Günnis Reviews

Autor: Günni (page 45 of 104)

26.12.2015, Monkeys Music Club, Hamburg: PROPAGANDA PROASYL

propaganda proasyl @monkeys, hamburg, 20151226Tu Gutes und rede darüber: Die Band PLASTIC PROPAGANDA hatte, offenbar mithilfe des „Mind the Gap“-Fanzines und natürlich des Monkeys, den organisatorischen Gewaltakt auf sich genommen, eine oberfette Punkrock-Sause – acht Bands und eine Lesung – zugunsten der gemeinnützigen Organisation Pro Asyl zu stemmen, die am zweiten Weihnachtsfeiertag über die Bühne(n) ging. Als ich erstmals von diesem Ereignis erfuhr, war ich Feuer und Flamme, doch als ich mich dann tatsächlich mitten im Jahresend- und Festtagstrubel befand, stand mir am 26.12. nach einem langen Besuch bei der Verwandtschaft eigentlich so gar nicht mehr der Sinn danach, mich vor Silvester noch einmal ins Getümmel zu stürzen. Als ich relativ spät im Monkeys eintraf und eigentlich nur etwas abholen wollte, sah die Welt aber schon wieder ganz anders aus und nachdem ich mich am Tresen festgequatscht hatte, blieb ich einfach da. Verpasst hatte ich bis dahin bereits EAT THE BITCH, THE DUTTS und SPIT PINK. Von THE HAERMORRHOIDS, Überlieferungen zufolge mit dem DUTTS-Sänger an den Drums, sah und hörte ich nur noch den Schluss, u.a. ein lässiges RAMONES-Cover. Der Gig fand auf der kleinen Pub-Bühne statt, denn um Umbaupausen zu vermeiden, wechselten sich beide Bühnen stetig ab. Nun rief der Gastgeber persönlich zur Hauptbühne und ich kam erstmals in den Genuss eines kompletten PLASTIC-PROPAGANDA-Gigs. Während andere ja gern mal Haupt- und Barthaar wild wuchern lassen oder aber sich komplett absäbeln, standen hier stylisch frisierte Herren und eine Dame wie aus dem Ei gepellt im Psychobilly- und Stachelfrise-Look auf der Bühne und machten optisch schon mal gut was her. Und es blieb nicht bei der bloßen Pose, auch musikalisch wusste man mit herrlich altmodischem UK-’77-Punkrock original mit halbcleanen Klampfen und männlich-weiblichem Wechselgesang zu überzeugen. Ab und an ging’s glaub’ ich auch bischn in die absichtlich wavig-monotone Richtung oder so, ich fand’s jedenfalls sehr interessant und muss mir die Platte mal in Ruhe anhören. Könnte echt wat für Vadder sein’ Sohn sein.

THE CHEATING HEARTS im Pub zockten daraufhin lediglich zu zweit in WHITE-STRIPES-Manier trashigen flotten Punkrock, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Ungefähr die Hälfte sah ich mir an, bevor mich ein Klönschnack vor die Tür trieb. War jedenfalls auch sehr ordentlich. Die Kieler THE STUMBLING PINS folgten auf der Hauptbühne und sahen ziemlich nach den RAMONES aus, kredenzten stattdessen aber etwas moderneren US-Melodic-Punk, der gut ins Ohr ging. Eben dorthin ging auch Viktor Hackers Lesung aus dem wenig beneidenswerten Berufsalltag eines Türstehers, anscheinend ein Auszug aus „Zeit für Zorn – Die Türsteher-Lösung“. Prima Humor, der in mehrere Richtungen austeilte und eine Lanze für die Türmenschen unserer Clubs brach, absolut souverän und leidenschaftlich rübergebracht – sehr schön!

Über VIOLENT INSTINCT brauche ich nun aber wirklich kaum noch Worte zu verlieren, hab’ ich schließlich mittlerweile oft genug getan. Mit dem Cover „Ultra Violence“, gesungen von Gitarrero Dennis, begann man den Gig, und als Sängerin Aga auf die Bühne kam, gab fortan sie den Ton an, wie immer mit viel Ausstrahlung und Verve. Hamburger Oi!-Punk deluxe mit erstklassigen deutschen Texten, Ohrwurmmelodien, Attitüde und einem Animal-like-Show-Drummer – sowie dem geschmackssicher gewählten ANGELIC-UPSTARTS-Cover „Solidarity“. Vergnügt schwang ich das Tanzbein, andere taten es mir gleich und überhaupt jede Band (seit ich das dank meiner Anwesenheit beurteilen kann) bekam den verdienten Zuspruch des in erfreulicher Stärke erschienen Publikums. VIOLENT INSTINCT mussten noch mal für ’ne Zugabe ran und dann bliesen DJ Mertens & Co. zur Aftershow-Party mit feinstem Punkrock-Stoff. Insgesamt kamen wohl 1.560,- EUR für Pro Asyl sowie ein großer Sack Kleiderspenden zusammen und das kann sich doch echt mal sehen lassen! Klasse Aktion in großartigem Ambiente bei entspanntem Personal und ebensolchen Gästen, deshalb auch ganz unabhängig von den Spenden mal ein fettes Dankeschön an das Monkeys, PLASTIC PROPAGANDA und alle ohne Gagen aufgetretene Bands sowie alle, die organisatorisch mit drinhingen! Ich hab’ meinen spontanen Besuch zu keiner Sekunde bereut und freue mich mit, dass alles so gut gelaufen ist.

Einen alle Bands abdeckenden Bericht sowie fantastische Fotos gibt’s bei Kevin Winiker.

20.12.2015, Bambi Galore, Hamburg: ARCHITECTS OF CHAOZ + 2ND SIGHT + BURNING MAJA

architects of chaoz + 2nd sight + burning maja @bambi galore, hamburg, 20151220Seit mir jemand im zarten Alter von ca. acht Jahren das „Live at the Rainbow“-Video von IRON MAIDEN zeigte, begleitet mich die Stimme des damaligen Sängers Paul Di’Anno in meinem Leben. Mit den ersten beiden MAIDEN-Alben hat er Musikgeschichte geschrieben und zwei der besten Scheiben eingesungen, die das Genre hervorgebracht hat. Egal, was er danach gemacht hat, welche falschen (Management-)Entscheidungen vielleicht getroffen wurden, welchen Ärger er hatte und womöglich auch selbst verursacht hat etc. – das kann ihm niemand mehr nehmen. Und es war beileibe nicht alles schlecht, was Di’Anno nach IRON MAIDEN musikalisch getrieben hat: Mit BATTLEZONE hat er einige prima Songs auf dem Kerbholz, das erste KILLERS-Album kann einiges, das Live-Album zusammen mit PRAYING MANTIS ist Weltklasse („Cheated“ mit Di’Anno am Gesang!) und eine Soloscheibe wie „Nomad“ müssen andere erst einmal hinbekommen. Seine mit Songs seiner anderen Projekte angereicherten IRON-MAIDEN-Livesets, mit denen er viele Jahre um die Welt tingelte, wiesen großen Unterhaltungswert auf, wie einige Live-DVDs und -CDs belegen, sollen in qualitativer Hinsicht aber geschwankt haben und stark von der jeweiligen Tagesform abhängig gewesen sein. Leider war es mir nie vergönnt, einem dieser Gigs persönlich beizuwohnen. Im Herbst letzten Jahres wiederum dürfte es gewesen sein, dass ich von seinem neuen Projekt hörte, den ARCHITECTS OF CHAOZ mit deutschen Musikern, die ihm zuvor bereits als PHANTOMZ für seine MAIDEN-and-more-Shows zur Seite standen. Deren Teilnahme am diesjährigen Rock-Hard-Festival war dann einer der ausschlaggebenden Punkte für mich, mir ein Festivalticket zuzulegen. Welch weise Entscheidung das war, bewies deren Auftritt, denn die Songs hatten Klasse und zündeten sofort. Das Album „The League of Shadows“ zählt für mich neben der neuen MAIDEN-3LP zu den Höhepunkten des Jahres. Nun also kamen die Architekten auch nach Hamburg, um genau zu sein beendeten sie ihre Tour hier, und zwar dankenswerterweise im besten Metal-Laden der Stadt, der atmosphärischen und intimen Bambi Galore. Da gab’s gar keine andere Option, als hinzugehen! Sonderlich eilig hatte ich es allerdings nicht, denn die beiden Vorbands sagten mir gar nichts. Ich tat jedoch gut daran, trotzdem pünktlich zu erscheinen, denn BIENE BURNING MAJA aus der Eifel, deren eigene Vokabelschöpfung Heavy Hardrock’n’Roll wie Arsch auf Eimer passt, hatten zwar mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen – Drummer verhindert, Bassgurt gerissen –, doch der Ersatzdrummer (im DIMPLE-MINDS-Shirt) machte seine Sache verdammt gut, der Gurt wurde vom AoC-Kollegen schnell behelfsmäßig, aber wirksam geflickt und so stand einem guten Gig nichts mehr im Wege. Besonders dem zu 200 % motivierten Basser und Bandsprecher quoll das Adrenalin aus allen Poren und nach jedem Song freute er sich aufrichtig und auf ansteckende Weise, an diesem Abend in Hamburg spielen zu können. Auf die Ohren gab’s statt vom mir befürchtetem altbackenen, schnarchnasigen Hardrock ordentlich arschtretende Songs, die gute Laune verbreiteten und von denjenigen, die bereits den Weg ins Bambi gefunden hatten, gut auf- und angenommen wurden. Der Sänger hat ’ne klasse Stimme und kann auch gut mal die Töne länger halten, die Gitarrenfraktion sorgt für Melodien, die geschmeidig ins Ohr gehen und der Bassist flitzt über die vier Saiten, als würde er nach Anschlägen pro Minute bezahlt. Der absolute Kracher aber war dann die musikalisch kräftig aufpolierte WESTERNHAGEN-Coverversion „Mit 18“, gesungen von besagtem Bassisten. Grandios! Meine Begleiterin hat sich gleich ’ne CD mitgenommen, hört gern selbst mal bei Soundcloud rein. Ein gelungener Auftakt, mit dem sich die Band Sympathien erspielt haben dürfte.

