Günnis Reviews

Kategorie: Konzertberichte (page 11 of 44)

18.12.2018, Gruenspan, Hamburg: GEOFF TATE’S OPERATION: MINDCRIME + TILL DEATH DO US PART

„I used to trust the media to tell me the truth, tell us the truth. But now I’ve seen the payoffs everywhere I look – who do you trust when everyone’s a crook?“ („Revolution Calling“)

Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Zehn-Punkte-Prog-US-Metal-Meisterwerks, dem QUEENSRŸCHE-Konzeptalbum “Operation: Mindcrime” über politische Verführung durch sinistre Demagogen, tourt der ehemalige Frontmann der Band, Geoff Tate, durch die Welt und führt es in kompletter Länge auf. An einem Dienstagabend im Dezember machte der ehemalige Frontmann der Band, der sich vor geraumer Zeit von QUEENSRŸCHE getrennt hat und mit seiner passenderweise „OPERATION: MINDCRIME“ betitelten eigenen Combo unterwegs ist, Halt im Hamburger Gruenspan. Da kribbelte es in mir, denn wenngleich Prog-Zeug eigentlich nicht mein Ding ist und ich mit vielen QUEENSRŸCHE-Songs nicht so ganz warm werde, habe ich an „Operation: Mindcrime“ doch einen Narren gefressen und halte den Langdreher für eine der besten Metal-Platten aller Zeiten. Das Ticket schlug mit unter 30 EUR zubuche, also gab’s da nicht mehr viel abzuwägen, „Shut up and take my money!“.

Nach dieser Devise hatten offenbar auch viele andere gehandelt, denn das Gruenspan war bereits zur Vorband mehr als ordentlich gefüllt: TILL DEATH DO US PART zocken Gothic-Metal, Geoffs Tochter Emily singt. Tjoa, dascha nu ma gaanich meine Baustelle, dementsprechend wenig konnte ich mit der Darbietung anfangen. Emilys Choreographien, in denen sie über die Bühne tippelt, pathetisch mit den Armen fuchtelt oder die Wahnsinnige mimt, muteten eher kurios denn showdienlich an und generell möchte ich tendenziell Reißaus nehmen, wenn ich eine Trällerelse im mittelalterlichen Rüschenrock auf der Bühne sehe. Nun ist Emily aber natürlich immerhin Geoff Tates Leibesfrucht, da gibt man der Band schon mal ’ne Chance. Singen kann sie nämlich durchaus und, siehe bzw. höre da, der letzte Song, bei dem bischn aufs Gas getreten wurde, lief mir dann doch ganz gut rein.

In der Umbaupause wurd’s dann richtig drängelig, zumindest im vorderen Bereich. Dichtgedrängt wartete man auf die „I Remember Now“-Introklänge aus dem Off, die dann endlich auch irgendwann durch die Halle schallten, gefolgt vom „Anarchy-X“-Live-Intro und dem ersten Song „Revolution Calling“. Zu diesem betrat Geoff die Bühne, augenscheinlich erstaunlich gut im Saft stehend und adrett gekleidet, nach wie vor oder mehr denn je das Charisma in Person. Und gut bei Stimme war er auch, wenngleich der Mischer insbesondere mit den nicht ganz so hohen Frequenzen offenbar noch zu kämpfen hatte und große Teile der Stimme Geoffs noch zu leise waren. Der Refrain wurde ungehindert davon aus hunderten Kehlen kräftig mitgesungen. Später ging ich mir noch ’n Bier holen und positionierte mich danach eher am Rand, wo der Sound deutlich besser klang. Entweder wurde noch mal kräftig nachgeregelt oder ausgerechnet mittig vor der Bühne war eigenartigerweise eine Art Soundloch (ich tippe aber eher auf letzteres). Geoffs Band ist übrigens an mehreren Positionen deckungsgleich mit der seiner Tochter; die Vorstellung der Mitglieder offenbarte, dass es sich um brasilianische und schottische Musiker handelt. Das Spektrum reichte dabei vom bleichgeschminkten tätowierten Goth bis zum klassischen Metal-Zottel, der das Keyboard und zeitweise die dritte (!) Gitarre übernahm. Was auf mich anfangs noch wie ein zusammengewürfelter Haufen posender Mietmusiker wirkte, wuchs im Laufe der perfekten musikalischen Darbietung für mich zu einer festen Einheit zusammen, die durchaus sympathisch mit dem Publikum kommunizierte und der Geoff bereitwillig die Bühne während ihrer Soloparts überließ. Die erste Ansage des mimisch und gestisch stets das gesamte Publikum ansprechenden, einbeziehenden Sängers gab’s erst nach „Suite Sister Mary“, für den Emily die weiblichen Gesangsparts übernahm. Im Anschluss folgte mein persönlicher Höhepunkt des Abends, „The Needle Lies“, erneut kräftig vom Publikum mitgesungen. „Eyes of a Stranger“ setzte schließlich den Schlusspunkt hinter den „Operation: Mindcrime“-Teil des Abends. Doch nach kurzer Zeit ertönte das Elektro-Intro des Nachfolgealbums „Empire“ aus der P.A. und die Band machte mit „Best I Can“ weiter, gefolgt von der Erfolgsballade „Silent Lucidity“ inkl. amüsanter Ansage, dass zu diesem Song schon Menschen beerdigt, Menschen getraut und Menschen gezeugt worden seien. Während des Songs wechselte der Lead-Gitarrist von Akustik- zu E-Klampfe und manch mittlerweile graumeliertes Pärchen im Publikum kuschelte sich eng aneinander. „Empire“, ergänzt um Geoffs Kommentar, die Revolution beginne mit gelben Westen, und „Jet City Woman“ besiegelten den Ausflug in „Empire“-Album, der live wesentlich druckvoller als die für meinen Geschmack zu glatte Albumproduktion klang, und damit nach ca. 95 Minuten den Auftritt, gegen dessen Ende Geoff die vorderen Reihen noch mit Wasser gesegnet hatte. Wie viele andere auch war ich tief beeindruckt und zehre noch immer von diesem Konzerterlebnis. Dem „Operation: Mindcrime“-Geniestreich hatte man tatsächlich alle Ehre erwiesen und Gentleman Geoff ist noch immer das gewohnte Goldkehlchen – von etwaigen Alterserscheinungen keine Spur. Das war nicht nur ganz großes Kino, sondern auch tatsächlich das erste Mal, dass ich Geoff Tate live gesehen habe – das schreit nach Wiederholung!

„I used to think that only America’s way, way was right. But now the holy dollar rules everybody’s lives – gotta make a million, doesn’t matter who dies…”  („Revolution Calling“)

08.12.2018, Goldener Salon, Hamburg: KAMIKAZE KLAN + THE GUV’NORS + TYPHOON MOTOR DUDES

2015 gründete sich der Hamburger KAMIKAZE KLAN aus den Trümmern hanseatischer Hochkaräter wie EIGHT BALLS oder SMALL TOWN RIOT; Sänger George stieß von den DOGS ON SAIL hinzu, deren drittes Album er eingesungen hatte. Im April 2018 veröffentlichte man das Debütalbum, die offizielle Release-Party ließ jedoch bis Dezember auf sich warten. Für diese hatte man sich zwei hervorragend passende Bands ausgesucht, um mit ihnen die Bühne zu teilen.

Die erste waren die TYPHOON MOTOR DUDES, alte Kieler Recken, die ich seit einer Ewigkeit nicht mehr live gesehen hatte. Das Quartett hat sich arschtretendem Punk’n’Roll verschrieben, dargereicht mit zwei Gitarren und englischen Texten. Hatten die nicht mal ‘nen Sänger, so’n langhaarigen, der gern durchs Publikum stromerte? So zumindest hatte ich sie in Erinnerung. Nun sang halt einer der Gitarristen, neben älteren Songs auch brandneues Material wie „The One Who Knows It All“ über notorische Besserwisser, später einen weiteren, verdammt geilen, „Billy Horizon“ oder so. Ein paar Leute im etwa halbvollen Salon versetzte man in Bewegung, gab Fußballprognosen ab und sorgte vor allem für gute Laune und ebensolche Musik. Schön, die DUDES mal wiedergesehen zu haben!

