Günnis Reviews

Autor: Günni (page 35 of 104)

21.07.2017, Gängeviertel, Hamburg: SPITTIN’ BONES + UPPER CRUST + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

Nachdem der gute Hannes und meine Wenigkeit letztes Jahr festgestellt hatten, am gleichen Tag Geburtstag zu haben, hatte er eine fette, quasi gemeinsame Geburtstagssause im Gängeviertel anberaumt, bei der ich mit DMF aufgetreten war. Das schrie nach einer Wiederholung und nach einigen Terminfindungsschwierigkeiten konnten wir uns auf den 21.07., ’ne knappe Woche nach unserem eigentlichen Ehrentag, einigen. Neben DMF sollten UPPER CRUST wieder mit dabei sein und als Headliner eine auswärtige Band fungieren: Die für ihre Cover-Shows berüchtigten SPITTIN’ BONES aus Chemnitz sollten ihren ersten HH-Gig bestreiten. Soweit der Plan…

Wenige Wochen zuvor eröffnete uns Eisenkarl, dass er leider nicht spielen könne, da sich mit Arbeit/Urlaub/Kita/bla kurzfristig etwas verschoben habe. Das war höhere Gewalt. Um unseren Gig zu retten, sahen wir uns nach einem Ersatzbassisten um. Erinnerungen an vergeigte Gigs wie damals in Berlin wurden wach. In Pulvertoastmann Holler fanden wir jedoch schnell eine kompetente und motivierte Vertretung und schoben zusätzliche Proben ein, wann immer wir alle gemeinsam Zeit hatten. Dafür durften wir auch mehrmals auf den HAMBURGER-ABSCHAUM-Probebus ausweichen, herzlichen Dank noch mal an dieser Stelle! Letztendlich bekamen wir auf diese Weise zehn Songs zusammen, mussten unser Set also etwas zurechtstutzen. Ein paar Tage vorher ließ Hannes verlautbaren, dass die Renovierungsarbeiten der Gängeviertel-Druckerei nicht rechtzeitig abgeschlossen worden seien, weshalb wir auf den Fabrique-Keller ausweichen müssten. Ok, kein Ding. Mittwoch auf der Demo verspürte ich dann plötzlich so ein leichtes Kribbeln im Hals, obwohl gar kein Tränengas abgefeuert worden war. Donnerstag war dann klar, dass ich mir einen aufgesackt hatte, der Hals schmerzte und das Gehuste ging los. Ok, dass ich mir vor irgendwie „wichtigen“ Gigs irgendwas einfange, daran habe ich mich fast schon gewöhnt. So schlimm wie diesmal war’s allerdings noch nie. Ein weiterer Motherfucker machte den Kohl dann noch fett, indem er sein freitägliches Erscheinen aufgrund diverser geballt gekommener beruflicher und privater Widrigkeiten infragestellte und die Generalprobe sowieso flachfiel. Alter!

Glücklicherweise gelang es Freitag trotzdem, die Bande zusammenzutrommeln. Ungewöhnlich früh schlich ich mich von der Maloche weg und traf mich mit den Jungs im Probebunker, um zumindest noch die letzten etwas herausfordernderen Songs zu versauen, wie es sich für eine Generalprobe gehört. Dort wusste Dr. Tentakel zu berichten, dass er sich seine Gliedmaßen verknotet habe, also ebenfalls gesundheitlich angeschlagen sei. Er biss jedoch ebenso die Zähne zusammen wie ich und ich gurgelte mit Whiskey (um die Bakterien abzutöten), inhalierte Locabiosol, schluckte den Fenchelhonig gefühlt literweise und ließ mir Kamillosan mitbringen, um halbwegs bei Stimme zu sein, wenn’s darauf ankommt. Wir waren uns einig: Neben Holler auch noch einen Ersatz-Gitarristen, -Drummer und -Brüllaffen anzuheuern, war keine Option.