Weitaus weniger anfangen konnte ich dann mit der lokalen zweiten Band 2ND SIGHT, was jedoch hauptsächlich an mir liegen dürfte, denn mit diesem Sound irgendwo zwischen Epic Power Metal, US-Metal und Angeproggt-Vertracktem à la FATES WARNING werde ich allgemein nicht warm. Für ihr Metier allerdings dürfte das doch ziemlich gut gewesen sein; am Gesangsmikro ein kleiner Mann mit großer Stimme, der den genretypisch hohen Kopfgesang mühelos beherrscht und seine Performance leicht theatralisch mit viel Gestik unterstreicht. Der Sound war perfekt und die Band hatte einige Fans vor der Bühne versammelt, die sie gut unterstützten und abfeierten. Abgefeiert habe ich dann auch, als 2ND SIGHT unvermittelt den „Saber Rider And The Star Sheriffs“-Titelsong spielten und herrlich trocken und ironiefrei darboten, als wäre das selbstverständlich. Damit kriegten sie natürlich auch mich. Beim nächsten Mal bitte „He-Man and the Masters of the Universe“ gleich hinterher 😉

Nach einer letzten Umbaupause mit schnellem Soundcheck („Ist der Sound gut? Ok, dann sind wir inner Dreiviertelstunde wieder da! We are Motörhead and we play Rock’n’Roll!“) war es dann an der Zeit für die ARCHITECTS OF CHAOZ um den Mann, dessen musikalische Relevanz schon so häufig in Abrede, dessen Karriere so oft totgesagt wurde – reichlich vorschnell, denn Totgesagte leben bekanntlich länger. Klar, es tut weh, den alten Haudegen an den Rollstuhl gefesselt und noch immer unter Knieschmerzen leidend zu sehen. Kurz vor der Show sagte er, er wäre nach der Tour ziemlich durch und seine Stimme würde wohl eher nach „Alvin und den Chipmunks“ klingen, doch nachdem man ihn auf die Bühne gehievt hatte, war wie auf Knopfdruck alles da! Diese wahnsinnig markante Stimme, die wie Donnerhall die Erde beben und die Wände zittern lässt, die kehlig growlt, aggressiv zetert, bluesig und mit Vibrato singt, die Töne hält und in fiese Höhen vordringt, falsettig kreischt und es vor allem versteht, mittels dieses Umfangs seinen Texten Bedeutung, Ausdruck und Pathos zu verleihen. Bis auf etwas Delay hatte er anscheinend nichts auf seinem Mikro und scheinbar problemlos das komplette Set durchgezogen (lediglich den guten alten „Marshall Lockjaw“ hat er auf der Setliste leider übersprungen). Direkt mit dem Opener „Erase the World“ hat man sämtliche Möbel im näheren Umkreis geradegerückt und sofort war vergessen, dass da ein fuß- (bzw. knie-)lahmer älterer Mann vor einem sitzt – mit seiner durch Mark und Bein gehenden Gesangsleistung war er ganz der Di’Anno-Paule, wie man ihn kennt und liebt. Solange er am Ende einer Tour noch eine solche Leistung abzurufen in der Lage ist, wäre es tatsächlich eine Schande, würde er das Live-Musiker-Dasein aufgeben. Davon ist jedoch überhaupt keine Rede mehr, viel zu hochwertig ist das Songmaterial – meines Erachtens das Beste, was Paul seit MAIDEN gemacht hat. Songs wie „Erase the World“, „How Many Times“, „When Murder Comes to Town“ oder „Dead Eyes“ sind 1A-Ohrwürmer, der Stil ist allürenfreier, komplett unpeinlicher und schnörkelloser No-Bullshit-Metal, dessen Spektrum von der melancholischen Ballade über Riff- und Melodiemonster bis hin zu Speed-Metal-Abrissbirnen reicht. Das Gitarrenduo Andy und Joey lässt keine Wünsche offen und die Rhythmusfraktion zimmert mehr als nur das Fundament, wenn Gonzo am Tieftöner den Teppich ausrollt und Dom sein Drumkit nach allen Regeln der Schlagwerkerkunst verdrischt. Angereichert wurde das Set mit dem ALEX-HARVEY-Cover „The Faith Healer“ aus alten KILLERS-Tagen, das ich noch nie so gut (und eigen) wie an diesem Abend gehört habe, „A Song for You“, das ebenfalls aus der KILLERS-Ära stammt und dem BATTLEZONE-Klassiker „Children of Madness“ vom gleichnamigen Album, das für Paul nach wie vor von großer Bedeutung zu sein scheint. Die obligatorischen MAIDEN-Songs „Killers“ und „Phantom of the Opera“ sorgten dann zum Ende noch mal für kollektiven Wahnsinn in einer ohnehin schon rauschartigen, aufgepeitschten Atmosphäre. Die Band mit ihren jungen, hungrigen Musikern wirkt wie eine Frischzellenkur für Paul auf mich; die Energie, die da von der Bühne kam, übertrug sich auf den für einen Sonntagabend amtlich gefüllten Club und animierte zum Headbangen, Fäusterecken, Mitgrölen. Wenn nicht gerade das Getränk alle war oder die Blase drückte, bekam mich nichts aus der ersten Reihe weg. Der Sound war perfekt, klar, drückend und laut; die Pausen zwischen den Songs nutzte Paul für Konversation mit dem Publikum, gern schnoddrig, frech, augenzwinkernd und reagierte schlagfertig auf Zwischenrufe. Von der „One Man Army“ und „Roadcrew“ namens Macke ließ er sich mit „Medicine“, Bierchen und ’ner Kippe versorgen und lobte den Mann in den höchsten Tönen. Fragwürdiges Austeilen gegen seine Ex-Band o.ä. verkniff er sich hingegen. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das war ein großartiger, erinnerungswürdiger Gig!

Eigentlich hatte ich vor, mir die AoC-LP an diesem Abend zu kaufen, doch als ich im Vorfeld in weiser Voraussicht gefragt hatte, ob man Vinyl mitbringen würde, eröffnete man mir, dass dieses bei der Band bereits ausverkauft sei! Leicht panisch orderte ich das gute Stück übers Internet, das inzwischen auch angekommen ist, aber es nicht mehr rechtzeitig zum Konzert zu mir geschafft hatte. Dort allerdings gab’s ein schönes Sammler- und Erinnerungsstück in Form einer auf gerade mal 200 Exemplare limitierten Split-CD mit PERZONAL WAR anlässlich der gemeinsamen Tour (auch wenn diese an diesem Abend gar nicht spielten), die u.a. den bisher anscheinend nur online veröffentlichten Song „Je suis Charlie“ und ’ne gemeinsame JUDAS-PRIEST-Coverversion von „United“ enthält und in dekorativer Blechbüchse daherkommt. Schönes Teil zum fairen Kurs, das natürlich eingesackt wurde. Als alter Punkrocker hab’ ich mir nie viel aus Autogrammen gemacht, doch mit dieser Tradition brach ich an diesem Abend und ließ mir ein paar Stücke aus meiner Sammlung, u.a. altes Maiden-Vinyl, nach der Show von Paul signieren und gegen ein gemeinsames Foto hatte er auch nichts einzuwenden. Meine Begleiterin ließ unterdessen die erwähnte Tour-CD von allen Chaoz-Architekten bekritzeln. Danke an alle und es wäre glatt gelogen, würde ich behaupten, dass mir das kurze Treffen mit dem alten Recken vom „Live at the Rainbow“-Video nichts bedeutet hätte… Der Abend hat mich doch ziemlich geflasht und ich ziehe meinen Hut vor Paul und seinen Bandkollegen. Ich bin mir sicher, dass wenn man dieses Qualitätslevel halten kann, man schon beim nächsten Hamburg-Abstecher einen größeren Laden wird beehren müssen und wünsche viel Durchhaltevermögen, Inspiration und den verdienten Erfolg. Noch viel mehr wünsche ich aber Paul alles Gute und dass seine Knie endlich wieder in Ordnung kommen! Get well soon, Paul, and have a Rock’n’Roll Christmas!

Hier gibt’s noch einen ganz Arsch voll großartiger Fotos von Andreas’ Konzertfotografie, dessen ARCHITECTS-OF-CHAOZ-Fotos ich freundlicherweise verwenden darf (sind also alle von ihm) – danke!

