Günnis Reviews

Autor: Günni (page 47 of 104)

11.09.2015, Menschenzoo, Hamburg: ANTI-CLOCKWISE + BOLANOW BRAWL

bolanow brawl + anti-clockwise @menschenzoo, hamburg, 20150911Einst gab es das legendäre Skorbut, das wurde irgendwann zum Kraken, welcher wiederum kürzlich an einen neuen Inhaber übergeben wurde: Dominik, Wirt der legendären „Silbersack“-Kneipe, führt die Punk-Kneipe in der Hopfenstraße im Herzen des Kiez unter dem Namen „Menschenzoo Punkrock-Spelunke“ weiter, behält das Grundkonzept weiter, aber lässt sich ein paar neue Ideen und Feinheiten einfallen. Beruhigend zu wissen, dass der Laden in gute Hände gefallen ist und mit Einsatz und Herzblut weitergeführt wird – dies galt es im Rahmen der Pre-Opening-Party am 11.09. feierlich zu begießen! „Pre-Opening“ deshalb, weil noch längst nicht alles fertig war, was man sich vorgenommen hatte. Was es schon zu sehen gab, z.B. die leicht vergrößerte Bühne und die umgebaute, sich jetzt dem Namen entsprechend hinter Gittern befindende Kicker-Ecke, wussten aber ebenso wie manch schniekes Detail zu gefallen. Als Zoo-Attraktionen eingeladen hatte man sich die Montpellier-Hamburg-Connection ANTI-CLOCKWISE und uns (BOLANOW BRAWL) sowie DJ Wasted Noise; der Einlass war bereits für 19:10 Uhr angesetzt und dementsprechend früh fanden wir uns vor Ort ein. Der Aufbau der komplett neuen Bühnentechnik nahm jedoch weit mehr Zeit für die Soundtechniker Norman und Wurzel in Anspruch als erhofft und je später der Abend, desto mehr Flüche waren aus dieser Ecke zu vernehmen. Mehr als nur provisorisch stand aber irgendwann alles und die ersten Gäste hatten sich bei freiem Eintritt bereits eingefunden, als beide Bands ihre Soundchecks durchführten. Der Bass wurde noch nicht abgenommen, drang aber trotzdem genügend durch, die Gesangsjustierung bereitete anscheinend noch etwas Probleme und wir hatten trotz neuer Technik wieder mit dem enervierenden Rückkopplungs-Fiep-Terror zu kämpfen, der auf wundersame Weise mit Christians Gitarre zusammenhängt. Chilli-con- und -sin-Carne-gestärkt bliesen wir dann zu vorgerückter Stunde vor ca. halbvoller Kulisse zum Brawl und feuerten unser komplettes Set ab. Wir hatten Laune, alles schien gut zu laufen und ich ließ es mir nicht nehmen, den Gig zwischendurch dem Anfang des Jahres leider verstorbenen Szene-Unikat „Feindhammer“ Karsten zu widmen, dessen Geburtstag der 11. September ist, was mich dann doch hin und wieder nachdenklich stimmte. Ansonsten herrschte aber ausgelassene Stimmung, Menschenzoo-Namensgeber und Disillusioned Motherfucker Kai beschränkte seine Grabsch- und Brustwarzen-Kneif-Attacken dankenswerter auf ein Minimum und da es keine Monitore gibt, höre ich auf dieser Bühne in erster Linie den Bühnensound und die P.A., deren Boxen sich links und rechts von mir befinden. Das klang für meine Ohren eigentlich alles ganz gut; umso überraschter war ich, als man uns hinterher eröffnete, dass a) das Fiepen derart stark gewesen sei, dass es sogar während des Gitarrenspiels störend wahrgenommen wurde und b) der Sound allgemein nicht der Hit gewesen, besonders mein Gesang zu leise gewesen sei. Zumindest in Bezug auf den Gesang bestätigte sich das leider auch bei ANTI-CLOCKWISE, während deren Gigs Freds Stimme nicht so recht die Soundwand durchstoßen konnte. Der Stimmung tat das aber keinen Abbruch, eine gute Handvoll „Zoobewohner“ ließ sich anfüttern und gab sich einem zünftigen Pogo hin. ANTI-CLOCKWISE klangen diesmal noch härter als auf dem Gaußfest für meine Ohren, statt nach hartem Streetpunk fast nach reinrassigem HC-Punk. Ein ordentliches Brett, nach dem es sich von selbst verstand, dass sie noch mal für die eine oder andere Zugabe ranmussten. Als Rausschmeißer kredenzte man das ADICTS-Cover „Viva la Revolution“, wofür eines der Mikros ins Publikum gereicht wurde und sich Teile des Mobs schließlich revolutionär auf dem Fußboden wälzten. Trotz semiguten Sounds richtig geile Scheiße, so dass niemand das Gefühl haben musste, von Affen mit Kot beworfen zu werden. Was unser Fiepen betrifft, wurden übrigens neue Hypothesen aufgestellt: Aufgrund einer besonderen Eigenart von Christians Gitarre würde diese mit den speziellen Lampen an dieser speziellen Bühne reagieren. Das klingt so abenteuerlich, dass ich meine Theorie von Voodoo und schwarzer Magie für wesentlich wahrscheinlicher halte, lasse mich aber gern eines Besseren belehren. Wir werden das prüfen! Im Anschluss feuerte DJ Wasted Noise sein Hitfeuerwerk ab, wozu die Gäste die Kneipe halbleer soffen: Tatsächlich war das Holsten irgendwann alle. Ich als Astra-Trinker wasche meine Hände in Unschuld. Ein gelungener Einstand und hoffentlich nur der Startschuss für viele weitere grenzgeniale Partys im Menschenzoo mit artgerechter Trinkerhaltung!

Danke an Katharina und DJ Wasted Noise für die Schnappschüsse! Schade, dass von ANTI-CLOCKWISE keine dabei sind, aber die hätte ich auch ruhig mal selbst machen können…

05.09.2015, JUZ Alte Post, Emden: ROCK GEGEN RASSISMUS II (2. Tag)

rock gegen rassismus II @juz alte post, emden, 04.09.2015rock gegen rassismus II @juz alte post, emden, 05.09.2015

Emden, Ostfriesland, die Heimat von Otto Waalkes und Karl Dall! Ich erinnere mich an eine klasse funktionierende Ostfriesland-Hamburg-Connection in den 2000ern: Rock’n’Rolf (heute bei THRASHING PUMPGUNS) lud seine spätere Band SMALL TOWN RIOT auf seine Geburtstagsparty ein, wo sie u.a. zusammen mit den TYPHOON MOTOR DUDES das Jugendzentrum Alte Post rockten. Diverse geniale Konzerte wurden organisiert, BROILERS in Hage, die EIGHT BALLS und LOIKAEMIE ebendort und davor in Emden etc. pp – Bustouren von Hamburg nach Ostfriesland wurden organisiert und umgekehrt waren Ostfriesen gern gesehene Gäste in Hamburg, bis der eine oder andere selbst herzog. Man feierte große Partys, haute ordentlich auf die Kacke und es war gut was los. Dies hatte ich im Hinterkopf, als uns (BOLANOW BRAWL) Ostfriese Karsten von Klabautermann Rec. einlud, nach einer Bandabsage am zweiten Tag des zweiten Rock-gegen-Rassismus-Festivals in der Alten Post zu spielen. Dass diese meine Erinnerungen anscheinend nicht rock gegen rassismus II @juz alte post, emden 01mehr viel mit der heutigen Realität zu tun haben, musste ich leider an eben jenem Abend erfahren, doch der Reihe nach: Das Benefiz-Festival, für das bis auf die „Headliner“ alle Bands ohne Gagen o.ä. auftraten, um gemeinsam ein Zeichen gegen Rassismus angesichts laut Karsten immer mehr an Zulauf gewinnender rechter Strukturen vor Ort zu setzen, stand offenbar unter keinem guten Stern. Obwohl (oder vielleicht auch weil) eigentlich seit vielen Monaten geplant, wurde das Bandaufgebot immer wieder durcheinandergewürfelt, die einen lösten sich auf, die anderen sagten ab usw… Für Ersatz war aber stets schnell gesorgt. Vor dem Hintergrund eines stockenden Kartenvorverkaufs und eventuell Publikum ziehender „Konkurrenzveranstaltungen“ (in anderen Orten wohlgemerkt) fragte Karsten einige Wochen vorm Festival öffentlich, ob er es nicht besser abblasen solle. Der Zuspruch jedoch ermutigte ihn, es durchzuziehen und über 300 Zusagen per Facebook, wo neben örtlicher Presse etc. ordentlich Werbung gemacht wurde, ließen hoffen – dass allerdings in der Nacht der Tresor mit dem Geld aus dem Vorverkauf von Einbrechern gestohlen wurde, war nur ein weiterer Stein im Pannenmosaik. Am Freitag kamen dann trotz Bands wie TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN und COR lediglich 45 zahlende Gäste, was das erste riesige Loch in die Budgetplanung riss, denn 100 pro Abend hätten es schon sein müssen, damit sich das Festival trägt. Unsere Kollegen von IN VINO VERITAS spielten ebenfalls, außerdem PUNX ’N POETS und EAT THE BITCH. Fünf interessante Bands also, darunter mit TAUSEND LÖWEN… ein gefeierter Newcomer und mit COR alte Hase, deren Konzerte in anderen Ecken Deutschlands an den nächsten beiden Tagen bereits im Vorfeld ausverkauft waren, die in Emden – einer mit Konzertangeboten dieser Art nicht gerade gesegneten Gegend – aber irritierenderweise nicht genügend Publikum zogen. War es ihm keine 12,- EUR wert? Die Aftershowparty mit Ostfrieslands wildestem Plattendreher, DJ Wasted Noise, wurde von ganzen fünf Konzertbesuchern aufgesucht…