UPPER CRUST waren so freundlich, unser Zeug mitzunehmen, der Keller wirkte leer gar nicht mehr so klein, zu Essen gab’s Nudelsalat mit Tofu und/oder Würstchen, die SPITTIN’ BONES waren relativ gut durchgekommen sowie umgängliche Zeitgenossen und das Premium-Pils kühlte den Hals. Läuft. Tentakel schraubte das Kit zusammen und fuhr noch mal nach Hause, um seine Joggingbuchs zu holen. Als er zurück war, führten wir den Soundcheck mit den beiden Technikern durch, die uns ungewöhnlich lange in die Pflicht nahmen, sodass wir Gefahr liefen, uns währenddessen bereits auszupowern – wie sich später herausstellen sollte, hatte sich das jedoch gelohnt. Und das Beruhigendste: Meine Stimme schien mitzumachen. Die Bude füllte sich und kurz nach halb Elf ging’s mit „Pogromstimmung“ los. Lief. Womit ich im Vorfeld gar nicht gerechnet hatte: Wir hatten sogar Monitore! Einer stand direkt vor mir und war ein ganz schöner Klotz. Ich lief und sprang mal links, mal rechts um das Ding herum, einmal stolperte ich fast darüber und musste lachen. Nicht nur darüber gestolpert, sondern richtiggehend mit Anlauf und Gebrüll abgehoben ist eine bischn doller alkoholisierte Dame, die sich zu Hollers Füßen zwischen seinem Bass-Equipment wiederfand und dieses kurzzeitig außer Gefecht setzte. Stagediving in die falsche Richtung, sozusagen. 😀 Unser einziges echtes Liebeslied „Ghettoromantik“ setzte den nominellen Schlusspunkt, bis wir uns dazu breitschlagen ließen, noch mal „Elbdisharmonie“ durchzupeitschen, das dann auch wieder hübsch mitgebrüllt wurde. War ein geiler Gig bei überraschend gutem Sound und so richtig verdaddelt hatten wir uns gar nicht. Selbst die Nummern, die wir jüngst im Proberaum vergurkt hatten, flutschten. Tentakel hatte durch-, meine Stimme standgehalten und Holler seine Hausaufgaben gemacht. Nochmals riesengroßen Motherfuckers-Dank – mit diesem Teufelskerl kann man Kriege gewinnen!

Nun konnte ich mich endlich beruhigt zurückzulehnen und die Party genießen. UPPER CRUST krachten wie üblich splitternd ins Gebälk und rissen ein derbes Hardcore-Punk-Brett herunter. Mein Lieblingssong „Hypochonder“ zog mir mal wieder den Scheitel gerade und angesichts meines Medikamenten-Doping-Overkills und des guten Ausgangs musste ich grinsen. Als besondere Überraschung für Hannes und mich hatte man SLAYERs „Raining Blood“ einstudiert und mit dem Signature-Song „Upper Crust“ kombiniert, was unsere Nackenmuskulatur zusätzlich stimulierte. Geil! Lars vertrümmerte seine Schießbude, als beginge er Krafttraining und Basser Jörg ging wieder ab wie’n Zäpfchen, sodass ihm sogar eine Basssaite (!) riss. Ein göttliches Getrümmer, dem Wahnsinn nahe.

Das Trio SPITTIN’ BONES hatte im Vorfeld angedroht, 45 Songs zu spielen. Ganz so viele wurden es dann wohl nicht, aber das Set konnte sich in jedem Falle hören lassen: „Kriege machen Menschen“ von SCHLEIMKEIM war der Startschuss für eine Show mit überproportionalem SCHLEIMKEIM-Cover-Anteil, ein paar wenigen eigenen Songs und vielem, vornehmlich HC-punkigem Geballer von G.B.H. über MINOR THREAT und BLACK FLAG bis hin zu THE EXPLOITED und zahlreichen anderen Klassikern, was meine letzten Kräfte aktivierte. Ein Teil des Publikums ging gut mit, andere wiederum wirkten nach UPPER CRUST bereits ausgelaugt oder waren längst volltrunken. Ey Hamburg, was geht?! 😀 So richtig nüchtern war ich natürlich auch nicht mehr und nach meinem vergeigten SCHLEIMKEIM-ins-Mikro-sing-Einsatz gelobe ich, mich nicht mehr so schnell darüber lustig zu machen, wenn anderen Ähnliches passiert… SPITTIN’ BONES würde ich mir alsbald gern noch mal reinziehen und ich hoffe, dass das nicht der letzte Hamburg-Abstecher der Chemnitzer war. Kommt bald zurück!

Das war’s, die Schlacht war geschlagen. Mittlerweile war’s 3:00 Uhr oder so und am – wie wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten – vorerst letzten warmen und trockenen Tag (bzw. der dazugehörigen Nacht) lutschte ich noch paar Absacker leer und machte diesmal nicht die Nacht zum Tag, da wir uns verpflichtet hatten, bereits um 12:00 Uhr den ganzen Technik-Ranz wieder abzuholen.