Die dänischen GUV’NORS hatte ich vom gemeinsamen Gig in Kiel noch in bester Erinnerung, natürlich bestätigte sich der positive Eindruck auch heute: Auf ein Mundharmonika-Intro des Sängers folgte englischsprachiger Streetpunk mit rockiger Schlagseite und vielen schönen Singalongs. Zwischenzeitlich griff der Sänger immer mal wieder zur Mundharmonika und veredelte manch Song mit ihr, während der langhaarige der beiden Gitarristen sich die Finger wundschrubbte und körperlich so sehr mitging, dass er bald komplett schweißgebadet war – Wahnsinnsshow, Respekt! Eine Dame in der ersten Reihe tanzte unentwegt durch, ansonsten war mal mehr, mal weniger vor der Bühne los. Ich z.B. kam an diesem kalten Winterabend ehrlich gesagt gar nicht erst aus meiner Jacke raus. Die Band dürfte jedoch den Geschmack aller getroffen haben – klasse Gig, geht absolut klar!

Irgendwie haben die beiden vorausgegangenen Bands gewissermaßen den KAMIKAZE-KLAN-Sound definiert: Punk, Rock & Roll, rockiger Streetpunk – all das findet sich im KKK-Klanggewand wieder, der einem nun live um die Ohren flog. Beim ersten Song hatte der obenrum nur in seine Jeanskutte gehüllte George noch Probleme mit dem Mikro, danach war aber alles bestens: Deutschsprachiger Punkrock mit Straßenattitüde, rockigen Riffs aus zwei Klampfen und einem supertighten Rhythmusfundament, gegossen von KANISTERKOPF-Lehmann an der Schießbude und ex-EIGHT-BALLS-Michi am Viersaiter. George hat gegenüber seiner Zeit bei DOGS ON SAIL offenbar an Stimmumfang zugelegt und lieferte ‘ne energiegeladene Asi-mit-Niveau-Performance, die dir die Falten aus der Fresse boxte. Seine Texte sind meist persönlicherer Natur, sie handeln viel von Verlust und Tod, das „Schon mal vorgegangen“-Motiv zieht sich durch gleich mehrere Songs. Damit verarbeitet George die zahlreichen bedauerlichen Todesfälle innerhalb der Szene unter Angehörigen seiner Generation, die er und wir alle irgendwie verdauen mussten. Nachdem sein DOGS-ON-SAIL-Song „Death Machine“ True-Rebel-Karsten gewidmet war, handelte ein weiteres Stück von RIOT-OF-RATS-Tobi, „Heavy Metal“ wiederum war SOFASTRAHLT-Uli zu ehren. Allen Nachrufen zum Trotz gelingt es George und dem KLAN, eine positive Lebenseinstellung zu bewahren, was sich ebenfalls in Auftreten, Ausstrahlung und natürlich in den Texten widerspiegelt, in denen man eine gesunde trotzige Haltung dem Leben und seinen Unzulänglichkeiten gegenüber einnimmt und dem ängstlichen deutschen Spießer ins Gesicht lacht respektive ihm hasserfüllt in selbiges rotzt. In diesem Zusammenhang ist inhaltlich auch Platz für etwas Gesellschaftskritik. Während des Gigs wurde ein erstes Weihnachtsgeschenk in Form einer festlich verpackten Buddel Schnaps auf die Bühne gereicht, die sogleich geköpft wurde. Später im Set kredenzte man noch einen neuen Non-Album-Song, bevor man nach getaner Arbeit die Bühne verließ. Ein Gig, mit dem die Band absolut zufrieden sein kann – ich war’s jedenfalls und den Publikumsreaktionen nach zu urteilen war ich damit nicht allein. Es war tatsächlich mein erstes Mal KAMIKAZE KLAN live und es ist geil, diese Typen (inkl. des mir bis dato unbekannten zweiten Gitarristen) wieder auf der Bühne zu sehen. Würde mich freuen, mal mit einer meiner Combos mit dem KLAN die Bühne unsicher zu machen – das riecht nach ‘ner großen Party!

04.12.2018, Markthalle, Hamburg: EXODUS + SODOM + DEATH ANGEL + SUICIDAL ANGELS

„Spielen heute nicht irgendwo KREATOR?“ – Tom Angelripper

Die letzten SODOM-Gigs in Hamburg hatte ich ebenso verpasst wie EXODUS seit der Rückkehr ihres Shouters Zetro – ich war also dermaßen unterthrasht, dass ich mir ein Ticket für dieses offenbar von MTV gesponsorte (weil unter „MTV Headbangers Ball Tour“ firmierende) Konzertereignis besorgte und auch die Liebste dafür begeistern konnte. Interessanterweise hatte ich alle vier Bands schon mal in unterschiedlichen Konstellationen in der Markthalle gesehen und glaubte, eigentlich auf die passend zur Vorweihnachtszeit eingeladenen griechischen und US-amerikanischen Engel verzichten zu können, zumal es sich um einen Dienstag handelte und ich am nächsten Tag ein Referat über eher unmetallisches Liedgut, nämlich das Nibelungenlied, hätte halten sollen. Entgehen lassen wollte ich mir natürlich trotzdem nichts und traf mich mit der besseren Hälfte um 18:00 Uhr an der Markthalle.

SUICIDAL ANGELS gaben pünktlich ab 18:30 Uhr dem Affen Zucker. Die Griechen gewinnen sicher keinen Originalitätspreis und klingen in ihren schwächeren Momenten nach SLAYER-Ausschussware, haben aber auch eine beachtliche Anzahl schön ruppiger Aggro-Thrasher unter den Flügeln, die sie auch über dem Hamburger Publikum fallenließen. In Quartettbesetzung mit zwei Gitarren wurde ordentlich Druck erzeugt und Araya-like gekeift, besonders „Bloodbath“ kam sehr geil rüber. „Seed of Evil“ ist wohl so was wie der METALLICA-Song im Set. Für den vorletzten Song „Moshing Crew“ rief man in der schon überraschend gut gefüllten Halle zu Circle Pit und Wall of Death auf; generell gab’s ‘ne Menge Publikumsanimationen, für meinen Geschmack zu viel – und alle so yeah… Zu dieser Mucke passt’s meines Erachtens besser, wenn man auf die Bühne kommt, unprätentiös sein Set runterrotzt und wieder geht, statt zu versuchen, aktuellen KREATOR & Co. nachzueifern. Aber der Gig war durchaus ein guter Anheizer, nur die Drums waren bis auf Snare und Becken zu leise. Nach 40 Minuten war Schluss, was zehn mehr sind, als manch anderem Opener zugestanden werden.

Mit den Bay-Area-Thrashern DEATH ANGEL bin ich nicht allzu vertraut, habe lediglich den (allerdings sehr geilen!) ersten Langdreher im Schrank. In jüngere Platten hatte ich mitunter mal reingehört, konnte allerdings nicht viel damit anfangen. Ihren Markthallen-Gig vor einigen Jahren im KREATOR-Vorprogramm hatte ich aber vor allem aufgrund des Energielevels in guter Erinnerung. Auch heute lieferten sie einen Einstand nach Maß und konzentrierten sich zu meiner Freude auf ein Oldschool-Set mit vornehmlich altem Material – eine Art Motto, das sich durch den gesamten Abend ziehen sollte. Ergänzt wurde die Auswahl von „Thrown to the Wolves“, einem bockstarken, nicht ganz so alten Song, der besonders live stets oberfett ins Mett knallt, diesmal mit arschlangen Screams des Sängers Mark. Überhaupt, Mark O.: Welch ein unfuckingfassbares Energiebündel, dieser Typ!? Würde ich stimmlich auch nur einmal rauszuhauen versuchen, was er an diesem Abend ablieferte, ich wäre wochenlang heiser. Ständig war sein Mikroständer in der Luft, er peste über die Bühne und drehte völlig am Rad. Der Bassist hingegen entpuppte sich als Oberposer, der ständig mit nacktem Finger auf angezogene Leute zeigte und anschließend den Schumidaumen machte. Eigentlich vom obersten Regal war auch die dargebotene „Kill as One“-Version, leider durch ein überflüssiges Mitsingspielchen arg gedehnt. Was soll das? Spart euch lieber die Zeit und spielt stattdessen ‘nen weiteren Song! So wurde bereits um 20:12 Uhr der letzte Song angekündigt. Wie auch immer, vollkommen zurecht war die mittlerweile volle Markthalle nun so richtig warmgeworden, freudig entzückt und geil auf mehr. Ein Hammerauftritt, den, würde er auf einer klassischen 45-Minuten-Langrille als Livealbum veröffentlicht, ich mir sofort zulegen würde.

