Günnis Reviews

Kategorie: Bücher (page 3 of 24)

Katja Berlin / Peter Grünlich – Was wir tun, wenn es an der Haustür klingelt: Die Welt in überwiegend lustigen Grafiken

Der Nachfolger des im Jahre 2012 im Münchner Wilhelm-Heyne-Verlag erschienenen querformatigen Taschenbuchs „Was wir tun, wenn der Aufzug nicht kommt: Die Welt in überwiegend lustigen Grafiken“, einer Art „Best of“ der Grafiken aus dem „Graphitti-Blog“, setzt wenig überraschend aufs gleiche Konzept, wenngleich die verwendeten Diagrammtypen nun etwas abwechslungsreicher ausgefallen sind. Die erneut rund 200-seitige Fortsetzung stellt Alltagsphänomene und menschliche Verhaltensweisen auf satirisch-humorige Art abstrakt dar und verballhornt damit zugleich den Diagramm-Wahn in kommerziellen Präsentationen und wissenschaftlichen Arbeiten. Berlin und Grünlich verzichten diesmal auf ein Vorwort uns steigen direkt ein.

Manches Mal denkt man sich angesichts der scharf beobachteten Verhaltensmuster, die hinter vielen der Diagramme stecken, fast erleichtert: „Es geht also nicht nur mir so!“ Ferner werden Geschlechterklischees aufs Korn genommen, aber auch reproduziert. Demgegenüber steht das eine oder andere nachdenklicher stimmende Diagramm. Wie beim ersten Band ist, das Buch einmal in die Hand genommen, der Durchblätterfaktor hoch, der Spaßfaktor aber ebenfalls und der Preis mit rund 10,- € für ein derart kurzweiliges Vergnügen kein Pappenstiel, aber zu vertreten. Mein Exemplar habe ich mir aber für’n Appel und ‘n Ei antiquarisch besorgt.

Semmels Satire Sammelsurium

Der Kieler Semmel-Verlach (damals noch „-Verlag“) wurde im Jahre 1981 von Winfried „Winni“ Bartnick eigens für die Veröffentlichung der „Werner“-Comics Rötger „Brösel“ Feldmanns gegründet. „Semmels Satire Sammelsurium“ erschien ein Jahr später und dürfte der erste Sammelband des Verlags gewesen sein. Im von den „Werner“-Comics gewohnten etwas größeren Taschenbuchformat vereint er auf seinen leider unnummerierten Schwarzweißseiten Comics und Zeichnungen sechs verschiedener, eingangs kurz vorgestellter Zeichner, die in ihrem Funny-Stil inhaltlich irgendwo zwischen typischem Sponti-Humor und zeitgemäßer punkiger Aggressivität angesiedelt sind – und zwar in einer Direktheit und Radikalität, wie man es heute kaum noch kennt.

Den Anfang macht Brösel, dessen „Werner“ hier nur am Rande auftaucht. Seitenfüllende Einzelzeichnungen treffen auf klassischere mehrpanelige Seiten und changieren zwischen herzlichem Blödsinn und autoritätskritischer Anarcho-Komödie. Tomas M. Bunk wiederum hat dem Band u.a. eine längere, im detailreichen Crumb’schen Schraffurstil gezeichnete Geschichte seines Helden „Karsten Dose – der lachende Miesmacher“ spendiert, die Ausdruck punkiger Endzeit-und-Spaß-dabei-Stimmung ist. Auf eine Einzelzeichnung folgt eine weitere Story, diesmal um „Super-Aujust“, die in der Berliner Hausbesetzerszene spielt – mit massig Zeitkolorit und inklusive einer Seyfried-Hommage (erste Seite rechts unten). Die Bullen greifen ein instandbesetztes Haus an, aber Super-Aujust greift ein und sorgt wieder für Recht und Ordnung – revolutionär, aber anscheinend nur ein schöner Traum. Ein paar Einzelzeichnungen/-Gags (von denen ich den ersten ehrlich gesagt nicht verstanden habe) runden Bunks Anteil am Buch ab.