Unabhängig davon, wie viele eigentlich ihre Zusage gegeben Habenden ihren Arsch nicht hochbekommen hatten, war’s ’ne mehr als würdige Party im lauschigen Fabrique-Keller mit geilen Bands und ebensolchen Leuten und mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, dass letztlich alles so gut gelaufen ist. Danke an alle, die dabei waren, an Headbanger Hannes, an die grandiosen Gängeviertel-Techniker, das Thekenteam und alle anderen Helfer vom Einlasser bis zum Besenschwinger, das Gängeviertel sowieso und the one and only Holler Pulvertoastmann!

Nachdem das Equipment zurück im Bunker war und der Himmel bis auf Weiteres seine Schleusen geöffnet hatte, hing ich richtig inne Seile und mein grippaler Infekt oder was auch immer das für’n Scheiß war, brach sich bahn. Nix ging mehr. Zwei Tage, also das gesamte weitere Wochenende, hab’ ich durchgehustet und -geröchelt und mich Montag paar Tage krankschreiben lassen. Arschlecken!

P.S.: Danke auch an Flo, die wacker versucht hat, im allgemeinen Chaos ein paar Schnappschüsse unseres Gigs hinzubekommen!

P.P.S.: Außerdem danke an Jana – nicht nur fürs Fahren 😉

15.07.2017, Wagenplatz, Norderstedt: Sommerfest mit DISCO CRUNCH + BRUTALE GRUPPE 5000 + BOLANOW BRAWL + AUS DEM RASTER + IOAK + mehr…

Wie heißen wir…?

Ursprünglich wollte ich meinen Geburtstag am 21.07. zusammen mit Hannes im Gängeviertel nachfeiern und dort mit meiner Krawallcombo DMF zocken. Das ist auch nach wie vor der Plan, doch als zwischenzeitlich eine Anfrage vom Norderstedter Wagenplatz reinkam, dort exakt an meinem Geburtstag auf dem Sommerfest mit BOLANOW BRAWL zu spielen, nahmen wir diese Gelegenheit dankend wahr. Den Geburtstag gleich doppelt feiern – da mach‘ ich mit! Zudem bot sich so die Gelegenheit, dem Wagenplatz endlich einmal einen Besuch abzustatten. Nach Baustellen-, Schlagermove- und Triatholon-bedingtem Bahnchaos war ich Samstagnachmittag jedoch schon völlig neben der Spur und musste den Weg nach Norderstedt ohne meine Bandkollegen antreten, was letztlich jedoch eine dann entspannte U-Bahnfahrt durch Hamburg nach S-H bedeutete. Der vermeintliche Umweg, den ich genommen zu haben befürchtete, entpuppte sich dann auch als gar keiner (auch wenn ich noch immer verwirrt auf dem Platz Gegenteiliges verlautbarte) und so traf ich als erster am Ort des Geschehens ein, einem lauschigen kleinen Wagenplatz mitten in den grünen Wicken Norderstedts. Manch Bewohner machte einen etwas verkaterten Eindruck, denn das Fest hatte bereits am Tag zuvor begonnen, wenn auch ohne Livemucke. Bei verdammt angenehmem Wetter wurden nach Eintreffen meiner Band und weiterer Freunde die ersten Kaltgetränke gekostet und das leckere Futter vertilgt: Tofu-Zwiebel-Pfanne mit Pellkartoffeln, Sauerkraut und Tzatziki. Genau mein Geschmack, arschlecker, wenn natürlich auch unverantwortlich, Sauerkraut an eine Band wie die meine zu verabreichen, in der alle außer mir auch ohne Kraut bereits an permanenter Flatulenz „leiden“ (i.d.R. bin ich der einzige, der unter deren Darmwinden zu leiden hat…).

Vorm Auftritt wurde jedenfalls noch der eine oder anderen Dixi-Gang notwendig, vorher eröffneten jedoch IOAK („Im oder am Körper“) kurz vor halb 8 den bunten Bandreigen. Deutschsprachiger Schrammel-HC-Punk vom Platz in Triogröße mit Aggrogesang, angepisst, authentisch und kurzweilig – gefällt! Mit AUS DEM RASTER folgte die nächste Platzband, wie IOAK wohl erst seit Kurzem am Start. Zu sechst fand man Platz auf der Bretterbühne, mit zwei Klampfen (an einer der ehemalige KAOS-KABELJAU-Drummer) und männlich-weiblichem Wechselgesang blies man ebenfalls mittels deutschsprachigem HC-Punk zum Angriff und ging dabei durchaus abwechslungsreicher und musikalisch versierter als zuvor IOAK zu Werke. Schade, dass der Gesang ziemlich übersteuert war, weil die P.A. an ihre Grenzen gelangte, ansonsten war’s nämlich ein geiler Gig, der neugierig darauf macht, was in Zukunft noch von der Band zu hören sein wird. Ich war jedenfalls positiv überrascht. Die Bitte der Band, keine Fotos zu machen, habe ich natürlich respektiert.