rock gegen rassismus II @juz alte post, emden 02Nun oblag es also dem zweiten Abend, das Ruder rumzureißen und das Festival doch noch zu einem Erfolg zu machen. Wir kamen problemlos und flott auf der Autobahn durch, so dass wir überpünktlich gegen 16:00 Uhr eintrafen, gerade rechtzeitig zur Vorführung des Films „Sad But True“, für die kein Eintritt gezahlt werden brauchte. Reichlich verloren wirkten jedoch die Filmmacher, denn tatsächlich interessierte ihr Film keinen einzigen Ostfriesen, es war schlicht niemand gekommen! Also fiel die Vorführung aus. Ok, möglicherweise kannten ihn schon alle… Wir trafen neben Ätzer von VIOLENT INSTINCT Al und Klimper von IN VINO VERITAS mitsamt Fahrer Michi, die kurzerhand nach dem gestrigen Auftritt dageblieben und – natürlich bis auf den Fahrer – schon wieder in Trinklaune waren. Zusammen schauten wir uns Emden an, stellten zu unserem Bedauern fest, dass das Otto-Huus dicht hatte, aßen Fisch (immerhin bestellte ich mit Knoblauchmatjes mit Zwiebeln die ultimative Geruchsoffensive) in labberigen Brötchen für zahnlose Gesellen und wurden Zeuge eines 30-ledig-Fegen-Rituals am Kanal. Die einen gingen Getränke kaufen, Ole, der feine Herr, checkte mit seiner Lady im Hotel ein und wieder andere suchten eine Kneipe, labten sich am „Friesengeist“ und schickten mir Bilder davon, um mich zu erschrecken – denn wer am frühen Abend schon Schnaps trinkt, meist später auf der Bühne abstinkt. Ich erfuhr, dass unsere Unterkunft, das Europahaus, sich nicht etwa in Fußnähe, sondern ganz im Gegenteil im 30 km entfernten Aurich befand – und holte telefonisch Taxipreise ein… Kein Ding, kriegen wir hin, ich war noch immer frohen Mutes, handelt es sich doch bei der Alten Post um ein sehr komfortables Jugend- und Veranstaltungszentrum mit toller, professioneller Bühne inkl. Drum-Raiser, viel Platz, großen Backstage-Bereichen, einem Bistro mitsamt Kicker, Billard, Playstation, Sofaecke etc. Wenn hier auch noch diverse Punk- und HC-Bands aufspielen, müssen doch die Leute kommen!

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Jan von Musikapparillo

Dann die nächste Panne: Wie ich erfuhr, hatten die OFFENDERS, immerhin der Headliner des heutigen Abends, kurzfristig abgesagt. Nun wurde improvisiert: Als erster Act des Abends betrat gegen 20:40 Uhr ein gewisser Jan die Bühne, nur mit Akustikklampfe bewaffnet, und coverte vor einem Publikum, das in erster Linie aus Bands und Organisatoren bestand, einige Singer/Songwriter-Stücke, spielte etwas eigenes Material, von dem mir eine Schnulze dann doch zu jammerig war, bekam aber extrem gut wieder die Kurve, als er dazu überging, Songs seiner Mundart-Punkband MUSIKAPPARILLO solo zu spielen, natürlich auf friesischem Platt. Das war so gut, dass er nicht ohne Zugabe davonkam und auch seine Ansagen zwischendurch, in denen er auch mal Bezug auf das Motto der Veranstaltung nahm, waren geprägt von Humor und Scharfsinn. Klasse Nummer, vor soviel Spontaneität ziehe ich meinen Hut!

Die Fliesenleger

Die Fliesenleger

DIE FLIESENLEGER, die eigentlich den lokalen Opener hätten machen sollen, sorgten im Anschluss dann für Punkrock, und zwar deutschsprachigen der Sorte, hmm, TOTE HOSEN? WIZO? So ganz grob die Schiene, würde ich sagen. Die Jungspunde lieferten ein selbstbewusstes, spielfreudiges Set, bei dem mitunter recht düstere textliche Inhalte im Kontrast zur melodischen Mucke standen und das generell aber musikalisch abwechslungsreich genug war, um für Kurzweil zu sorgen. Die BROILERS-Coverversion „An all den Schmutz“ war dann auch das passende Statement zum Festivalmotto. Mischer Frank sorgte zudem für einen klasse Sound. Ein sympathischer Auftritt und dass die Jungs netterweise den Großteil der Backline stellten, möchte ich ebenfalls nicht unerwähnt lassen.

Violent Instinct

Violent Instinct

Aber wo war das Publikum? Obwohl es sogar ein Pärchen aus Frankfurt (!) nach Emden geschafft hatte, das eigentlich wegen der OFFENDERS gekommen war, aber trotzdem das Beste aus dem Abend machte, „glänzte“ es durch Abwesenheit: Gerade einmal 15 (!) zahlende Gäste konnte die Kasse verbuchen und damit war der Drops eigentlich endgültig gelutscht. Wir begegneten dem mit Galgenhumor und ließen uns die gute Laune nicht vermiesen, zumal jetzt Hamburg’s Finest, nämlich die Oi!-Punks von VIOLENT INSTINCT, die Bühne betraten. Diese basteln nach ihrem vollends überzeugenden Demo gerade an einem Album und auch die neuen Songs, die es bereits live zu hören gibt, können alles! Seit man sich um eine zweite Gitarre verstärkt hat, kommt der Sound auch schön satt, Neu-Tieftöner Ätzer (COTZRAIZ, ex-LOST BOYZ ARMY) rollt souverän den Bassteppich aus, das Trommeltier liefert wie immer ’ne Mörder-Show und Sängerin Aga ag(a)iert ohnehin in einer eigenen Liga. Dass Leadgitarrist Dennis bisweilen arg konzentriert auf seine Griffe achtete, erklärte sich später, als er mir eröffnete, nach zwei Saitenrissen nur noch auf vier Saiten gespielt zu haben – Respekt dafür, dass das wiederum gar nicht auffiel! Neben dem wie immer großartig vorgetragenen ANGELIC-UPSTARTS-Cover „Solidarity“ fand ein von Dennis gesungener Song ins Set, vermutlich ein Relikt aus dem VERBAL-INCONTINENT-Projekt, das die Musiker bestritten, als Aga sich eine Zeitlang außerhalb Hamburgs aufhielt. Klasse Gig und ich habe nichts anderes erwartet!