„Persecution Mania“ (in Kombination mit der „Exposure of Sodomy“-EP) ist mein SODOM-Lieblingsalbum, zudem – ebenso wieder Nachfolger „Agent Orange“ – ein Meilenstein der deutschen Thrash-Historie. Dass der Gitarrist jener Großtaten, Frank Blackfire, nach einer radikalen Bandumbesetzung wieder an der Seite Tom Angelrippers musiziert, man sich außerdem um einen zweiten Klampfer verstärkt und DESASTER-Trommeltier Husky zum Kesselrühren verpflichtet hat, machte mich natürlich extrem neugierig/geil auf einen SODOM-Gig dieses Line-Ups (dessen Live-Premiere auf dem Rock-Hard-Festival ich mir immerhin im WDR hatte ansehen können). Und dann ist da ja noch die EP mit den zwei neuen Songs, die kaum Wünsche offenlassen… Nach ein paar labbrigen Pommes vom Markthallen-Frittenschmied konnten wir eine mittels zwei großer Knarrenheinz-Aufsteller mit diabolisch leuchtenden Augen ins „Persecution…“-Design versetzte Bühne erblicken, auf denen die Herren Schwarzfeuer & Co. nach einem Intro sogleich mit dem Uralt-Kultrumpler „Blasphemer“ eröffneten! Alter Fatter, damit hatte ich nun nicht gerechnet. Das ganze Set bestand nahezu ausschließlich aus Songs bis inkl. des (endlich mal wieder berücksichtigten) „Tapping The Vein“-Albums, der Schwerpunkt lag natürlich auf der Blackfire-Ära. Von „Vein“ gab’s „One Step Over The Line“, was ok ist, lieber hätte ich aber „Body Parts“ oder „Skinned Alive“ gehört – oder auch den Titelsong. Oder „The Crippler“. Egal, Songs wie „Sodomy and Lust“, „Agent Orange“ und „Tired and Red“ krachten genauso splitternd ins Fressbrett wie die beiden neuen Kanonenschläge „Partisan“ und das crustige „Conflagration“. Zu den evil Songs und der etwas übertriebenen Lightshow gesellten sich wie gewohnt kumpelhafte Ansagen Toms, die Band verteilte Bier für die ersten Reihen und Frank entledigte sich bald seines Blackfire-Shirts, um mit freiem Oberkörper zu posieren. Der obligatorischen Abrissbirne „Bombenhagel“ folgte leider kein „Ausgebombt“, dieses Doppel hätte den Gig perfekt abgerundet.  Nach einer knappen Stunde war erst mal Feierabend und ein herrlich grimmiger Oldschool-Ruhrpott-Thrash-Gig beendet, der einen gelungenen Rollback darstellte – wenn auch leider ohne Zugabe. Frank wieder zusammen mit Tom musizieren zu sehen, ist großartig, die zweite Gitarre hält den Druck permanent aufrecht und Husky hat gegen einen technischen Power-Drummer wie Makka natürlich einen schweren Stand, sorgt aber ein bisschen für so etwas wie Chris-Witchhunter-Charme. Mehr davon! Ich freue mich aufs Album. Und dass mich mitten im Set die Nachricht erreichte, dass das Seminar und damit auch das Referat am nächsten Morgen ausfalle, machte den Abend perfekt und ließ mich gleich mal noch ‘ne Pilsette ordern.

Wesentlich unprätentiöser als SODOM und ohne spezielle Lightshow bogen EXODUS direkt mit „Bonded By Blood“ um die Ecke, was nicht nur mich sofort in Ekstase versetzte. Zu meiner positiven Überraschung setzte auch diese Bay-Area-Legende fast volles Pfund auf gut abgehangenes Material und knallte einem einen Klassiker nach dem anderen vor den Latz: „Exodus“, „Fabulous Disaster“, „And Then There Were None“, „A Lesson in Violence“, „Piranha“… Eine unglaublich geile Version von „Impaler“ spaltete reihenweise Schädel, „Toxic Waltz“ wurde angekündigt, doch stattdessen METALLICAs „Motorbreath“ gezockt, bevor die (Achtung, Wortspiel) Giftwaltze tatsächlich rollte. Abgerundet wurde das Set von „Blacklist“ vom „Tempo Of The Damned“-Album (dem besten der EXODUS-„Neuzeit“) und „Body Harvest“, dem einzigen gespielten Song des aktuellen, für mich leider enttäuschenden Langdrehers „Blood In Blood Out“, der live wesentlich besser als auf Platte kam. Die letzte Nummer „Strike of the Beast“ durfte ein SUICIDAL ANGEL mitträllern, während im Pit wieder eine Wall of Death errichtet werden musste; dann war leider Schicht im Schacht. Zwischendurch fragte Drummer Tom Hunting, ob jemand bereits 1985 anwesend gewesen sei, als man hier zusammen mit VENOM aufgetreten sei (was ich leider verneinen musste, da war ich fünf und gerade parallel auf einem HC-Punk-Gig) und bedankte sich bei allen für die Erfüllung seines Lebenstraums. Leck mich am Arsch, war das ein geiler Gig! Schade nur, dass auf den eigentlichen Chefgitarristen Gary Holt wieder einmal verzichtet werden musste, weil er mit SLAYER unterwegs war (deren Jeff Hanneman er seit dessen tragischen Ableben vertritt) und dass der Gesang oftmals dann, wenn Zetro nicht gerade in spitzen Frequenzen kreischte, ziemlich leise war. Ebenso schade, dass sofort die Lichter angingen und keine Zugabe mehr folgte.

Fazit: Hamburg ließ sich nicht vom Wochentag abschrecken und sorgte für volles Haus, während die Bands, vor allem natürlich die etwas betagteren, bewiesen, dass sie nicht zum alten Eisen, sondern nach wie vor zum Edelstahl gehören. An der Energie und Ausstrahlung der Thrash-Senioren kann sich manch spießiger Sesselfurzer gleichen Alters mal ganz dicke Scheiben abschneiden. Jedoch bedeuten Thrash-Konzerte dieses Levels im Jahre 2018 anscheinend leider auch minutiös einzuhaltende Zeitpläne, kaum Raum für Spontanität oder Zugaben, keine völlig durchdrehenden Maniacs mehr wie anno dazumal, die sich im Sekundentakt von der Bühne stürzten, dafür umso mehr durchchoreographierte Mitmachspielchen mit dem Publikum. Das wollte ich aber nur mal angemerkt haben, denn von dem, was ehemalige alten Helden wie METALLICA oder MEGADETH heutzutage so veranstalten, trennen Konzertereignisse wie dieses glücklicherweise immer noch Welten.

„They spend all their time building missiles, so people die. What kind of life do you expect for us to live? We’re angered by fear, because the time is near when some lunatic will finally pull the plug. And forever after you can hear the laughter, world’s being plastered by an evil bastard. Exterminating faster, devastating plaster, fabulous disaster! Now you can see what this all means to me when the bomb comes falling… down!“ *träller*

01.12.2018, Menschenzoo, Hamburg: KREFTICH + FRUSTKILLER

FRUSTKILLER aus Hannover und KREFTICH aus Dinslaken und Duisburg betourten ihre aktuellen Alben und machten an jenem Samstag im Menschenzoo Halt. Nach Weihnachtskeksebacken und Fußballgucken im Menschenzoo-St.-Pauli-Siebdruckgedöns-Hauptquartier latschten Madame und moi Pauli-Pizza-gestärkt die Kellertreppen in den Club hinunter, in dem man sich mit dem Beginn noch etwas Zeit ließ. Die Hannoveraner hatte ich bisher kaum auf dem Schirm, ihr Song „Hotel zur Heimat“ war mir 2005 aber auf einer CD-Beilage positiv aufgefallen und blieb bis heute im Ohr. Die „Tourensöhne“ (Wortspiel des Gitarristen) traten mit zwei Klampfen als Quartett an, einer der Gitarristen ist zugleich der Sänger. Musikalisch am stärksten waren sie, wenn nicht beide Sechssaiter das Gleiche spielten, sondern sich ergänzten und gut ins Ohr gehende, oft leicht melancholische Melodien aus dem Hut zauberten. Dazu passte der tiefe, kehlig raue, etwas gepresste Gesang bestens, während offenbar US-Melodicore-inspirierte Breaks die von der Rhythmussektion angetriebenen Songstrukturen auflockerten. Ohne mit ihrem Œvre vertraut zu sein nehme ich an, dass es sich beim Set um einen Querschnitt aus allen drei Alben mit Schwerpunkt auf der aktuellen Langrille „Treibgut“ gehandelt hat. Irgendetwas hatte es anscheinend auch mit einem ominösen „Schichtgetränk“ der Band auf sich, das sich mir jedoch nicht ganz erschloss. Das „Hotel zur Heimat“ konnte ich mitsingen und freute mich über den Wiedererkennungseffekt. Eher ungewöhnlich auch, dass der Sänger explizit den Umstand lobend erwähnte, als Gast im Zoo alles vollquarzen zu dürfen – evtl. weil man sich dadurch eine Nebelmaschine spart? FRUSTKILLER erspielten sich ihr Publikum, wurden im verdammt gut gefüllten Menschenzoo sehr wohlwollend aufgenommen und mussten schließlich auch noch für eine Zugabe ran. Einwandfreier Gig, der die Messlatte hochgelegt hatte.