Mittlerweile waren wir gut angetrunken – und an der Reihe. Mit reichlich Getränken ausgestattet – man hatte unlängst den Cocktail-Stand für sich entdeckt – ging’s mit dem ersten Streich meiner Mitmusiker los: Statt wie zuvor abgesprochen und notdürftig auf der Setlist markiert mit „Brigitte Bordeaux“ statt „Total Escalation“ anzufangen, ließ man mich Brigitte ansagen, um daraufhin „Total E.“ zu zocken. Super, Jungs. Und damit (natürlich) nicht genug: Anlässlich meines Geburtstags hatte man sich weitere Fisimatenten ausgedacht und nutzte die Pausen zwischen den Songs, um mich in ungewohnter Frequenz  in Misskredit zu bringen zu versuchen, unverhältnismäßig oft auf meinen Geburtstag hinzuweisen, sich Fantasiealter für mich auszudenken, … Christian verzichtete erkältungsbedingt auf ein Mikro, dafür übernahmen andere das Reden für ihn… Für das verwunderte Publikum dürfte sich so ein selbst für unsere Verhältnisse ungewohnter Schlagabtausch ergeben haben, denn natürlich konterte ich, sodass verbal bereits vorweggenommen wurde, was sich später im Rahmen der Wrestling-Show physikalisch entladen sollte (mit anderen Anta- und Protagonisten, versteht sich). Zurück zum Gig: Die Jungs vom Platz versuchten, das Maximum aus ihrer Anlage für uns herauszukitzeln und zumindest oben klang’s auch gar nicht so schlecht, wenn ich auch später den Zeitpunkt verpasste, um Erhöhung meiner Monitor-Lautstärke zu bitten und stattdessen wieder gegenanzubrüllen begann, bis von meiner nachtigallengleichen Stimme nicht mehr viel übrig war. Auch machten sich bei der einen oder anderen Textzeile gewisse Konzentrationsschwierigkeiten bemerkbar, was außer Stulle jedoch niemand bemerkte. Der Flow wurde etwas durch zwei ausufernde Stimmpausen Christians gestört, was noch mehr Zeit für Dummgequatsche brachte. Eine Buddel Bolanow-Verschnitt ging ins Publikum, die anderen landete in unseren Kehlen. Ab und zu gesellten sich ein paar Leute zum Tanzen nach vorne, der Großteil lauschte jedoch andächtig und/oder guckte leicht irritiert. Alles in allem sicherlich nicht unser bester Gig, aber ein verdammter spaßiger – und zum ersten Mal wurde mir ein Plüschtier auf die Bühne geworfen (von einem Kerl).

Verrichteter Dinge ließen wir den Alkohol nun so richtig kreisen und einen wunderschönen Anlass dazu bot die Wrestling-Einlage, die auf Gummimatten neben der Bühne stattfand: Cindy irgendwas (den Namen habe ich leider vergessen) vs. irgendeinen Bösewicht (Name ebenfalls weggespült). Die Dame im Leopardendress war der Publikumsliebling und fauchte auf Englisch bitterböse Worte über ihren Gegner, einen fiesen Frauen- und Katzenschläger. Zwischenzeitlich sah es nicht gut für die toughe Cindy aus, doch letztendlich siegte die Gerechtigkeit und nach einer aufregenden Jagd über den Wagenplatz riss sie ihm die Rübe vom Leib, dass es nur so splatterte und präsentierte seinen abgenagten Schädel. Welch großartiger Sport!

Zur dargebotenen Brutalität passte nun bestens der Gig der Chef-Paranoiker und Laser-Punks BRUTALE GRUPPE 5000, die einmal mehr mit Aluhütchen und Pornobalken auftraten, ihre Mini-Orgel zum Glühen brachten und den Zeitgeist zwischen Glyphosat, Chemtrails und Fickpisse angemessen kommentierten – in Form eines zappelnden und sich die Seele aus dem verseuchten Leib schreienden Sängers. Fand ich sogar noch geiler als auf dem Wohlwillstraßenfest kürzlich und war der mehr als willkommene Soundtrack zum nachhaltigen Abschuss – nicht zuletzt, weil mind. einer der Organisatoren uns immer wieder nahezu nötigte, gefälligst dem Platz den Getränkevorrat wegzusaufen.