13.12.2015, Monkeys Music Club, Hamburg: G.B.H. + S.O.S. + STAHLSCHWESTER

g.b.h. + s.o.s. + stahlschwester @monkeys, hamburg, 20151213

Ich hatte im vorausgegangenen Bericht von Stefs Abschieds-Gig und -Party ja bereits angedeutet, dass sich wiederum mir etwas angedeutet hatte, nämlich eine gemeine Erkältung, auch bekannt als gefürchtete Männergrippe, die an diesem Sonntag nun überdeutlich kurz vor ihrem Ausbruch stand. Zur allgemeinen, aus der vorherigen Nacht resultierenden Erschöpfung und dem leichten Kater gesellten sich nämlich diverse Wehwehchen, angesichts derer ich den Tag normalerweise hauptsächlich im Bett verbracht hätte. Ob des hochkarätigen Unterhaltungsprogramms am Abend dieses A.C.A.B.-Tags haderte ich aber mit mir selbst und überlegte hin und her, warf die Twoface-Münze und als die zerkratzte Seite oben lag, raffte ich mich schließlich doch noch auf und machte mich auf den Weg zum Monkeys – mit dem guten Vorsatz, mir „in aller Ruhe“ die Bands anzusehen, so gut wie nichts zu trinken und mich danach direkt wieder sterben zu legen. Zu meiner Überraschung machten nicht die lokalen S.O.S. den Opener, sondern die nicht minder lokalen STAHLSCHWESTER, deren erste paar Songs ich verpasste (ging sackpünktlich um 20:00 Uhr los). Das Monkeys war schon jetzt gut gefüllt und die Band um Sängerin Peppels mit ihrem aggressiven rotzigen Organ sorgte für gute Stimmung mittels deutschsprachigem ’80er-HC-Punk, der nun auch über ein paar längere, weniger rabiate Stücke verfügt, die das Set angenehm auflockern und songschreiberisches Talent über den enggesteckten Oldschool-Pogo-Punk-Sound (nicht, dass an dem etwas verkehrt wäre!) hinaus erkennen lassen. Unterstützt wird sie gesanglich immer mal wieder vom Rest der Band, vornehmlich Gitarrist Tommy, der einzelne Textzeilen ins Mikro bellt. Der Klang der P.A. war diesmal auch vom Feinsten und Peppels suchte als nimmermüder Aktivpol den Kontakt zum Publikum, verließ häufig die Bühne Richtung Tanzfläche und erinnert mich mit ihrem Tanzstil und ihren bunten Leggins manchmal an den ’80er-Aerobic-Trend – sportlich und normalerweise ansteckend, doch ich stand nur wie ein Häufchen Elend da, konnte aber die gute Musik und das angenehme Ambiente genießen (Oh Gott, das klingt ja, als wäre ich in der Oper gewesen…). Ein erstes Bierchen gönnte ich mir dann doch und freute mich über ihre vielleicht bestens Songs, „Stahlbeton“ und „Arbeitslager BRD“, als verdient eingeforderte Zugaben.

S.O.S. alias SORT OF SOBER nun also als zweiter Act, den ich verglichen mit STAHLSCHWESTER als den etwas unbekannteren eingeschätzt hätte, da man z.B. noch kein offizielles Vinyl am Start hat. Das war dem Publikum aber völlig egal und es nahm die Band bestens an. Auf alles andere hätte ich auch mit Unverständnis reagiert, denn nicht nur dem Charme der ausdrucksstarken Sängerin Cecilie mit ihrer zwischen entwaffnend mädchenhaft, energisch fordernd und rotzig-frech pendelnden, umfangreichen Stimme, mit der sie den melodischen Gesang gestaltet, sollte man als geschmackssicherer Musikliebhaber sofort erlegen sein, auch die Songs mit ihrem schnellen Drive und einnehmenden Melodien lassen unmittelbar aufhorchen und zünden sofort. Den Stil zu beschreiben fällt mir gar nicht so leicht, die Melodien haben viel der alten ’77-Schule, die Geschwindigkeit hingegen scheint meist eher aus dem Hardcore zu stammen. Sehr gelungene Mischung jedenfalls, die abgeschmeckt wird mit männlichem Wechselgesang des auch als ORÄNGÄTTÄNG-Frontmann geläufigen Gitarristen. Eine spanische Nummer wiederum sang die Gitarristin, der Rest inkl. des ABBA-Covers „S.O.S.“ wird angelsächsisch dargereicht. Als dem Basser eine Saite riss, ließ man sich nicht aus dem Konzept bringen und zockte die Nummer einfach ohne Tieftöner durch, die dank der zwei Gitarren auch dann nicht allzu dünn klang. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, war „All Night Tour“ der letzte oder vorletzte Song, für den Cecilie dann mit dem Mikro durch die ersten Publikumsreihen streifte und zum Singen des Chors aufforderte – worum sich niemand lange bitten ließ. Klasse Gig wieder und die Demo-CD, die man in in liebevoller D.I.Y-Manier gestalteten x unterschiedlichen Covern brennfrisch dabei hatte, hab’ ich gleich mal mitgenommen. Cecilie verriet mir hinterher, dass die erste richtige Veröffentlichung wohl auch in der Mache sei und ich meine, da darf man sich drauf freuen.

Ich bildete mir mittlerweile ein, dass ein Mexikaner den wunden Hals etwas betäuben würde und ließ mich zu ’nem frischen Monkeys Red einladen, als die alten britischen Recken von G.B.H. das Monkeys dann so richtig zum Durchdrehen brachten. Es war kaum noch ein Durchkommen, die Hütte war rappelvoll und niemand wurde enttäuscht: Was die Gentlemen mit ihrem charakteristischen UK-82-Sound mit den von Metal-Riffing beeinflussten sägenden Gitarren da ablieferten, versetzte das Monkeys in kollektive Begeisterung und war weit entfernt von abgehalftertem Altherren-Punk. Der drahtige Sänger Collin war sowohl körperlich als auch stimmlich topfit und bei seiner Band saß alles punktgenau. Vor der Bühne hatte sich ein ordentlicher Pit gebildet, ein Stück durfte zwischendurch jemand aus dem Publikum singen und für ein anderes wurde sogar der Schlagwerker gegen einen Gast ausgetauscht!? Spitzenstimmung, ausschließlich glückliche Gesichter, Bombensound – der perfekte Höhepunkt eines eigentlich rundum perfekten Abends, hätte ich nicht so dermaßen in den Seilen gehangen. Ich war nicht mal zum sonst üblichen Smalltalk mit den supervielen bekannten Gesichtern (viele waren die Nacht zuvor noch in der Lobusch gewesen) so recht in der Lage und kämpfte die nächsten Tage ums Überleben (scheine nun aber das Gröbste überstanden zu haben, so schnell wird man mich doch nicht los). Genug gejammert – danke, Monkeys und allen drei Bands, für diesen außergewöhnlichen Sonntagabend! Was hätte ich mich geärgert, wäre ich tatsächlich im Krankenbett geblieben…

Weitere (bessere) Bilder gibt’s hier.

12.12.2015, Lobusch, Hamburg: Au revoir, Stef! DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS + INBREEDING CLAN

disillusioned motherfuckers + inbreeding clan @lobusch, hamburg, 12.12.2015Am 12.12.2015 war es soweit und es hieß, Abschied von unserem Quasi-Gründungsmitglied und Bassisten Stef zu nehmen, der nach Jahrzehnten in Deutschland beschlossen hat, am Jahresende in seine französische Heimat zurückzukehren. Natürlich galt es, ihn mit allen militärischen Ehren zu verabschieden, sprich: es noch mal richtig krachen zu lassen! Zu diesem Zwecke organisierten wir erstmals selbst ein Konzert; die Wahl fiel natürlich auf die altehrwürdige Lobusch im Herzen Hamburgs, in der wir praktischerweise auch unseren Proberaum haben. Dass das im Vorfeld alles etwas chaotisch ablief, lag da natürlich in der Natur der Sache: Unseren ursprünglichen Plan, zusammen mit zwei anderen Bands zu zocken, dampften wir auf eine einzelne Combo ein, die dafür aber dreckig für zwei oder mehr ist: den INBREEDING CLAN. Kurz vorher sagte dann DJ Loco krankheitsbedingt ab, der für die Aftershow-Beschallung eingeplant war, der gebuchte, aber verhinderte Tonmensch Norman schickte seinen Kollegen Wurzel und bis zuletzt blieb es spannend, wer nun tatsächlich für Tresendienst und Einlass kommen würde. Eisenkarl wusste uns jedoch zu beruhigen, indem er einwendete, das sei ganz normal und würde schon hinhauen. Und er sollte Recht behalten: Ganz kurzfristig sprangen Katharina und Pieksbirne freundlicherweise für die erste Tresenschicht ein, kurz darauf standen auch Britta und Denise ihre Frau und später hatten Frank und Niko von HAMBURGER ABSCHAUM die Lage im Griff, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Für den Einlass konnten wir auch auf gleich drei Leute zählen. Von vornherein bestens geklappt hatten das Flyerverteilen und Plakatieren Altonas Chefkoch Nr. 1, the infamous Olax, kredenzte die haute cuisine der Saison. Top Job aller!

