Günnis Reviews

Autor: Günni (page 66 of 104)

26.11.2010, Hafenklang, Hamburg: EIGHT BALLS + IN VINO VERITAS + GREEN HELL

Direkt am nächsten Tag luden die Eight Balls zur Release-Party ihres neuen Albums, unterstützt von In Vino Veritas und „Green Hell“. Das Hafenklang war natürlich proppevoll und gewisse Teile des Publikums waren’s ebenso. In Vino Veritas begannen mit ihrem düsteren Proll-Sound und stimmten, wie ich finde, mit Hits wie „Armin M.“, „Mit ohne Stolz“, „Skorbut“, „Blackjack und Nutten“, „Holsten“ etc. perfekt auf den feucht-fröhlichen Abend ein. Anschließend wurde mir bewusst, dass anscheinend jeder außer mir gerafft hatte, dass „Green Hell“ die Landser-Coverband Pflanzer sind und nicht etwa, wie von mir ursprünglich vermutet, eine Misfits-Coverband… Lustig anzusehen waren sie ja schon, mit ihren Sturmhauben und der Security vor der Bühne, aber ansonsten ist das leider so gar nicht mein Humor. Nazitexte krampfhaft in Gärtnerthemen umgedichtet, naja… Anscheinend kannte aber fast jeder die Originale und feierte die Band dementsprechend ab. Ich weiß nicht so richtig, was ich davon halten soll und bin mir nicht sicher, ob man mit solchen Projekten nicht eher Werbung fürs Original macht…?

Mit dem Publikum wieder einig war ich mir dann bei den Eight Balls, die ich bedingungslos abgefeiert hab. Antifaschistischer Asi-Oi!-Punk der Spitzenklasse. Die neuen Songs kannte ich teilweise schon von früheren Konzerten, klang alles sehr gut. Die neue Platte hab ich aber noch nicht gehört, da die Vinylfassung noch nicht da ist. Großartige Songs mit Attitüde, Humor und Aussage. Zum „Bumsmongo“ [Edit 2015: Wurde in einem Forum so genannt]: Das war so ein 2,10-m-Typ mit Krawallbrüder-Shirt. Der Gedanke, dass der tatsächlich am Down-Syndrom leiden könnte, kam mir ehrlich gesagt gar nicht, glaub ich irgendwie auch nicht. Dass so’n T-Shirt nicht unbedingt gleich ein Grund für einen Rausschmiss ist, sah man dort genauso und soweit ich das mitbekommen habe, war zunächst alles friedlich. Allerdings muss man natürlich damit rechnen, dass man ’ne Ansage bekommt, wie von Eight-Balls-Pierre geschehen (sinngemäß „Für Krawallbrüder-Fans ist dieses Konzert nicht gedacht“). Kurze Zeit später Aber fing der Typ plötzlich an, irgendwelche Anti-Antifa-Sprüche zu grölen, auf dem Konzert einer Band mit eindeutiger antifaschistischer Aussage natürlich eine nicht hinnehmbare Provokation, woraufhin er folgerichtig des Hafenklangs verwiesen wurde. Allerdings wurde er weniger rausgeprügelt als vielmehr rausgeschubst und Gegenwehr hat er auch nicht sonderlich geleistet. Als er von dannen zog, brüllte er noch irgendwelche HSV-Parolen und hinterließ ratlose Gesichter von Leuten, die aus dem Verhalten des Typen nicht so recht schlau wurden. War ziemlich unspektakulär, hat aber mal wieder alle Vorurteile gegen KB-Fans bestätigt…

Ach ja, und verdammt heiß war’s und die Lüftung war anscheinend ausgefallen oder so… hat aber vermutlich den Getränkeumsatz angekurbelt 😀

25.11.2010, Hafenklang, Hamburg: SWINGIN‘ UTTERS + THE HEADLINES

Ich war am Donnerstag bei den Swingin‘ Utters im Hamburger Hafenklang. Der Laden war nicht so prall gefüllt wie zwei Tage zuvor bei Youth Brigade, aber trotzdem recht ordentlich. Den Anheizer machten The Headlines, ’77-/Poppunk aus Schweden mit Saxophon- und Mundharmonika-Einsatz und einer sehr sexy und zudem sehr talentierten Bassistin. Hat schon Laune gemacht und die Band kam sympathisch rüber.