Der Elektro-Auftritt von DISCO CRUNCH verschwindet deshalb neben dem Qualm des Lagerfeuers auch hinter weiteren Nebelschwaden, ich erinnere mich jedoch an überraschend gute Texte zu nicht minder überraschend hörbarem Proleten-Techno-Beat. Und der Überraschungen nicht genug, enterte auch noch ein spontan hinzugestoßenes Hip-Hop-Kommando die Bühne, zunächst als Duo agierend, schließlich zu Trio-Größe gewachsen. Soweit mich meine spärliche Erinnerung nicht trügt, dominierten auch hier wirklich geile, unpeinliche Texte zu hör- und tanzbarem Hop, vorgetragen von sympathischen Zeitgenossen, die es glücklicherweise nicht nötig haben, sich in Genre-Klischees zu suhlen. Respekt!

Ist also eine bunte Melange verschiedener Musikstile geworden, in der wir die Streetpunk-Quote zu erfüllen versuchten. Zu vorgerückter Stunde ist es sogar noch zu einem Spontanauftritt der Trinker/Songwriter-Legende ANTOINE DE LA KACQUE gekommen, der auf geliehener Akustikklampfe und aus alkoholgeschwängerter Kehle seine intellektuellen, sozialkritischen Weisen dem kulturell aufgeschlossenen Publikum entgegenschmetterte. Der Abbau fand jedoch schließlich nicht nur auf der Bühne statt, sondern war auch bei uns deutlich vernehmbar. Ich stolperte böse über eine Holzpalette und stürzte, rettete mich jedoch schließlich auf einen Logenplatz, wo ich wegknackte und erst gegen 8:00 Uhr morgens die Äuglein wieder öffnete – kurz, nachdem die anderen Brawler in den verschiedensten Ecken erwacht waren und fluchtartig die Heimreise angetreten hatten. Fazit: Geiler Platz, sympathische Leute und eine denkwürdige Geburtstagsfeier. Danke! Mal gucken, ob ich das diesen Freitag noch gesteigert bekomme…

P.S.: Danke auch an Flo für die Fotos unseres Gigs!

08.07.2017, No-G20-Kiez, Hamburg: SLIME + SPIKE + NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN + RESTMENSCH

Der Hamburger Anti-G20-Protest war ein sehr musikalischer: Nachdem ich am Mittwoch beim „G20 wegbassen“-Rave („Lieber tanz’ ich als G20!“) aufgrund der furchtbaren Musik verzichtete, war ich Donnerstag am Start, als DIE GOLDENEN ZITRONEN, NEONSCHWARZ sowie JOHNNY MAUSER & CAPTAIN GIPS auf dem Fischmarkt Gratis-Freiluft-Konzerte gaben. Da ich zuvor noch arbeiten war, schaffte ich es – wenngleich ich früher Feierabend bekommen hatte – nicht pünktlich, was aber auch gar nicht mein Anliegen war. Für keine der Bands interessiere ich mich heutzutage sonderlich und als wir eintrafen, war das Areal bereits menschenüberflutet. Insbesondere vor der Bühne wurde es richtig eng. Mir ging’s in erster Linie darum, Zeuge des Spektakels zu werden, Leute zu treffen und mich auf die anschließende Demonstration vorzubereiten. Schnell trafen wir Freunde und Bekannte, saßen jedoch auf dem Trockenen – und der nächstgelegene Kiosk war verrammelt. Auf der Suche nach einem geöffneten Vertreter seiner Zunft bog ich nach einer vagen Wegbeschreibung offenbar falsch ab und beschloss, mich Richtung Reeperbahn zu begeben. Der auf dem Weg liegende Kiosk jedoch hatte nur noch warmes Bier und eine für meinen verwöhnten Gaumen enttäuschende Markenauswahl, weshalb ich schnurstracks den Kiez herunterstiefelte und auch den nächsten Getränke-Höker aufgrund übertriebener Preisvorstellungen ablehnen musste. Nun befand ich mich ohnehin schon wieder so weit vom eigentlichen Geschehen entfernt, dass ich mir „Scheiß drauf,“ dachte, „stiefele ich eben zu meinem Stamm-Kiosk“. Kurz davor begegnete ich jedoch einem bekannten Kneipenwirt, der kurzerhand ’nen kalten Kasten Astra für den guten Zweck spendierte – ohne jetzt Namen nennen zu wollen, you know who you are. Cheers und besten Dank! Die ersten beiden Pilsetten wurde ich direkt an einen Punk los, den Rest verteidigte ich im Schweiße meines Angesichts an diesem einmal mehr ziemlich heißen Tag auf meinem Weg zurück zum Fischmarkt, vorbei an etlichen durstigen und gierigen Kehlen, stieß jedes monetäre Angebot aus und schaffte es tatsächlich, unbeschadet bis zu meiner Peer-Group vorzudringen. Diese feierte mich für diesen Move und stieß kräftig mit mir an, nun konnte der Abend beginnen. Wir hatten es uns irgendwo seitlich von der Bühne eingerichtet und nahmen die Mucke in erster Linie als angenehme Hintergrundbeschallung war. Die Stimmung der Massen war trotz Getränkemangels bestens, fast alle waren fröhlich und motiviert.