Backstabber

Backstabber

Nun wahren eigentlich wir an der Reihe, doch BACKSTABBER kamen, baten um Vortritt („Wir spielen eh nur 25 Minuten!“), zockten ihren modernen Beatdown-Hardcore (oder so) herunter und hauten wieder ab. So souverän, musikalisch wie gesanglich fit und ordentlich ins Gebälk krachend der Auftritt der Band, die auf Karstens Label eine Platte veröffentlicht hat, auch war, so sehr missfällt mir die Attitüde, dieses ostentative Desinteresse an der ganzen Veranstaltung. Aber, gut, möglicherweise hatten die Jungs noch wichtige Termine…

Nun also endlich wir, die wir eigentlich als Dritte hätten spielen sollen, letztlich aber ganz nach hinten durchgereicht wurden. Mittlerweile hatte sich bei uns eine Scheißegal-Stimmung breitgemacht, Teile der Band hatten längst beachtliche Schlagseite, aber die Instrumente hielt jeder richtigherum. Bei der Justierung des Bühnensounds machte Stulle einmal mehr auf Stand-Up-Comedy und erzählte Ostfriesenwitze. Los ging’s wie immer mit „Total Escalation“ und obwohl wir keinen Soundcheck gemacht hatten, war der Bühnensound astrein, ich ließ mir lediglich Oles Gitarre etwas auf dem Monitor aufdrehen. So machte der Gig reichlich Spaß und wir genossen den Luxus der großen Bühne, zumal das spärliche Publikum nicht nur Interesse, sondern auch Bewegung zeigte. Ok, bolanowbedingt fielen die, nun ja, „Ansagen“ etwas länger aus, es wurde reichlich durcheinandergesabbelt und bis jeder die Steckverbindungen seiner Gitarre immer wieder auf Neue überprüft hatte, verging manch Sekunde. Dass auch mal ein Refrain nur mit einer Gitarre bestritten wurde, weil der anderen die Melodie entfallen war, fiel wiederum gar nicht auf; uns aber fiel durchaus auf, dass das Publikum später weniger wurde. Des Rätsels Lösung: Wer zwischenzeitlich den Saal Richtung Klo oder Tresen verließ, wurde rausgeschmissen und nicht wieder hineingelassen, weil es bereits nach 1:00 Uhr war und man dringend schließen wollte! Ausgehandelt hatten wir 45 bis 50 Minuten und ein Blick auf die Uhr bewies, dass wir keine Minute länger gespielt hatten. Das ist ja noch perfider als Stromabdrehen. Als Lehre aus diesem Gig nahm ich aber in erster Linie die freudige Erkenntnis mit, dass die Brawler mittlerweile auch stark angeschlagen einen über weite Strecken fehlerfreien Gig hinzulegen in der Lage sind und auch als fünfter Act nicht auf allen Vieren auf die Bühne kriechen – was zu beweisen war!

Bolanow und Friesengeist forderten jedoch beim Abbau ihren Tribut, denn als ich dem durch seine Körpergröße dafür prädestinierten Christian zum Bannerabhängen mein Multi-Tool mit ausgeklapptem Messer reichte, probierte er’s mit der Zange und rammte sich dabei das Messer tief in die Hand. Blut spritzte, Verbandsmaterial wurde gereicht und seine Pfote behelfsmäßig verbunden. Daraufhin reichte mir Klimper von IVV sein extrascharfes Messer, mit dem ich an den Kabelbindern herumstocherte, was ebenfalls nicht gänzlich verletzungsfrei vonstatten ging. Die Ironie der Geschichte ist, dass ich alter Öko-Sparfuchs extra wiederverwendbare Kabelbinder besorgt hatte, deren Entriegelungsmechanismus sich aber niemanden von uns mehr erschloss…

Aftershow-Party

Aftershow-Party

Als das ganze Zeug wieder in den Karren verstaut war, brauste Ole samt Lady ins luxuriöse Hotel, während wir Verbliebenen zur Aftershow-Party in die Kneipe „No. 5“ aufbrachen. Natürlich wusste niemand von uns, wo es langging, Karsten, der selbst wieder zu Hause war, morste mir noch die Adresse durch und glücklicherweise trafen wir ein Mitglied der BARROOM HEROES, das uns auf dem arschlangen Weg begleitete. Dieser verlief auch nicht frei von Zwischenfällen, denn wie es immer so ist, wenn man mit einer Gruppe Alkoholisierter unterwegs ist, bilden sich Minigrüppchen von zwei bis drei Personen, die durch etliche Meter voneinander getrennt durch die Wallachei stapfen. So bekam ich auch gar nicht mit, dass der mittlerweile kräftig angesoffene Stulle anscheinend ein paar Russen gegenüber einen Spruch riss, der sofort falsch aufgefasst und mit Aggression bestraft wurde: Einer drückte ihn gegen die Mauer, ein anderer hatte bereits sein Messer gezückt und Christian warf sich mit Verband um die eine und dem Koffer seiner Freundin in der anderen Hand todesverachtend dazwischen, um Schlimmeres zu verhindern. Nachdem das gerade noch mal gut gegangen war, kamen wir zu später Stunde endlich im No. 5 an, bestellten ’ne Runde Pils (es gab anscheinend ausschließlich Veltins – warum auch immer in einer Emdener Spelunke) und begrüßten DJ Wasted Noise, indem wir unmittelbar begannen, seine Songs lautstark durch den Raum mitzugrölen. Wir erzwangen uns quasi unsere Party, indem wir ordentlich aufkackten, die prolligsten Songs sangen, tanzten bzw. auf und ab sprangen und sich der eine oder andere seiner Oberbekleidung entledigte. Von den Festivalbesuchern war erneut so gut wie niemand hier, von Punk- und HC-Szene keine Spur, stattdessen hing offenbar der örtliche Alkiclub am Tresen und manch einer blickte grimmig drein oder übte sich in Provokationen, die jedoch ungehört verhallten. Die mitgereiste Katharina versuchte, den Überblick zu bewahren, vertrieb in uns Gästen von außerhalb zahlungskräftige Kunden wähnende Prostituierte, machte ihnen und ihrem Zuhälter klar, dass niemand von uns ihr Handy gefunden oder gar gestohlen hatte und warnte vor diesem oder jenem unentspannten Kandidaten.

rock gegen rassismus II @juz alte post, emden 11Irgendwann war’s dann aber auch genug und wir beschlossen, uns gen Europahaus aufzumachen. Eigentlich hatten wir auch VIOLENT INSTINCT im No. 5 erwartet, die Schlüssel und Plan der Unterkunft hatten, zudem wollte einer von ihnen in unserem Taxi mitfahren. Die hatten sich aber längst geschlossen auf den Weg gemacht und waren erst gar nicht mehr zur Party erschienen. Egal, schließlich sollte es dort auch einen Nachtwächter geben, der uns schon den Weg weisen würde. Erst mal musste aber ein Großraumtaxi her, was gar nicht so einfach war, da es, wie wir erfuhren, lediglich ein EINZIGES bei City-Car Emden gibt. Als das nach einer Stunde oder so endlich eintraf, gelang es mir irgendwie, ihn trotz anderer Pläne eines bestimmten Mitfahrers an gleich zwei Filialen einer US-amerikanischen Imbisskette vorbeizulotsen und uns am Europahaus auszuspucken. Dort war von einem Nachtwächter keine Spur und alle Türen waren verschlossen. Alle? Nein, glücklicherweise fanden wir einen offenen Eingang irgendwo versteckt auf dem Gelände. Wir wussten nicht, wohin, haben dann alle Zimmertüren im Gebäude ausprobiert, anscheinend VIOLENT INSTINCTs belegte Räume entdeckt und noch genau EIN leeres offenes Zimmer, in das wir uns dann zusammen gezwängt haben. Außer Katharina, die in ’nem offenen Seminarraum pennen wollte, aber nicht konnte, weil kurz darauf ein Seminar dort stattfand… Daraufhin fand sie unser Zimmer nicht mehr wieder und mein Telefon hab‘ ich im Koma nicht mehr gehört, so dass sie sich irgendwie die Nacht bzw. den Morgen um die Ohren schlug. Welch ein Chaos!