Es folgten die Swingin‘ Utters mit einem durchwachsenen Set. Ähnlich wie auf Platte mogeln sich unter großartige Hits immer wieder ein paar belanglose Rohrkrepierer. Das Publikum reagierte verhalten und ließ sich erst ab Song Nr. 4 oder so zum Schwingen des Tanzbeins hinreißen. Unterm Strich überwog zwar die Anzahl der Hits, trotzdem hinterließen die Utters einen zwiespältigen Eindruck. Die sollten beim nächsten Mal einfach mich die Setlist schreiben lassen. 😀 Dann klappt’s vielleicht auch mit ’nem Cock-Sparrer-Cover, das nicht nur ich schmerzlich vermisst habe…

23.11.2010, Hafenklang, Hamburg: YOUTH BRIGADE (+ Support)

Was für ein geiles Konzert! Die gar nicht mehr so jugendliche Brigade hat’s noch immer drauf und ich freue mich riesig, sie endlich einmal live gesehen zu haben. Der Laden war rappelvoll und die Band gut aufgelegt. Gestartet wurde direkt mit „Where Are All The Old Man Bars“, gefolgt von „Violence“ und die Stimmung war bestens! Im Laufe des Auftritts wurden alle Songs vom genialen Splitalbum ebenso gespielt wie viele alte Klassiker, inkl. solch Knallern wie „Fight To Unite“ und „Somebody’s Gonna Get Their Head Kicked In“. Höhepunkte waren natürlich auch die Hymnen „Sink With California“ und „Let Them Know“. Das Publikum war auch sehr angenehm. Um kurz vor Mitternacht war nach einigen Zugaben Schluss und ich schleppte mich völlig verschwitzt und übelriechend nach Hause.

Vorher wurde übrigens die Youth-Brigade/BYO-Doku gezeigt, die bis auf die fehlerbehafteten deutschen Untertitel sehr empfehlenswert und interessant ist. Werde ich mir zulegen müssen, ich liebe solche Filme. Außerdem rockte eine Vorband, deren Namen ich vergessen, ziemlich amtlich inkl. Coverversionen von The Vandals und Black Sabbath. Der langhaarige Sänger mit Asi-Bart, nahender Stirnglatze und Lederhose, der Keyboarder (!), der sehr talentierte Drummer und das deutschsprachige Mädel am Bass spielten ’ne kurzweilige Mischung aus melodischem Oldschool-Punkrock und rockigerem Zeug, hatten Humor und machten Laune.

Ein sehr, sehr lohnender Konzertabend! Und morgen geht’s direkt weiter mit den Schwingin Addähs, Freitag die Eight Balls – wat’n Marathon!

UWE ANTON – WER FÜRCHTET SICH VOR STEPHEN KING?

(www.hannibal-verlag.de)