Nach Ende des musikalischen Teils wurde es dann spannend: Man formierte sich zur „Welcome To Hell“-Demo, von der ich mir eine entschlossene, im positiven Sinne radikale ihrer Art abseits von naivem Peace-Hippie-Geplänkel o.ä. versprach. Im Vorfeld hatte jedoch die Kunde die Runde gemacht, ungewöhnlicherweise sei die Demo mit keiner einzigen Auflage belegt worden, weshalb möglicherweise davon auszugehen sei, dass die Polizei sie gar nicht erst starten lassen würde. Und tatsächlich: Weiter hinten, abseits des sog. Schwarzen Blocks, standen wir uns die Beine in den Bauch, die weiter weg stehenden Riot-Cops faselten irgendein unverständliches Zeug, das gar nicht bis in jenen Demo-Bereich vordrang und erst verständlich wurde, wenn man zum Pinkeln in die Elbe ausscherte: Man solle seine Vermummung ablegen. Kunststück, im von mir überblickbaren Bereich war niemand vermummt. Mit solch einem Blödsinn würde ich gern auch einmal meinen Lebensunterhalt bestreiten können… Während der nächsten Pinkelpause bot sich jedoch beim Blick auf den vorderen Bereich des Demozugs urplötzlich ein unfassbares Bild: Menschenmengen stürzten sich panisch die Mauer hinunter, die die Straße vom direkten Promenadenbereich abtrennt und nur kurze Zeit später wüteten die Bullen wie die Berserker auch weiter hinten, prügelten sich wahllos durch die Massen, sprengten die Versammlung und räumten den Fischmarkt. Dudde, dieser Pillemann, hatte die vollkommen friedliche Demo tatsächlich vorsätzlich eskaliert! Sämtliche Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Wie sich herausstellte, hatten die Bullen vorn am Schwarzen Block versucht, das Vermummungsverbot durchzusetzen. Dass sich tatsächlich bis auf einen geringen Teil alle Teilnehmer daraufhin entmummt hatten, interessierte sie jedoch nicht. Der ganze Zinnober diente lediglich der nachträglichen Legitimierung ihres kalkulierten Amoklaufs. Nachdem die Demonstranten gerade wenige Schritte gegangen waren, sorgten die Bullen für den reinsten Staatsterrorismus und prügelten die Menschen ohne Vorwarnung oder Ultimatum ins Krankenhaus, nahmen Schwerverletzte unter friedlichen Demoteilnehmern nicht nur billigend in Kauf, sondern produzierten sie und hätten wohl auch Tote schulterzuckend hingenommen. Eine derartige Eskalation hatte ich persönlich noch nie erlebt. Die zuvor so gute Stimmung war natürlich zerstört, wenngleich sich später dennoch ein von Schaulustigen begleiteter und immer und immer wieder wegen Nichtigkeiten gestoppter Demonstrationszug quälend langsam in Bewegung setzte und die Bullen immer wieder weiterprovozierten und ihre Wasserwerfer einsetzten. Die Quittung für diesen „Einsatz“ bekamen diese Feiglinge am nächsten Abend im Schanzenviertel, der Rest ist bekannt und wurde bzw. wird entsprechend medial und politisch ausgeschlachtet.

