetankung, indem ich mich endlich dem Genuss des Backstage-Biers hingab. Dabei wartete ich als von der Band zum „Bannerbeauftragten“ Ernannten darauf, endlich hinter die Schießbude zu können, um unseren Lappen aufzuhängen. Als es endlich so weit war, raunte mich ein nervöser Bandkollege auch noch an, dass das nun ja wohl überhaupt nicht mehr wichtig sei und wir jetzt anfangen müssten. Ich antwortete zweisilbig und brachte das gute Stück an, zumal es komfortable und sogar halbwegs passende Aufhängungen gab, die verhinderten, ewig lange mit Gaffa-Tape hantieren zu müssen, das einem jegliche Öko-Bilanz versaut und letztlich doch nicht verhindert, dass das Ding mitten im Set heruntersegelt.

Als es dann nach 20 weiteren Minuten tatsächlich losging, fiel mir siedend heiß ein, dass meine Stimme noch total kalt war. Einen Soundcheck zum „Warmsingen“ gab’s ja nicht und sämtliche Gelegenheiten, z.B. meine Bandkollegen anzubrüllen, hatte ich aufgrund meiner guten Erziehung ungenutzt verstreichen lassen. Das war aber egal, wenn bereits während des Eröffnungsakkords bemerkte ich, dass ich angepisst genug war, um gar nicht mehr erst warm werden zu müssen und so sang ich das gesamte Set durch ‘ne Kelle aggressiver als für gewöhnlich. Dafür hielten Kehle und Mandel aber stand – nur die paar höheren Töne wollten diesmal nicht so – und der Bühnensound war auch überraschend ok, nach einer kurzen Monitorkorrektur nach dem ersten Song hatte ich diesbzgl. keine Probleme mehr. Dann und wann waren wir ja berüchtigt für ausufernde alberne Laberparts zwischen den Songs, aufgrund des engen Zeitplans verzichteten wir jedoch diesmal darauf und drückten aufs Gas. Meine Beleidigungen gegen die eine oder andere Kackband brachte ich dennoch unter, verteilte Bolanow ans Publikum (der irgendwann überraschend zurückkam) und stieß mit den Gästen an. Zwangspausen gab’s lediglich, weil Stulle massive Probleme mit seinem Bass hatte. Das Credo „Never Change a Running System“ außer Acht lassend, hatte er eigens für den Gig brandneue Saiten aufgezogen, von denen ihm die E-Seite nun ständig vom Bund rutschte, was ihn zusehends stresste und das eine oder andere Nachstimmen erforderlich machte. Wirklich aus dem Konzept brachte ihn das allerdings nicht, er biss die Zähne zusammen und basste das Set konsequent durch. Für seinen Zustand spielte auch Christian erstaunlich souverän und er war (möglicherweise in Anlehnung an die BAD MOJOS und ihre irren Verkleidungen) in Kragenhemd und Badeshorts geschlüpft, was ihn wie einen Vollhonk erscheinen ließ.  Taktgeber und Uhrwerk Raoul an den Drums hingegen war die Lässigkeit in Person und Ole fiedelte seine Leads bravourös herunter. Als ich auf der Bühne stand, war sämtlicher Stress vergessen und das Ding flutschte recht gut. Überhaupt, die Bühne: Endlich mal wieder Platz, sodass man sich nicht gegenseitig auf die Latschen trat und den Christian sowie insbesondere Stulle für ein paar sportlich-elegante Jumps ausnutzten, zudem ein schönes Sammelsurium an Monitorboxen, keine fiesen Rückkopplungen oder sonst irgendein nervenzehrender Scheiß. Ein nicht unbedingt gewohnter Luxus.

Unser Set hatten wir um drei Songs gekürzt, um mit rund 40 Minuten Spielzeit auszukommen. Die Menge vor der Bühne schwankte (nicht alkoholbedingt, sondern ihre Stärke betreffend), hin und wieder wurde sich auf ein Tänzchen eingelassen und zum Schluss, zu „Fame“ und als unser Neuling „Red Lips“ seine zweite und somit erstmals gesangsfehlerfreie Aufführung erlebte, ging’s noch mal ganz gut ab. Das war dann auch der Abschluss unseres Gigs, den Christians Sandy aus sicherer Entfernung fotografisch dokumentierte (besten Dank!). Fazit: Stulle zieht besser die alten Saiten wieder auf, in Sachen Takttreue und Präzision ist allgemein ebenso noch Luft nach oben wie in Bezug auf Kräfteeinteilung und Kondition bei mir, was aber schon mal wesentlich schlimmer war. Der neue Song knallt, das Molotow ist auch aus Bandsicht ‘ne geile Hütte und jeglicher Stress im Vorfeld war reichlich unnötig und vor allem hauptsächlich selbstgemacht.

Nun ging’s aber mal schön innen Garten und Backstage, entspannen und mit den Gästen schnacken, Bandbier saufen, den obligatorischen Verriss von Stulles Bruder abholen. Dass ich auf der Bühne noch auf unsere Platte hingewiesen hatte und sich daher am besten jemand mit dem Ding mal an den Merch-Stand gesetzt hätte, hatte ich total vergessen. Wir sind schon so Verkaufsgenies… Die BAD MOJOS, mit denen ich leider kein einziges Wort gewechselt hatte, schlüpften schließlich in ihre Kostüme und waren, als ich mich vor die Bühne gesellte, schon bei ihrem GG-ALLIN-Cover „Don’t Talk To Me“ und somit fast der Hälfte ihres Sets angelangt – da hatte anscheinend auch jemand Gas gegeben. Live klang das Trash-Garage-Sonstwas-Punk-Trio vornehmlich nach astreinem ’77-Pogo-Punk, wie er zeitlos und nie überholt klingt und auf der mittlerweile rappelvollen Tanzfläche für ekstatischen Ausdruckstanz sorgte. Der Sound war spitze, das Bier schmeckte dazu nochmal so gut und ich schoss ein paar Fotos vom Bühnenrand. Chapeau an die Kantonbewohner!