Harm Bengens Werke bilden mit ihrem weitaus grobschlächtigeren Zeichenstil einen Kontrast, zumal er sehr großzügig mit dem Platz umgeht: Seine inhaltlich in ähnliche Kerben wie seine Kollegen schlagenden Gags beanspruchen meist eine ganze Seite. Rolf Boyke steuert mit „Die Nacht, als der Horror kam“ eine einzelne zusammenhängende Geschichte bei, die im Spontimilieu spielt. Kurioserweise endet auch sie damit, dass sie zu einem Traum erklärt wird. Auch Philips kurze Story spielt in der Besetzerszene, diesmal jedoch aus Sicht ein Bullenspitzels und Agent Provocateurs. Auf ein Intermezzo mit Einzelgags aller Zeichner folgt noch Kai Czucham, der ähnlich wie Brösel sowohl in seitenfüllenden Einzelzeichnungen als auch in Panelform u.a. Autoritäten aufs Korn nimmt. Das Buch schließt mit Werbung für den ersten „Werner“-Band.

„Semmels Satire Sammelsurium” ist nicht nur als frühes Lebenszeichen des herzigen Semmel-Verlachs historisch überaus wertvoll, sondern auch als Zeitdokument einer frechen, aufbegehrenden Underground-Comicszene Deutschlands, die ihre mehr als nachvollziehbare bullen- und kapitalismusfeindliche Haltung in bewegten Zeiten mit reichlich Humor zu Papier brachte und dabei offenbar ohne jegliche Schere im Kopf oder falsche Rücksichtnahme agierte. Für Comic-Archäolog(inn)en, Seyfried-Jünger(innen), U-Comix-Fans und Konsorten!

Bill Watterson – Calvin und Hobbes: Was sabbert da unterm Bett?

Als ich den Band „Irre Viecher aus dem All“ seinerzeit in die Hände bekommen hatte, schrieb ich hier: „Von 2005 bis 2008 veröffentlichte der Hamburger Carlsen-Verlag ausgewählte Comic-Strips der „Calvin und Hobbes“-Funny-Reihe des US-Amerikaners Bill Watterson in einer achtbändigen Softcover-Albenreihe im Querformat, jeweils 130 Schwarzweiß-Seiten umfassend.“ Mittlerweile weiß ich, dass das nicht ganz korrekt war: Die Reihe ist nicht acht-, sondern elfbändig, wobei die Bände 1 bis 7 im beinahe quadratischen Albumformat erschienen, die Bände 8 bis 11 hingegen im dann jeweils 180 bzw., im Falle des letzten Bands, 170 Seiten umfassenden Querformat.

Nun nahm ich den zweiten Band der Reihe, „Was sabbert da unterm Bett?“, zur Hand, der ursprünglich im Jahre 1988 überm Teich erschien. Diese deutsche Bearbeitung stammt aus 2005 und enthält wie gewohnt die meist aus vier Panels bestehenden Strips, die ursprünglich in einer Vielzahl Tageszeitungen erschienen sind, sowie die Sonntags-Onepager. Vorangestellt wurde ein Vorwort des politischen Karikaturisten Pat Oliphant.

Die Abenteuer des behütet aufwachsenden, aufgeweckten sechsjährigen Jungen Calvin spielen sich zumeist in seiner Fantasie ab, in der auch sein Stofftiger Hobbes zum Leben erwacht und die Rolle eines Spielkameraden oder großen Bruders einnimmt. Übertreibt es Calvin mit seinen Flausen, gerät Hobbes zum Skeptiker und Kritiker Calvins. Was ich in meiner „Irre Viecher aus dem All“-Kritik schrieb, trifft auch auf „Was sabbert da unterm Bett?“ zu: Calvins kindlich-naive Sicht auf die Welt der Erwachsenen ist ebenso komisch wie herzerwärmend und frech zugleich. Zugleich erzeugt die kindliche Perspektive einige karikierende, aber nie böse oder allzu spöttische Seitenhiebe auf die Realität, wie wir sie als Erwachsene kennen. Da würde man es mitunter am liebsten Calvin gleichtun und in die Rolle eines Raumfahrers schlüpfen, der tief im All nach intelligentem Leben sucht…

Wattersons humor- und liebevolle Abbildung kindlicher und kindischer Verhaltensmuster inklusive ihrer ausufernden Fantastereien sind ein sehr sympathisches, klassisches Comicvergnügen.

Klassiker der Comic-Literatur: Volker Reiche – Strizz

Die F.A.Z. – liest man nicht, aber kennt man: Politisch reaktionäres Käseblatt mit jedoch einem ambitionierten Feuilleton, dessen Redakteure Patrick Bahners und Andreas Platthaus erklärte Freunde der neunten Kunst und sogar Donaldisten sind, sodass Comics, einst Alptraum des deutschen Spießers, dort einen guten Leumund genießen. Dies ging so weit, dass der F.A.Z.-Verlag in den Jahren 2005 und 2006 eine 20-bändige Reihe ausgewählter Comic-Klassiker kompilierte und mit anspruchsvollen Vorworten versehen als preisgünstige Taschenbücher veröffentlichte. Bei für mich interessanten Titeln – und das waren gar nicht so wenige – griff auch ich seinerzeit zu, verfasste aber leider noch keine Besprechungen für Blog oder Forum.