Nach Bühnenaufbau und Soundcheck versammelte sich zunächst langsam, dann umso geballter der feierwütige Mob im Club und scharrte bald ungeduldig mit den Hufen, bis ihm ab zehn nach zehn der INBREEDING CLAN zeigte, wie original Hamburger Südstaaten-Redneck-Scumrock/-punk zu klingen hat. Das dreckige Quartett um Sänger Flo servierte ihren gut abgehangenen, madendurchsetzten und von Fliegen umkreisten Scumbatzen mal verzerrt, häufig aber auch „clean“ (sofern dieser Begriff hier angebracht ist) und minimalistisch instrumentiert, so dass das Hauptaugenmerk auf Flo lag, der mit whiskey- und shitgegerbter Stimme in die Rolle eines Familienmitglieds aus „The Texas Chainsaw Massacre“ zu schlüpfen schien und verdammt authentisch anmutende Weisen über das eigene Selbstverständnis als CLAN, die Verachtung aller und alles anderen sowie eigenwillige sexuelle Vorlieben in geschliffenem Hillbilly-Englisch schmetterte. Seine schlabbrige Schlafanzughose hatte dabei auch schon bessere Tage gesehen und gab schnell auf bzw. damit den Blick auf seinen vergnügt baumelnden Pimmel frei. Stimmte er eine „Ballade“ an, nahm er bequem auf dem Bühnenrand platz, das hatte dann schon fast etwas von einem gemütlichen Liederabend. Das monotone Snare-Standtom-Spiel des immer irgendwie abwesend wirkenden Drummers gehört ebenso dazu wie das Grimassenschneiden Flos und natürlich das tanzende Publikum, denn der simple Beat geht sofort ins Bein. Statt „Bite It You Scum“ wurde diesmal „Fuck Off, I Murder“ von GG Allin gecovert, das sich natürlich nahtlos ins Set einfügte. Einer hatte im RUN-DMC-Stil ein „FCK FLO“ Shirt dabei und hielt es dem Sänger vor die Nase, ich wiederum verzichtete angesichts unseres bevorstehenden Gigs diesmal darauf, mich zu besaufen und oberkörperfrei vor der Bühne zu eskalieren. Den Nüchternheitstest hat der CLAN jedenfalls bestanden, das war wieder spektakulär daneben!

Irgendwie nahm das aber kein Ende mehr, die hörten gar nicht mehr auf! Auf ein Zeichen kamen sie nach 75 Minuten dann zum Schluss und nach kurzer Pause war’s dann soweit: unser letzter Gig mit Stef. Die Bude war mittlerweile richtig voll, ein nicht unerheblicher Teil der Gäste – unter ihnen der halbe Gaußplatz und überraschend aus dem Ruhrpott angereiste Kapeiken – ebenfalls und die Luft nur noch schemenhaft erahnbar im stickigen Dickicht aus Zigarettenqualm und anderen Ausdünstungen. Allein schon aufgrund der Halsschmerzen, die mich seit zwei Tagen plagten, goss ich mir ’nen lütten Whiskey rein – und ab dafür… Direkt von Beginn an ging die Meute gut mit, nach dem dritten Song warf ich sämtliche Absprachen übern Haufen und sagte den fünften an. Man erinnerte mich jedoch daran, dass vor der Fünf die Vier käme und jetzt Freibierzeit wäre und so verteilten wir einen Kasten Holsten von der Bühne an den durstigen Pöbel. Im Anschluss peitschte Chrischan uns mit seinem Nuclear Motherfuckers Beat so dermaßen an, dass kaum Zeit zum Luftholen blieb – der Gute wurde immer schneller! Hinzu kam, dass wir diesmal tatsächlich mal durchzogen, was wir schon länger vorhatten, nämlich einige Songs blockweise aneinanderzuhängen, also quasi ohne Pause durchzuzocken. Nun war’s zwar einerseits angenehm, sich nicht ständig alberne Ansagen überlegen zu müssen, andererseits hetzten wir jetzt förmlich durchs Set. Und überhaupt, die Luft! Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals SO dermaßen stickig gewesen wäre. Zwischendurch dachte ich beim Brüllen kurz, ich würde jetzt entweder ohnmächtig oder kotzen müssen. Stattdessen würgte ich einen riesigen Schleimballen hoch, den ich gleich wieder hinunterschluckte – guten Appetit. Kais Gitarre war ungewöhnlicherweise zunächst leiser als Fe-Karls und musste noch mal nachjustiert werden, aber beide rifften tapfer durchs Set und gingen jedes Tempo mit. Ganz überrascht war ich, als ich nach gefühlt 20 Minuten schon unseren vorletzten Song „Hatepunk“ ankündigen musste, den ich mit letzter Puste noch herauspresste, bevor Stef endgültig in den Mittelpunkt rückte und ein letztes Mal mit uns das BÉRURIER-NOIR-Cover „Les Rebelles“ anstimmte, wie üblich in einer abermals neuen, spontanen Interpretation (wie der eine oder andere Song zuvor auch, ähem). Die Brüllpause tat mir verdammt gut, denn als nach mehr verlangt wurde, durfte zur Feier des Tages Stef sich zwei Songs zur Wiederholung wünschen. Seine Wahl fiel auf „Aktion Mutante“ und „IS-SS“, für die ich wieder mehr Puste hatte, wenngleich Chrischan alias Dr. Tentakel jetzt zum finalen Massaker ausholte und sein Drumset in ungeahnter Frequenz durchprügelte – so schnell waren diese Songs noch nie, und es stand ihnen nicht schlecht.

Nach dieser sportlichen Darbietung hieß es erst mal, wieder runterzukommen, den Energiehaushalt mittels isotonischer Alkoholika wieder auszugleichen – um schließlich noch stundenlang mit Stef und allen anderen weiterzufeiern! Sogar DJ Loco war doch noch mit ein paar Platten unterm Arm aufgetaucht, sein Pult wurde aber nicht mehr aufgebaut. Gemischte Mucke aus der Konserve gab’s trotzdem, geöffnete Fenster ließen endlich wieder durchatmen und laut der Tresencrew wurde anscheinend fast der ganze Getränkekeller leergesoffen! Unglaublich!? Ein gewisser Chr. O. tauchte plötzlich auf und gab zu Protokoll, unterm Kickertisch (!) geschlafen zu haben. Andere „legten“ sich jetzt erst hin, knackten im Sitzen weg, während um sie herum der Trubel keine Ende nahm. Irgendwann zwischen 3 und 4 verabschiedete auch ich mich, sogar aufrechten Gangs, und musste zum Glück erst am Donnerstag noch mal zum Saubermachen hin.

Fotos: Frank Obersheimer

Bis auf ein paar ganz wenige Ausfälle (Eiertritte von hinten in völlig normal pogende Kerle sind kein Zeichen emanzipatorischen Antimackertums, sondern asoziale SCHEISSE, junges Frollein!) war’s ’ne arschgeile Party und ein würdiger Abschied für den alten Schneckenschlürfer! Danke an alle, die ihm die „letzte Ehre“ erwiesen haben sowie an die Lobusch und alle Helfer und Helfershelfer, die den Abend mit uns gewuppt haben! Wir machen zu Viert weiter, Eisenkarl übernimmt den Bass und der erste Gig in dieser Besetzung findet am 20.02.2016 im Menschenzoo als Support für die DÖDELHAIE statt.

Stef, Aller – DANKE für die gemeinsamen Jahre DMF und alles Gute! Santé!!!

P.S.: Außerdem danke an Frank Obersheimer, Jana, Katharina und Moe für die Fotos! Weitere Bilder gibt’s hier.

Von Iced Earth bis Sodom: Die Kunst des Axel Hermann

hermann, axel - von iced earth bis sodom - die kunst desEinen nicht ungefähren Teil der Faszination des Metal-Genres machen zweifelsohne die Plattencover aus, die häufig große Kunst in Form morbider Visionen, dämonischer Fratzen, blasphemischer Illustrationen, fantasiereicher bunter Welten oder auch detailreicher Comiczeichnungen bieten. Mit seinem 2013 veröffentlichten großformatigen, ca. 160 Seiten starken Hochglanz-Bildband bietet der Iron-Pages-Verlag einem der anerkanntesten deutschen Künstler auf diesem Gebiet, dem Dortmunder Axel Hermann, ein Podium, um seine interessantesten Arbeiten in Buchform zusammenzufassen, zu präsentieren und zu kommentieren und vereint außerdem viele Stimmen von Szene-Angehörigen, für die er gearbeitet hat. Nach einem Vorwort Götz Kühnemunds und Robert Kampfs und ein paar persönlichen Zeilen Axel Hermanns nimmt letzterer den Leser des komplett zweisprachigen Buchs (alle Texte sind auf deutsch und englisch abgedruckt) mit auf eine spannende und inspirierende Reise durch sein Gesamtwerk, beginnend bei allerersten, köstlichen Zeichenversuchen eines typischen Metal-Fans über erste Auftragsarbeiten für „Century Media Records“-Veröffentlichungen, durch die man anhand des großartigen Covers für MORGOTH’ „Resurrection Absurd“ schnell beim Death Metal landet, einem seiner Hauptbetätigungsfelder. Weiter geht es mit den US-Metallern von ICED EARTH, deren Stammzeichner er geworden ist, über T-Shirt-Designs, Skizzen und Karikaturen bis hin zu jungen Arbeiten aus dem aktuellen Jahrzehnt. So bekommt man häufig einen Einblick in die Entstehungsprozesse weltberühmt gewordener Motive und erfährt interessante Details. Abgerundet wird das Buch durch Schnappschüsse aus Axels privatem Fotoarchiv und Humor sowie etwas Selbstironie kommen auch nicht zu kurz. Ein wertiger Schmöker nicht nur für Metal-Fans, den sich Axel Hermann redlich verdient hat und den durchzublättern nicht nur einen schönen Überblick über sein Schaffen bietet, sondern auch dazu einlädt, die eine oder andere Platte aufzulegen und/oder sich in den vereinnahmenden Bildern zu verlieren.