rock gegen rassismus II @juz alte post, emden 10Nach wenigen Stunden bog Ole mit der Frische eines Hotelpenners um die Ecke und sammelte uns ein, so dass wir die Rückfahrt antreten und resümierten. Klar, wir hatten im Juz eine gute Zeit. Wir bekamen genug zu trinken, lecker Essen, geile Mucke und lernten nette Menschen kennen. Aus Veranstaltersicht aber war das Festival ein Vollflop. Was war da los? Bzw. was war da nicht los? In einer Gegend, von der die eigene Szene behauptet, dass nicht sonderlich viel los wäre und lautstark Veranstaltungen einfordert, wird ein ROCK-GEGEN-RASSISMUS-Festival vor allem am zweiten Tag mit demonstrativer Ignoranz gestraft, der Veranstalter auf seinen Kosten sitzengelassen. Worin liegen die Gründe? Dass auch bei günstigeren Preisen der Vorverkauf für kleinere Punk- und HC-Konzerte kaum genutzt wird, ist mir klar. Hätte man mit den größeren Bands geringere Gagen aushandeln müssen, um den Abendkassenpreis – 15,- EUR pro Abend – geringer gestalten zu können? Angesichts der Gagen in Zusammenhang mit dem geringen Publikumszuspruch mutete es fast wie ein Glücksfall an, dass die OFFENDERS kurzfristig abgesagt haben, denn so mussten diese nicht auch noch entlohnt werden. Ohne Headliner war der knapp verringerte Eintrittspreis am zweiten Abend zwar nicht gerade günstig, allerdings kam auch gar nicht erst jemand, der sich darüber hätte beschweren können, genauso wenig wie jemand, der angesichts der meines Wissens gar nicht mehr kommunizierten OFFENDERS-Absage auf dem Absatz hätte Kehrt machen können. Gab es zuviel Verunsicherung aufgrund des sich öfter geändert habenden Billings? Wollte der Großteil der Facebook-Zusager zu einer der Bands, wie bereits vor Wochen oder Monaten ersetzt worden war? Sind die Headliner unbeliebt in der Gegend? Oder bekommt man in Ostfriesland allgemein kaum noch den Arsch hoch? Ist die Gegend zu dünn besiedelt und/oder zu strukturschwach für ein solches dann überdimensioniertes Event? Nach dem Festival sah man sich mit fast schon wieder komischen Kommentaren in sozialen Netzwerken konfrontiert, von denen man nur hoffen kann, dass sie nicht repräsentativ für den Zustand der lokalen Szene sind: Da fühlte sich der eine zu alt für ein Jugendzentrum und hatte Sorge, nur von Kids umgeben zu sein – als wäre es ein totales Kuriosum, dass ein Punk-/HC-Konzert in einem Juz stattfindet. Ein anderer wiederum behauptet, am Samstag wäre das Juz geschlossen gewesen und beschwert sich, im Vorverkauf 18,- EUR für beide Tage, also 1,80 EUR pro Band gelöhnt zu haben… Ostfriesenwitze, gewissermaßen. Dass es auch anders geht, bewiesen diejenigen, die den Weg in die Alte Post gefunden hatten. Danke an jeden einzelnen, von denen ich besonders noch einmal die Frankfurter hervorheben möchte. Karsten wünsche ich alles Gute und hoffe, dass er sich nicht dauerhaft demotivieren lässt, aber vielleicht die eine oder andere Erkenntnis daraus zieht. Dass er ohnehin aus der Gegend wegzieht, wird ihm niemand verübeln können. Woanders wird sein Engagement mit Sicherheit auf fruchtbareren Boden fallen.

Ganz sicher ist das Desinteresse kein Indiz für einen etwaigen Rassismus der Emdener Bevölkerung, jedoch hat die Friesenstadt den Eindruck eines sterbenden Dorfs mit einer ebensolchen Szene vermittelt. Schade, denn ich hatte sie anders in Erinnerung.

P.S.: Danke an Karsten und Katharina fürs Bildermachen!

Frank Schäfer – Verdreht

schaefer, frank - verdrehtDr. phil. Frank Schäfer ist nicht nur Musikjournalist und Autor sich immer wieder gern anekdotenhaft mit Hardrock und Heavy Metal auseinandersetzender Werke, sondern auch ein hervorragender Beobachter mit Sinn für Details, der in immer irgendwie autobiographisch wirkenden Geschichten und Geschichtchen den vermeintlich unbedeutenden Kleinigkeiten ebensoviel Platz einzuräumen scheint wie dem Spektakuläreren. Die 2003 im Oktober-Verlag veröffentlichte, rund 170-seitige und in neun Kapitel bzw. Abschnitte unterteilte Sammlung von Beziehungskisten und Alltagsbeobachtungen, von melancholischen Erinnerungen und auch mal witziger Situationskomik, der er den Titel „Verdreht“ vergab, erzählt vornehmlich von einer Jugendparty mit einem Schwerverletzten und später von einem Klassentreffen gealterter Männer und Frauen, dazwischen kürzere, autarke Erinnerungen. Der besondere Kniff ist, dass Schäfer die Haupthandlung um die Party, in der es um Andreas’ Interesse für Birgit geht, immer wieder zugunsten der in ihren Inhalten davon unabhängigen Anekdoten unterbricht, aber mehr als einmal zu ihr zurückkehrt, dabei auch gern nichtchronologisch die Geschichte weiter ausarbeitet. Neben den Empfindungen des Protagonisten in einer undurchsichtigen Gemengelage seines Freundeskreises, der sehr anschaulich skizziert und charakterisiert wird, bezieht sie ihre Spannung aus der Frage, wie genau es zu dem Unfall am Pool kam, der einen jungen Mann ins Krankenhaus brachte. Geht es gegen Ende des Buchs vornehmlich um ein Klassentreffen und das Wiederaufflammen einer alten Liebe, weicht die postpubertäre Stimmung jungmännischer Verunsicherung einer gereiften Melancholie angesichts gescheiterter Lebens- bzw. Beziehungsentwürfe, die Schäfer vor dem Abgleiten in die Desillusion rettet und stattdessen Hoffnung spendet, ohne die Bedeutung jahrzehntealter Kontakte, Freundschaften und Bindungen zu relativieren. Schäfers gern eingestreute pop- und subkulturelle Verweise (Dokkens „Breaking The Chains“ anyone?!) dürfen natürlich genauso wenig fehlen wie seine Vorliebe für obskure Fremdwörter, die er glücklicherweise so gut in den Griff bekommen hat, dass ihr sporadisches Durchscheinen wie ein individuelles Stilelement wirkt, das nicht stört. „Verdreht“ liest sich schnell und gut durch, wird auch durch das Lokalkolorit niedersächsischer Provinz authentisch verortet und geerdet und verleugnet seinen vermutlich ehrlichen, bodenständigen Anspruch nie zugunsten wenig nachvollziehbarer oder erzwungen wirkender Entwicklungen zwecks fragwürdiger Aufmerksamkeitsbuhlerei – konsequenterweise bekommt somit auch nicht alles einen positiven Ausgang. Etwas schade finde ich lediglich, dass er mit „Kirschblüte“ eine Geschichte erneut abdrucken ließ, die bereits aus dem nur ein Jahr zuvor veröffentlichten „Ich bin dann mal weg – Streifzüge durch die Pop-Kultur“ bekannt war.