anton, uwe - wer fürchtet sich vor stephen king„Leben und Werk des Horror-Spezialisten“ verspricht das Cover des ca. 300 Seiten starken broschierten Buches aus dem Hannibal-Verlag. Nun, um das Leben des wohl populärsten und auflagenstärksten Autors der Phantastik, Stephen King, geht es nur am Rande, in erster Linie zeichnet Autor Uwe Anton Kings Werdegang anhand seiner Werke nach und geht dabei angenehm ins Detail. Nicht nur jeder Roman wird recht kompetent abgehandelt, sondern auch Kurzgeschichten, Comics, Sachbücher, Zusammenarbeiten mit anderen Autoren etc. pp. Dabei versucht man, in chronologischer Reihenfolge vorzugehen, verlässt diese dann und wann aber für diverse Querverweise etc., was leider zu einigen Wiederholungen führt, die so nicht hätten sein müssen. Zudem irritiert es mich, dass in zahlreichen Inhaltsangaben gespoilert wird, also Handlung und Ende vorweggenommen werden. Das mag evtl. für die Verdeutlichung der Aussage des einen oder anderen Werks unverzichtbar gewesen sein, allerdings hätte ich mir entsprechende Warnhinweise gewünscht. Ebenfalls fragwürdig finde ich Antons Kategorisierung von Kings Geschichten, die ohne übersinnliche Elemente auskommen, als „Mainstream-Literatur“, was er aber anscheinend nicht mal abwertend meint. Vielleicht hat er einfach eine eigenartige Definition des Begriffs? Einerseits betont der Autor ganz richtig den psychologischen Tiefgang von Kings Arbeiten, deren Horrorcharakteristika häufig eher nebensächlich sind und austauschbare Symbolik und Metaphern darstellen, andererseits wirddiese stringente Unterscheidung zwischen „Horror“ und „Mainstream“ vorgenommen. Das passt nicht so recht zusammen, zumal King heutzutage de facto dem Mainstream zuzurechnen ist, den er allerdings selbst mitgeprägt hat, indem er sich durch sein qualitativ hochwertiges Schaffen sein Publikum allen auch in diesem Buch beschriebenen anfänglichen Widerständen zum Trotz erkämpft hat. So liest man sich sozusagen von Buch zu Buch, bis man spätestens, als es an die Beschreibung der komplexen „Der dunkle Turm“-Saga geht, den Eindruck gewinnt, dass Antons Buch schnell fertig werden musste, bevor King schon wieder drei neue Romane veröffentlicht. Die Zusammenfassungen der „Der dunkle Turm“-Puzzlestücke wirken lieblos aneinandergereiht, ziemlich konfus und schrecken eher ab, als dass sie neugierig auf das Mammutwerk machen würden. Möglicherweise war Anton mit der abstrahierten Schilderung in Kurzform auch einfach überfordert? Leider unterstreichen die zahlreichen orthographischen Fehler den Eindruck des „Etwas mit der heißen Nadel gestrickt“-Seins, als Verlag würde ich zumindest nach so einem Ergebnis mein Geld vom Lektorat zurückfordern. Doch genug davon, denn sehr erfreulich fand ich die korrekte Einordnung des Jahrhundertwerks „Es“, für mich der beste Roman, der jemals geschrieben wurde. Hilfreich sind auch die informativen Anhänge, z.B. eine komplette Übersicht über Verfilmungen von Geschichten Kings inkl. Kurzkritiken, mit denen ich aber nicht immer d’accord gehe. Denn wer beispielsweise über John Carpenters „Christine“ allen Ernstes schreibt „Man müsste Carpenter verbieten, die Musik zu seinen Filmen zu schreiben“, dem sollte man wiederum das Schreiben über Filme verbieten. Die persönlichen Beurteilungen des Autors sind also mit Vorsicht zu genießen, wobei er sich bzgl. Kings literarischem Schaffen aber ohnehin eher zurückhält. Einige Abbildungen von Manuskriptseiten mit persönlichen Widmungen sowie einige Fotos sind auch enthalten, doch da hätte es sicherlich noch interessanteres Bildmaterial gegeben. Es wird selbstkritisch zugegeben, hiermit nur eines von etlichen Büchern über King geschaffen zu haben und ich muss konstatieren, davon kaum eines zu kennen und „Wer fürchtet sich vor Stephen King?“ daher nicht in Relation setzen zu können. Dieses hat seine Wirkung aber nicht verfehlt und mir tatsächlich wieder so viel Lust auf King’sche Literatur gemacht, dass ich mir auf die Lektüre hin gleich drei Bücher geordert habe. Somit ist dieser Führer durch Kings Lebenswerk für Einsteiger sicherlich keine schlechte Wahl.