KREFTICH waren mir 2007 mit ihrem Debütalbum „Stil los!“ aufgefallen, das ich ganz gut fand. Vom Nachfolger „Bis hierhin und dann weiter“ 2011 hatte ich nichts mitbekommen und die aktuelle Platte „Niemals stumm“ auch noch nicht gehört, beides werde ich nachholen. Mit „Hallo Duisburg!“ begrüßte das Trio das Publikum. Offenbar war es der Band noch nicht verqualmt genug und so warf sie die Nebelmaschine an. KREFTICH mäandern irgendwo zwischen dem stilistisch an alte WIZO erinnernden Funpunk, nachdenklichen, melancholischen bis philosophierenden Songs und klaren An- und Aussagen gesellschaftskritischen, antifaschistischen Anspruchs, mit denen sie sich gerade machen und Haltung zeigen. Musikalisch sind melodische US-Punk-Einflüsse ebenso wenig überhörbar wie Anleihen beim CHEFDENKER- oder BASH!-Stil, angereichert durch ein paar Offbeat-Einlagen und – zumindest auf Platte – auch Bläsern, Klavierklängen etc. An ihren Instrumenten sind alle drei tiptop, den Hauptgesang teilen sich der mich optisch ein bisschen an Vincent Ebert erinnernde Bassist und der Gitarrist mit Struwwelpeter-Frise. „Unsere Stadt bleibt bunt“ vom neuen Album entpuppte sich als echter Hit, dessen Hauptgesang beim Drummer lag. Der leicht nasale Gesang des Bassers kommt zumindest live etwas dünn und der eine oder andere persönliche Geschichten verarbeitende Song wirkt auf den ersten Hör ein bisschen belanglos oder gar kitschig. Auf der Habenseite stehen die Stimme des Gitarristen, schwer tanzbare Songs wie „Koppdropp“ (mit sehr geilem Wechselgesang) oder „Immer wieder“, das den Stimmungshöhepunkt darstellte und um ein Mitsingspielchen ausgedehnt wurde. Kurios: Der Menschenzoo war eigentlich bis zum DJ-Pult gefüllt, mitten im Set lichteten sich die Reihen plötzlich, wurden jedoch durch eine ganze Traube plötzlich hinzustoßender Menschen wieder aufgefüllt, von denen es einige auch direkt nach ganz vorne zog, um den Pogo-Pit neu zu entflammen. Der per Gaffa befestigte KREFTICH-Banner machte nach und nach ‘nen Abgang, FRUSTKILLER verteilten ihr ominöses Schichtgetränk an die Band und der Zugabenblock umfasste zunächst zwei Songs: Die gelungene Anti-Nazi-Nummer „Gegenwind“, humorvoll selbstironisch angesagt mit: „Der nächste Song ist gegen Nazis und der ist auf dem neuen Album! Im Internet kann man Ansagen kaufen…“ „Spiegelbild“, der Opener des Debüts, war die zweite Zugabe. Die Konservenmucke lief schon wieder, als man erneut seine Instrumente einstöpselte, um abschließend „Halt mich fest“ von TAGTRAUM zu covern. Unterm Strich hat mich nicht jeder KREFTICH-Song umgehauen, aber das Set war ordentlich hitgespickt und die Band hatte ‘ne sympathische Ausstrahlung sowie Humor. Würde ich mir wieder geben. Einmal mehr also ein lohnender Konzertabend im Menschenzoo, den Mischpultchef Norman wie gewohnt mit einem 1A-Sound beschallte und dessen Bands meines Erachtens ziemlich gut zusammenpassten.

24.11.2018, SZ Norderstedt: MURUROA ATTÄCK + CRACKMEIER

Mein letzter Besuch des Sozialen Zentrums Norderstedt lag Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück, wobei die Entfernung und nicht ganz ideale Verkehrsanbindung natürlich eine Rolle spielten. Daran änderte auch der vor ein paar Jahren vollzogene Umzug in neue Räumlichkeiten wenig, die ich an diesem Samstag erstmals betrat. Ausschlaggebend war, dass es MURUROA ATTÄCK – von denen ich gar nicht wusste, dass es sie noch gibt – dorthin im Rahmen einer Geburtstags- oder Jubiläumsfeier verschlagen hatte und zudem die lokalen Haudegen von CRACKMEIER den Support besorgten (eigentlich war noch eine weitere Band geplant, aber es hatte sich dummerweise niemand gefunden… Wir wären gern mit DMF eingesprungen, leider war bei uns aber auch jemand verhindert). Die Anreise erfolgte mit Bahn und Bus und für die Rückfahrt wurde grob ein Taxi anvisiert, denn ein Bus würde nachts nicht mehr fahren… Das (nun auch nicht mehr sooo) neue SZ kann sich sehen lassen, die Bude ist recht geräumig und verfügt über einige Sitzmöglichkeiten, ein Klavier (von dem ich nicht weiß, ob es nur als Deko dient oder auch mal gespielt wird) und Ratsherrn für arbeitnehmerfreundliche einsfuffzich, lediglich die Toilettenanzahl ist etwas knapp bemessen. Und man raucht gern und viel in Norderstedt, sodass man die Luft in Teerblöcke schneiden und zum Straßenbau hätte verwenden können, der temperaturtechnische Wintereinbruch verhinderte ausgiebiges Lüften.


Seit ich CRACKMEIERs erstem Gig im März beiwohnte, nehmen sie alles an Auftrittsmöglichkeiten mit, was sie kriegen können und kommen schon ganz gut rum. Das sei ihnen gegönnt, denn ihr harter, ungeschliffener HC-Punk mit deutschsprachigen Texten ist herrlich angepisst und brutal. Shouter Jesche nutzte den Raum vor der Bühne für seine Hasstiraden, während er und seine Kollegen an den Saiten sich von Drummer Martin antreiben ließen, der die Songs in Rekordgeschwindigkeit durchpeitschte. Bass-Böller hielt tapfer mit, gab hinterher jedoch zu Protokoll, dass ihm beinahe die Hand abgefallen wäre. Von seinem schön fiesen Background-Gebölke ließ er sich davon nicht abbringen. Zwei Gitarren sind für HC-Punk nicht unbedingt üblich, das Duo Fokko und Jerome ist gut aufeinander abgestimmt und sorgt für zusätzlichen Druck. Jerome übernahm bei einer Nummer den Hauptgesang, leider war sein Mikro zu leise (noch auf Background gepegelt). Geiler, für die Band sichtlich anstrengender Gig, dem trotz Forderungen leider keine Zugabe folgte – wobei sich CRACKMEIER ihren Feierabend aber redlich verdient hatten. Und endlich wurde gelüftet!

Dass ich MURUROA ATTÄCK (aus OWL, Hannover und HH) das bisher einzige Mal live sah, lag tatsächlich schon sechs Jahre zurück! Damals wurde ich so geflasht, dass ich beschlossen hatte, mir deren Gesamtwerk zuzulegen, was mittlerweile längst geschehen war. Statt wie seinerzeit aufsehenerregenderweise zwei Bassisten hat man nun „nur“ noch einen, ist also zum Quintett zurückgeschrumpft. Als Intro zog der kehlig brüllende Shouter Holger durchs Publikum und sang die Titelmelodie der schwedisch-deutschen Anarchofilmreihe um „Michel aus Lönneberga“. Auf der Bühne allerdings gab’s dann in Form rasanten und aggressiven deutschsprachigen HC-Punks kräftig aufs Fressbrett! Die seit den 1990ern aktive Band ist keine BPM- oder Phonstärke altersmilde geworden, sondern bügelt einem mittels kontrolliertem Krachinferno die Falten aus dem Arsch. Wütende und sarkastische Texte decken die Bereiche Politik-, Gesellschafts- und Weltenhass sowie persönliche Kämpfe und negative Erfahrungen ab, während die Soundwand immer mal wieder durch Trompeteneinlagen des Bassers, melodische Riffs/Läufe, Breaks etc. aufgebrochen wurde. Zu meiner Überraschung gibt’s ‘ne nigelnagelneue Platte, eine Split-LP mit (Achtung, der Name kommt gebückt:) VOLKER DAS STROPHE & DIE UNTERGÄNG, von der auch wat gespielt wurde, zu meiner Freude fand sogar die erste 7“ noch im Set Berücksichtigung. Das lautstark eingeforderte „Klimperkastenlied“ hob man sich bis zum Schluss auf. Nach den ersten Songs hatte sich ein Pogopit vor der Bühne gebildet, der sich immer mal wieder beruhigte und wieder an Fahrt aufnahm, Holger, gesanglich kräftig von einem der Gitarristen unterstützt, zog es ab und zu von der Bühne durch die Reihen davor, irgendwas war immer los und in Bewegung. Der Aufwand, mal wieder nach Norderstedt zu kommen, hatte sich definitiv gelohnt, MURUROA ATTÄCK hatten geliefert wie bestellt. „Aloha Mururoa!“