15.08.2015, Balduintreppe, Hamburg: Elbdisharmonie-Soli-Festival

elbdisharmonie 2015Seit Jahren eine feste Hamburger Institution und Sommer-Attraktion ist das Elbdisharmonie-Soli-Festival, das umsonst und draußen auf den Balduintreppen an der Hafenstraße stattfindet. Die Stufen zwischen den Punk-Kneipen Onkel Otto und Ahoi dienen dann jeweils als Zuschauerränge und bieten optimalen Blick auf die Bühne, die sich unten neben dem Ahoi befindet. Leicht verkatert vom Vortag, an dem wir (DMF) einen Gig auf dem Rondenbarg gespielt hatten, trudelte ich nebst netter Begleitung pünktlich nach Abpfiff der Bundesliga-Konferenz ein – also viel zu spät, um die erste Band TAPE SHAPES zu sehen. Stattdessen waren LIFELINE gerade zugange, wie zu erwarten vor beachtlicher Kulisse. Der melodische, flotte Punkrock nach US-Manier lief mir prima rein und bot einen prima Soundtrack zum Open-Air-Bierchen. Die MESCAL OWLS im Anschluss weckten verstärkt mein Interesse, da sie während des Aufbaus verdächtig nach Rockabilly oder ähnlichem Oldestschool-Sound aussahen und tatsächlich: Die kredenzte Mischung aus ursprünglichem Rock’n’Roll, Garage und Surf inklusive herrlich übertrieben lauter und halliger Gitarre erwies sich als willkommene Abwechslung zu meinen vergangenen Konzertbesuchen und -aktivitäten und ließ mich kräftig applaudieren, während ich es mir bei für Hamburger Verhältnisse keinen Anlass zur Kritik bietendem Sommerwetter bequem gemacht hatte. Das war richtig gut, gern mehr davon! Die zu Hamburgs neuen Hoffnungsträgern in Sachen individuellem Punk mit gewissem politischem Anspruch zählenden KOUKOULOFORI hatte ich vor ein paar Monaten schon in der Villa Dunkelbunt gesehen, wo ich absolut positiv überrascht war. Auch heute ließen die abwechslungsreichen, gern mal ungewöhnlichen, jedoch nie zu sperrigen Songs aufhorchen, jedoch war der Sound (zumindest direkt vor der Bühne) nicht ganz optimal. Was genau, ist bereits meiner Erinnerung entfleucht, aber gerade die etwas wütenderen Songs kommen im Zusammenhang mit kurzen, prägnanten Ansagen ziemlich überzeugend, während es der Bassist vielleicht ein wenig übertrieb, als er das Publikum beinahe für dessen Anwesenheit kritisierte, weil zeitgleich die Demo für das von staatlicher Repression betroffene Koze-Wohnprojekt stattfand. Ich weiß natürlich, wie’s gemeint war, finde aber beides wichtig – immerhin dient das Elbdisharmonie-Festival ja auch einem guten Zweck und ist auf Gäste angewiesen. Trotzdem nicht verkehrt, auch mal darauf hinzuweisen, was sonst noch gerade in Hamburg abseits von Partymeilen und Fußball passiert. Den Anspruch des Festivals unterstrich auch dieses Jahr wieder Rapper SUH, der nicht nur moderierte, sondern zwischen den Gigs auch Rap-Einlagen zu diversen aktuellen Themen lieferte. Das sorgt immer mal wieder für verdutzte Gesichter, wenn der Sound aus der P.A. kommt, aber viele Blicke zur leeren Bühne gerichtet sind – bis man irgendwann schnallt, dass SUH mit Funkmikro von den Treppenstufen aus, also aus dem Publikum heraus, agiert. Bei der WILLY WANKER GROUP, die sich wenig puristisch „Ska-Rock-Funk-Metal“ auf die Fahne geschrieben hat, gönnte ich mir eine Auszeit, ging TIN CAN ARMY aus der Konserve im Onkel Otto hören und gesellte mich schließlich zu mittlerweile bis auf die Straße sitzenden Bekannten, wo man den mittlerweile lauen Sommerabend bei mehr oder weniger gehaltvollen Gesprächen und in freundschaftlicher, entspannter Atmosphäre genießen konnte. Rechtzeitig zum „Guerilla-Soul“ von JAMES & BLACK, die ich einst im Vorprogramm der SLACKERSim Hafenklang sah, gesellte ich mich wieder vor die Bühne, wo es mittlerweile so voll war, dass man sich fast gegenseitig auf die Füße trat. Kein Wunder, denn der Soul der alten Schule, den die Texaner zum Besten geben, ist ebenso hör- wie tanzbar, Sängerin Black brachte mit ihrem kraftvollen Organ manch Trommelfell zum Klingeln und dass außer James’ Orgel alle Sounds von einem DJ beigesteuert werden, tut dem dennoch sehr traditionell anmutenden Vergnügen keinen Abbruch. So wurde im Abenddunkel geschwoft, getanzt und gewankt und vor allem nicht nur seitens der Festivalleitung, sondern auch des Publikums viel musikalische Aufgeschlossenheit bewiesen, die anscheinend von rauem Punk bis zu ans Herz gehendem Soul reichte. Für mich bedeutete das sodann auch den Schlusspunkt des Festivals, der „Gypsy Swing“ von DANUBE’S BANKS ging ohne mich über die Bühne, stieß aber bestimmt ebenfalls auf viele offene Ohren – ebenso wie die Aftershow-Party im Ahoi.

Die Elbdisharmoniker hatten ein gutes Händchen bei der Bandauswahl und Glück mit dem Wetter. Gerade die zugleich kämpferische und entspannte Stimmung trug zusätzlich dazu bei, mir diesen verkatert begonnenen Samstag zu versüßen, die Organisation schien wieder top, die Getränkepreise waren fair wie immer, will sagen: das Gesamtambiente stimmte. Bleibt zu hoffen, dass es sich nicht nur fürs Publikum gelohnt hat und uns das Festival noch lange erhalten bleibt. Danke an alle, die den organisatorischen Aufwand auf sich nehmen und einmal jährlich so viel subversive Kultur auf die Treppen wuchten!

14.08.2015, Wagenplatz Rondenbarg, Hamburg: PROJEKT PULVERTOASTMANN + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

disillusioned-motherfuckers-@wagenplatz-rondenbarg,-14.08.2015

Icke feierte seinen Geburtstag in der Platzkneipe und gab sich weltmännisch bescheiden, wünschte er sich doch lediglich einen Gig dieser beiden lokalen Bands. Zu essen gab’s frische Flammkuchen, zu trinken Bier und zu gucken Fußball, denn die Bundesliga-Saison wurde mit einer Liveübertragung des HSV-Kicks in Bayern eingeläutet. Auf meinen Wunsch hin schaltete man die Glotze ein und so konnte ich zusehen, wie sich schließlich der HSV einen nach dem anderen fing, während die Jungs zusammen mit Soundmann Norman in aller Ruhe den Aufbau vollzogen. Nach dem gemeinsamen Soundcheck wurde der Konzertbeginn von Icke auf 22:10 Uhr festgelegt und pünktlich nahm vor für ‘ne Privatparty ordentlicher Kulisse das Unheil seinen Lauf. So schlimm war’s aber gar nicht, ich war noch etwas heiser von der derben Probe am Abend zuvor und hier und da rumpelte es etwas, aber für DMF-Verhältnisse war das glaube ich ganz ordentlich und wenig desillusionierend fehlerarm. Soundtechnisch gab’s auch keine größeren Probleme, so dass mir eigentlich nur die enorme Hitze an diesem schwülen Tag, dessen Abenddämmerung kaum Abkühlung bot, zu schaffen machte. Ich schränkte zwar meine Bewegungen etwas ein, triefte aber trotzdem wie auf den letzten Metern eines Marathons. Meine ach so geschickte Taktik, bereits den vorletzten Song als letzten anzukündigen, in der Hoffnung, mit dem von Stef gesungenen „Les Rebelles“ als Zugabe den Schlusspunkt setzen zu können, ging leider nicht auf, die Pulvertoasties forderten lautstark „Waffel-Vibe“, dafür überhörten wir aber geflissentlich (wie arrogante Rockstars…) die Rufe nach Wiederholung von „Elbdisharmonie“, hähä…

projekt pulvertoastmannPROJEKT PULVERTOASTMANN kamen gerade aus dem Amsterdamer Bandurlaub und hingen erschöpfungsbedingt einigermaßen in den Seilen, sind jedoch längst abgewichste Profis genug, sich während des Gigs nichts anmerken zu lassen. Während ausnahmsweise der alte Drummer wieder an der Schießbude saß, drehte Sänger Snorre wie gewohnt am Rad, pogte durch die Publikumsreihen und brüllte sich die Seele aus dem Leib. Da gab’s wieder die volle Dröhnung HC-/Streetpunk mit deutschen Texten auf die Mütze, wenn mir auch das Set etwas gekürzt vorkam – was, wenn es so war, ihnen selbstverständlich gegönnt sei! Ordentlich Rambazamba war’s mal wieder und für mehr hätte dann aber auch die Aufmerksamkeitsspanne wohl nicht mehr gereicht, außerdem sollte die Party auch mit Mucke vom Band noch lange und feuchtfröhlich weitergehen. Ein klasse Abend auf dem Rondenbarg mal wieder; danke an Icke, Norman, die Pulvertoasties und alle anderen, die dazu beigetragen haben!