KÄRBHOLZ – DU BIST KÖNIG, DU BIST FREI… Mini-CD

(www.bandworm.de) / (www.kaerbholz.de)

Diese Fünf-Song-CD ist das erste, was ich von KÄRBHOLZ zu hören bekomme und bin dabei wenig überrascht, dass sich die Band als einer von mittlerweile so vielen Möchtegern-ONKELZ-Clones entpuppt, die die Genreschubladen „Streetrock“ oder „Deutschrock“ für sich beanspruchen. Wenn sich Bands daran orientieren, wie fies und dreckig die Frankfurter ganz früher geklungen haben oder was sie für einen feinen Oi!-Sound noch viel früher zelebrierten, habe ich ja nichts dagegen. Doch diese Versuche, mit unterprivilegiertem Außenseiterimage, allgemein gehaltenen, pathetischen, Tiefgang vorspiegelnden Kampfestexten und Durchhalteparolen mit Grölgesang die ONKELZ auf dem Höhepunkt ihres Schaffens nachzuahmen, klingen für mich wie überflüssige, schlechte Kopien, die kein Mensch braucht. Wozu auch? Die ONKELZ haben sich zwar aufgelöst, aber die Tonträger und damit die Songs und Texte bleiben doch erhalten und lösen sich nicht plötzlich in Luft auf. „Das Leben ist hart, doch ich bin noch viel härter“, gähn… Die Texte reichen in keiner Weise an das lyrische Geschick eines Stephan Weidners heran, auch dann nicht, wenn Zeilen wie „Ich bin die Schulter, an der lehnst“ fast 1:1 vom großen Vorbild übernommen wurden. Diese CD enthält eine Auskoppelung aus dem kommenden Album, einen exklusiven Song sowie drei Livestücke plus einen Videoclip. Doch siehe da: Der Exklusivtrack „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, der die sexuelle Desorientierung und den daraus resultierenden Kindesmissbrauch von Kirchendienern aufs Korn nimmt, klingt recht eigenständig, ist textlich echt nicht schlecht und gefällt mir ganz gut! Vielleicht sollte man sich mehr auf eigene Stärken besinnen? Doch mit der eingefahrenen Schiene fährt man anscheinend ziemlich erfolgreich… Sollte sich das hingegen nur auf dieser Mini-CD für meine vorurteilsbehafteten Ohren so anhören und auf den zwei, drei Alben der Band ganz anders sein, würde mich das ebenso freuen wie überraschen. Fünf Song in 24 Minuten. 4. Günni

DER SCHREIHALS – …UND TROTZDEM IST ES MUSIK! CD

(www.derschreihals.de)

Tilo Schnabel, ex-Punkrock-Musiker bei DIE DICKEN MÄDELS und Sänger von KOMMANDO STULLE, gebürtiger Sachse und jetzt Schwabe, versucht sich als Liedermacher, sprich: Akustikklampfe und Gesang. So richtig gut Gitarre spielen kann er dabei eher weniger und Singen schon mal gar nicht, aber wenn seine bemüht humoristischen Songs über Michael Ballack, Hartz IV, Ossis usw. wenigstens lustig wären, wäre das vielleicht gar nicht so schlimm. Sind sie nur leider nicht und so geriet das Hören der CD dieser Musikrichtung, mit der ich ohnehin so meine Probleme habe, zur Qual. Auf dem Cover sieht der Herr Schreihals mit seinem Megaphon übrigens aus wie ein Dorfdisco-Anheizer oder –DJ, doch diese Befürchtungen haben sich glücklicherweise nicht bestätigt. Sorry, Tilo, mit dir kann man bestimmt echt gut einen Saufen gehen oder so, aber das Liedermachen überlasse dann vielleicht doch besser anderen. Wo ist eigentlich ein Franz Josef Degenhardt, wenn man ihn mal braucht? Die CD kommt nur mit Covereinleger ohne Booklet. 18 Lieder in 47 Minuten. Ohne Wertung… Günni

NORMAHL – JONG’R DVD + CD

(www.7us.de) (www.normahl.de)