Nach ein, zwei letzten Runden Pils bei ansprechender musikalischer Untermalung durch den DJ ging’s per Großraumtaxi zusammen mit Madame und CRACKMEIER direkt auf den Kiez, die Rückfahrt gestaltete sich also nicht nur komfortabel, sondern auch noch preisgünstig. Der Fahrer steuerte die Tortuga-Bar an, wo wir uns den Rest gaben – und am nächsten „Morgen“ war ich stolz wie Bolle, dass ich’s tatsächlich geschafft hatte, meine neu erworbene Split-LP ohne einen Kratzer oder Knick nach Hause zu bringen. Hat man so was schon erlebt?!

14.11.2018, Monkeys Music Club, Hamburg: TOPNOVIL + BOLANOW BRAWL

Geilo, endlich mal wieder im Monkeys zocken! Offenbar war das Konzert schon sehr lange geplant und die Kollegen von BATTLESHIP als Opener verpflichtet, sodass sie auf den Monkeys-Programmplakaten angekündigt wurden. Diese konnten letztlich dann doch nicht, hatten aber zeitig genug abgesagt, sodass man sich in aller Ruhe um eine Alternative bemühen konnte – die Wahl fiel auf uns. Ihre Tour führte die Australier TOPNOVIL an einem Mittwoch in die Hansestadt, was natürlich nicht gerade ideale Bedingungen sind. Aber was soll’s, ich freute mich aufs Bergfestfeiern und natürlich auf die legendäre Gastfreundschaft des Clubs – und wurde nicht enttäuscht. Was Betreiber und Fünfsternekoch Sam da wieder auftischte, erfreute meinen Gaumen in höchstem Maße, mit dem Bierkonsum hielt ich mich allerdings etwas zurück. Der Soundcheck mit dem neuen P.A.-Verantwortlichen lief ganz gut und als wir pünktlich um 21:00 Uhr mit „Total Escalation“ ins 45-minütige Set starteten, spielten wir vor 20-25 Nasen. Das hätten natürlich gern ein paar mehr sein dürfen; dafür befanden sich angenehmerweise doch einige bekannte Gesichter darunter. Diese wurden Zeuge, wie eine erschreckend nüchterne und dadurch etwas hüftsteife und maulfaule Band sich zumindest musikalisch wohl recht souverän durchackerte und dabei vom guten Bühnensound profitierte. Die Monkeys-Bühne zu bespielen macht einfach Spaß und denke, dass wir das auch ausgestrahlt haben. Nach „Fame“ war Schluss, Bühne frei für Oz‘ finest in Streetpunk.

Von TOPNOVILs Qualitäten hatte mich bereits überzeugen können, als ich mit meiner Krawallcombo DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS für die nur schwer zu überbietende Troika aus TOTAL CHAOS, THE CASUALTIES und eben TOPNOVIL vor zwei Jahren am selben Ort eröffnete. Auch heute mündete der Gig in eine Lehrstunde in Sachen Spielfreude und Spielwitz: Den recht offensichtlich von den flotteren RANCID-Nummern beeinflussten US-Style-Streetpunk peitschte man Nummer für Nummer durch, ließ nicht mal ansatzweise Tourmüdigkeit o.ä. erkennen und holte aus beiden Klampfen das Maximum heraus: Auf die rhythmischen Riffs legte man eine feine Melodie nach anderen, die direkt ins Ohr gingen und keine Scheu vor hymnenhaften Refrains zeigten. Manche Songs kamen wiederum mit nur einer Gitarre aus, dadurch gewann der Sänger zwischenzeitlich an Bewegungsfreiheit. Dieses Zeug hätte eigentlich von einem in dreistelliger Stärke angetretenen Publikum abgefeiert werden müssen – an einem Mittwoch ist aber wohl nicht jedem danach, sich zu diesem Sound in die Glückseligkeit zu trinken und zu tanzen. „Nice Boys Don’t Play Rock’n’Roll“ der australischen Hardrock-Kollegen ROSE TATTOO weiß auch in der TOPNOVIL-Version zu gefallen, das Bier lief längst gut die Kehle hinunter. Nach dem nominell letzten Song hatte ich nicht auf Zugaben zu hoffen gewagt, doch man strafte mich Lügen: Die nimmermüde Band kredenzte zwei weitere Song, darunter das RANCID-Cover „Radio“. Saugeiler, gut arschtretender Gig, der mich schwer begeistert zurückließ und in den Pub-Bereich führte, wo ich mir endlich ein Monkeys Red gönnte. Bis auf Keith waren die anderen Brawler schon wieder aufgebrochen: Ole z.B. musste nach Kiel zurück und Christian sogar nach Dänemark (!), wo er eigens fürs Konzert seinen Urlaub unterbrochen hatte. Keith und ich smalltalkten („Wie talkst du?!“) noch etwas mit den sympathischen Aussies und Sam bedankte sich ausgiebig für unser Einspringen, was ich meinerseits mit Danksagungen für Auftrittsmöglichkeit, Speis & Trank sowie Bandkassenobolus erwiderte. Außerdem klagte er mir sein Leid bzgl. der ausufernden Bürokratie, die solch ein Liveclub mit sich bringt und um die er wahrlich nicht zu beneiden ist. Hinsichtlich Gema-Abwicklung & Co. besteht echt mal Reformbedarf, watt’n Papierkriech… Dummerweise habe ich vergessen, mir mal TOPNOVIL-Vinyl mitzunehmen – aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben und ich hoffe, die Band bald wieder in HH zu sehen, vorzugsweise an einem Wochenende.

Mit einem alten Kumpel verköstigte ich in beinahe unvernünftiger Weise noch ein paar Pilsetten, bevor sich meine Selbstdisziplin durchsetzte und mich ins Schlafgemach trieb, denn der nächste Tag war mitnichten frei. Danke auch an TOPNOVIL, dass wir deren Tourequipment mitbenutzen durften und uns somit diesmal keinen Bruch beim Transport aus/in dem/n sechsten Stock zu heben brauchten sowie an Wolfie & Ute für die Fotos und Videos! Nächster BOLANOW BRAWL: 28.12.2018 im Molotow – Jahresausklang, gewissermaßen.

03.11.2018, Gängeviertel, Hamburg: NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN + MISSSTAND + DR. ULRICH UNDEUTSCH

Die Qual der Wahl: Zu WHISKY PRIESTS im Monkeys? Zur HARBOUR-REBELS-Release-Party in die Fanräume? Oder zur NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN ins Gängeviertel? Die PRIESTS hätten mein Budget gesprengt; letztlich wurd’s ein Stechen zwischen den Fanräumen und dem von Beyond Borders organisierten Konzert im Gängeviertel, das aus einem Bauchgefühl heraus den Zuschlag bekam. Es sollte der Tourabschluss der NOTGEMEINSCHAFT sein, die mit ihrem neuen selbstbetitelten Album durch die Lande getingelt war. Da war ich schon ein bisschen neugierig. Als wir in der geräumigen Fabrique eintrafen, hatten DR. ULRICH UNDEUTSCH gerade begonnen. Die Sachsen hatte ich letztes Jahr an selber Stelle erstmals gesehen und war damals nicht sonderlich angetan von ihrem spröden, monotonen HC-Punk. Diesmal allerdings traten die Helden in Strumpfhosen mit zwei Gitarren an, was dem Sound mehr Druck verlieh. Generell schien man mir diesmal deutlich mehr auf die Kacke zu hauen. Zwar ist mir das auf Dauer immer noch etwas zu gleichförmig, aber ich war durchaus positiv überrascht. Beim vorletzten Song fiel leider der Bass aus und die letzte Nummer war wohl ein Coversong, den ich nicht erkannt habe.