Natürlich wurde nach Beendigung der Backstage-Party noch die Nacht zum Tag gemacht, bevor mich um 12:00 Uhr der Wecker terrorisierte und schmerzhaft daran erinnerte, dass das Zeug aus dem Molotow wieder in die Autos verstaut, zum Proberaum gefahren und in den sechsten Stock geschleppt werden musste. Das war’s natürlich allemal wert ; großes Dankeschön an dieser Stelle an DJ Starry Eyes, der nach dem BAD-MOJOS-Gig übrigens noch einen Punk-Klassiker nach dem anderen durch die P.A. jagte, und natürlich ans gesamte Molotow-Team! Bolanow und Molotow sind ‘ne gute Kombination. Es war uns ein Vergnügen!

09. + 10.06.2017, Gaußplatz, Hamburg: GAUSSFEST 2017

25 Jahre Gaußplatz! Unter diesem Jubiläumsmotto stand das diesjährige Gaußfest, für das wieder einmal der Wagenplatz mehrere Tage lang Freunde aus Hamburg und aller Welt lud, um’s bei freiem Eintritt und Bier zu ‘nem lumpigen Euro kräftig krachen zu lassen – diesmal sogar schon Donnerstag mit einem Warm-Up-Gig im El Dorado, der Platzkneipe, beginnend, wo AAARGH FUCK KILL, EXIT SMASHED und KANISTERKOPF zum Tanze baten. Der fand jedoch ohne mich statt.


Am Freitag hatte es dann noch mal kräftig geschüttet, doch entgegen des ursprünglichen Zeitplans begannen die Kieler VLADIMIR HARKONNEN erst, als die Himmelsschleusen vorerst geschlossen hatten. Dadurch traf ich sogar fast noch pünktlich ein, um ihrem Metal-Punk-Brett beizuwohnen. Rauer, aggressiver Grölgesang von Ex-BONEHOUSE-Philipp, englischsprachige Texte frei von Plattitüden und metallisches Geriffe, wenn auch diesmal von nur einer Klampfe, gewürzt mit Philipps gewohnt humorvollen Ansagen („Als wir angekommen sind, sagte ein Punk zu mir: ‚Ey, du siehst aus wie meine Mudder!‘ Der scheint eine sehr attraktive Mutter zu haben. Alle sehr freundlich hier!“) – das macht natürlich Laune. Vor der Open-Air-Bühne hatten sich große Schlammpfützen gebildet und manch Besucher machte sich einen Spaß daraus, in ihnen herumzuspringen und zu versuchen, ihren Inhalt auf den großen Rest des Publikums zu verteilen. Großen Respekt rang dem Frontmann ab, als es einer Dame gelang, auf den Schlussakkord genau mit Anlauf und Gebrüll in den Schlamm zu springen und die Bühne dabei zu besudeln. Großen Respekt rang mir wiederum ab, wie es Philipp gelang, sich nach einem fiesen Versuch seines Bassisten, ihn hinterrücks von der Bühne in den Schlamm zu schubsen, gerade noch so am Gebälk des Bühnendachs festzuhalten. Reflexe wie ‘ne Katze – und wer solche Bandkollegen hat, braucht vermutlich keine Feinde mehr. Leider nach wie vor hochaktuell war das kompetente SLIME-Cover „Schweineherbst“, erstaunlich gut war der P.A.-Sound und bereits reich versammelt das trinkfreudige Publikum, dem ich mich vorbehaltlos mittels Hasseröder anschloss. Gelungener Auftakt!

Die Hamburger RESTMENSCH hatte ich nun schon länger nicht mehr gesehen und was soll ich noch groß zu ihnen schreiben, was ich nicht schon längst kolportiert hätte? War natürlich klasse wie immer, aggressiver und doch durchdachter HC-Punk mit deutschsprachigen Texten in Tradition TOXOPLASMAs und Konsorten, Power-Drumming, Ex-NEUE-KATASTROPHEN-Stimme Alex am Gesangsmikro und flottes Punk-Riffing von THRASHING-PUMPGUNS-Flo. Immer wieder gern gesehen und gehört, wenn es auch leider wieder zu pissen begonnen hatte.

Keinen Day Off hatten sich DEVIL’S DAY OFF genommen, die mich mit ihrer Mischung aus Punk’n’Roll, Hard- und Schweinerock diesmal stärker überzeugten als im April in den Fanräumen. Die Songs gingen besser ins Ohr, die Hitdichte erschien höher, die Band routinierter und bestens aufgelegt. Mit ihrem rockigen Sound traf sie exakt den Nerv manch Besuchers, der die Hamburger kräftig abfeierte. Schöner Gig, bei dem sich auch das Wetter wieder gebessert hatte.

Mit den RAZORS blieben wir musikalisch auch gleich in Hamburg, wenngleich ihr Sound natürlich Original-’77-Insel-Punk ist – Kunststück, stammen der Hansestadt Dienstälteste doch auch aus jener Zeit. Diese an dieser Stelle noch näher zu beschreiben, hieße, Bier auf den Gaußplatz zu tragen. Danker & Co. lieferten wie nicht anders gewohnt sauber ab, zocken immer noch ein geileres klassisches Punkrock-Brett als viele Nachahmer und ließen die bekannten Coverversionen einfließen, die einen RAZORS-Gig rund machen. Bei keiner anderen Band wurde an diesem Tag so viel mitgesungen wie bei den RAZORS und vor mittlerweile gefühlt 100.000 Leuten wäre das eigentlich bereits ein krönender Abschluss des ersten Open-Air-Tags gewesen, doch hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass noch eine Überraschungsband antreten würde – Franzosen, die eigentlich vor mehreren Jahren bereits eingeplant gewesen seien, sich jedoch offenbar um ein paar Jährchen verspätet hätten und kurzfristig verlauten haben ließen, nun in der Nähe zu sein und ‘rumzukommen…

Dabei handelte es sich um niemand Geringeren als die „Psychopunks“ MANOR FREAKS, die eine Mördershow aufs Parkett legten und hart dafür arbeiteten, die Stimmung nochmals zu steigern. Eine herrliche fiese Punkabilly-Show um Mitternacht, original mit Standbass, Flat und trashig-morbider Atmosphäre ist natürlich etwas Feines und bockte noch mal so richtig. Musikalisch hochkarätiger Stoff und eine extrem spielfreudige Band, die das Ambiente sichtlich genoss. Welch Schlusspunkt unter den ersten Festivaltag!