Mit Band 6 hatte man sich einen schlanken Fuß gemacht, denn für diesen griff man auf rund 260 mal unkolorierten, mal farbigen Seiten elf Themenkomplexe mit Geschichten aus den Jahren 2002 bis 2004 lang auf das Eigengewächs „Strizz“ zurück, das Volker Reiche exklusiv für die F.A.Z. zeichnete. Andreas Platthaus‘ vorangestelltes Vorwort umfasst zehn Seiten und vermittelt den Eindruck, er sei selbst der größte Fan seines Angestellten. Auf diesen „Strizz“-Band glaubte ich seinerzeit verzichten zu können, doch die Ausgabe 93 des Comicfachmagazins „Comixene“, die ich, soweit ich mich erinnere, aus einem ganz anderen Grunde erworben hatte, widmete sich in ihrer Titelgeschichte ganz dem Œuvre Volker Reiches – und machte mich neugierig, sodass ich mir antiquarisch auch diesen Band zulegte.

Reiche, eigentlich ein alter ‘68er, hatte einst den traditionellen „Mecki“-Comic in der Fernsehzeitung „Hörzu“ übernommen und lange gezeichnet, bis ein neuer Chefredakteur ihn herauswarf (typischer Springer-Arschloch-Move) und er Schwierigkeiten hatte, sich finanziell über Wasser zu halten. Also bewarb er sich mit einem Konzept für im Alleingang gezeichnete und getextete, inhaltlich tagesaktuelle (!) Comics bei der F.A.Z., wo man ihn mit Kusshand anstellte. „Strizz“, die Comicreihe um den titelgebenden lebenslustigen, aber naiven Büroangestellten aus Frankfurt am Main war geboren und erschien von 2002 bis 2010 täglich in der F.A.Z. (und seit 2015 einmal wöchentlich). Kurioserweise wurde Reiche zeitlich für „Mecki“ zurückgeholt und machte seinerzeit kurzerhand beides.

Trotz vorgegebener politischer Ausrichtung der F.A.Z. beteuert Reiche, völlig freie Hand zu haben. Tatsächlich beginnt diese Zusammenstellung arbeiternehmerfreundlich, wird jedoch rasch arbeitgeberfreundlich, dabei leider trotzdem witzig. Dies scheint in der Natur des Kapitels „Strizz und sein Chef“ zu liegen, denn Strizz versteht es, seinem Vorgesetzten Leo auf die Nerven zu fallen. Die zwischenmenschliche Komponente mit seiner Freundin Irmi wiederum ist vorbehaltlos klasse; wie so oft handelt es sich bei ihr um die wesentlich bessere Hälfte der Beziehung. Das Kind Rafael ist Strizz‘ Neffe und bereits ein großer Philosoph, zudem ein neunmalkluger, sehr belesener und doch kindlicher Junge, der an Politik und Zeitgeschehen interessiert und um keine Ausrede verlegen ist, wenn es gilt, sich vor „niederer Arbeit“ zu drücken. Die enthaltene Fortsetzungsgeschichte klärt, wer eigentlich Rafaels Eltern sind.

Irmis schlicht Omi genannte Mutter hingegen ist konservativ und wirkt in ihrer hier enthaltenen Einführung wie eine Erbschleicherin, evtl. gar Mörderin mehrerer vermögender Ehemänner – inwieweit dieser Effekt von Reiche beabsichtigt war, sei einmal dahingestellt. Besondere und ganz individuelle Rollen nehmen jedoch die Vertreter der Haustierwelt ein: Tassilo ist eine tiefenentspannte Bulldogge mit Nietenhalsband, die damit wesentlich gefährlicher aussieht, als sie ist. Der Kater Herr Paul gehört Strizz‘ Chef Leo, trägt den gleichen Bart wie dieser und ist ein ausgemachter Fiesling und Kapitalist, sogar reaktionärer Hurra-Patriot – weil es unter den Menschen niemand sein durfte? Der Sinnspruch „Wie der Herr, so’s G’scherr“ liegt hier nahe – ein genialer Schachzug Reiches! Vielleicht lässt sich Gesellschaftspolitisches und Weltanschauliches im Funny-Comic einfach besser durch Tiere verkörpern und diskutieren.