Die Ösis von MISSSTAND waren mir schon länger nicht mehr vor die Flinte gekommen; an ihren gemeinsamen Gig mit den SHITLERS im Menschenzoo dereinst hatte ich grundsätzlich gute, jedoch nur noch arg verschwommene Erinnerungen. Diese wurden mit dem Vorschlaghammer aufgefrischt, denn MISSSTAND legten mit Vollgas los. Manchmal etwas arg plakativer, ansonsten aber veritabler „Deutschpunk“, wenn man’s denn so nennen will: Schnelle Songs, gutes Aggressionslevel, ausreichend Melodie, um sich festzukrallen und Refrains, die sich gut mitbrüllen lassen. Die ausgiebige Tourerfahrung merkte man der extrem souveränen Band an, da saß jeder Ton. Der Drummer fiel mir mit einigen geilen Fills auf, NPP-Stemmen musste zwischendurch als Drum-Technician einspringen.  „Sag mir wo!“ erinnerte mich thematisch stark an COCK SPARRERs „Where Are They Now?“. Das aktuelle Album „I Can‘t Relax In Hinterland“ kenne ich noch gar nicht, der Quasi-Titeltrack „Hinterland“ wurde als vorerst letzter Song gespielt und ließ mich zweifeln: „Es gibt kein ruhiges Hinterland“ lässt sich natürlich prima mitsingen, hat mit der Realität aber nichts mehr zu tun, die Nazis haben schon lange breite Landstriche für sich erobert. „Heimat zu Asche“ wurde dann noch als Zugabe kredenzt und zwischendurch gab’s gesangliche Unterstützung von Stemmen und RilRec/Plastic-Bomb/Filmemacher-Lars. MISSSTAND hatten es geschafft, für Bewegung zu sorgen, die ein sich unwirsch durch die Reihen pflügender Typ anfangs noch zu erzwingen versucht hatte. Schön aufstachelnder Gig!

Das neue NPP-Album hatte ich bisher genauso wenig gehört wie den aktuelles MISSSTAND-Dreher, man kommt ja zu nix. Umso gespannter war ich, wie viele neue Songs man spielen und wie sich diese ins Set einfügen würden. Mit „Helikoptereltern“ griff man ein eher Punk-untypisches Ärgernis auf, vermutlich der erste Punksong über dieses Phänomen überhaupt – und zwar ein durchaus gelungener, der live auch gut zündete. „Steuertrick 17“ über die Steuerflucht von Konzernen und Superreichen war ein weiterer, textlich sehr stimmiger Song der neuen Langrille, ebenso „Kleben und kleben lassen“ über Walter Josef Fischer, zu dem man laut Sänger/Gitarrist Stemmen in Hamburg nicht erklären müsse, um wen es sich handelt: natürlich niemand Geringeren als Graffiti-Legende OZ. Eine schöne Hommage mit angenehm provokantem Text. Apropos Text: Stemmen hatte anfangs angekündigt, diesmal nicht so viel zu quatschen und machte auch einen – vermutlich tourbedingt – leicht abgekämpften Eindruck. Nach den ersten Songs war davon jedoch nichts mehr zu merken und alsbald fand er auch wieder zum gewohnten Redefluss zurück. Egal ob neues oder bekannteres Material, die Notis waren supertight und gaben sich keinerlei Blöße. Vor der Bühne herrschte stets beste Stimmung, wie es bei einem Heimspiel nicht anders zu erwarten war. Etwas zu kurz war mir die diesmal gespielte „Kellerkinder“-Version, umso feierlich wurd’s aber bei „Kleine Motivationshilfe“, jenem neuen Song, mit dem man sich vor denjenigen verneigt, die durch ihre außerparlamentarische, politisch antifaschistische Arbeit die Welt ein wenig besser machen. Diverse Freundinnen und Freunde bzw. Verwandte der Band gesellten sich – angelockt von ‘nem Gratis-Pfeffi – auf der Bühne dazu und sangen im Chor lautstark mit. Irgendeine Nummer fiel mir laut meinen knappen Notizen noch mit seinen Oho-Chören positiv auf, einem Stilmittel, auf das die Band m.E. gern öfter zurückgreifen dürfte. Gegen Ende coverte man einen MISSSTAND-Song zusammen mit MISSSTAND und die eine oder andere Zugabe gab’s auch noch. Trotzdem verging die Zeit wie im Flug, was sowohl fürs musikalische Abwechslungsreichtum der Band als auch den inhaltlichen Gehalt von Stemmens Ansagen und Statements spricht. Und wie gut Drummer Mario die Gesangs-/Schlagzeugspiel-Doppelbelastung meistert, rang mir mal wieder Respekt ab. Der sich zwischen ihm und Stemmen abwechselnde Hauptgesang macht mit den Reiz dieser sich stets sehr engagiert, politisch hellwach und aktionistisch gebenden und um positive Ausstrahlung bemühten Band aus, die ein gewohnt starkes Konzert gespielt hat, das durch die Hinzunahme diverser neuer Songs auf mich etwas gezügelter wirkte als vergangene Gigs. Zwischen jenem Abend und diesem Bericht habe ich es immerhin einmal geschafft, mir das neue Album anzuhören. NPP versuchen sich damit an einem gewagten Spagat zwischen Radikalität und Provokation auf der einen und der Erweiterung ihres Publikums durch das explizit politisch motivierte Ansprechen der Mittelschicht via niedrigschwelligen, an Vernunft und Menschenverstand appellierenden Texten, an die sich leicht anknüpfen lässt und die dadurch eine höhere Reichweite erlangen könnten, auf der anderen Seite. Inwieweit das von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten; zumindest ich bin zu desillusioniert, um derartige Hoffnungen zu hegen und fühle mich vom einen oder anderen Song kaum angesprochen. Glücklicherweise finden sich auch diverse Höhepunkte auf der Platte, ein paar habe ich bereits erwähnt – und da das hier keine Plattenrezension werden soll, breche ich an dieser Stelle ab, hoffe, dass das Aftershow-Austrinken der Jupibar meine Erinnerungen an den Konzertabend nicht allzu sehr getrübt hat und freue mich, in einer gerade etwas arg fordernden und stressigen Phase meines Alltags zwischen Lohnarbeit und Studium endlich diesen Tagebucheintrag niedergeschrieben zu haben.

06.10.2018, Sauerkrautfabrik, Hamburg: VIOLENT INSTINCT + BOLANOW BRAWL // 06.10.2018, Menschenzoo, Hamburg: LUCIFER STAR MACHINE

Am 03.10., also einen Tag nach unserem Gig mit ZUNAME im Menschenzoo, hatte mich René von VIOLENT INSTINCT gefragt, ob wir am Samstag für die Band mit dem originellen Namen EDGAR ALLAN POGEN einspringen könnten, die mit ihnen in der Harburger Sauerkrautfabrik hätte spielen sollen – aber leider krankheitsbedingt absagen musste. Ab und zu klappt‘s bei uns spontan und so entschlossen wir uns, dem von uns bisher komplett vernachlässigten Süderelbebereich mal einen Besuch abzustatten und dafür auf die für den Sonntag geplante vorletzte gemeinsame Probe vorm Irland-Ausflug zu verzichten. Und in der Sauerkrautfabrik zu spielen hatte ich ohnehin schon lange mal Bock. Inmitten Harburgs werden dort selbstverwaltet und unkommerziell in lockerer, angenehmer Atmosphäre alternative Kultur, ein Treffpunkt sowie ein Infoladen, für dessen Ausbau es sich um ein Solikonzert handelte, geboten.

Als ich mit Ole vor Ort eintraf – der Rest kam mit der Bahn hinterher –, hat VI-Drummer Stefan gleich kräftig mitangepackt, um unser Equipment in den Laden zu wuchten und schließlich auch geholfen, unseren Banner anzubringen. Danke, Keule – kollegial wie immer! VI-Chanteuse Aga hatte leider mit einer fiesen Erkältung zu kämpfen, die sie jedoch nicht vom Gig abhielt. Als ich ihr eine Gelo Revoice anbot, entgegnete sie, sie habe bereits sieben (!) intus…

Nach einem stärkenden Seitangulasch (seltsamerweise ohne Sauerkraut) machten wir uns an den Bühnenaufbau. Bis auf die Gesänge wurde nichts abgenommen und letztere mussten wir uns selbst über ein lüttes Mischpult in der Drummer-Ecke regeln. Anfänglich skeptisch von uns beäugt, entpuppte sich diese Lösung als völlig ausreichend und herrlich unkompliziert. Der ungefilterte Soundcheck klang gut und anschließend konnten wir uns in Ruhe ein paar Pilsetten reinschrauben und zusehen, wie sich die Bude nach und nach füllte. Ein Frühkonzert wie ursprünglich angedacht wurd’s dann doch nicht, aber ziemlich pünktlich um 21:00 Uhr fingen wir an. Wir spielten das gleiche Set wie am Dienstag im Menschenzoo, inklusive unseres jüngsten Ergusses „2 Day Session“. Die Chancen standen gut, diesen diesmal pannenfrei zu präsentieren, doch irgendwie schaffte ich es, mir selbst das Mikro aus der Hand zu reißen, indem ich versehentlich mit dem Fuß am Kabel zog oder so… Und passenderweise verpatzte Christian seinen Einstieg in „Brainmelt“, einem Song über alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, mehrfach. Irgendwas ist halt immer. Alles andere dürfte aber ganz gut geflutscht haben und das Publikum war gut drauf, bekam seine Zugabe und konnte sich im Anschluss mit uns auf VIOLENT INSTINCT freuen.