Am zweiten Tag schlug ich bereits nachmittags auf, das Wetter war nun durchgehend einwandfrei und die Schlammpfützen ein gutes Stück weit abgetragen, da die Besucher vom Vortag eine Menge davon mit nach Hause genommen hatten oder noch immer an Kleidung und Körpern mit sich herumschleppten. Die erste Zeit vertrieb ich mir damit, Kai Motherfucker an seinem Aufnäherstand Gesellschaft zu leisten. Den musikalischen Teil eröffneten dann gegen 17:15 Uhr HAMBURGER ABSCHAUM, deren Auftritt auf dem Affengeburtstag mir noch in wohliger Erinnerung war. Während eines solchen Heimspiels lässt sich das Septett selbstverständlich nicht die Butter vom Brot nehmen und lieferte dementsprechend vor einer bereits wieder sehr gut aufgelegten, mitunter sehr textsicheren Meute „vollbepackt mit zwei Akkorden“ feuchtfröhlich ab – mal mit Trompete, mal ohne, mal mit Kettensäge, mal ohne, aber stets mit bunten Rauchbomben, die man ins Publikum warf. Hier und da arbeitete man mit Spracheinspielern aus der Konserve, beispielsweise beim Pro-Flüchtlingssong. Vor ihrem größten Gassenhauer „Nich‘ mein Ding“ befeuerten die Sänger Frank und Nico das Publikum zusätzlich und nach einer extrem partytauglichen Mischung aus altem und neuem Material musste der ABSCHAUM für zwei Zugaben ran, u.a. einfach noch mal „Nich‘ mein Ding“. Bei ein, zwei Enden war man sich auf der Bühne nicht ganz einig, doch das hatte Charme, zumal alles andere für meine Ohren absolut souverän flutschte. Wer nicht spätestens jetzt wieder in voller Feierlaune war, hatte vermutlich ganz andere Probleme.

PROTEST GROTESK von mutmaßlich irgendwo aus’m Pott müssen dann der „evtl. Special Guest“ vom Flyer gewesen sein, anne Drums anscheinend der ehemalige SS-KALIERT-Trommelbube. Die Band hat seit ein paar Jahren ein Album draußen und spielt dreckigen HC-Punk mit Metal-Schlagseitig, bischn krustig und mit einer aggressiven Sängerin gesegnet, die schreit, was die Kehle hergibt und der man anmerkt, dass da etwas aus ihr raus muss. Authentischer Stoff also, dem an diesem Tag leider die zweite Gitarre abging, die offenbar leider verhindert war. Der geschminkte verbliebene Klampfer hielt aber so gut wie möglich dagegen und dass der rifftechnisch was auf dem Kasten hat, wurde durchaus deutlich. Wenngleich manch Song, wahrscheinlich gerade unter diesen Umständen, irgendwie unorthodox und gewöhnungsbedürftig klang, gefielen mir die Power, Energie und Überzeugung, die da von der Bühne kamen. Würde ich bei Gelegenheit gern noch mal in kompletter Besetzung sehen.

Nun besteht ein solches Festival nun ja aber nicht nur aus Livemucke. Es gibt auch Aufnäher- und T-Shirt-Stände abzuklappern, es gibt Fressstände und neben der herkömmlichen Theke Bowle- und Cocktail-Ausschank – vor allem aber läuft einem dort eine Vielzahl bekannter Gesichter über den Weg, darunter auch einige, die man länger nicht mehr gesehen hat. Kurzum: Ich machte es mir in einem Bauwagenvorgarten bei den Rostockern gemütlich und hatte dabei vermutlich mehr Spaß, als die Berliner NOT THE ONES mir hätten bieten können, weshalb ich diese Band kurzerhand aussetzte. Und gesungen wurde auch dort, z.B. über „Hanser Rostock“…

Für die LIQUOR SHOP ROCKERS raffte ich mich jedoch noch einmal auf. Das Hamburger „All-Star-Projekt“ um Weste (ex-LEFT JAB), Nina (ex-RECHARGE), Needlz (ANTI-CLOCKWISE) und Toni (ex-STONE COLD BLACK) gehört zum neuen heißen Hamburger Scheiß und zockt mit jahrelanger Erfahrung aus ihren anderen Bands auf dem Buckel einen deftig drückenden Sound irgendwo zwischen Hardcore-Punk und punkigem Hardcore mit englischen Texten, treibend, selbstbewusst und schön auffe Omme. Nachdem ich mich im November in der Lobusch erstmals mit ihnen vertraut hatte machen können, wusste ich nun, was mich erwartet. Weste und Co. traten einem die Falten aus dem Arsch und machten alles richtig, was das Publikum ihnen mit großem Zuspruch und Begeisterung dankte. So wurden ihnen folgerichtig Zugaben abverlangt, zu denen „(You Gotta) Fight For Your Right (To Party)“ von den BEASTIE BOYS gehörte, das inklusive CITY-RATS-Gastsänger geschmettert wurde. Geht ab – weiter so!

Aus meiner „Zone“ getauften MeckPomm-Ecke kam ich danach nicht so recht wieder hoch, sodass mir trotz ausdrücklicher Empfehlungen die HH-Kiel-Connection NOM durch die Lappen ging. Meine Aufmerksamkeitsspanne war nun aber auch längst ausgeschöpft und der Alkoholkonsum – mittlerweile war ich von Hasseröder auf Veltins umgestiegen – trug sein Übriges dazu bei. Als ich begann, ‘90er-Jahre-Wrestling-Einlaufhymnen von meinem Telefon abzuspielen, war das Niveau schließlich endgültig im Keller und als der offenbar nur zum Klönschnack vorbeigekommene IVV-Ladde wieder das Weite gesucht hatte, suchte ich noch die After-Show-Party in der Platzkneipe auf und verhaftete ‘nen Absacker mit KANISTERKOPF Herrn Lehmann, bevor ich auf den Wogen der Euphorie Richtung Koje ritt.