Und ich hätte gern die Gesichter sowohl des Buchhändlers als auch meiner Stiefmutter gesehen, als er ihr den Band mit den leicht entsetzt klingenden Worten „Das ist aber nicht für Sie, oder?!“ aushändigte – ich hatte ihn mir zum Geburtstag gewünscht…

Gerhard Seyfried – Invasion aus dem Alltag

seyfried, gerhard - invasion aus dem alltagAuf „Wo soll das alles enden“ folgte das mir noch unbekannte „Freakadellen und Bulletten“, bevor der Wahl-Berliner Cartoonist Gerhard Seyfried im Jahre 1980 für seinen rund 90-seitigen Farbcomic „Invasion aus dem Alltag“ zum Rotbuch-Verlag zurückkehrte. Zur wortspielreichen Deutschland-Karte des Debüts gesellt sich hier eine ebensolche (T)Europa-Topographie, bevor Seyfried erklärt, der Comic spiele „in der Linken“ und auf den folgenden Seiten einige derer Vertreter vorstellt, wofür er karikierend mit Klischees spielt. Fortan dreht es sich um eine fünfköpfige Clique, die im knollennasigen und detailreichen Funny-Stil gern mal mit den Gesetzeshütern in Konflikt gerät, welche hier eindeutig negativ und satirisch überzeichnet dargestellt werden und es natürlich darauf hinausläuft, dass diese den Kürzeren ziehen. Nach einigen doppelseitigen Zukunftsvisionen beginnt knapp nach der Hälfte jedoch das eigentliche Herzstück des Comics: In der Wohngemeinschaft versammelt sich die Clique zum gemeinsamen Kiffen und Fernsehen, als der Sprecher der „Abendschau“ verkündet, dass über dem Schöneberger Rathaus ein Ufo verharre. Am nächsten Morgen macht man sich auf den Weg und findet das Rathaus verlassen vor, während die Außerirdischen Berlin für die Hauptstadt des ganzen Planeten und unsere Anarcho-Freunde für seine offiziellen Repräsentanten halten. Das Missverständnis wird jedoch schnell ausgeräumt und man freundet sich locker miteinander an, doch die tatsächlichen Regierungsvertreter schicken Soldaten – zum Zorn der freundlichen, kugelförmigen Außerirdischen. Sie reagieren auf die irdische Provokation, indem sie den Anarchos eine Bombe bzw. „die entsetzlichste Waffe des Universums“ schenkt und sie zur neuen Regierung adelt. Die Soldaten und die Polizei nehmen daraufhin panisch Reißaus, doch aus Versehen geht die Bombe hoch und verwandelt die Erdenbewohner in „absolut unregierbare“ Individuen, was Seyfried erneut Anlass bietet, seine autoritätsfeindlichen freiheitsliebenden Ideale zum Ausdruck zu bringen. Im Zusammenspiel mit den bunten, klaren Zeichnungen und dem immer wieder bei aller trotzigen Naivität und Plakativität auch durchaus feinsinnigen Humor, der nebenbei Science-Fiction-Motive aufgreift und persifliert, ergibt sich ein kurzweiliges Vergnügen, das auf eine gewitzte Pointe zusteuert – und trotz viel Zeitkolorit angesichts der politischen Situation Deutschlands bzw. der Welt natürlich auf seine Weise zeitlos ist.

Gerhard Seyfried – Wo soll das alles enden

seyfried, gerhard - wo soll das alles endenDer gebürtige Münchener und Wahl-Berliner Gerhard Seyfried avancierte im Laufe der Jahre zu einem der „linksradikalen“ Cartoonisten, dessen Zeichnungen weit über die Grenzen linker oder sonstiger Subkultur Bekanntheit erlangten. Sein erstes Buch erschien 1978 im Rotbuch-Verlag: „Wo soll das alles enden“, ein „kleiner Leitfaden durch die Geschichte der undogmatischen Linken“. Dieser besteht in erster Linie aus Zeichnungen, die zwischen 1972 bis 1978 im alternativen Münchner Stadtmagazin „Blatt“ erstveröffentlicht wurden. Vornehmlich in Einzel- und Wimmelbildern und mit vielen Wortspielen bis hin zu Kalauern zeichnet Seyfried karikierend die Entwicklung der außerparlamentarischen Opposition (APO) nach, über die Entstehung alternativer Buchläden, Magazine etc. bis hin zu alternativen Lebensentwürfen und der staatlichen Repression. All das ist angenehmerweise alles andere als frei von Selbstironie, wirkt aus heutiger Sicht aber bisweilen auch reichlich naiv und schwankt zwischen genial witzig und etwas infantil und platt. Damit ist Seyfried aber auch ein schönes Zeitdokument gelungen, das auf humoristische Weise einen Einblick in den damaligen Zeitgeist und das seinerzeitige Lebensgefühl und Selbstverständnis erlaubt, das auch heute noch auf seinen rund 100 Seiten für manch Lacher gut ist.

Spiegel special: Die 50er Jahre

spiegel special - die 50er jahreDer Spiegel-Verlag brachte im Jahre 2006 dieses Sonderheft heraus, das sich auf 180 Seiten (abzgl. diverser Werbung) ausschließlich der spannenden Zeit des ersten deutschen Nachkriegsjahrzehnts widmet. Verschiedene Autoren widmeten sich verschiedenen Themenbereichen und ebenso unterschiedlich sind auch Informationsgehalt und Qualität zu bewerten. Klaus Wiegrefe steigt mit den Gründerjahren ein, gefolgt von einem Interview mit Altkanzler Helmut Schmidt. Reich bebildert sind viele Seiten, die einen Überblick über geschichtsträchtige Gebäude und Orte bieten. Viel wird auf die Rolle Konrad Adenauers eingegangen, wobei man für meinen Geschmack zu viele Seiten zu lang recht unkritisch bleibt. Kürzere Essays, z.B. über die versäumte Aufarbeitung von Kriegstraumata einer ganzen Generation, über jüdische Displaced Persons, Versuche der Aussöhnung mit Israel und deutsche US-Emigranten werden zwischengeschoben und reißen interessante Perspektiven an, die sicherlich eine tiefergehende Auseinandersetzung rechtfertigen würden. Großen Raum nehmen folgerichtig der schnell entfachte Kalte Krieg und die mit ihm einhergehenden Zugeständnisse an die Bevölkerung und alte Nazi-Schergen ein. Nachdenklich stimmt beispielsweise ein Artikel über den Krupp-Konzern und wie er sich aus seiner Verantwortung stehlen konnte. Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene sind ebenso Thema wie die unfassbaren Attacken der katholischen Kirche gegen die evangelische und die theologischen Differenzen des Jahrzehnts, bei denen die Katholiken nicht gut wegkommen. Zur von verschiedenen Autoren beleuchteten Personalie Adenauer gesellt sich ein kritischer Blick auf den „Vater des Wirtschaftswunders“ Ludwig Erhard, dessen Mythos ein gutes Stück weit auseinandergenommen wird – denn so „sozial“ wie heutzutage insbesondere von SPD-„Genossen“ gern kolportiert, war seine Marktwirtschaft mitnichten. Daraus resultierend und überaus lesenswert ist Geschichtsprofessor Hans-Ulrich Wehlers Aufräumen mit dem wirtschaftlichen „Wachstumsfetischismus“, der immer wieder das „Wirtschaftswunder“ nostalgisch verklärt und dem Wunschtraum nachhängt, derartige Wirtschaftswachstumszahlen noch einmal erreichen zu können – gern auch als Argumentation im Klassenkampf von oben gegen die Unterschicht eingesetzt. Relativ ausführlich widmet man sich der größten Schande der deutschen Nachkriegsgeschichte, der versäumten Entnazifizierung – nicht ohne die „Sachzwänge“, die dazu ihren entscheidenden Teil beitrugen, gegenüberzustellen, ohne jedoch den damit einhergehenden Zynismus in vollem Umfang zu verdeutlichen und zu verurteilen. Vielleicht war das auch gar nicht nötig, denn es liest sich auch so beschämend genug. Die beschriebenen Schwierigkeiten für deutsche Kriegsheimkehrer, wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen, entbehren hingegen nicht einer gewissen Tragik. Wie ein Lichtblick erscheint da die breite Protestbewegung gegen Wiederbewaffnung und Westbindung, die das Spiegel special korrekt als Wendepunkt der politischen Kultur einordnet. Auf lediglich zwei Seiten tendenziell als eher abgefrühstückt hingegen empfinde ich Alexander Szandars Ausführungen zur von Adenauer flugs vorangetriebenen Wiederbewaffnung. Eher einseitig, dennoch in ihrem zusammenfassenden Charakter alles andere als uninteressant fallen unterdessen die Berichte über die Luftbrücke und ihre „Rosinenbomber“ aus. Und auch das Thema der deutsch-deutschen Spionage hätte auch in diesem begrenzten Rahmen wesentlich mehr Stoff als für nur eine Doppelseite geboten. Da verwundert es auch kaum, dass die komplexe und spannende Thematik der DDR nur in aller Kürze, am Rande und extrem einseitig abgehandelt wird – eines der größten Versäumnisse dieser Publikation.