Weitere Bilder gibt’s hier.

07.08.2015, Rock Café St. Pauli, Hamburg: NERVOSA + CRISIX + DESOLATOR

nervosa + crisix + desolator 2Erst kürzlich hatte ich erfahren, dass im Rock Café St. Pauli, an dem ich schon oft vorbeigelatscht war, in unregelmäßigen Abständen empfehlenswerte Metal-Gigs stattfinden – und just stand ein wahres Knallbonbon bevor: Die brasilianischen Thrasherinnen NERVOSA zusammen mit zwei anderen Bands des Genres, von denen ich vorher nicht wirklich etwas gehört hatte. Freitag nach der Arbeitswoche also direkt auf den Kiez, (Veggie-)Döner verspeist, Bierchen geköppt, 12,- EUR Eintritt gelatzt und erst mal vor der Tür postiert und gesabbelt. Kurz darauf begannen DESOLATOR aus Southampton pünktlich wie die Maurer zu rödeln, ich vernahm da draußen zünftigen Krach mit DESTRUCTION-artigen Screams. Als ich dann nach einiger Zeit den Club betrat, wurde weniger geschrieen, dafür umso heftiger gemörtelt. Das Trio hatte sich der ultraschnellen Variante verschrieben und ehrlich gesagt klang das zwar in seinen besten Momenten schön punkig, oft aber auch schlicht chaotisch bis, äh, desolat (man verzeihe mir dieses Wortspiel). Briten und Thrash ist ja immer so’ne Sache (XENTRIX-Vinyl brauche ich trotzdem noch!), aber beim vergewaltigten „Iron Fist“-Cover begann ich langsam warm zu werden und mitzusingen – und nach ich glaube einer Zugabe war der Spuk dann auch vorüber.

nervosa + crisix + desolator 1Ganz anders CRISIX! Die fünf Spanier kamen, thrashten und siegten. Fand ich’s zunächst noch etwas albern, wie sie sich, während ihr Intro vom Band ertönte, mit dem Rücken zum Publikum stellten, hatten sie sofort meinen Respekt, als sie wie ein Inferno über den Laden brachen und sich auch kein Stück davon beeindrucken ließen, dass der Bassist kurzerhand die Bühne gen Backstage verließ, weil sein Instrument versagte und er – ohne dass der Gig unterbrochen worden wäre – kurz darauf mit nun funktionstüchtigem Viersaiter zurückkehrte. Chapeau! Teile des Publikums gingen steil und bangten heftig zum größtenteils flotten, hektischen, bisweilen crossoverigen Sound, der übrigens astrein abgemischt klang, und die – allein schon durch den nicht an ein Instrument gebundenen Sänger – auf der Bühne ziemlich aktive Band (mit Irokesenträger an den Drums) schaukelte sich gemeinsam mit dem Mob gegenseitig hoch. Irgendwann war dann der Bass schon wieder weg, erneut interessierte das die Bandkollegen keinen Meter; plötzlich wurden auch noch die Instrumente getauscht und in bester ANTHRAX-Manier „I’m The Man“ gerappt sowie METALLICAs „Hit The Lights“ zum Besten gegeben. Welch ein geniales organisiertes Chaos! Schwer unterhaltsam und technisch verdammt fit, von der ersten bis zur letzten Minute. Mich haben die Jungs etwas an BONDED BY BLOOD und ähnliche Neo-Oldschool-Thrasher erinnert, sprich hektisches, dabei erstaunlich präzises Geholze und alles etwas überdreht, dadurch dem Wahnsinn immer mal wieder sympathisch nah und insbesondere live perfekt zum Aufputschen und Auspowern geeignet. Geradezu unverschämt gut!

nervosa - victim of yourselfDie Mädels von NERVOSA taten mir jetzt leid – was sollte jetzt noch kommen, was sollten sie dem noch entgegenzusetzen haben? Hatte ich ’ne Ahnung – nämlich keine! Von ersten Minute an fraß man den Damen aus der Hand und auch mich haben sie schlicht umgehauen: Evil Thrash der alten Schule mit gewaltigem Riffing und einer singenden Bassistin, die mich in Sachen Phrasierung äußerst angenehm an CORONER oder auch DESTRUCTION erinnerte. Die Refrains mit ihren extra starken Betonungen ließen mich trotz Text-Unkenntnis mitgrölen und die Fäuste recken, wenn ich nicht gerade ungelenk vor der Bühne herumsprang. Von Nervosität auf der Bühne keine Spur und nachdem ich endlich auch dieses dämliche Wortspiel unterbringen konnte, bleibt einmal mehr der Sound, aber auch die ganze Atmosphäre im in dunkles Licht getauchten Rock Café lobend zu erwähnen, so dass das Gesamtpaket mit wohlverdienten „Nervosa!“-Sprechchören belohnt und die Brasilianerinnen nicht ohne Zugabe entlassen wurden. Nein, gerumpelt hat da nichts, weder Exoten- noch „Titten“-Bonus waren nötig und das Trio machte mit seiner EP und dem Debütalbum (mit dem tollen Titel „Victim of Yourself“) im Rücken nicht nur einen verdammt aufeinander eingespielten, sondern auch spielfreudigen Eindruck. Insbesondere Sängerin/Bassistin Fernanda sah man den Spaß an der Musik stets an, da sind Überzeugungstäterinnen am Werk. Ich weiß auch gar nicht mehr, weshalb mir diese Scheiben im Vorfeld irgendwie durchrutschten. Als ich im Nachhinein noch einmal in Ruhe reinhörte, wanderte das Zeug nicht nur unversehens auf die Einkaufsliste, sondern wusste mich auch ohne Live-Stimmung schwer zu begeistern. Zugegeben, hin und wieder sind die Songs vielleicht ein Minütchen zu lang und ist in Sachen Dynamik im einen oder anderen Refrain noch Luft nach oben, aber auf hohem Niveau.

Nach Verklingen des Schlussakkords liefen Musiker aller drei Bands noch gutgelaunt durchs Publikum und waren sich für kein Foto, Autogramm oder Klönschnack zu schade, die Stimmung war immer noch bestens und bei etwas mehr Werbung könnte ich mir gut vorstellen, dass die Bude rappelvoll geworden wäre. Den Laden habe ich jedenfalls fortan auf dem Schirm und mein Debüt als Gast im Rock Café hätte besser kaum ausfallen können, so dass ich noch lange davon zehrte – insbesondere von den grandiosen musikalischen Arschtritten!