25 Jahre Gaußplatz – das hieß nicht nur derbe Party, sondern auch 25 Jahre erkämpfter Freiraum, Selbstbestimmung, Wohn- und Ereigniskultur, Raum für kleine (und größere) Bands, eine Oase inmitten Hamburgs. P.A.-Chef Wurzel hatte den Sound permanent gut im Griff, besonders die Drums ballerten dieses Jahr echt gediegen. Doch nicht nur er, sämtliche Mitverantwortlichen hatten wieder einmal ein feistes Spektakel auf die Beine gestellt und dürfen sich mal kräftig auf die Schultern klopfen lassen. Das begann schon bei der für Hamburgs D.I.Y.-Festivals typischen handverlesenen Bandauswahl, ein Garant für hochklassigen Abwechslungsreichtum ohne Spacken. Tatsächlich konnte ich wieder mit allem, das ich mir angesehen hatte, etwas anfangen, von der einen oder anderen Krachkapelle war ich ohnehin schon Fan. Meines Wissens blieb auch stets alles friedlich, ein Fest also für die ganze Familie inkl. ihrer Hunde. Erstmals gab ich mir beide Tage und hab’s nicht bereut. Einziger, jedoch großer Wermutstropfen: Es fehlten einige, die leider nicht mehr unter uns weilen, was sich trotz Nachwuchses dann und wann reichlich seltsam anfühlte. Ey, ihr habt was verpasst! Aber ich hab‘ einen für euch mitgetrunken. Für alle anderen gilt: Auf das nächste Vierteljahrhundert Gaußplatz! Prost!

04.06.2017, Fat Lenny’s, Hamburg: SUPERNICHTS

Die Kölner Pullunder-Punks SUPERNICHTS hab’ ich auf dem Schirm, seit sie mir Ende der ’90er auf dem „BRD Punk Terror Vol. 1“-Sampler aus dem Hause Nasty Vinyl über den Weg liefen und seitdem auch einige Alben angeschafft, sie seltsamerweise aber nie live zu Gesicht und Gehör bekommen. Das sollte sich an diesem Pfingstsonntag ändern, und zwar gänzlich unverhofft. Nachdem ich am Abend zuvor auf der Altona-93-Aufstiegsfeier und anschließend draußen vorm „Gott sei Punk“-Festival (ohne hineinzugehen) herumgelungert hatte, war ich irgendwie noch nicht ganz ausgelastet. So lud mich Stulle auf der sonntäglichen BOLANOW-BRAWL-Probe dazu ein, erst mal mit zu Nadine und ihm zu kommen und dann mal zu gucken, was der Abend noch so bringt. Beim Scrollen durchs Fratzenbuch stieß ich schließlich auf einen Eintrag, der SUPERNICHTS im Fat Lenny’s avisierte! Fat who? Das Fat Lenny’s ist ein uns bis dato unverständlicherweise unbekannt gewesener Laden gegenüber der Altonaer Fabrik, der von Ex-Cobra-Bar-Malte mit einigen Mitstreitern betrieben wird und neben warmer Küche aus dem Smoker und vom Grill Craft Beer vom Fass, Drinks, Biergarten, Punkrock und eben anscheinend ab und zu auch Live-Mucke anbietet. IVV-Ladde konnten wir erfolgreich mitschnacken, der uns kurzerhand rumfuhr. Nach etwas Cornern, wie das gute alte Straßentrinken neudeutsch heißt, betraten wir den Laden, in dem SUPERNICHTS offenbar sehr kurzfristig bei freiem Eintritt verpflichtet worden waren, nachdem sie zwei Tage zuvor Bremen gerockt hatten. Dort gab’s ein großes Hallo, als sich Malte und Stulle wiedererkannten und kurz vor halb Elf schritt das Trio mit langer, auf zwei A4-Seiten verteilter Setlist zur Tat. Die Gesangsanlage war etwas schwachbrüstig, sodass die von viel Ironie und Sprachwitz bestimmten Texte nicht sonderlich gut zur Geltung kamen, ansonsten war der Sound aber ok und beschallte das gemischte Publikum, das teils eigens zur Band erschienen war und sich teils sowieso gerade im Fat Lenny’s aufhielt, u.a. im Rahmen einer Geburtstagsfeier. Meine Favoriten, der Diättipp „Korn-Cola-light“, die Studentenhymne „Saufen auf Lehramt“ sowie der Polit-Punk-Kracher „Du und deine scheiß FDP“, versetzten mich natürlich am meisten in Verzückung, dann und wann wurde die Nebelmaschine angeschmissen und hüllte den Laden in dichten, nun ja, Nebel eben, nur auf „Gut Holz“ und „Die Wanne ist voll“ musste ich vergeblich warten. SUPERNICHTS sind sicherlich nicht Jedermanns Sache, Sound und Attitüde lassen sich grob in Richtung CHEFDENKER, CASANOVAS SCHWULE SEITE u.ä. einordnen, SUPERNICHSTS sind jedoch schon länger dabei und machen ihr eigenes Ding. Ich find’s schwer unterhaltsam, oft hintergründig-augenzwinkernd witzig und vor allem klischeefrei und individuell. Nach 34 Songs oder so zerlegte die Band in einem Anfall wilder Raserei die Bühne und ging im Biergarten rauchen, womit der Gig vorbei und auch keine Zugabe mehr möglich war. Wir tranken und quatschten einfach weiter und hatten noch einen sehr lustigen Abend. Da werde ich auf jeden Fall mal wieder vorbeischauen; das Fat Lenny’s ist eine echte Bereicherung im vom immer dünner werdenden Kneipenangebot geplagten Ottensen, denn zur 1A-Kneipe wird die Bude, sobald die Küche (die allerdings eher etwas für Fleischesser ist) schließt. Mit mehr Werbung wären sicherlich auch so kurzfristig noch ein paar Gäste mehr gekommen, sonderlich viel zu bieten hatte Hamburg an diesem Abend ausnahmsweise einmal nicht. So war’s einfach ein lauschiger Kneipen-Gig im kleinen Kreise, der uns für unsere Spontaneität belohnt hat.