NORMAHL waren in ihrer mittlerweile (mit Unterbrechung) 30-jährigen Bandgeschichte für so manche Peinlichkeit gut – angefangen bei fragwürdigen Texten auf den frühen Schrammel-LPs über Funpunk auf einem Major-Label inkl. Matthias-Reim-Gedächtnisfrisuren bis hin zu erschreckend durchwachsenen Rock-Alben und Ausflügen in schmalzige Schlagergefilde. Doch trotz allem haben es die Schwaben um Energiebündel Lars Besa geschafft, eine ganze Reihe starker Songs, die eng mit meiner Punksozialisation verbunden sind, zu schreiben, die längst zurecht als Klassiker gelten – sowohl während der HC-Punk-Gehversuche als auch auf jüngeren, rockigeren Scheiben. Dabei hat man textlich nie ein Blatt vor den Mund genommen, starke, gesellschafts-, sozial- und politikkritische Songs kreiert und sich zum Sozialismus bekannt. Ein gutes Händchen bewies die Band oft bei Coverversionen, egal ob von alten Arbeiterliedern, Ennio-Morricone-Soundtracks oder gar Reinhard Mey („Diplomatenjagd“). Zum etwas verspäteten Jubiläum hatte man einen eigenen Spielfilm „von und mit NORMAHL“ (!) angekündigt und eigentlich hatte ich mich schon auf ein unfreiwilliges Trashvergnügen zum Fremdschämen eingestellt. Dieser Film liegt mir nun samt eigens von der Band eingespielten Soundtracks in einer Vorab-Promo-Version vor und ich bin positiv überrascht: Der Film ist nicht schlecht. Ja, wirklich. Bei „Jong’r“ (schwäbisch für „Junge“) handelt es sich um eine Low-Budget-Produktion auf gehobenem Amateur-Niveau, die in 60 extrem kurzweiligen Minuten autobiographisch das Lebensgefühl einer Handvoll junger Punks in einer schwäbischen Kleinstadt Ende der 1970er Jahre nachzeichnet. Es geht um Ärger mit Eltern und anderen Spießern, Prolls, Lehrern etc., um Erfahrungen mit Drogen und Alkohol , unglückliche Liebschaften und natürlich auch Chaos und Spaß. Das Drehbuch stammt von Emanuel Brüssau und Sandro Lang, Letzterer führte auch Regie. Nun, diese Namen sagen mir genauso wenig wie die der Jungdarsteller Aaron Frederik Defant, Julian Trostorf, Hasan Dere u.a., aber die machen ihre Sache wirklich allesamt ziemlich gut, in jedem Falle besser als so mancher Seifenoper-Darsteller im TV. Und da es nicht umsonst hieß „von UND MIT“ spielen die Bandmitglieder im Film doch tatsächlich die Elterngeneration und – Achtung, jetzt kommt’s – es funktioniert! Dank gekonnter Masken- und Make-Up-Arbeit wurden sie glaubwürdig auf alt und spießig getrimmt und Lars Besa, der von den Bandmitgliedern die größte Rolle als Vater (!) des Hauptdarstellers einnimmt, geht darin so richtig auf. Die Szenen, in denen die Dorfgemeinschaft in der Kneipe zusammensitzt und alkoholgeschwängerte Stammtischreden in breitestem, zum Glück untertiteltem Schwäbisch schwingt, sind überaus gelungen und gleichzeitig urkomisch, wenn man Besa als alternden Elvis-Presley-Fan, alleinerziehenden Vater und verbitterten Spießbürger erlebt. Doch damit nicht genug, irgendwie hat man es auch noch hinbekommen, Vorzeigeschwabe Gotthilf Fischer (FISCHERCHÖRE) für einen Kurzauftritt zu gewinnen!? Ich kipp vom Stuhl… Das geringe Budget sieht man dem Film immer dann an, wenn auf absichtlich dilettantische Animationssequenzen zurückgegriffen wurde, um Vorgänge in die Handlung einzuflechten, die z.B. einen anderen Drehort