Aber ich fürchte, ich bin reichlich abgeschweift, denn eigentlich sollte es hier ja um Musik gehen (ist schließlich ein Konzertblog). Freitag spielten im Anschluss an die „Gay20“-LGB+-Veranstaltung – einer bunten Kundgebung auf dem Spielbudenplatz mit recht guten, auf die internationale Situation Homo-, Trans- usw.-Sexueller hinweisenden, pointierten, engagierten Redebeiträgen (u.a. Volker Becks, dem Grünen-Politiker (und Bremer Bierbrauer, höhö…)) – ALEX MOFA GANG auf der Platzbühne ihren Mix aus Punk’n’Roll und Schweinerock (oder so ähnlich), was ein paar Songs lang ok war. Uns stand indes eigentlich der Sinn nach der „G20 entern“-Demo, die, wie sich nach einigen Irrungen herausstellte, jedoch abgeblasen worden war. Der FC St. Pauli wiederum hatte unter dem Motto „Football vs. G20“ die Tore zu den Kunstrasenflächen des Stadions geöffnet und bot dort am Freitag und Samstag die Möglichkeit, sich in einer bullenfreien Zone mit Speis und Trank zu stärken, sein Mobilfon aufzuladen, für umme DJs und Bands zu lauschen, schlicht zu entspannen und – natürlich – Fußi zu buffen. Freitag spielten bereits coole Hamburger Bands wie FAST SHIT und KANISTERKOPF, Samstag stand mit sechs Bands sogar noch eine weitere auf dem Flyer. Nachdem ich Freitag verzichtet hatte, hatte ich Samstag Bock und machte mich mit unserem Tross im Anschluss an die anscheinend mit rund 76.000 Teilnehmern angetretene größte G20-kritische Demo, die vom Deichtorplatz auf den Kiez geführt hatte, auf den Weg zum Millerntor. Dort stellten wir beim Flaschenleertrinken vorm Einlass fest, dass es sich nicht mehr wirklich lohnen würde, denn wir wollten lediglich die Zeit überbrücken, bis SLIME im Rahmen der Abschlusskundgebung auf dem Millerntorplatz spielen würden. Also kämpften wir uns durch die Menschenmassen zurück, besorgten Getränkenachschub und wurden Augen- und Ohrenzeugen, wie SLIME vor tausenden Teilnehmern klare Kante zeigten, indem sie geflissentlich auf den schlechten Ruf, den die Medien nach der vorausgegangenen Nacht zu erzeugen versuchten, schissen und neben neuerem Zeug Klassiker-Kracher wie „Legal, illegal, scheißegal“, „A.C.A.B.“ und „Deutschland“ lautstark intonierten. Man mag von den heutigen SLIME halten, was man will, aber das hatte Gesicht!

Da es sich um keinen Vollzeit-Gig handelte, ging’s recht zeitig zurück zum Stadion, wo in tatsächlich ausgesprochen wohliger Atmosphäre bei nach wie vor bestem Wetter SPIKE zockten – diesmal wieder volle Pulle und begnadet wie eh und je. Wer sie zuvor noch nicht gesehen hatte, wurde hier überzeugt. Der Sound der Lkw-Bühne war gut (lediglich der Bass etwas leise), das gezapfte Bier bezahlbar und die Runde illuster. Über SPIKEs Qualitäten als melodisch-rockige Punk-Band mit weiblichem Ausnahmegesang brauche ich hier keine weiteren Worte verlieren, das habe ich in den letzten Tagen ja bereits 2x getan.