26.05.2017, Gängeviertel, Hamburg: War In Your Head Punkfest Vol. 4

It’s in your head, Zombie! – Der verzweifelte Versuch einer Retrospektive ohne Notizen oder lückenlose Erinnerungen

Das zweitägige War-In-Your-Head-Festival ging in die vierte Runde und erstmals war ich mit von der Partie. Das zweitägige D.I.Y.-Festival wird komplett ehrenamtlich von einem Zusammenschluss der Konzertgruppen „Punkbar“ und „Beyond Borders“ organisiert und da die Renovierung der zweiten Konzert-Location nicht rechtzeitig abgeschlossen werden konnte, verlegte man die zweite Bühne kurzerhand in den (dann doch etwas intimeren) Keller der Fabrique, was viel Hin-und-Her-Rennerei ersparte. Zunächst galt es aber, überhaupt hineinzukommen. Im Internet hatte ich etwas von 18:00 und 19:00 Uhr gelesen und dass man ja pünktlich sein solle, da sonst die Gefahr bestünde, dass das Eintrittskontingent bereits erschöpft sei. Da Murphy’s Law besagt, dass bei verspätetem Eintreffen wegen Überfüllung geschlossen ist, man, findet man sich pünktlich wie die Maurer ein, jedoch besser leichte Lektüre wie „Krieg und Frieden“ oder „Das Kapital“ mitnimmt, um die Wartezeit totzuschlagen, entschied ich mich fürs kleinere Übel und tauschte kurz vor 1900 Nachkriegszeit einen frisch gebügelten Zehner gegen ein giftgrünes Eintrittsbändchen, das mir in diesem Moment herzlich wenig half: Organisatoren, Helfer und Helfershelfer liefen nicht unbedingt tiefenentspannt durch Gebäude und das Drumherum, während für Normalsterbliche die streng bewachte Pforte verschlossen blieb. Ok, ich wollte ohnehin erst mal Dinieren und wich dem mit seiner Beschränkung auf Pommes Frites etwas mauen Essenangebot (das ist jetzt Jammern auf hohem Niveau 😉 ) zu Domino’s aus, die einem für ‘nen Fünfer ‘ne okaye Pizza ohne Extrawürste zubereiten, die den Wanst füllt. Hinuntergeschlungen werden musste diese allerdings ohne Kaltgetränk, da besagte Pforte auch den Zugang zum Tresen verwehrte. Draußen waren zwar ein Cocktail- und ein Schnapsstand aufgebaut worden, Bier gab’s allerdings lediglich in den Krallen diversen bereits sturztrunken aufschlagenden Jungvolks. Nun hätte ich mich locker jener beiden Stände bedienen und mich in Windeseile selbst in jenen Zustand befördern können, doch so sehr ich für bescheuerte Ideen zu haben bin, so skrupelbehaftet war ich noch. Und eines war sicher: Früher oder später würde ich sie ohnehin einholen.

Das Bombenwetter jedenfalls ließ einen problemlos draußen ausharren, bis es endlich die Stufen hinunter in den düsteren Keller ging, wo um ca. 20:20 Uhr STATIC MEANS eröffneten und damit die kolportierte Reihenfolge ad absurdum führten. Die Leipziger spielten englischsprachigen Post-Punk mit Keyboarderin und Sängerin in Personalunion, der eigentlich nicht so meine Mucke ist, live mit aufgekratzter, Grimassen schneidender und entfesselt zu ihrer eigenen Darbietung tanzender Frontfrau jedoch so viel Energie und Lebenswut transportierte, dass es eine Freude war, dem beizuwohnen – wenn sich auch pünktlich zum Konzertbeginn der erste Punk in einer Wandeinbuchtung neben der Bühne schlafenlegte. Reinhören unter https://staticmeans.bandcamp.com/.

Die Treppen in den großen Saal hochgehastet, wurde man Zeuge, wie MOPED aus Betzdorf so was wie schweinerockigen Punk’n’Roll zockten und durchaus einige Interessierte versammelten, die in der großen Bude jedoch noch etwas verloren aussahen. Die spielfreudige Band ließ sich von ein, zwei Leuten frenetisch abfeiern (mitgereiste Bandkumpanen? 😉 ), der Bassist unternahm Ausflüge ins Publikum und zeitweise wurde vor der Bühne mehr fotografiert und gefilmt als getanzt. Wenn’s auch nicht 100%ig meine Cup of Pee ist, hat die Band das sehr souverän geschultert und den Energiekick nahm ich gerne mit, zumal der Sound schön knackig durch die P.A. schallte. Hatte sich da eigentlich eine „Alcohol“-Coverversion (GANG GREEN) eingeschlichen? Das gibt auf jeden Fall Pluspunkte. Reinhören unter https://moped-wwhc.bandcamp.com/.

Zurück im Keller war man noch mit dem Soundcheck beschäftigt und man merkte den Bremern NEUROTIC EXISTENCE an, dass sie gesteigerten Wert auf guten Sound, insbesondere auf der Bühne, legten. Als sie schließlich zufrieden waren und loslegten, wurde auch klar, warum: Bei zwei Gitarren und abwechselndem Gesang wird Monitormatsch vermutlich schnell zur Hölle. Den Gesang teilten sich ein männlicher Shouter und Szene-Urgestein Tati (ex-LOST WORLD, ex-APOKALIPSTIX) und unerfahren dürfte in dieser noch recht frischen Band niemand sein, dafür klang das viel zu – im positiven Sinne – abgewichst. Ich war ja nie der große Crust-Punk-Experte und früher (von einigen Ausnahmen abgesehen) regelrecht gelangweilt von diesem Stil, doch dass die Band dort ihre Wurzeln hat, ist unschwer zu erkennen. Statt monotonem Geballer und Gekeife oder ödem Gedröhne gab’s aber klar strukturierte, durchdachte und -arrangierte Songs auf die Löffel, mit vielen molligen Gitarren-Leads in drückender, düsterer, desillusionierter Atmosphäre – immer wieder schön, wenn Bands sich darauf besinnen, dass es dafür weder Post-Punk noch Kiffer-Doom braucht. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster, indem ich den NEUROTIC-EXISTENCE-Sound als „Post-Crust“ bezeichne und habe noch in wohliger Erinnerung, wie die Masse erstmals so richtig in Wallung kam und sich ein kleiner, aber sehr feiner Pogo-Mob vor der Bühne bildete, an dem ich mich zumindest zeitweise beteiligte. Dass es in dem schummrigen Loch und unter ständigem Angerempeltwerden extrem schwierig wurde, halbwegs brauchbare Fotos zu knipsen, liegt in der Natur der Sache… Nur wenige Tage vorm Gig hat die Band anscheinend ihr erstes Album „Insane“ veröffentlicht, das hier komplett gehört werden kann: https://neuroticexistencepunx.bandcamp.com/