erfordert hätten. Gleichzeitig dienen diese Szenen aber auch als Zeitraffer, um den Film kompakt zu halten. Richtig kurios wird es allerdings, wenn die Punks Ende der ’70er ein NORMAHL-Konzert besuchen und Songs zu hören bekommen, die erst viele Jahre später geschrieben wurden, haha. Inwieweit „Jong’r“ authentisch ist, kann ich schlecht beurteilen, da ich die Zeit damals nicht miterlebt habe, aber Lebensgefühl und -umstände kommen gut rüber und die (diesmal freiwillige) Komik bleibt auch nicht auf der Strecke. Überhaupt tut es sehr gut, dass sich „Jong’r“ selbst nicht bierernst nimmt. Dass das Drehbuch nun sicherlich keinen Preis in Sachen Dramaturgie gewinnen wird und es kein typisches Ende mit einem richtigen Höhepunkt, einer Moral oder Ähnlichem gibt, kann ich dabei verschmerzen. Ich muss zugeben, dass ich das den NORMAHLos in dieser Form nicht mehr zugetraut hätte.
Außerdem enthalten ist eine 30-minütige Bandfeaturette mit Interviews mit den aktuellen Mitgliedern, die natürlich für eine umfassende Aufarbeitung der Bandhistorie viel zu kurz ist, einem aber die Musiker etwas näher bringt. Gespickt mit alten Fernsehaufnahmen und Videoclips wird u.a. auf die Kampagne „Kein Hass im wilden Süden“ eingegangen, die NORMAHL in den 1990er als Zeichen gegen Fremdenhass initiierten, nachdem in Deutschland reihenweise Wohnheime und Wohnungen von Immigranten brannten und Menschen durch feige Anschläge sinnlose Tode starben. NORMAHL haben damals die Öffentlichkeit gesucht und mit Mainstream-Künstlern zusammengearbeitet, was etwas seltsame Blüten trieb und im Nachhinein auch kritisch von der Band gesehen wird. Die Interviewszenen an sich wirken aber ziemlich unkritisch und etwas selbstverliebt und einige Aussagen kann ich so ganz sicher nicht unterschreiben. Lars Besa kommt aber sehr enthusiastisch und hochmotiviert rüber und scheint auch nach all den Jahren noch voller Elan dabei zu sein. Was die Frage nach der zwischenzeitlichen Bandauflösung betrifft, nimmt man es mit der Wahrheit nicht ganz so genau und erzählt augenzwinkernd eine abstruse Geschichte, die hoffentlich niemand glaubt.
Zusätzlich zur DVD wird eine CD mit dem Soundtrack mitgeliefert, der satte 19 von NORMAHL gespielte Songs umfasst inkl. nur zweier kurzer Instrumentalstücke und Coverversionen von ELVIS’ „Suspicious Minds“ (!) und „Holidays In The Sun“ von den SEX PISTOLS, die speziell für den Film angefertigt wurden und sich zu meiner erneuten Überraschung wirklich vernünftig anhören. Neben einer Live-Version von „Deutsche Waffen“ gibt es zwei brandneue Stücke und eine Art ganz kleinen „Best Of“-Querschnitt durch das Schaffen der Band, wobei alle Songs neu eingespielt wurden – darunter uralte Heuler wie „Rockabilly Jimmy“ oder „Verarschung total“ sowie eine LENNONS-Coverversion („Claudia“), und auch das kann sich wirklich hören lassen. Vermutlich stammen einige Neueinspielungen vom unbescheiden betitelten „Das ist Punk“-Album, das entzieht sich gerade meiner genaueren Kenntnis. Ein echter Lacher ist aber die bisher unveröffentlichte Neuaufnahme von „Durst“ im Bierzelt-Musikantenstadl-Sound. Die CD ist auch einzeln erhältlich.
Fazit: Gelungenes Jubiläumspaket, mit dem sich NORMAHL aus meiner Sicht tatsächlich einen Gefallen getan haben. 2. Günni