Sonderlich provokant wird Reiche in seinen „Strizz“-Comics jedoch nicht, manches spielt sich innerhalb des zeitgemäßen und sympathischen Humors eher subtil ab. Die aufs politische Tagesgeschehen bezugnehmenden Comics sind jedoch in dieser Zusammenstellung auch eher rar gesät, verständlicherweise lag der Fokus auf zeitloseren Geschichten. Panel-Anordnung und Zeichenstrich sind Zeitungscomic-typisch übersichtlich und klar – und das Blättern in gewissermaßen urdeutschen Zeitungscomics, die den ganz normalen bürgerlichen Alltag humorig aufarbeiten und dabei inhaltlich immer mal wieder (beinahe – was sind schon 20 Jahre Abstand?) aktuelle Themen aufgreifen, hat sich derart anheimelnd angefühlt, dass ich mich an jene Zeiten erinnerte, in denen ich Comicseiten und -streifen aus den Zeitungen der Erwachsenen ausschnitt und mich an den bunten Bildchen und lustigen Geschichten innerhalb der ach so seriösen Bleiwüsten erfreute.

Ich glaube, „Strizz“ ist in Ordnung.

Wolfgang Sperzel – Kabelbrand im Herzschrittmacher

Wie bereits erwähnt, war ich nach Flohmarktfund und Lektüre von Funny-Comiczeichner Wolfgang Sperzels zweitem Album „Rast(h)aus“ derart angetan, dass ich mir auch sein Debüt, das im Jahre 1989 im Semmel-Verlach erschienene, rund 50-seitige Softcover-Album „Kabelbrand im Herzschrittmacher“ besorgte.

Auf schwarzweiß und farbig gestalteten, leider seitenzahlenlosen Seiten geht es auf zeichnerischem hohem Funny-Niveau schwarzhumorig bis satirisch und provokant zu, häufig ohne Text – die Bilder sind selbsterklärend. Im Gegensatz zu „Rast(h)aus“ handelt es sich um keine durchgehende Geschichte, sondern um eine von einpaneligen/-seitigen Gags bis mehrseitigen Kurzgeschichten reichende Sammlung. Das jeweilige Panelkonzept variiert, bleibt aber stets klar strukturiert, bietet dem slapstickreichen Treiben einen festen Rahmen. Abgefahrene Kettenreaktionen scheinen Sperzels Spe(r)zialität gewesen zu sein; sie treten in gleich drei Geschichten auf und nehmen damit vorweg, was zu einem Merkmal von „Rast(h)aus“ werden sollte – am Rande taucht sogar schon die Rüsselzwergsau auf.

So geht es unter anderem um den Straßenverkehr, olympische Winterspiele und Freiluft-Musikveranstaltungen, inhaltlich weniger gelungen aber auch um einen „Gewaltvideos“ glotzenden Jungen. Leider ist die mir vorliegende Erstauflage fehlerhaft, circa die Hälfte des Inhalts ist doppelt, anderes dürfte dafür fehlen. Hrmpf. In der Zweitauflage soll dieses Problem behoben worden sein. Auf der Albumrückseite adelte Sebastian Krüger übrigens den Zeichner mit einer seiner unnachahmlichen Karikaturen.

Francisco Ibáñez – Clever & Smart – Fußball-WM-Comic-Sonderband Nr. 7: Den Ball gehetzt… und weggefetzt!

Die anarchischen, agentenparodistischen Slapstick-Funnys des Spaniers Francisco Ibáñez um die TIA-Agenten Fred Clever und Jeff Smart existieren seit 1958 und erschienen hierzulande ab 1972 im Condor-Verlag als Softcover-Alben und Taschenbücher, unter anderen Namen aber sporadisch auch bei anderen Verlagen. 2018 übernahm der Carlsen-Verlag die Reihe, 2023 verstarb Ibáñez leider. Als Kind habe ich sie geliebt, im Gegensatz zu anderen Comics habe ich sie aber als Erwachsener nicht „wiederentdeckt“. Als ich sah, dass ein Sonderband zu einer meiner Lieblings-Fußballweltmeisterschaften, der WM 1986 in Mexico, existiert, musste der aber her. Das Album bringt es auf 50 computergeletterte, vollfarbige Seiten mit dynamischer Panelanordnung (also alles wie gehabt).