Treppe wieder rauf, durch die Tür gezwängt und direkt feinste Klänge vernommen: Die Marburger MIRROR MONKEYS waren bereits in ihr Set eingestiegen und zockten US-beeinflussten, melodischen, höchst energischen Punkrock/Streetpunk mit kräftigen Chören und Singalong-Refrains, der so richtig schön Arsch trat und bei besten Soundverhältnissen sofort ins Blut ging wie Dextro Energen. Die Songs zündeten unmittelbar, die Refrains ließen sich oft nach einem Durchlauf sicher mitbrüllen und mit der Kraft von zwei Gitarren folgte ein Hit auf den nächsten. „I wanna get hurt, I wanna get drunk…“ – all killers, no fillers! Ein echtes Original scheint mir vor allem der Sänger zu sein. Der Typ sieht aus wie ein Fachinformatiker, wird auf der Bühne aber zum Tier und liefert ’ne Wahnsinnsshow! Ich schaltete folglich in den Pogo- und Abfeier-Modus und war damit im mittlerweile gut gefüllten Saal nicht allein. Die MIRROR MONKEYS mussten noch ’ne Zugabe spielen und dürften viele positiv überrascht haben. Für mich neben NEUROTIC EXISTENCE die Gewinner des Abends, obwohl beide Bands eigentlich unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Songs des selbstbetitelten Albums kann man sich unter https://mirrormonkeys.bandcamp.com/ reinfahren, aber live ist das Ganze noch mal um einiges geiler!

Zeit zum Verschnaufen blieb im Anschluss kaum, denn DISCONFECT aus Bremen luden in den Keller. Man hat sich, der Name lässt es bereits erahnen, dem D-Beat verschrieben, jenem seinerzeit von DISCHARGE kreierten HC-Punk-Stil also, mit dem das ja immer so’ne Sache ist: So sehr ich DISCHARGE auch mag, so überflüssig finde ich viele ihrer Nachahmer. Allerdings weiß ich nicht, wann ich überhaupt zuletzt klassischen D-Beat live gehört hatte, und DISCONFECT konnten mit zwei Besonderheiten punkten, die sie aus der Masse der D-Beatles heraushebt: Zum einen wäre da der Shouter, der sich nicht stumpf durchs Set brüllt, sondern mit seinem Corpsepaint in der Visage dem Affen ordentlich Zucker gibt und hyperaktiv vor der Bühne herumtollt, zum anderen gibt es da den Gitarristen, der mit seinen Frontmann kontrastierenden geschrieenen Einzeilern unter Zuhilfenahme ’ner ordentlichen Portion Hall für Wiedererkennungseffekt und apokalyptische Atmosphäre sorgt. So war der Gig dann doch ziemlich geil, zumal auch hier der enge Keller mit mittlerweile vielen verschwitzten, nicht mehr ganz nüchternen Menschen das exakt passende Ambiente bot. Gecovert wurde der Klassiker „Fight Back!“ der großen Vorbilder, nur die Lautstärke des Shouters bekam man leider nie so ganz eingepegelt. Nachdem er anfänglich arg leise war, wurd’s mit der Zeit aber immer besser. Schönes Ding, das es auch bei Bandcamp gibt: https://disconfect.bandcamp.com/

Besonders gespannt war ich auf die Braunschweiger MORIBUND SCUM, nachdem ich Sänger/Gitarrero Rosi auf dem letztjährigen Hafengeburtstag kennengelernt hatte. Seine Band kannte ich bisher lediglich von zahlreichen Aufklebern auf dem Lobusch-Klo und war ganz überrascht, als er mir seine Kapelle nannte – für einen Crust-Sänger erfüllte er nämlich so ziemlich genau null Klischees, stattdessen konnte man sich mit ihm prima über TOTO und JOURNEY unterhalten, als wir schön angeschallert in Small-Town-Timos Bude mit ’ner gemeinsamen Bekannten bei ’nem Beutel Absackerbier herumsaßen. Nun auf der großen Fabrique-Bühne konnte ich mir ein musikalisches Bild seiner Band machen (auf die Idee, vorher mal irgendwo reinzuhören, war ich natürlich nicht gekommen). Und, alter Vatter, die Jungs können spielen! Als Crust würde ich das nicht unbedingt einordnen, eher als ’nen groben Bastard aus Death- und Thrash-Metal sowie Metal-Punk, durchaus technisch und kalkuliert, dabei trotzdem räudig, unprätentiös evil und den Metaller in mir weckend. Hatte ich in dieser Qualität wirklich nicht erwartet, wobei einmal mehr der differenzierte, druckvolle Soundmix das Optimum aus der Band herausholte. Könnten auch locker mal mit musikalisch halbwegs passenden Underground-Metal-Bands in der Bambi Galore zocken. Grüße an Rosi an dieser Stelle, wenn wir musikdiskussionstechnisch diesmal auch nicht unbedingt auf einen Nenner kamen, haha (aber das war auch an Tag 2) … Vorher reinhören hätte ich hier können: https://moribundscum.bandcamp.com/