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01.08.2015, Rondenbarg, Hamburg: RONDENBARG OPEN AIR, 2. Tag

rondenbarg open air 2015Das alljährliche Rondenbarg Open Air bedeutet i.d.R. eine abwechslungsreiche Bandauswahl bei freiem Eintritt, Spitzenwetter und ‘ne verdammt gute Party im D.I.Y.-Ambiente bei entsprechend niedrigen Verzehrpreisen – und das gleich zwei Tage lang. Freitag musste ich leider passen, aber als mich unser DMF-Proberaum am späten Samstagabend ausgespuckt hat, beschloss ich spontan, noch vorbeizugucken. Also noch flugs ein paar Leute eingesammelt und bei perfektem Wetter für ein solches Unterfangen mal eben zu Fuß von Altona zum Wagenplatz gelatscht. Als ich eintraf, spielte gerade eine neue Band aus Bremen, bei denen es sich um die HEADSHOX gehandelt haben muss. Die bestehen erst seit wenigen Monaten, haben dafür aber bereits ein beachtliches Programm in ebensolcher Qualität vorzuweisen, Hardcore-Punk mit männlich/weiblichem Wechselgesang und deutschen Texten mit schöner Fuck-off-Attitüde. Geiles Ding, das gut ankam und wenn die Band nicht plötzlich implodiert, wird von ihr noch zu hören sein! Die Umbaupause wurde ebenfalls mit Programm gefüllt; wie ich erfuhr, waren zuvor Teams gebildet worden, die sich verschiedene Wettbewerbe lieferten. In bester Urlaubs-Animateur-Manier erklärte der Moderator, dass es nun gelte, Eier per Löffel im Mund aus einer Schüssel zu fischen und wer am meisten abbekommt, hat gewonnen. Spektakulär versagt hat dabei das Team „Aktives Nichtstun“ um Pulvertoastie Holler, denn die Eier waren gekocht – und landeten so in Hollers Bauch statt auf dem Punktekonto. Das erinnerte natürlich schwer an Kindergeburtstag und ich fragte mich, was als nächstes kommen würde: Topfschlagen? Dosenwerfen?

Zunächst einmal kamen die Bochumer Punk-Satiriker SHITLERS, deren Hamburg-Gigs stets einer Überraschung gleichen, weiß man doch nie, wer letztlich auf der Bühne stehen wird. Diesmal glänzte Drummer Tristan durch Abwesenheit, dafür bestieg Martin den Drum-Schemel und ein neuer SHITLER übernahm die Streitaxt. Das wiederum zeigt, dass der gute Martin so etwas wie ein Multitalent ist, denn die Schießbude beherrschte er problemlos. Der Auftritt verlief auf quasi gewohnte Weise, was bedeutet, dass manch einer, dem das Bandkonzept nicht geläufig ist, zunächst nicht viel damit anzufangen wusste, man sich mit der Zeit aber sein Publikum erspielte. Die Darbietungen schwankten zwischen bewusst und unbewusst unperfekt, aus dem Konzept ließ man sich nicht bringen und ich kann nur hoffen, dass nicht allzu viele der Ansagen, Kommentare und Dialoge im allgemeinen Trubel untergingen – allein schon, weil auf einem Festival wie dem R:O:A die Mucke für viele eher Hintergrundbeschallung ist. Anschließend war Zeit für eine weitere Runde fröhlichen Wettbewerbs und als sich herausstellte, dass es um das Erkennen eingespielter Film- und Serienmelodien gehen sollte, wurde ich als ehemaliger TV-Junkie und aktiver Film-Delirianer spontan ins Team „Aktives Nichtstun“ einberufen. Die Schnapsidee, dass man erst antworten dürfe, wenn man einen Luftballon bis zum Zerplatzen aufgeblasen hat, wurde glücklicherweise schnell verworfen, denn außer heißer Luft kam da nicht viel, außerdem waren die Ballons zu schnell ausgegangen. So konnten wir tatsächlich ein paar Punkte abstauben, wenn die Wettbewerbsleitung auch gern mal gegen uns entschied, indem sie bei anderen „Axel Foley!“ als Antwort gelten ließ, wenngleich der Film selbstverständlich „Beverly Hills Cop“ heißt. Als die „Schwarzwaldklinik“-Melodie zu früh eingespielt wurde, ging der Punkt ebenfalls nicht an uns und ich witterte Schiebung! Nichtsdestotrotz konnten wir uns am Ende über einige Bierbons freuen, von denen ich einen direkt an denjenigen wieder loswurde, dessen Pils ich im Freudentaumel umgeworfen hatte…

Alles in allem eine sehr spaßige Angelegenheit, die den Ablauf kurzweiliger gestaltet und gekonnt die Bandpausen überbrückt. Den „Rausschmeißer“ machten dann CHAOSFRONT aus dem Westerwald mit äußert potentem und aggressivem Grindcore, der mir über die volle Distanz erstaunlich gut reinlief, was nicht zuletzt an der Top-Performance beider Shouter lag, die eine energetische Show lieferten. Sehr geil! Ein Blick auf den Flyer zeigt mir, wie viele Bands ich durch mein spätes Erscheinen verpasst hatte und ich vermute mal, dass die Party schon lange vorher in vollem Gange war. Der Rondenbarg lohnt sich eben meist und geht man zu Fuß zurück, ist man auch fast wieder nüchtern. 😀

P.S.: Ich hoffe, keine Bandnamen durcheinandergewürfelt zu haben – falls doch, bin ich für einen entsprechenden Hinweis dankbar.

18.07.2015, MarX, Hamburg: Broken Wrist Battlegrounds XXXIV

broken wrist battlegrounds XXXIVMeine Leidenschaft für Oldschool-Thrash sollte hinlänglich bekannt sein. Als ich kürzlich von der Existenz einer möglicherweise hoffnungsvollen Hamburger Nachwuchsband dieses Subgenres erfuhr und zudem vernahm, dass diese am Abend des 18.07. im MarX im Rahmen einer anscheinend regelmäßig stattfindenden, mir aber bisher unbekannten Veranstaltungsreihe namens „Broken Wrist Battlegrounds“ spielen würde, setzte ich meinen Vorsatz, mehr Metal-Konzerte zu besuchen, in die Tat um und traf rechtzeitig an der Markthalle ein. Die Band meines Interesses war REAVERS, bei der ich mir die Karte im VVK für faire 8,- EUR gesichert hatte, von den übrigen Kapellen hatte ich noch überhaupt nichts gehört. Vor Ort erfuhr ich dann, dass es sich bis auf REAVERS wohl ausschließlich um Metalcore handeln solle. Dementsprechend „groß“ war meine Begeisterung, denn damit kann ich i.d.R. nicht wirklich etwas anfangen, ob mit Klargesang in den Refrains oder ohne. Der auf der Karte angekündigte „Special Guest“ entpuppte sich als SUICIDE DOG BRIDGE aus Lübeck und als die bereits begonnen hatten, trank ich noch mein Bier vor der Tür, betrat jedoch wenig später den Ort des Geschehens. Nun ja, technisch sicherlich versiert, Gebrülle, tiefe Gitarren und Breakdowns, wie das eben so ist. Als die Musiker allerdings zum synchronen Crab-Dance-Bangen ansetzten, musste ich doch arg schmunzeln. Sorry, aber nix für Papa sein’ Sohn. BRAIN DAMAGED HORSE schlugen in eine ähnliche Kerbe, hatten allerdings ein paar raffinierte Breaks, die mir durchaus gefielen. Ansonsten war auch das not so really my cup of pee und warum der Shouter den einzigen Song mit Melodie als Schlager ankündigte, entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn das irgendein Cover war, hab’ ich’s nicht erkannt. BOREOUT SYNDROME erweiterten das Gesangsspektrum, wenn man es so nennen will, um Gekreische, das sich zum Gebrüll des engagierten Shouters gesellte. Nach dem ersten Song verließ ich den Raum. Erst zum letzten betrat ich ihn wieder, kann also nichts weiter zum Gig sagen. Dann – endlich – wurde die Bühne frei für REAVERS, die alle meine Hoffnungen erfüllten und ein ordentliches Brett Thrash fuckin’ Metal sägten. Zwei Klampfen, der Bassist singt, klassische Vier-Mann-Besetzung also, wäre da nicht an der Lead-Gitarre ein Mädel, weshalb sich diese Bezeichnung verbietet. Vollkommen ausgehungert bangte und zuckte ich extatisch und freute mich, dass sich der Abend doch noch für mich gelohnt hatte. Vorher hatte man mir verraten, dass man eine Cover-Version spielen würde und beim als „Fire in the Hole“ angekündigten Song dachte ich zunächst an LÄÄZ ROCKIT, doch mitnichten: Es handelte sich um einen eigenen Song, das versprochene Cover wurde TANKARDs „Freibier für alle“ und damit neben der viel zu kurzen Spielzeit mein einziger Kritikpunkt: So geil der Song auch ist, ich hätte lieber mehr eigenes Material gehört, denn das gefiel mir ausgesprochen gut! Die ganze Veranstaltung war übrigens leider eher semigut besucht, aber dafür war das Wetter prächtig und die REAVERS + Umfeld sympathisch und lässig drauf sowie gesprächsfreudig, so dass sich kein Kuttenträger verloren vorzukommen brauchte. Ich werde die Band auf jeden Fall weiter im Auge behalten, hoffe, dass die demnächst erscheinenden Aufnahmen den Druck der Livepräsenz annähernd einfangen können und wünsche mir aber für die nächsten Gigs stärker der alten Schule zugewandte Kollegenbands.