Das gewohnte Konzept, dass Fred und Jeff von ihrem Vorgesetzten Mister L Aufträge erhalten, die sie versemmeln und ständig in tödliche Gefahren geraten, verprügelt, in die Luft gesprengt, überfahren etc. werden, ohne dass sie dadurch dauerhafte Schäden davontragen würden, kommt natürlich auch hier voll zum Zuge, ebenso Freds Verwandlungskünste. Die Fußball-WM ist nicht die einzige Bezugnahme auf reale Ereignisse und Phänomene, weitere sind beispielsweise der britische Ausschluss aus dem Europapokal wegen gewalttätiger Vorfälle, das rassistische südafrikanische Apartheitsregime, der Irak-Iran-Krieg, der Kalte Krieg und das militärische Wettrüsten.

Auffallend sind die Verwendung überzeichneter rassistischer Stereotype und das Fatshaming in Bezug auf die mitreisende Sekretärin Ophelia (die dieses aber stets schlagkräftig quittiert). Zumindest ersteres wirkt mittlerweile (glücklicherweise) arg überholt und, ja, zuweilen unangenehm. Spaßiger sind die als Skins gezeichneten englischen Fußball-Rowdys. Emotionen sind bei Clever & Smart stets am Anschlag oder darüber, ständig fährt jemand aus der Haut und eskaliert es. Ibáñez‘ Humor ist überaus laut. Wiederholt wird das König-Fußball-Lied zitiert, am Ende sogar DÖF – da wäre es interessant zu wissen, was da wohl im Original stand. Die inhaltlich mehr oder weniger zu vernachlässigende Handlung strotzt bewusst nur so vor Chaos und ist sehr pointenreich, was den Clever-&-Smart-Humor nun einmal ausmacht. Und so nostalgisch der Mexico-’86-Kontext und das Blättern in einem Clever-&-Smart-Comicalbum aus den ‘80ern auch stimmen mögen – ich merke, dass selbst ich alter Kindskopf diesem Humor tatsächlich entwachsen bin.

Den Sonderband zur Fußball-WM 1990 in Italien würde ich mir trotzdem greifen, sollte er mir auf einem Flohmarkt für ‘nen schmalen Taler unterkommen…

P.S.: In der Auflistung aller Bände in der deutschen Wikipedia steht zu diesem Album (sowie zu einigen anderen) „Band ist nicht von Ibáñez.“ Bedeutet dies womöglich, es handelt sich um eine Art Lizenzarbeit seinen Stil nachahmender Zeichner/Autoren?

Chester Brown – Fuck

Die Graphic Novel „Fuck“ (im Original „I Never Liked You”) des kanadischen Comiczeichners Chester Brown erschien ursprünglich von 1991 bis 1993 als Fortsetzungsgeschichte in seiner Heftreihe „Yummy Fur“. Mir liegt die deutschsprachige Ausgabe aus dem Reprodukt-Verlag vor, die dort im Jahre 2008 als rund 200-seitiges, unkoloriertes Taschenbuch erschien.

„Fuck“ ist eine autobiographische Coming-of-age-Geschichte Browns, die sein Aufwachsen in einer kanadischen Kleinstadt zum Inhalt hat. Er ist der introvertierte Sohn einer gottesfürchtigen Mutter, die später körperlich schwer erkrankt. Sein Vater ist so gut wie nie zu sehen und sagt nie ein Wort – außer gegen Ende, bei den schrecklichen Krankenhausszenen. Über ihn erfährt man nichts. In bewusst reduziertem Stil mit karikierendem, jedoch nicht humorigem Strich und unter Gebrauch von Zeitsprüngen, Wiederaufnahmen und Parallelmontagen (denen sich aber stets gut folgen lässt) entwickelt Brown ein unvollständig bleibendes Familienporträt sowie eine Reflektion seiner selbst, insbesondere in seiner Unfähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen zuzulassen. So spielen – natürlich – Mädchen eine große Rolle, ihr unterschiedliches Verhalten ihm gegenüber, ebenso sein Versagen im Umgang mit ihnen.