Nie reingehört hatte ich auch in BLATOIDEA. Die Londoner Chaos-Punks und CASUALTIES-Lookalikes sind seit 2008 aktiv, hatten jedoch lange Zeit mit ihrem Drummer ziemliche Kacke am dampfen, worauf ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte – darüber wurde woanders genug geschrieben und verständlicherweise überschattete das das musikalische Œuvre der Band. Neuer Drummer, neues Glück und ein Engagement als Headliner des ersten Festivalabends. Dieser ganze Spike- und Iro-Stylo-Krempel, wo der Scheitel nicht mit dem Vorschlaghammer, sondern mit der Wasserwaage gezogen wird, beeindruckt mich schon lange nicht mehr, aber was zählt, ist natürlich die Mucke. Diesbzgl. ließen die Briten wenig anbrennen und spielten sichtlich angetan von der imposanten Kulisse vor der großen Bühne einen sehr fitten Chaos-/Street-/HC-Punk-Stiefel, wie er einfach Spaß macht. Die Stimmung war ausgelassen und freundschaftlich; die Zeiten, in denen solche Bands profilierungssüchtige Nietenkaiser in Massen anziehen, scheinen vorbei, stattdessen feierten fast alle zusammen diesen gediegenen Abschluss des ersten Tags. Ich muss zugeben, mich bei mittlerweile Band Nummer 7 nicht mehr an Details erinnern zu können. Die Songs dürften etwas weniger dreckig als beispielsweise die der natürlich immer wieder gern als Vergleich herangezogenen CASUALTIES sein, dafür hier und da riffbetonter, vielleicht leicht thrashig. Werde ich bei Gelegenheit mal nachhören, möglich ist’s unter https://blatoidea.bandcamp.com/.

Nachdem ich mich nun fast permanent im Inneren aufgehalten hatte, dürstete es mich nach, klar, Bier, aber auch Freiheit und Luft und war ich wie so oft eher angestachelt denn ermattet, also ging’s mit einigen Leuten weiter ins Onkel Otto und als das schloss, sogar noch in den Park Fiction. Mit diversem Punkvolk trank ich Bier auf der Wiese, hörte D-Punk-Klassiker aus dem Ghettoblaster (oder der „Soundbar“ oder was auch immer), laberte über Gott und die Welt (woran ich mich natürlich null erinnern kann), fühlte mich wie Anfang 20 und genoss den Sonnenaufgang, ohne zu ahnen, dass es der heißeste Tag des Jahres werden sollte. An Ort und stellte pennte ich irgendwann ein und erwachte mit ’nem fiesen Sonnenbrand und ohne meine Kutte. Das kommt davon… Einmal Chaot, immer Chaot!

Nach kurzem Frischmachen und rudimentärem Frühstück ging’s direkt zum Punx Picnic am Bahnhof Altona, wo auch gleich weitergesoffen wurde, aber, wie im Jahr zuvor, alles friedlich blieb, der ursprüngliche Initiator jedoch weiterhin schmerzlich vermisst wird – R.I.P., Karsten! Irgendwann brach ich zum Gängeviertel auf, allerdings nur, um mich bald wieder Richtung Onkel Otto zu verabschieden, wo meine Kutte aufgetaucht war. Dort nahm ich das gute Stück in Empfang und traf mich mit Small-Town-Timo, mit dem ich natürlich einen hob und über den Kiez schlenderte. Erst deutlich nach 22:00 Uhr war ich wieder im Gängeviertel, bekam noch den Rest von, ich glaube, MISSSTAND mit und hatte, nachdem ich mir ja am Vortag das volle Programm in jeglicher Hinsicht gegeben hatte, gar nicht mehr so dermaßen Bock auf Live-Mucke. Stattdessen quatschte ich mich in diversen Gesprächen fest und hielt mich viel draußen auf, wo Mark zudem auf seiner Akustikklampfe für Hintergrundbeschallung sorgte. Ich kann nur hoffen, mich nicht um Kopf und Kragen gesabbelt zu haben, denn perfiderweise beherrsche ich bis zu einem gewissen Punkt souveränes Auftreten bei völliger Trunkenheit. Da fällt mir ein, dass an beiden Tagen die am Donnerstag stattgefundene Diskussionsrunde zum Thema Grauzone mit Michael Weiss im Menschenzoo häufiges Thema war. Dem einen oder anderen bot ich glaube ich an, mit ihm oder ihr gern noch mal in Ruhe darüber zu reden, bekomme das aber alles nicht mehr zusammen. Wer sich also angesprochen fühlt, kann sich gern bei mir melden 😀 Irgendwann stieß dann auch Flo hinzu, die jedoch kein Bändchen mehr bekam (ausverkauft!), sodass ich mich ohnehin weiter draußen aufhielt, bis es zur Aftershow-Disco mit Chartsmucke quer durch den Garten ging, ich wieder mal über diverse ’90er-Jahre-Geschmacksentgleisungen den Kopf schüttelte, Anderem wiederum huldigte, irgendwann selbst nach dem Kotzen kein Bier mehr herunterbekam und schließlich die Segel strich. Somit kann ich zu den Bands des zweiten Tags leider so gar nichts schreiben. Mea culpa!

Aber unabhängig davon, dass ich mich mal wieder nicht zusammenreißen konnte, an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Organisatorinnen und Organisatoren sowie Respekt vor dieser bestens gewuppten Mammutaufgabe! Draußen, wo sich an beiden Tagen stets eine Vielzahl Besucher aufhielt, hatte man Dixies aufgestellt, damit nicht alles vollgeschifft wird, zu den bereits erwähnten Ständen gesellte sich einer mit vermutlich lesenswerter Literatur, Fanzines, ’ner Plattenkiste… Man konnte sich wirklich permanent pudelwohl fühlen, er herrschte echte D.I.Y.-Festival-Atmosphäre und das Wetter spielte auch noch mit (sogar etwas mehr, als mir lieb war). Der Bandauswahl merkte man an, dass sie handverlesen war und Bekanntheitsgrad oder Image eine untergeordnete Rolle spielten. So bekam man einen schönen Überblick über einen quicklebendigen Underground quer durch die Subgenres der Szene und ein Gefühl dafür, welche Bands bereit sind, die antikommerzielle D.I.Y.-Ausrichtung mitzutragen und zu unterstützen. Insofern kann ich jedem nur den Besuch solcher Veranstaltungen nahe legen, sie erweitern den Horizont und machen vor allem VERDAMMT VIEL SPASS! Up The Punx!

Vernünftige Fotos gibt’s übrigens bei Kevin Winiker Konzertfotografies Fratzenbuch:
Tag 1
Tag 2

Und Video-Fanzine-Beiträge bei SCHRAIBFELA.