Fritz Pfäfflin (Hg.) – Soundtrack eines Sommers – Wie Popsongs unser Leben retteten

pfäfflin, fritz - soundtrack eines sommersMenschen, die über ein Mindestmaß an Empfindsamkeit verfügen, neigen dazu, prägende Lebensabschnitte oder -ereignisse mit Songs in Verbindung zu bringen. Diese müssen inhaltlich gar nicht einmal zwingend dazu passen, sondern einfach zu jener Zeit präsent gewesen zu sein – ob bewusst oder unbewusst ausgewählt oder ohne eigenes Zutun dank medialer Omnipräsenz. Ertönt Jahre später solch ein Lied, ist sofort die Erinnerung oder ein bestimmtes Gefühl wie aus dem Nichts wieder wach. Es wird schwierig, einen solchen Song wieder anders im Unterbewusstsein zu verknüpfen, aber i.d.R. will man das auch gar nicht, schwelgt stattdessen in süßer oder bitterer Melancholie. Einer Reihe Beispiele für dieses Phänomen widmet sich das 2005 bei „Herder spektrum“ von Frank Schäfer („Metal Störies“) unter seinem Pseudonym Fritz Pfäfflin herausgegebene, ca. 190 Seiten starke Büchlein. Unterteilt in 16 Kapitel schreiben ebenso viele verschiedene Autoren ihre Erinnerungen auf, die sie mit bestimmten Songs quer durch unterschiedliche Genres verbinden. Das Spektrum reicht von der pubertären ersten Sommerliebe (sehr schön: Fritz Tietz – Alte Liebe) und schmerzhaften Verlusten im familiären Umfeld über das Entdecken bestimmter Musik, Partyerinnerungen, unerfüllte Erwartungen, juvenilen Sex, Reminiszenzen an eine Casting-Show und die damit verbundenen Dialoge zweier Freundinnen (ungewöhnlich, aber herausragend: Kerstin Grether – Candy und Mandy tun’s) bis hin zu Liebeserklärungen an lateinamerikanische Klänge und Hassbekundungen gegenüber Disco-Rhythmen. Frank Schäfer persönlich bedient die Abteilung des Härteren (THIN LZZY – Renegade), Ueli Bernays widmet sich in einer tragischen Geschichte der Homosexualität und Michael Quasthoff beschreibt aufs Köstlichste, jedoch nicht minder tragisch seine Konfrontation mit der Unterschicht und dem Punk der Band HANS-A-PLAST. Satiriker Oliver Maria Schmitt gibt ein fiktives Kapitel aus seinem (selbst-)ironischen Punk-Roman „Anarchoshnitzel schrieen sie“ zum Besten, bei dessen Genuss man noch einmal so richtig lachen kann. Inhaltliche Tragweite und Schreibstil schwanken selbstredend angesichts des Autoren-Potpourris, große Ereignisse reichen biographischen Randnotizen die Hand, bisweilen wird es gar inhaltlich nichtssagend, dafür jedoch stilistisch interessant. Als Strandlektüre im Warnemünder Kurzurlaub jedenfalls habe ich „Soundtrack eines Sommers“ genossen und ich bin geneigt, eine Playlist aller genannten Songs zusammenzustellen – wenngleich diese sicherlich nicht Soundtrack meines Sommers werden würde. Welcher das sein wird, wird sich erst noch zeigen – ich bin jedenfalls ganz Ohr.

10.07.2015, Kraken, Hamburg: FAST SLUTS + RASTA KNAST

fast sluts + rasta knast @kraken, hamburg, 10.07.2015Der zweite Gig überhaupt der neuen Hamburger Oi!-Punk-Hoffnung – und gleich vor der großen Kulisse, die ein Auftritt im Vorprogramm von RASTA KNAST mit sich bringt. Ihre Feuertaufe allerdings hatten die Mädels bravourös vor Kurzem im Linken Laden bestanden und konnten somit zurecht guter Dinge sein. Im ausverkauften Kraken dementsprechend Gedrängel pur, wobei nicht wenige offenbar weniger wegen RASTA KNAST als vielmehr wegen FAST SLUTS gekommen waren! Soundmann Norman schwitzte nicht nur unter den Temperaturen, sondern auch angesichts des Soundchecks, hat dann aber einen grundsoliden Klang gezaubert – wenngleich nicht ganz ohne das berüchtigte „Kraken-Fiepen“, jene Rückkopplungen aus der Hölle, die per Voodoo-Zauber dorthin gelangen, sich jeglicher logischer Erklärungen und technischer Tüfteleien entziehen und mit denen man dort immer mal wieder zu kämpfen hat. 😉 Wie gesagt, halb so wild, bei den Damen flutschte es schon um einiges flüssiger und selbstsicherer als beim Live-Debüt, Bassistin Jule führte mittels launiger Ansagen durch’s Set, Paulines Gitarre schien mir mehr Power zu haben, Rike an den Drums strahlte über’s ganze Gesicht und kannte jeden Einsatz und die gute Alex am Hauptgesang war nicht nur selbstbewusst und textsicher, sondern kam auch stimmlich noch etwas mehr aus sich heraus. Der Gesang in normaler Stimmlage war wieder etwas leise; vielleicht bekommt man das zukünftig noch besser abgemischt, ansonsten gern Mut zu mehr Gebrüll! 😀 Ein besonderer Höhepunkt war das SMEGMA-Cover „Eure Art zu Leben“ mit Unterstützung zweier original SMEGMAner! Wann bekommt man so einen Song schon mal im Duett zu hören?! Ohne Zugabe wurden die FAST SLUTS dann auch nicht von der Bühne gelassen und ich glaube, es befand sich sogar ein neuer Song im Set. Weiter so! In der Umbaupause sorgte ich, wie schon vorm SLUTS-Gig, für handverlesene Mucke aus der Konserve, und nun standen also RASTA KNAST auf dem Plan – ich muss ja zugeben, dass ich die überbewertet finde, spätestens seit man offenbar beschlossen hatte, nach x Besetzungswechseln den Fuß vom Gas zu nehmen und statt flottem „Schwedenpunk“ verstärkt auf Midtempo-„Deutschpunk“ zu setzen. Ich muss aber zugeben, bereits ab einem recht frühem Zeitpunkt den musikalischen Werdegang nicht weiter verfolgt zu haben und das ändert sowieso nichts daran, dass im Kraken natürlich der Schweiß von der Decke tropfte und manch Hit, derer die Band zweifelsohne so einige hat, meine Ohren erreichte – wenn ich mich nicht gerade an der (mehr oder weniger) frischen Luft befand, in Klönschnacks vertieft war oder irgendwas anderes tat. Zwischendurch knallte mehrmals anscheinend hitzebedingt die Endstufe durch, Norman kam wieder ins Schwitzen und alles in allem war das heute nicht mein Konzert, sorry. Vielleicht ein anderes Mal, falls ich die Band mal für mich wiederentdecke. Schön allerdings für den Kraken, dass die Bude dermaßen voll war!

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