Im Gegensatz zu mir hielt sich Aga gar nicht erst mit dem begrenzten Platz auf der Bühne auf, sondern gesellte sich zum Mob davor. Von ihrer Erkältung war nichts zu hören, absolut souverän sang sie sich durch die hauptsächlich deutschsprachigen Oi!-Punk-Hits des Debütalbums, unter die sich nun aber auch die englischen Songs der kurz vor der Veröffentlichung stehenden neuen EP mischten. Was starke, direkt ins Ohr gehende Melodien betrifft, stehen diese dem älteren Material in nichts nach, stilistisch wirken sie auf mich noch etwas stärker im klassischen UK-Punk verwurzelt. Wird man nichts mit falsch machen können, wenn die Scheiblette aus der Presse kommt! Seit VI die Kraft der zwei Klampfen haben, ist der Sound auch live stets schön drückend. Stefan peitscht die Schießbude wie eh und je kräftig durch und liefert dabei auch was fürs Auge, Ätzer am Bass rollt versiert den Tieftonteppich dazu aus. Sackstarke Band, die die Meute zu Recht zum Tanzen und Mitsingen brachte, während Teile meiner Band schon wieder versuchten, mich kräftig abzufüllen. Dabei hatte ich doch noch was vor, schließlich hatte ich schon vor der Gig-Zusage dem Menschenzoo versprochen, dort heute aufzulegen…

Dorthin hatte die Turbojugend Hamburger Berg die Bands THE BEASTS, POISON HEART und LUCIFER STAR MACHINE zitiert und offenbar nicht gerade übertrieben früh zum Angriff geblasen, denn als ich eintraf, wurde ich noch Zeuge eines fast kompletten LUCIFER-STAR-MACHINE Gigs. Nach zweijähriger Pause sind Tor & Co. wieder am Start, spielen weiterhin ihren Bad-Ass-Death-Punk’n’Roll und tragen verdammt dick auf. Teile des Publikums im recht gut ge-, aber nicht überfüllten Keller-Etablissements hatten natürlich schon kräftig einen im Tee und wirkten nicht mehr allzu aufnahmefähig, aber Tor tat alles, um die Meute noch mal kräftig anzustacheln – z.B. per TURBONEGRO-Cover „Good Head“. Ein weiteres in Form von GG ALLINs „I Kill Everything I Fuck“ war ebenso zu vernehmen wie eigenes Material à la „Eat Dust“, dem für mich vielleicht herausragendsten LCF-Song (ohne mit ihrem Werk bis ins Detail vertraut zu sein). Das LCF-Zeug tritt live allgemein ganz gut Arsch, macht Laune und ist hübsch asozial, wenn auch mir persönlich etwas zu sehr auf Badboy-Macker-Image gebürstet, wobei ich sowat wie ‘ne selbstironische Distanz etwas vermisse. Solange aber immer noch genügend Asi-PUNK-Charme durchblitzt und sich die Band musikalisch voll ins Zeug legt, kann ich da live schon Spaß mit haben. Den hatten LCF offenbar, denn man ließ sich nicht lumpen und brachte noch diverse Zugaben unters Volk, das ich anschließend mit meiner Musikauswahl noch ‘ne Weile in der Kneipe halten konnte. Eigentlich hatten sich noch drei meiner Bandkollegen, teilweise mit Begleitung, angekündigt, doch nach der Equipment-Rückfuhr machten die Luschen kollektiv ‘nen Abknicker… Um kurz nach 4:00 Uhr oder so war dann Feierabend nach einer sehr ausgefüllten Nacht – viel mehr geht nicht.

P.S.: Fotos aus der Sauerkrautfabrik gibt’s hier keine, da ich den Wunsch der Betreiberinnen und Betreiber respektiere, dort keine zu schießen. Danke an alle, die den dortigen Gig ermöglicht haben – gerne wieder!

02.10.2018, Menschenzoo, Hamburg: ZUNAME + BOLANOW BRAWL

Ich bin ja noch ein paar Konzerttagebucheinträge schuldig, also geb‘ ich jetzt mal bischn Gas:

In der Nacht auf den sog. Tag der Deutschen Einheit bekamen wir die Gelegenheit, die russischen Folk-Streetpunks von ZUNAME (sprich: Tsunami) zu supporten. Auf ihrer letztjährigen Tour hatte ich sie mir erstmals im Menschenzoo angeschaut, um eine Woche später mit ihnen im Potsdamer Archiv die Bühne zu teilen. Daraus wurde eine großartige Party, auf der man sich anfreundete – umso geiler, dass sie dieses Jahr wieder eine großangelegte Herbsttour unternahmen und man im Menschenzoo fand, dass wir musikalisch gut zueinander passen würden. Dabei sah es kurzzeitig leider sogar danach aus, dass das Konzert evtl. gar nicht stattfinden würde können: Bassist Kostya war zwei Tage zuvor aus einem Hochbett gestürzt und derart böse auf dem Kopf gelandet, dass er im Krankenhaus behandelt und der Gig am nächsten Tag abgesagt werden musste. In Hamburg allerdings biss er schon wieder die Zähne zusammen und verbarg unter seiner Kapuze einen kopfumfassenden Verband, der ihn nicht daran hinderte, die weiteren Gigs durchzuziehen. Show must go on! Optimalerweise konnten wir ZUNAMEs gemietetes Tour-Equipment mitnutzen, sodass wir mit kleinem Gepäck zum Menschenzoo reisten. Dort legten ZUNAME einen sauberen Soundcheck hin, während unserer auf sich warten ließ, weil Ole herumtrödelte und erst kurz vorm Einlass dazustieß. Norman schleuste uns dann aber recht flott durch seine tausend Schieberegler und gab sein Ok, woraufhin sich die Schleusen öffneten und sich der Zoo langsam aber sicher füllte.  Zeit für Verpflegung: ein reichhaltiger Eintopf erwies sich als wohltuend für Rachen, Hals und Plauze.

Als wir mit „Total Escalation“ in unser Set einstiegen, war die Bude verdammt gut besucht und nach ein paar Songs legte sich sogar ein kleiner, aber feiner Pogomob vor der Bühne ins Zeug, zu dem sich auch einer aus der Crew der Russen gesellte, der die Songs unserer EP lauthals mitsang. Das befeuert einen natürlich und der Alkoholgenuss hatte sein Übriges dazu beigetragen, dass zwischen den Songs wieder reichlich Humbug von meinen Bandkollegen abgesondert wurde, was immer noch besser ist als so’n eher steifes Auftreten wie zuletzt in Rotenburg. Wir wollten und konnten unser komplettes aktuelles Probeset durchzocken, haben uns am Ende aber entschlossen, die letzten beiden Songs zu tauschen – was Ole nicht so richtig mitbekommen hatte und schon nach der vorletzten Nummer seine Gitarre abstöpselte und einpackte. Später kommen und früher gehen – so nicht! Also kurzerhand den Mann zurückgepfiffen und ordnungsgemäß mit der Zugabe „Fame“ den Gig beendet, von dem Gar-nicht-mehr-so-neu-Zugang Keith – wie so oft nach Konzerten mit seiner Beteiligung – fand, er sei unser bisher bester gewesen. Soweit würde ich nun nicht gehen, einmal hab‘ ich mich verträllert und hier und da hat’s auch musikalisch etwas gehakt, z.B. bei der Livepremiere unseres jüngsten Songs „2 Day Session“. Dessen Text hatte ich mir noch als Spickzettel neben die Box gehängt, den sich gegen Ende interessanterweise jemand stibitzte, mit fragendem Gesichtsausdruck durchlas und schließlich gegen eine Setlist eintauschte. Besonders mit dem Publikumsandrang und den positiven Reaktionen hatte ich in diesem Ausmaß nicht gerechnet, insofern war ich vollauf zufrieden.