[N]TICKET – DER TAG AN DEM DER TOD STARB CD

(www.ruuf-records.de) / (www.myspace.com/nticket)

Ich werde einen Teufel tun und das Album von ein paar christlichen Alternative-Rock-Hippies aus Neuwied ernsthaft für dieses Online-Fanzine besprechen. Ich lasse einfach ein Textzitat für sich sprechen: „Er kennt dich, gab seinen Sohn für dich, er reicht dir seine Hand, mit der er dich erschaffen hat.“ Mich mit so einem Mist hier auch noch sachlich auseinanderzusetzen, wäre wie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, insofern verpisst euch doch bitte in eure „Jesus Freaks“-Sekten u.ä., aber erspart mir eure Glaubensbekenntnisse. Odin statt Jesus! Zehn Messen in 33 Minuten. 6. Günni

DIE KASSIERER – PHYSIK LP/CD

(www.kassierer.de) / (www.teenage-rebel.de)

Die mächtigen Kassierer aus Bochum haben kraft ihrer verbesserten Gehirne nach langen Jahren ein neues, sozialethisch nicht desorientierendes, künstlerisches Werk vollbracht, das sich diesmal 53 Minuten lang verstärkt naturwissenschaftlicher Themen annimmt. Nach dem physikalischen Intro geht’s gleich mit einer der berüchtigten KASSIERER-Coverversionen los, die mit „Nieder mit die Arbeit“, das eigentlich „Lied der Pennbrüder“ heißt, ein von Harry Steier in den 1920ern gesungenes Anti-Arbeitslied in Punkmontur packen und damit auf die historischen Wurzeln einer uns allen längst in Fleisch und Blut übergegangenen Lebenseinstellung verweisen. Dass Geschlechtsverkehr besser als Arbeit ist, wird in „Ich fick durch die ganze Wohnung“ deutlich, das Einblicke in Wölfis Zehn-Zimmer-Luxusappartement offenbart. Die KASSIERER-eigene Kombination aus Offbeat und Blasmusik bekommt man mit dem Ohrwurm „Ich war ein Spinner“ kredenzt. „Das Lied vom Kot“ kommt im Elektrogewand und handelt von der schlimmsten Substanz im Weltenall („Furchtbar ist nicht das Strontium und auch nicht das Plutonium“ (…) „Das ist der Kot, der Kot, das ist der Kot“), während „Radioaktiv!“ vom Alltag eines über die Radioaktivität sinnierenden Denkers berichtet. Mit „Schönes Universum“ und auch „Erfindungen“ hat man zwei der besten Sauflieder seit langem intoniert („Nobel erfand das Dynamit, Sputnik war ein Satellit, Röntgen entdeckte seinen Strahl, das ist mir aber scheißegal! Ich danke Gott, dass er den Alkohol erfunden hat…“) und mit „Verliebt in Whisky, Bier und Wein“ zudem eine großartige Mitgrölhymne parat, die hoffentlich auch live zum Besten gegebenen werden wird. Apropos Mitgrölhymnen: Derer gibt es im Vergleich zu vorausgegangenen KASSIERER-Alben insgesamt weniger, was den einen oder anderen Vollproll, der außer „Saufen!“ und „Ficken!“ ohnehin nie etwas verstanden hat, verschrecken könnte, mich aber verständlicherweise weniger stört. Eine weitere Coverversion ist das nihilistische „Mir ist alles piepe“, ein Chanson vom Österreicher Peter Igelhoff. Außerdem hat es den „Song von den brennenden Zeitfragen“ von den VIER NACHRICHTERN ebenso erwischt, wie man sich mit „Was für ein Ticker ist der Politiker?“ einmal mehr des Fundus an Georg-Kreisler-Liedern bediente, wobei Wölfis Gesang lediglich von einem Klavier begleitet wird. Gewohnt großartig. Und wenn wir schon dabei sind: Rolf Zuckowskis nervige „Weihnachtsbäckerei“ wurde für eine fiese Punknummer zum Mitschunkeln in „Wirtshauschlägerei“ umgedichtet. Davon, dass die Band während ihres Physikstudiums die Quantentheorie verstanden hat und zurecht von ihr schockiert ist, zeugt das textlich aufs Wesentliche reduzierte „Quantenphysik“. Ein weiterer Höhepunkt ist „No Future, das war gestern“, eine Art R’n’B/Hip-Hop-Stück, begleitet vom unvergleichlichen MAMBO KURT mit seiner Heimorgel! Sehr guter, kritischer Text, ungewöhnliche, aber nicht minder einfallsreiche Umsetzung. „Zitronenhai“, eine ziemlich sinn- und leider auch humorbefreite Abhandlung über die Unterwasserfauna wird vom einzigen deutschen Zitherorchester (!) begleitet, „Der Mann, der rückwärts spricht“ zu einer lieblichen Melodie von einer Frau gesungen, unterbrochen von Rückwärtssprechparts Wölfis und ein Stück wie „Im Sauerland kann man teleportieren“ ist so daneben, dass es schon wieder gut ist. Sicherlich sind einige Ergüsse wie „Drillinstructor-Song“, „Ich niese immer Scharlatan“ oder eben der „Zitronenhai“ verzichtbar, alles in allem hat die „Genitalherpes der deutschen Musikkultur“ (plattentests.de über DIE KASSIERER) aber einmal mehr ein zivilisationskritisches Zeugnis zwischen Dadaismus, Nihilismus und Hedonismus abgelegt und mir erneut bestätigt, dass sie mir von der Ruhrgebiets-Humor-Dreierachse aus KASSIERER, LOKALMATADORE und EISENPIMMEL die liebsten, weil mit ihrer Mischung aus Asitum, Nerd-Humor und Kapitalismus-/Kultur-Kritik unberechenbarsten sind. Das Cover zeigt die Band mit weißen Kitteln und physikalischem Gerät und das Booklet ist mit Fotos und allen Texten sehr durchblätternswert ausgefallen. Eine LP-Version soll es auch geben, inkl. Download-Gutschein. 21 Songs + gesprochene Grüße und Danksagungen, wobei letztere es in sich haben – und ich mich einmal mehr frage: Wie kommt man auf sowas? 2. Günni