Herauslesen lässt sich mittels einfacher psychologischer Abstraktion eine gewisse seelische Verkümmerung eines Jungen, dessen Vater nie für ihn da war und dessen Verhältnis zu seiner Mutter derart gestört ist, dass sie ihn irgendwann auch auf der Gefühlsebene nicht mehr erreichte. In einer späteren Arbeit offenbarte Brown, dass seine Mutter schizophren gewesen sein. Seine Panelaufteilung gestaltet Brown sehr flexibel; die Kapitel lässt er meist mit nur einem Panel auf einer Seite beginnen und enden, wobei diese nicht die großformatige Funktion eines Establishing Shots übernehmen, sondern lediglich rund ein Sechstel der Seite einnehmen und dort beinahe verloren wirken. Inhaltlich betreibt Brown einen äußerst intimen Seelenstriptease, bei dem er aber wortkarg und reserviert bleibt, als werde er selbst noch nicht ganz aus sich schlau – oder als sei er eine Art „Gefühlsspastiker“. Sein Umfeld skizziert er dafür umso präziser.

Ein besonderer Independent-Comic, der in der Comicszene viel Zuspruch erhielt.

Walt Kelly – Pogo

Im Jahre 1974 veröffentlichte der Melzer-Verlag innerhalb seiner „Brumm Comix“-Reihe die erste und bis dato anscheinend einzige deutsche Übersetzung der „Pogo“-Comicstrips Walt Kellys, die der US-Amerikaner von den 1940ern bis in die 1970er hinein vorrangig für eine Vielzahl von Tageszeitungen anfertigte. Der Band im Taschenbuch/Softcover-Album-Zwischenformat muss leider ohne Seitenzahlen auskommen, dürfte aber auf um die 100 bis zu sechs Panels umfassende Schwarzweißseiten kommen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind hier 14 Geschichten abgedruckt.

Den als schwierig zu übersetzen geltenden Comics um das titelgebende anthropomorphe Opossum, das im Okefenokeesumpf mit vielen weiteren anthropomorphen Figuren zusammenlebt, wurde ein recht ausführliches Vorwort vorangestellt, das sich jedoch etwas herausfordernd liest, da es viele diesen Strips immanente Wortschöpfungen bereits vorwegnimmt und wie selbstverständlich anwendet.

„Pogo“ ist eine mit spitzer Feder gezeichnete Satire, in der frei von falschem Respekt und unter Zuhilfenahme anarchischen Humors Autoritäten, Politik, Bürokratie, Religion und Umweltverschmutzung aufs Korn genommen werden. Diverse damalige Politiker fanden sich als zumindest in der zeitgenössischen Rezeption deutlich wiedererkennbare Figuren wieder. Eine Eigenart dieser Strips sind die Sprechblasen, denen mehrfach eine besondere grafische Bedeutung zuteilwird, die ihre Figuren zu charakterisieren hilft.

In die Übersetzung haben sich ein paar wenige Rechtschreibfehler eingeschlichen, was nichts daran ändert, wie dankbar man dem Melzer-Verlag sein muss, zumindest ein bisschen „Pogo“ auch nach Deutschland gebracht zu haben. Man scheint sich dabei sinnigerweise weniger auf das damalige politische Tagesgeschehen karikierende als mehr auf allgemeingültigere und -verständlichere Strips konzentriert zu haben. Und diese finde ich in ihrer autoritätskritischen, humanistischen Haltung im wahrsten Wortsinn (wegen Tieren zugeschriebener menschlicher Eigenschaften, gelle?) fabelhaft.

Martin Hentschel – Zitroneneis, Sex & Rock’n Roll: Die deutsch-israelische Filmreihe EIS AM STIEL (1978-1988)

Von alten Sexklamotten, wie sie hierzulande nach der sexuellen Revolution ab Ende der 1960er produziert wurden, geht auf manch Filmfreund eine seltsame Faszination aus, wovon auch ich mich nicht freisprechen kann – illustrieren sie doch nicht zuletzt die Entwicklung des Umgangs mit Themen wie Erotik und Sexualität auf der Leinwand und sind sie nicht selten entlarvende Zeitdokumente. Die ab 1978 produzierte, diegetisch Ende der 1950er angesiedelte deutsch-israelische „Eis am Stiel“-Reihe vermengte Coming-of-Age-Elemente mit Sex und Humor in unterschiedlicher Gewichtung und Qualität, wobei es sich zumindest bei den ersten beiden Teilen um tatsächlich gute Filme handelt. Ausgemachter Fan dieser Reihe ist der Düsseldorfer Schauspieler und Autor Martin Hentschel, der bereits zur Commedia sexy all’italiana sowie zur „Kumpel“-Reihe publiziert hatte und im Jahre 2016 – wie gewohnt im Eigenverlag – dieses rund 380-seitige Taschenbuch zum Thema veröffentlichte.