Voller Russenklischees steckt Jürgen Dahlkamps Erzählung „WG mit dem Iwan“, in der es um russische Soldaten geht, die während der Besatzung bei deutschen Familien einzogen – anhand eines einzelnen Beispiels. Das ist stereotypisch einerseits, aber eben doch ob seiner Bizarrerie voller Humor und zudem zutiefst menschlich, fast wie ein Beitrag zur Völkerverständigung. Auflockernd wirkt es dann nach aller politischen Schwere ebenfalls, wenn sich Hellmuth Karasek – eigentlich selbst ein Konservativer – mit süffisantem Humor entlarvend der Alltags- und Populärkultur der 1950er widmet, die bestimmt war von der Sehnsucht nach „Normalität“ und heiler Welt. Mathias Schreibers Erörterung der „neuen Einfachheit“ in Literatur und Architektur hingegen erscheint mir eher hypothetisch und wenig allgemeingültig, auch Susanne Beyer scheint mir in ihrem Bemühen, die Stilsuche und -unsicherheit der Angehörigen einer ganzen Nation von oben herab einfachen Formeln zu- und Erklärungen unterzuordnen, etwas fragwürdig. Henryk M. Broder ordnet derweil die Südtirol-Begeisterung der Nachkriegsdeutschen gesellschaftspolitisch ein, was – wie so oft bei ihm – den unangenehmen Nachgeschmack einer nur unzureichend kaschierten tendenziösen Polemik hat, deren Allgemeingültigkeit angezweifelt werden sollte. Von besonderem Interesse waren für mich natürlich Urs Jennys Zeilen zum deutschen Nachkriegskino, das in der BRD von Heimatfilmen und Artverwandtem bestimmt war. Viel Neues bietet der Artikel indes nicht und klammert wieder einmal die DDR nahezu komplett aus – eine vertane Chance. Höhepunkt dieser sich nur indirekt mit Politik auseinandersetzen Artikelreihe im letzten Heftabschnitt ist jedoch insbesondere für mich als Fußball-Fan Jürgen Leinemanns Beschäftigung mit dem „Wunder von Bern“, was erfreulich differenziert und angereichert mit unpopulären Details geschieht und dabei doch viel Respekt vor dem Fußballsport erkennen lässt und ein Gefühl dafür vermittelt, was auf friedliche Weise durch Sport erreicht werden kann, was möglich wird, wenn ein Volk generationsübergreifend zu positiven Identifikationsmöglichkeiten zurückfindet, die sich außerhalb von Politik, Mord und Totschlag finden und trotz ihres spielerischen Charakters ungekünstelt und authentisch im Gegensatz zu gänzlich realitätsentführendem Kitsch sind.

Damit sind zwar viele, aber längst nicht alle Themengebiete genannt, die diese Zeitschrift abdeckt. Mit einigen Abstrichen ist sie sicherlich für einen relativ breiten Überblick über die behandelte Epoche der BRD geeignet. Die Autoren- und damit auch Stilvielfalt, die zudem mit einem gewissen stets um kritische Distanz bemühten Meinungsallerlei (innerhalb eines klar abgesteckten staatstragenden Rahmens) einhergeht, ist nicht frei von einigen Wiederholungen, während die unterschiedlichen Perspektiven einerseits etwas anstrengen, aber auch als Chance zur eigenen Meinungsbildung begriffen werden können. Auch aufgrund meines Vorwissens war mir eine Lesart, die nach Umblättern der letzten Seite in erster Linie Respekt vor der Aufbau- und Wirtschaftsleistung der BRD in den 1950ern einflößt, jedoch nicht möglich und auch wenn die Titelseite dies vielleicht aus Verkaufsgründen suggeriert, dürfte dies auch tatsächlich nicht die oberste Priorität der Publikation gewesen sein. Bei mir persönlich weckte sie im Gegenteil vor allem gesteigertes Verständnis für all jene, die bis heute damit Schwierigkeiten haben, sich wie selbstverständlich mit dem Nachkriegsdeutschland zu identifizieren.

06.12.2015, Bambi Galore, Hamburg: HOBBS’ ANGEL OF DEATH + INTERMENT + HAILSTONE

hobbs'-angel-of-death-+-interment-+-hailstone-@bambi-galore,-hamburg,-20151206Opa goes brutal satanic Thrash

Ich gehe ja viel zu selten in die sympathische Bambi Galore, in der Betreiber Flo im Rahmen der „Revolt!“-Reihe immer wieder spitzenmäßige Metal-Konzerte veranstaltet. Umso mehr freue ich mich, wenn es dann doch mal wieder klappt – wie an diesem zweiten Adventssonntag, an dem die australische Antwort auf SLAYER, nämlich HOBBS’ ANGEL OF DEATH, lockte. Allein schon die Hinfahrt nach Hamburg-Billstedt, fernab jeglichen Kiezes oder Szeneviertels, ist eine irgendwie willkommene Abwechslung zu den sonstigen Routen und hat beinahe schon etwas Konspiratives. Der kleine Club ist für seine Top-Organisation, Spitzensound, faire Preise und freundschaftliche Atmosphäre bekannt und beliebt und auch mich überkommt beim Betreten ein Gefühl von „Hier bin ich Mensch – hier darf ich sein.“

Ich freute mich sehr auf HOBBS’ ANGEL OF DEATH, jene Aussies um Bandkopf Peter Hobbs, die 1988 mit ihrem selbstbetitelten Debüt einen stark von SLAYER beeinflussten Beitrag zum Thrash Metal lieferten und damit seinerzeit zum Härtesten gehört haben dürften, was Down Under zu bieten hatte. Eigentlich dachte, dass es dabei geblieben wäre, doch wie ich im Nachhinein erfuhr, folgte 1995 ein Zweitwerk namens „Inheritance“, das ich noch gar nicht kenne. Ein über zwei Jahre alter „Rock Hard“-Bericht suggerierte zudem, dass sich die Band seinerzeit in den Aufnahmen zu einem dritten Album befand, doch dieses ist bis dato leider nicht erschienen. Was die mir unbekannten beiden Death-Metal-Vorbands betrifft, erwartete ich nicht allzu viel und hoffte schlicht, dass sie nicht zu monoton oder schleppend ausfallen würden.

Von den Münchener HAILSTONE, die bisher neben Demos ein Album und eine EP veröffentlicht haben, war ich dann auch gleich positiv überrascht, denn das Quartett zimmerte flotten, derben Death Metal mit angenehmer leichter Melodie-Kante. Sänger/Gitarrist Daniel röhrte mit rauem Organ und hatte zwischen den Songs kurze, knappe, aber freundliche Ansagen parat, beglückwünschte das Publikum u.a. zur Bambi Galore, auf die es stolz sein könne. So füllten sie die Spielzeit mit der maximalen Songanzahl aus und ernteten mehr als nur Achtungsapplaus vom noch nicht vollzählig erschienen Mob. Alle, die zu spät gekommen sind, haben was verpasst!

Die Schweden INTERMENT hatten sich bereits Ende der ’80er gegründet, nach einigen Demos jedoch in den ’90ern aufgelöst. In den 2000ern erfolgte die Neugründung und seitdem bringt man es auf die beachtliche Anzahl von zwei Alben und vier Split-Scheiben. Der Vierer mit Pete-Steel-Lookalike am Bass machte schon beim Soundcheck derart verzerrten und lauten Krach, dass sich besorgte Besucher Ohrstöpsel bei der Tresenkraft erbaten, doch als sie loslegten, war die Lautstärke wieder zivil und stimmte der Sound. Der aber war ungehobelt, betont roh und böse, ursprünglicher Death Metal von der Basis ohne großartige Tempowechsel und vollkommen frei jeglicher Sperenzien. Das war ein paar Songs lang interessant, dann jedoch rauschte es nur noch an mir vorbei, zu gleichförmig klangen die Songs für meine in Sachen Death Metal eher unerprobten Ohren. Dafür hatten aber mittlerweile mehr Hartgesottene den Weg nach Billstedt gefunden und feierten die Band mittels Banging, Luftgitarre und Pommesgabeln ganz ordentlich ab. Sympathisch erschien mir die Attitüde der Band, die konsequent ihren urwüchsigen, rustikalen Stiefel durchzuziehen scheint.