CHEFDENKER – RÖMISCH VIER LP/CD

(www.chefdenker.de) / Trillerfisch Records

Die Kölner CHEFDENKER um ex-KNOCHENFABRIK-Frontmann Claus Lüer holen zum vierten Großangriff aus und entdecken wie gewohnt kleine Geschichten im allgegenwärtigen Wahnsinn des Alltags, die sie in sarkastische bis zynische Texte zu oftmals getragenen, kurzen Punkrockmelodien verpacken. Ob es nun um die Krux des öffentlichen Nahverkehrs („Taxi fahren!“), fragwürdige Fußballexperten („Günther Netzer“), Harndrang im Autobahnstau („Hitlers Autobahn“), die Kopfbedeckungen von MELT-Teilnehmern („Festivalbesucher“), BEACH-BOYS-Konzerte („Polonäse Hüftprothese“), das sog. Wirtschaftswunder („Der Optimismus der 50er Jahre“), zahnärztliche Betrachtungsweisen von Radio-Terror („Das Kartell“) geht oder darum, warum Hartz IV letztlich doch die bessere Alternative ist („Schlau in die Krise…“, „Agentur für Arschvoll“) – die Texte sind wieder einmal das, was die Platte ausmacht, die Musik dient nur zur Darreichung selbiger und gefällt mir immer am besten, wenn es etwas flotter zur Sache geht. Das Hitpotential kann ich nach meinen erst wenigen Durchgängen noch nicht abschließend beurteilen, aber was man an den CHEFDENKERN hat, weiß heutzutage ohnehin jeder und wird deshalb auch hier zugreifen – zurecht. Bei der Cover- und Booklet-Gestaltung treffen übrigens Reminiszenzen an die gute alte, heutzutage fast in Vergessenheit geratene Eingabeschnittstelle bei der Heimcomputernutung, der DOS-Prompt, auf modernste Technologie wie QR-Codes – mit CHEFDENKER in die Zukunft! Wenn das nichts ist? 19 Songs in 39 Minuten. 2. Günni

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