Markus Hagens Covergestaltung ist ein echter Hingucker und macht Lust darauf, das Buch aufzuschlagen. Bereits das „Eis am Stiel“-Regisseur und -Autor Boaz Davidsons filmische Inspirationsquellen weit über „American Graffiti“ hinaus aufzeigende Vorwort vermittelt viele wertvolle Informationen und ist ein eleganter Einstieg in die chronologische Abhandlung aller „Eis am Stiel“-Teile und -Ableger. Jedes Filmkapitel beginnt mit ausführlichen Stab-Angaben, schildert auf aufschlussreiche Weise die jeweiligen Produktionsumstände, versammelt Inhaltsangaben und Trivia und geht biographisch auf die Schauspielerinnen der jeweiligen weiblichen Haupt- und bedeutenderen Nebenrollen ein, beziffert ferner die Einspielergebnisse und arbeitet die Unterschiede internationaler Fassungen heraus. Und da die Musik in diesen Filmen stets eine große Rolle spielte, wird der jeweilige Soundtrack minutiös aufgelistet und ebenfalls in Bezug auf unterschiedliche Fassungen kommentiert. Darüber hinaus – und das ist es dann auch, was das Buch auf seine stattliche Seitenzahl bringt – druckt Hentschel massenweise Original-Werbe- und Infomaterial sowie zeitgenössische Stimmen und Kritiken ab, jedoch leider oft ohne Beschreibung oder genauer Quellenangabe. Das ist trotzdem grundsätzlich nicht verkehrt, wenn es auch in Farbe noch einmal eindrucksvoller (aber vermutlich im Druck unbezahlbar) wäre und ich mich frage, wem in Hebräisch abgedruckte Originalbriefe ohne Übersetzungen etwas nützen.

Ausgiebig ergänzt wird dieser Hauptteil des Buchs mit einem mehrseitigen Exkurs zur Produktionsfirma Cannon Films, ausführlichen Biographien der männlichen Hauptdarsteller und einer genaueren Inaugenscheinnahme im Fahrwasser des „Eis am Stiel“-Erfolgs entstandener Epigonen. Innerhalb der Biographien schweift der Autor mitunter aber stark ab, im Kapitel über Zachi Noy beispielsweise geht es plötzlich um Dolly Dollar und Klaus Lemke. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eines der stärksten Kapitel des Buchs. Yftach Kazurs und Jonathan Sagalls Biographien enthalten gar sehr informative, exklusive Interviews, die Uwe Huber mit ihnen führte und in denen es nicht nur um „Eis am Stiel“ geht.

In all seinen Kapiteln bleibt Hentschel betont sachlich, persönliche Meinungen bringt er nicht ein und Kritik, wenn überhaupt, nur in Form von Zitaten anderer an – mit zwei Ausnahmen: Der Film „Russian Roulette – Moscow 95“, in dem Zachi Noy mitspielt, ist anscheinend selbst für Hentschel eine Nummer zu abstrus, wie er auf S. 307 zu Papier bringt. Und auch mit dem „Eis am Stiel“-Rip-Off „Hometown U.S.A.“ alias „California Graffiti” konnte er nichts anfangen, wie er einen wissen lässt. Zur politisch-kulturellen Dimension der Filmreihe bzw. dessen Gattung im Allgemeinen hält er sich leider auch vollständig bedeckt. Wer kontextualisierende Filmanalysen sucht, wird hier demnach nicht fündig.

Auf das unsägliche Namenswirrwarr der Hauptfiguren in den deutschen Fassungen, bei dem die deutsche Synchronarbeit auf beschämende Weise versagte, geht der Autor seltsamerweise erst im Kapitel zu „Hasenjagd, 2. Teil“ ein, obwohl es sich um eine verwirrende Kuriosität handelt, die fast ein eigenes Kapitel verdient gehabt hätte. Das Buch enthält zudem einige Anzeigen, die nicht immer als solche gekennzeichnet wurden, aber dennoch klar als solche erkennbar sind. Beim Foto auf s. 258 ging offenbar etwas schief, das ist fast nicht zu erkennen. Ansonsten macht „Zitroneneis, Sex & Rock’n Roll“ bis auf ein paar Zeichensetzungsfehler und die oben erwähnten fehlenden Quellenangaben zum die Filmaufführungen begleitenden Material aber für das, was es ist und offenbar sein will, einen ordentlichen Eindruck. Es bietet einen schönen Rundumschlag zum Thema und einen guten Überblick über die durchwachsene Filmreihe, wenn eben auch ohne analytischen Tiefgang oder Diskussion mit den Filmen verbundener Kontroversen. Und nicht zuletzt liest es sich im Sommer am Strand angenehmer als sich das Klicken durch etliche Internetlinks beim Versuch gestalten würde, die in diesem zusammengetragenen harten Fakten aus dem Netz zu fischen.