hobbs'-angel-of-death-+-interment-+-hailstone-@bambi-galore,-hamburg,-20151206_225309Dann endlich HOBBS’ ANGEL OF DEATH! Peter Hobbs’ ist Mitte 50, sieht locker zehn Jahre älter aus und stand bis eben noch hinterm (plattenlosen) Merchandise-Stand („Sorry, CDs are sold out“), betritt nun aber mit seinen neuen Mitstreitern, VIOLENTOR-Bassist und Zottelbär Cane sowie zwei Jungspunden, die Bühne. An seinen Mikroständer hat er ein dekoratives umgedrehtes Kruzifix angebracht, statt eines Bandbanners hängt ein großes Pentagramm mit Ziegenschädel hinterm Drumkit (das nach wenigen Songs nur noch zur Hälfte baumelt und schließlich ganz flöten ging). Was wird dieser volltätowierte, bierbäuchige alte Knacker, der mehr nach Rockerclub oder Bluesrock aussieht, hier noch reißen können? Um’s kurz zu machen: ALLES! Vom ersten Song an tobte der totale Thrash-Holocaust von der Bühne, Hobbs hat immer noch das gleiche kehlige Shout-Organ wie früher und es gab musikalisch brutalst auf die Fresse: Hobbs und der Lead-Gitarrist ergänzten sich mit ihren akzentuierten Riffs oder lieferten sich unerbittliche Duelle, der Bass goss das Fundament und der unermüdliche Drummer erinnerte mich sogar an den Kollegen von SEPULTURA – Weltklasse! Die jüngeren Songs – anscheinend zockte man auch viel noch unveröffentlichtes, für eingangs erwähnten dritten Longplayer geplantes Material – sind anscheinend noch schneller als das alte Zeug, von Altermilde nicht die geringste Spur, im Gegenteil: Hobbs gab sich blasphemisch wie ein übermotivierter Jüngling, wobei ich die finale Geste, das Anspucken des Jesus auf seinem Kruzefix, dann doch etwas übertrieben und albern fand. Zwischen den Songs brummte er heisere Ansagen mit Aussie-Dialekt, wovon ich nur die Hälfte verstand. Jedenfalls verstand er es gut, das Publikum zu animieren, das jedoch keinen Moshpit formierte, dafür aber ausdauernd bangte, was die Nackenwirbel hergaben. In der Mitte des Sets riss ihm dann plötzlich eine Saite. Er sang noch etwas ohne Klampfe und verschwand dann hinter die Bühne, während der Rest der Band den Song fertigspielte. Ein paar Minuten Zwangspause waren die Folge, die ich u.a. nutzte, um mir einen herrlich geschmacklosen Aufnäher der Band mitzunehmen, doch dann kam er mit frisch besaiteter Axt zurück, nahm ein paar Schlücke aus der Bierpulle und behauptete, sich backstage einen runtergeholt zu haben (ein Beispiel für seinen schnoddrigen Humor). Vergnügt ging’s weiter, bis irgendwann der vermeintlich letzte Song angekündigt und gezockt wurde und daraufhin die Lichter angingen. Die Rufe nach einer Zugabe verhallten jedoch nicht ungehört und zu mittlerweile vorgerückter Stunde gab man noch zwei Stücke zum Besten, bis dann wirklich endgültig Schluss war. HOBBS’ haben meine Erwartungen an diesem genialen Abend übertroffen, meine Nackenmuskulatur ordentlich strapaziert und mich davon überzeugt, mich mal mit dem zweiten Album zu beschäftigen. Bleibt zu hoffen, dass es nun auch endlich mit der dritten Platte klappt – und wenn die hält, was dieser Gig versprach, dann aber Heidewitzka! Schön, ein kauziges Original wie Peter Hobbs & Co. endlich einmal live gesehen zu haben – danke an Flo und das Bambi sowie an die Australier für diesen Beweis, dass man diese Art von Musik auch im höheren Alter noch derart ungestüm und authentisch bringen kann!

Hier gibt’s noch einen ganz Arsch voll großartiger Fotos von Andreas’ Konzertfotografie!

28.11.2015, Markthalle, Hamburg: 25 Jahre Yacøpsæ mit YACØPSÆ, RAZZIA, HOLY MOSES, BLOOD, RAZORS, CRIPPLE BASTARDS und RESTMENSCH

25 jahre yacøpsæAn diesem Samstag überschlugen sich die Hamburger Konzertveranstalter mal wieder: YACØPSÆ feierten ihr 25-jähriges Jubiläum mit einem fetten Aufgebot in der Markthalle, THE ADICTS tobten durch die Fabrik, OXO 86 verkauften das Monkeys aus, VLADIMIR HARKONNEN und weitere verwandelten die Lobusch in ein Pulverfass, zudem zockte irgendwer im Menschenzoo und eigentlich sollten auch noch MOTÖRHEAD die Sporthalle zerlegen, fielen jedoch aus – diesmal nicht wegen Lemmy, sondern wegen Gitarrist Phil Campbell, der unverhofft ins Krankenhaus und deshalb auch schon den Berlin-Gig am Freitag absagen musste. In Anbetracht des Markthallen-Programms, das mit HOLY MOSES eine Band enthielt, die ich noch nie live gesehen hatte, jedoch gesteigertes Interesse bei mir hervorrief, entschied ich mich für das YACØPSÆ-Jubiläum. Die Hamburger hatten eine Menge befreundeter Bands geladen, mit ihnen zu feiern und dabei wieder einmal bewiesen, keinerlei Berührungsängste vor stilistischer Vielfalt zu haben. Das schlug dann im Vorverkauf auch mit satten 25 Eiern (inkl. Wuchergebühren) zu Buche – aber wat mutt, dat mutt.

Am Ort des Geschehens angelangt erst mal das übliche Meet & Greet; mit Friedel war sogar ein Exil-HH-Punk gekommen, den ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Einlass und Kasse hatte man auf die Treppe verlegt, die Garderobe in einen separaten Eingang und den Raucherraum abgeschafft, dafür das Gebiet vor der Eingangstür zur Raucherzone erklärt und mit Windschutz versehen. Der Opener RESTMENSCH war spontan für die aus Krankheitsgründen verhinderten ZZZ HACKER eingesprungen und begann pünktlich um 18:30 Uhr. Noch verlor sich das Publikum im großen Saal doch ziemlich und, Hölle, was war das für ein beschissener Sound?! Dem Namen des Orts gerecht werdend sehr hallig und der Bass bretzelte alles andere weg, war zeitweise sogar lauter als Philipps Powerdrumming. Sänger Alex ging völlig unter. Man sagte mir, dass der Basssound nicht über die P.A., sondern von der Bühne käme, doch entsprechende Hinweise an den Bassisten brachten nur wenig Besserung des Gesamtsounds. Ein Unterschied wie Tag und Nacht zum Auftritt im Gun Club zuletzt, die Qualitäten der klasse HC-Punkband kamen auf diese Weise leider kaum zur Geltung.

Aber dann: CRIPPLE BASTARDS! Ich bin ja kein großer Grindcore-Fan und glaubte bisher, mit den Frühwerken von NAPALM DEATH und TERRORIZER auszukommen, doch die Italiener lehrten mich eines Besseren: Waren sie mir bisher nur namentlich bekannt, lieferten sie eine musikalische Visitenkarten ab, die es in sich hatte. Der Sound war nun absolut top, die Songs alles andere als, wie befürchtet, monoton, sondern angereichert mit Hardcore-, Thrash- und Mosh-Parts, dazu unfassbar tight, akzentuiert und brutal. Shouter Giulio hielt sein Mikro ständig wie ein Schwert überm Kopf oder auch mal woanders, wenn er nicht gerade hineingrunzte oder -kreischte. Sein irrer Blick war durchaus respekteinflößend, ebenso seine Kondition – zumal die Band sich nur alle x Songs mal eine kurze Pause erlaubte. Ansonsten wurde innerhalb von einer Sekunde zwischen den Stücken der jeweils nächste Songtitel gekeift und weiter ging der Rundflug. Die Halle hatte sich mittlerweile ganz gut gefüllt und vornehmlich Langhaarige veranstalten vor der Bühne ihre Party. Im Gegensatz zu ihrem Publikum sehen die CRIPPLE BASTARDS übrigens erstaunlich normal und unauffällig aus, keine Tattoos, irren Frisuren o.ä. Die Verwandtschaft zum Metal-Bereich (hinter der Schießbude saß wohl ein ex-ICED-EARTH,-jetzt-MASTER-Drummer) machte sich auch darin bemerkbar, dass die Band eben in erster Linie eine wortwörtliche Show durchzog, ihre Bühnenrollen den gesamten Gig über nicht verließ. Mit dem deutsch betitelten „Stimmung!“ gab’s am Ende sogar so etwas wie Singalong-Chöre, dann war irgendwann Schluss und ich fühlte mich akustisch amtlich verprügelt. Gibt’s ’ne empfehlenswerte Best Of oder eine Live-Album mit ordentlichem Wumms?

Kontrastreich ging’s weiter und die RAZORS hatten es etwas schwerer, das Energielevel zu halten und das Publikum wieder auf Temperatur zu bringen, aber nach kurzer Zeit konnte auch die Hamburger ’77-Punk-Legende auf eine ordentliche Kulisse blicken und Volk vor der Bühne versammeln. Souverän wie eh und je packten sie möglichst viele Hits in die recht kurze Spielzeit und verabschiedeten sich mit der für den vor einigen Jahren plötzlich und unerwartet verstorbenen Schwabe geschriebenen, wunderbar melancholischen Hymne. Mit altem Eisen haben die RAZORS noch immer nix am Hut, die „Jungs“ sind fit, alive and kicking!