ZUNAME ließen im Anschluss nicht lange auf sich warten, die Umbaupause fiel recht kurz aus. Rechtzeitig zu ihrem ersten Song kam sogar noch ein ganzer Rutsch weiteren Publikums, das die Band verdientermaßen abfeierte. Astreiner, flotter, hymnischer Streetpunk mit rauem englischem und russischem Gesang, dem nötigen Maß an Aggression, dem Druck von zwei Klampfen und Marinas Dudelsackspiel als Alleinstellungsmerkmal, der für den unverkennbaren Celtic-Folk-Anteil sorgt.  Vor der Bühne war viel Bewegung, ich irgendwann mittendrin, Pogo und Crowdsurfing, verschwitzte Körper, Biergespritze – perfekt! Und größter Respekt an Kostya, der absolut souverän sein Ding durchzog, als sei nichts gewesen. Ich hoffe, er ist mittlerweile wieder vollständig genesen und falls noch nicht, weiterhin gute Besserung! „Whisky Bottles“, einer von so vielen ZUNAME-Hits, wurde noch mal als Zugabe gespielt, bis die Band, die einmal mehr alles gegeben hatte (auch wenn’s wie eine blöde Floskel klingt – keine Spur von einem Tourkater o.ä.), in den verdienten Feierabend entlassen wurde. Diesmal hatte ich Glück am Merchstand und mein Lieblings-Shirtmotiv gab’s noch in meiner Größe. Zusammen mit der CD, einer schönen Zusammenstellung von Singles und Sampler-Beiträgen, gleich mal gesichert und es nicht bereut. Spitzenband, immer wieder gerne, und ein klasse Abend, bei dem wir mal wieder kein Ende fanden und noch die Nacht zum Tag machten.

Danke an die Menschenzoo-Wärterinnen und -Wärter, an ZUNAME, ans geile Publikum sowie natürlich wie immer an Flo für die Live-Schnappschüsse! На здоровье!

22.09.2018, Schlemmereck, Hamburg: DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

Zu diesem Gig kamen wir wie die Jungfrau zum Kinde: Am Montag fragte RACCOON-RIOT-André an, ob wir kurzfristig im Schlemmereck auf dem Hamburger Berg spielen könnten, und obwohl Spontanität sonst nicht so unser Ding ist, sagten wir am Mittwoch zu (nicht ohne abzuklären, ob man dort wisse, worauf man sich einlässt). Hintergrund: Nach dem bedauerlichen Ableben des ursprünglichen Schlemmereck-Betreibers, unter dem sich die Speis-und-Trank-Kneipe zum Hauptquartier der Hamburger Turbojugend entwickelt hatte, wurde der Laden zu einer seelenlosen Billigspelunke verunstaltet, bis der neue Besitzer erkennen musste, dass damit kein Staat zu machen ist. Daraufhin übertrag er die Verantwortung Freunden des ursprünglichen Konzepts und ließ ihnen freie Hand, sodass diese – wenn auch unter kieztypisch eher ungünstigen Bedingungen – nun versuchen, den alten Charme im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu restaurieren und wieder Schwung in die Bude zu bringen. Ein hehres Unterfangen, zu dem u.a. der Plan zählt, eine regelmäßige Konzertreihe an jedem dritten Samstag eines Monats zu etablieren. Als der erste Termin, der zudem aufs Reeperbahn-Festival fiel, verdammt nahegerückt war, man jedoch noch nichts organisiert hatte, bat man André um seine Hilfe, der uns schließlich ins Boot holte. Bischn Internet-Propaganda war schnell gemacht und so wurden flugs die letzten Absprachen getätigt, bevor wir uns tatsächlich am Samstagnachmittag auf „die andere Seite“  des Kiezes begaben. Kai war sogar entgegen allen Punk-Klischees so dermaßen überpünktlich, dass er zunächst vor verschlossener Tür stand, wir anderen kamen mit unserem Equipment nach, wie üblich per Taxi. Da André Schlagzeug und Anlage zur Verfügung stellte, mussten wir uns keinen Bruch heben und konnten entspannt zum ersten Bierchen greifen, während er zusammen mit der Schlemmereck-Crew alles aufbaute und verkabelte. Tische und Bänke im hinteren Bereich der Kneipe wurden entfernt und zur Bühne umfunktioniert. Dr. Tentakel vervollständigte das Drumset und Kai sowie Mike schlossen ihre Äxte für erste Soundchecks an. Dabei musste Kai feststellen, sein Effektgerät offenbar geschrottet zu haben, sodass er sich ausschließlich am Amp um einen achtbaren Klang bemühen musste, während Mike einen der Glaslampenschirme der tiefhängenden Leuchten versehentlich per Headbanging zerstörte – woraufhin die verbliebenen Lampen sicherheitshalber höhergehängt wurden („Hängt sie höher!“).

Gemeinsam tüftelte man schließlich den Gesamtsound inkl. Gesängen aus, was nach einem letzten Mikrotausch auch ganz gut zu gelingen schien. Im Endeffekt hatten wir überraschenderweise einen klaren, differenzierten Sound wie vermutlich nie zuvor, man konnte wohl sogar jedes einzelne Wort, das ich so ins Mikro keifte, verstehen. Damit hatte ich nun nicht unbedingt gerechnet. Zeit für ‘ne Pizza aus der gegenüberliegenden Trattoria (die Schlemmereck-Küche war geschlossen geblieben) und ein paar Pilsetten zum Warmtrinken. Das Gratis-Frühkonzert war für 19:30 Uhr angesetzt worden, was wir noch etwas nach hinten verzögerten. Ich war gespannt, wer so alles überhaupt derart kurzfristig etwas von diesem Gig mitbekommen haben würde – und wie viele sich so früh aufraffen würden, um sich pünktlich zum Herbstbeginn eine Dosis Hasspunkkrawall abzuholen. Wurden dann doch so einige, die ihren Weg in den geschmackvoll zwischen rustikal und Rock’n’roll dekorierten Laden fanden.  Unter die Klientel, die von uns bisher vermutlich noch nie etwas gehört hatte, mischten sich zu meiner Freude auch einige Waffenbrüder und -schwestern. Kurz nach acht dürfte es gewesen sein, als unser Intro gefolgt von „Pogromstimmung“ erklang, über die üblichen altbekannten Nummern sowie Neuzugang „Spaltaxt“ über die seltener Gespielten „Victim of Socialisation“ und „Montag der 13.“ bis zur Hommage an den sozialistischen Plattenbau „Ghettoromantik“. Lief wohl alles relativ pannenfrei, hier und da holperte es etwas oder ich drohte, übers Mikrokabel zu stolpern, ansonsten keine besonderen Vorkommnisse. Die Connaisseurs im Schlemmereck ließen es sich  munden, spendeten Applaus und beschwerten sich meines Wissens hinterher auch nicht beim Chefkoch. Obwohl wir unser komplettes Set gespielt hatten (das für die vorausgegangenen Gigs jeweils hatte gekürzt werden müssen), kam es sowohl uns als auch den Gästen plötzlich verdammt kurz vor, so als einzige Band des Abends… Bis wir genug Material für zweieinhalbstündige Stadionshows haben, müssen wir also noch ein paar Songwriting-Sessions abhalten, vorher sollten wir uns allerdings vielleicht doch mal wieder was für ‘ne potentielle Zugabe überlegen. Vielleicht einen Song über Zugaben? Gibt’s so was schon?

Auch nach dem Gig zeigte man sich seitens des Schlemmerecks stets um unser Wohl bemüht und ein erkleckliches Sümmchen für die Bandkasse kam auch zusammen. Besten Dank für alles! Das Schlemmereck mit verzerrter Stromgitarre zu entjungfern hat Laune gemacht, wenn es auch gewöhnungsbedürftiges, bisher unbetretenes Terrain war. Bleibt zu hoffen, dass sich diese Premiere für alle gelohnt hat und wir niemanden verschreckt haben. Unabhängig davon, wie man zur Turbojugend u.ä. steht, ist das eine empfehlenswerte Kiezbude, die von korrekten Leuten betrieben wird und die man ruhig mal aufsuchen kann – ob nun mit oder ohne Konzert. Für die Zukunft wünsche ich gutes Gelingen! Apropos Zukunft: Mit BOLANOW BRAWL bin ich am Dienstag, 02.10. (dem Abend vorm Feiertag) im Menschenzoo, Mission: Support für die russischen Celtic-Folkpunks und Potsdam-Trinkkumpanen ZUNAME – komma rum da!

P.S.: Danke an Pia, Flo, Anja und Qualle für die Live-Schnappschüsse!

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