Derber Trash #1

Es wurde wirklich mal Zeit, mich mit den Erzeugnissen des deutschen Weissblech-Comics-Verlags zu beschäftigen. Dieser gründete sich, zunächst als Hobby-Projekt, in den 1990ern und lehnte sich hommagenartig an den US-amerikanischen Kultverlag „EC“ an – entsprechend kürzt er sich „WC“ ab… Und dort würde manch Sittenwächter(in) sicherlich auch gern dessen Heftchen hinunterspülen, allen voran vermutlich solche, wie sie in diesem, sich an eine erwachsene zumindest volljährige Leserschaft richtenden Sammelband aus dem Jahre 2010 um eine Rahmenhandlung herum neu aufgelegt wurden.

Der 100 Schwarzseiten umfassende Softcoverband in halber Albengröße beherbergt die Heftchen „Drogengeile Teenieschlampen“, „Wenn Sexmonster auf Erden wandeln“ und „Zombie Terror“ aus der Anfangszeit des Verlags, die von verschiedenen Zeichnern und Textern verbrochen wurden. Das bedeutet: Bewusst auf geschmacklos getrimmte Sex- und Monstergeschichten, wie man sich für sie ab einem bestimmten Alter zu interessieren beginnt, dargereicht mit dem typischen selbstironischen Augenzwinkern des kalkulierten Schunds und mitunter inklusive Kommentaren zu Zeitgeist und Gesellschaft im Subtext. So wird in „Drogengeile Teenieschlampen“ u.a. die Loveparade aufs Korn genommen, bietet „Wenn Sexmonster auf Erden wandeln (mit enorm großen Geschlechtsteilen)“ exakt das, darüber hinaus aber auch eine Parodie auf propagandistische US-Comics, wenn der Weltkommunismus bekämpft wird, indem „kommunistische Raketenweiber vom Planeten Z“ besiegt werden, und versucht eine redaktionelle Non-Comic-Bildungsseite die Frage „Sexmonster – Mythos oder Wirklichkeit?!“ zu beantworten. In „Zombie Terror“ finden sich neben der Origin Story des merkwürdigen Fischjungen Storys mit neugierig machenden Titeln wie „Fäule in der Lederhose“ oder „Nazizombies gegen Mangagirlies“, denen man nun ebenfalls wirklich keinen Etikettenschwindel nachsagen kann. Pubertäre bis anarchische Späße ohne jede Selbstlimitierung, die zumindest zeichnerisch ein gewisses Niveau nie unterschreiten (also keine Kritzeleien oder dahingerotzten Kleckse).

Flankiert wird all das von der Rahmenhandlung um Herrn Dreck und den merkwürdigen Fischjungen, die auf dem Weg zum garstigen, kapitalistischen Verleger sind, um an ihre Tantiemen zu kommen. Historische Abrisse zur Verlagsarbeit, knappe Reflektionen dieses alten Quatschs (wobei auch die im Original belassenen Rechtschreibfehler bemerkt werden) und die zuvor unveröffentlichte, aus dem Papierkorb gefischte „Xena“-Parodie „Kena und die Labertasche“ strecken den Spaß auf die 100 Seiten und stellen auch für Besitzer(innen) der Originale interessantes Bonusmaterial und somit einen Kaufanreiz dar.

Man merkt manch Geschichte an, dass zunächst der Titel feststand und erst dann versucht wurde, eine Stimmige Handlung dazu zu entwerfen, und die Limitierungen auf nur wenige Seiten pro Story tragen ihren Teil dazu bei, dass diese Comics eine Art Äquivalent zu kruden, billigen B-Movies vergangener Zeiten darstellen, bei denen mit reißerischen Plakatmotiven auf Geldgebersuche gegangen wurde, um überhaupt mit dem Verfassen des Drehbuchs beginnen zu können. Wer ein Herz für Schund hat, ist hiermit also gut bedient. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß – und mit Sicherheit nicht meinen letzten Weissblech-Comic in der Hand.

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