21.05.2017, Gängeviertel, Hamburg: TYRANEX + PAGAN RITES + MIDNIGHT PREY + GUSTAV EISEN

Am dritten Tag meines Konzert-Marathons war’s mal wieder Zeit für Edelmetall, denn wenn Hannes in einem Anflug von Genialität und Selbstlosigkeit die schwedischen TYRANEX in die Gängeviertel-Fabrik holt, kann ich natürlich nicht verkatert in der Furzmulde abgammeln. Pünktlich um arbeitnehmerfreundliche 19:00 Uhr ging’s natürlich dann doch nicht los, kurz nach halb 8 aber eröffnete die junge lokale Band GUSTAV EISEN das dritte „Triumph of Death Ritual“ (so der Name der Veranstaltungsreihe) mit modernerem, technischem Death Metal vor einem noch recht versprengten Haufen. Applaus gab’s meinerseits für Technik und Kondition, mit der Mucke kann ich Death-Metal-Legastheniker ansonsten nicht viel anfangen. Dafür hab‘ ich mit dem Störtebeker-„Frei-Bier“ ein neues, äußerst schmackhaftes Alkfreies für mich entdecken können.

Bereits im Vorfeld für mich entdeckt hatte ich Hamburgs Underground-Speed-Metal-Sympathieträger MIDNIGHT PREY, als ich sie seinerzeit in der Bambi Galore sah. Live ist das Trio ‘ne ziemliche Bank mit seinem tief in den glorreichen ‘80ern verwurzeltem Oldschool-Speed-Geschrote mit düsterem Vibe, also ohne Falsettgesang o.ä., eher ungehobelt und roh, mit unaufdringlichen Melodien versehen und atmosphärisch. Fest zum Set gehört ein Cover des vermutlich größten MANILLA-ROAD-Hits „Necropolis“ und man beschloss den Gig mit der Abrissbirne „Street Mafia“ von der neuen „Blood Stained Streets“-Single, die ich leider mitzunehmen versäumte. Nächstes Mal!

Mit PAGAN RITES traten nun die ersten der schwedischen Gäste an. Die Band hatte ich so gar nicht auf dem Schirm, obwohl sie anscheinend bereits seit 1992 existiert. Vor dem Gig hörte ich etwas von einem kauzigen, extraordinären Sänger, der sich gerade auf Entzug befände ich Freigang genieße. Das Quartett hatte sich die Fressen wie zu Halloween angemalt und hobelte ein fieses Black-Thrash-Brett herunter, das so herrlich authentisch kaputt klang, dass man direkt dem Gehörnten dafür danken musste. Der Sänger mit seinem riesigen umgedrehten Kreuz um den Hals röchelte und spie seine blasphemischen Texte heraus, kroch auf dem Bühnenboden umher und suchte den unmittelbaren Kontakt zum mittlerweile zahlreicher versammelten Publikum. Dank des berüchtigten graumelierten Herrn, der auch diesmal in vorderster Front seinen exaltierten Tanzschritten frönte, ein Bild für die Götter (der Dunkelheit). Seine Musiker verwirrte er mit offenbar hier und da von der Setlist abweichenden Ansagen, beispielsweise als er gegen Ende „Die Priest Die“ ankündigte und anscheinend vergessen hatte, die Nummer längst gespielt zu haben. All das führte zu einem Gesamteindruck, der PAGAN RITES weit weniger aufgesetzt und gekünstelt wirken lässt als manch Subgenre-Kollegen, stattdessen sympathisches, infernalisches, unheiliges Chaos vermittelt. Geil!

TYRANEX hatte ich 2014 durch ihr zweites Album „Unable to Tame“ kennengelernt: Schwedischer Speed-/Thrash-Metal der alten Schule, der mich leicht an alte DESTRUCTION erinnert und mit einer Gitarristin und Sängerin in Personalunion  gesegnet ist, die sich mir mit ihrer genialen Stimme die Nackenhaare aufstellen lässt. Zurzeit betouren sie ihr jüngst veröffentlichtes drittes Album „Death Roll“, das den Vorgänger konsequent weiterentwickelt. Zu Songs der ersten beiden Alben gesellte sich demnach Material wie „Bloodflow“, „Berget“, „Beyond the Throes of Evil“ und eben „Death Roll“; das neu aufgenommene Demostück „Blade of the Sacrificer“ widmete man PAGAN RITES und so kam deren Sänger zu einem weiteren Stelldichein auf der Bühne. Ohne Zugabe ging’s nicht ins Bett und anschließend wurde der Merch-Stand stark frequentiert, manch einer hat einen wahren Großeinkauf getätigt. Tatsächlich kannten viele TYRANEX bisher offenbar noch gar nicht und waren ausnahmslos positiv überrascht, begeistert vom schneidenden Sound, den fräsenden Riffs und dem hektisch schnellen, doch stets punktgenauen, nie stumpfen Spiel sowie natürlich hingerissen von den beiden Metal-Damen, die sämtliche Szene-Chauvis Lügen strafen. Stärkstes Wiedererkennungsmerkmal der Band ist natürlich die Stimme, die Knochen zerschneidet wie Edelstahl ein weichgekochtes Ei. Am liebsten hätte ich mir die Combo zum Mitnehmen einpacken lassen und als Hofkapelle installiert. Hab‘ nur leider keinen Hof…

Mit ‘nem letzten Dithmarscher überbrückte ich die Zeit bis zur allerletzten Bahn nach Hause und brachte die „Death Roll“-LP (wenn schon keine Hofkapelle) sicher in ihre neue Heimat. Und schon um 7:00 Uhr nachts blökte mich mein Radiowecker mit niveaulosem Mist voll, meinte damit aber, ich solle hurtig zur Maloche. Dann doch etwas gerädert schlug ich dort pünktlich auf, aber das war’s allemal wert. Acht Bands auf drei Konzerten an drei Tagen und keine Sekunde bereut!

P.S.: An allen drei Abenden standen Mädels (mit) auf der Bühne, was heutzutage ‘ne Selbstverständlichkeit ist. Das war früher jedoch anders, da haftete dem schnell etwas „Exotisches“ an. Eine erfreuliche Entwicklung.

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