Weit weniger kicking dann die Band mit dem kreativen Namen BLOOD, bei der es sich leider nicht um die britischen Oi!-Punks THE BLOOD handelte, sondern die mir als deutsche Grindcore-Combo angekündigt wurde – und leider bestätigte, was ich bei Bands dieser Richtung oftmals befürchte: Dumpfer, tiefgestimmter Sound lässt die Mucke nach primitivem Death Metal klingen, der Sänger growlt 90% seiner Zeilen und klingt, als habe er einen entsprechenden Effekt auf dem Mikro. Der Gitarrist tritt mit Sonnenbrille auf, was eher so semi- bis uncool wirkt. Ich fand’s ziemlich monoton und langweilig, aber BLOOD, die die Markthalle in rotes Licht tauchen ließ, hatten ihre Fans, die sie kräftig abfeierten und sogar erstmals an diesem Abend eine Zugabe herauskitzelten. Mein Ding isses aber einfach nicht, sorry.

Auf HOLY MOSES war ich am stärksten gespannt. Die deutschen, 1986 mit „Queen of Siam“ debütiert habenden Thrasher standen stets im Schatten der großen drei oder vier deutschen Thrash-Bands, hatten seinerzeit in Person Sabina Classens aber eine Art Alleinstellungsmerkmal vorzuweisen: weiblichen Gesang. Ich hatte HOLY MOSES noch nie live gesehen und bin kein allzu großer Fan, doch in den ’80er und ’90ern hatten sie doch so einige Hits zustande gebracht, mit „Finished With The Dogs“ zudem einen echten Genreklassiker aufgenommen, der in keiner Sammlung fehlen darf. Den Werdegang seit der Reunion in den 2000ern habe ich aber kaum noch mitverfolgt und ging insofern völlig unbeleckt an diesen Gig heran, befürchtete das Schlimmste, war aber bereit, mich positiv überraschen zu lassen. Die Band betrat zunächst ohne Sabina die Bühne und begann direkt, das herrlich knochentrocken groovende „Def Con II“ zu spielen, mit dem Einsatz ihres Gesang kam Sabina dazu. Die klang nicht mehr ganz so töfte wie zu ihren Hochzeiten, dafür saßen bei der Band jeder Griff und jeder Takt. War erst mal ok, vor allem freute ich mich über diesen starken Song zum Einstieg. Um jetzt mal zum Punkt zu kommen: Das Set war angenehm oldschool-lastig, wobei ich mit der Diskographie nicht vertraut genug bin, um alles zuordnen zu können. „World Chaos“ war erste Sahne und Sabina bangte, was das Zeug hielt und klang im Laufe des Sets immer besser bzw. besonders dann gut, wenn sie nicht growlte, sondern eher keifte oder kreischte. Aber: Von der ursprünglichen Besetzung ist leider nur noch Sabina übrig und der zusammengewürfelte Haufen versprühte den Charme von Studiomusikern. Zudem, und das fand’ ich am schlimmsten, schien die gern von positiver Energie, die vom Publikum zur Bühne und zurück schwirrt, schwadronierende Sabina etliche Texte von Zetteln abzulesen, die sie vor ihrer Monitorbox liegen hatte, weshalb sie einen Großteil der Zeit vorn übergebeugt auf den Bühnenboden starrend verbrachte, statt mit Mimik und Gestik souverän durch den Auftritt zu führen. Mit Authentizität schienen mir diese HOLY MOSES nicht mehr viel zu tun zu haben. Und wie kann man bitte einen Song wie „Master of Disaster“ geschrieben haben und diesen nicht bringen?! Ich beäugte das Ganze mit gewisser Skepsis, unterhaltsam war’s aber allemal, zumal Sabina & Co. beim Publikum auch prima anzukommen schienen (dennoch natürlich kein Vergleich zu Thrash-Gigs aus den ’80ern). Beim den Auftritt besiegelnden DEAD-KENNEDYS-Cover „Too Drunk to Fuck“ rief Sabina zur Bühneninvasion auf und auch ich ließ mich nach der Hälfte bereitwillig auf die Bühne schubsen, um diesen Klassiker gebührend mitzugrölen und zu feiern. Doch, hat Spaß gemacht! Insgesamt aber eine etwas zwiespältige Angelegenheit. P.S.: Schmunzeln musste ich immer, wenn Sabina während ihrer Anekdoten zwischen den Songs von „Yacöpsej“ sprach 😉

Als ich RAZZIA das letzte Mal live sah, nahm ich wütend Reißaus – so furchtbar fand’ ich das, was die seit einigen Jahren wieder mit Originalsänger Rajas auftretenden Hamburger da auf dem Hafengeburtstag 2012 fabrizierten. Nun hatte ich aber mehrfach gehört, dass es sich um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt haben soll und war bereit, der mit „Tag ohne Schatten“ einen DER deutschen HC-Punk-Klassiker der ’80er eingezimmert habenden Band eine neue Chance zu geben. Ja, das klang an diesem Tag alles schon ganz anders. Der Sound war wirklich gut und Rajas gut bei Stimme. Zudem scheint der Kerl topfit zu sein und entwickelt eine beachtliche Bühnenpräsenz, wenn er über die Bretter läuft und springt – Rentnerpunk sieht schon mal anders aus. Nun hatte ich persönlich mich aber ehrlich gesagt bereits mit dem zweiten Album „Ausflug mit Franziska“ schwergetan und mir keine weiteren mehr besorgt, die stilistische Weiterentwicklung also nicht „mitgemacht“. RAZZIA wiederum schienen mir nun viel Wert auf eine Setlist zu legen, die alle mit Rajas aufgenommenen Alben abdeckt, so dass man sich auf wenige Stücke vom Debüt und den alten Samplern beschränkte. Und das ist gut so! Die Hektik, die einen m.E. nicht geringen Anteil am Charme der Uralt-Songs hat, gelingt es der Band nämlich anscheinend nicht mehr zu reproduzieren, da fehlt etwas. Andererseits würde es einem Gig nur mit den alten, derben Überklassikern sicherlich auch an Authentizität mangeln. Das etwas gesetztere „Spätwerk“ inkl. Keyboard stand ihnen an diesem Abend wesentlich besser zu Gesicht und dürfte dem Anspruch der Band eher entsprechen. Ich hörte mir das interessiert an und fühlte mich an eine Mischung aus FEHLFARBEN und EXTRABREIT erinnert, um es mal ganz grob zu umreißen. Einen Song wie „Alle Träume sind bezahlt“ nach so langer Zeit mal wieder zu hören, dann auch noch live und mitgesungen aus vielen Kehlen – das hatte schon was! Meinen Respekt hat die Band in jedem Fall wieder und ich behalte mir ausdrücklich vor, RAZZIA irgendwann neu für mich zu entdecken.

Nun war es endlich an der Zeit, dem Trio huldigen, das diesen Abend möglich gemacht hatte: Den Power-Violencern von YACØPSÆ, die den letzten und vielleicht stärksten Kontrast setzten. Das Kontrastieren ging sogar noch weiter, denn die kontrollierten, freundlichen Ansagen zwischen den Songs hatten wie üblich so gar nichts zu tun mit dem derben Gedresche, mit dem die Band seit nunmehr 25 Jahren Leute wahlweise erschreckt oder in Verzückung versetzt. Ich erinnere mich noch, wie das Inferno losbrach und dass ich mal wieder davon fasziniert war, wie gut die drei die Songstrukturen verinnerlicht haben, jeder Break sitzt und das gern mal nach hektischem Chaos Klingende einem komplexen, kontrollierten Plan folgt, der auch immer wieder schleppende, doomige Verschnaufpausen vorsieht. Dann musste ich aber anscheinend doch so langsam dem langen Abend Tribut zu zollen, so dass ich meiner Rübe nicht mehr alle Eindrücke entlocken kann – meinem Multifunktionstelefon nach zu urteilen war ich anscheinend in erster Linie damit beschäftigt, Fotos des Gigs zu knipsen, auf der Suche nach dem perfekten Schnappschuss.

Fazit: Trotz der starken Konkurrenz überall und nirgends war die Markthalle ganz gut besucht – zu ungefähr zwei Dritteln, würde ich grob schätzen…? Das Publikum war bunt gemischt und hat sich gut vertragen. Der Abend war musikalisch hochinteressant, aber leider auch arschteuer, bei fast 50 Mark Eintritt und Getränkepreisen wie im Puff war leider nichts für mehr Platten- oder Merch-Käufe übrig – zumal ich die unangenehme Angewohnheit habe, Bier aus solchen Bechern gern mal in nur drei bis vier Schlucken herunterzustürzen. Damit wir uns nicht missverstehen: Bei sieben Bands ist der Eintrittspreis dennoch fair bis günstig! Alles in allem kam’s finanziell nur eben geballter als bei anderen Underground-Konzerten. Nichtsdestotrotz bin ich für solch abwechslungsreiche Konzerte und Festivals immer zu haben und rennt man bei mir mit der Stilvielfalt offene Türen ein – jedoch gern in einem anderen Laden als jenem seelenlosen Kommerzklotz (dessen einziger Vorteil an diesem Abend die Stufen waren, von denen aus man quasi überall gute Sicht hatte – praktisch während Bands, die man sich einfach mal in Ruhe anschauen möchte). Doch genug des Lamentos, bevor ich das Wichtigste vergesse: Herzlichen Glückwunsch zu 25 Jahren YACØP-fuckin’-SÆ!

P.S.: Vielen Dank an Uwe Hubatschek, dessen RESTMENSCH-Foto ich freundlicherweise verwenden darf.

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