Nun stand die NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN auf dem Plan, jene allseits beliebten hanseatischen Schlaupunks, die ich bisher lediglich einmal im Menschenzoo live gesehen hatte. Das ist so’ne Band, mit der ich im Laufe der Zeit immer wärmer wurde und deren Zoo-Gig ich als ziemlich gut in Erinnerung hatte. Gitarrist Stemmen hat ’ne recht einnehmende positive Ausstrahlung, die durchaus ansteckend wirkt, wenn er in ausführlichen Ansagen die aktuelle politische und/oder gesellschaftliche Situation kommentiert, die Song-Inhalte erläutert, das Publikum zu diesem oder jenem animiert oder sich freundlich bei allen bedankt, die den Gig ermöglicht haben. Das ist schon cool, denn man merkt ihm das Herzblut und idealistische Engagement an, mit dem er bei der Sache ist. Ging dann auch gleich gut mit einem eingedeutschten Cover von AGNOSTIC FRONTs „Police State“ los, in dem die Namen der gerade an diesem Wochenende aktuellen Verantwortlichen für den Bullenterror eingesetzt wurden. Sein Drummer und er teilten sich den Gesang grob zu gleichen Teilen auf. Die Songs lassen sich generell dem Hardcore-Punk zuordnen, sind jedoch relativ offen für Melodien, melancholische Momente etc. Die Mischung aus kämpferischer Polit-Punk-Attitüde, Raum für Persönliches und viel Emotion ist es, die das Trio ausmacht. Auf knallharte Systemkritik folgt dann z.B. ein herzergreifendes Stück über pflegebedürftige Verwandte und ihre Pfleger, und zwar auf ganz selbstverständliche, völlig unpeinliche Weise. Das ist definitiv die höhere Kunst. Anderes halte ich hingegen für diskussionswürdig: Gibt es wirklich keine Alternative zu linker Politik, wie Stemmen verlautbaren ließ? Weshalb diese unhinterfragte Übernahme parlamentarischer Begriffe, wenn der Fehler doch bereits im System liegt? Aber ich will auch keine Wortklauberei betreiben. Dummen Nazis, die Israel das Existenzrecht absprechen wollen, ein „Deutschland hat kein Existenzrecht!“ entgegenzuklatschen, ist verständlicher provokanter Trotz gegenüber Leuten, mit denen es nichts mehr zu diskutieren gibt. Wenn das jedoch ernst gemeint sein sollte und zu Ende gedacht würde, türmten sich Fragen über Fragen auf. Und wenn man das Konzert so beendet, wie man es begonnen hat, nämlich mit dem sacklässigen AF-Cover, weshalb greift man dann die elende, leidige Diskussion um oberkörperfrei spielende Bands auf? Ist AF-Shouter Roger Miret nicht genau so’n Kandidat? Und ist das überhaupt wirklich ein Problem? Meines Erachtens lässt sich unschön übertriebenes, zu Recht kritisierbares Macho-Proll-Verhalten nicht am Ausziehen eines Shirts festmachen. Muss man wirklich über jedes Stöckchen springen, das einem von „Ich hätte da gern mal ein Problem“-Bedenkenträgern hingehalten wird? Und was hätten good old Sid und GG wohl dazu gesagt? Nichtsdestotrotz hat mir auch dieser Gig eine Menge gegeben, gerade weil er mehr Punk als P.C.-Agitationspropaganda war und Herz und Hirn ebenso ansprach wie meinen natürlich über jeden Zweifel erhabenen Musikgeschmack. Und sind halt schon sympathisch, die Anti-Ager, auch außerhalb der Bühne.

Dass ZSK , die eigentlich als letzte spielen sollten, ausgefallen waren, fand’ ich nun so überhaupt nicht schlimm, da ich RESTMENSCH für die wesentlich interessantere Band halte – diese hatten um 16:00 Uhr den Reigen eröffnet, als ich noch anderweitig unterwegs war, und spielten anstelle der Skate-Punks einfach noch mal, sodass ich doch noch in den Genuss kam. Auch RESTMENSCH zählen zur Top-5 der Bands, über die ich bisher am meisten geschrieben habe, also belasse ich’s mal dabei, dass sie mit ihrem ’80s-style-D-HC-Punk wieder die richtigen Synapsen stimulierten, bei mir offene Türen einrannten und den perfekten Soundtrack dazu lieferten, sich in der Sonne weiter zu betrinken. Auf dem Gelände waren Plüschwürfel aufgetaucht, mit denen nun fröhlich vor der Bühne gekickt wurde, manch einer bekam sogar respektable Kopf“bälle“ hin. Ich war beileibe nicht der einzige, der mittlerweile kräftig Schlagseite hatte. Genug hatten wir jedoch noch immer nicht, als RESTMENSCH ihren letzten regulären Song gespielt hatten. Als dann als Zugabe ein beliebter HH-Punk-Klassiker vom legendären „Soundtracks zum Untergang“-Sampler interpretiert wurde, verteilte ich das Bier durch ’ne Pogo-Tanzeinlage bis in die letzten Zellen meines Körpers und grölte lauthals mit, nicht viel anders erging es mir beim krönenden Abschluss, „BRD & Co. KG“ von der ersten RAZZIA-Platte.

Das war’s dann auch an Live-Mucke im Rahmen der Anti-G20-Woche. Im Anschluss gingen wir noch ein wenig die allgemeine Lage inspizieren und landeten schließlich über die Zwischenstation Onkel Otto am Fischmarkt, der gar nicht stattfand, um einem EIGHT-BALLS-Klassiker gerecht zu werden: „Wir saufen jedes Wochenende durch, bis sonntagmorgens auf’m Fischmarkt!“ Damit war auch dieser Platz wieder befriedet. Auch von meiner Seite größtmöglichen Dank an ausnahmslos alle und jeden, die in diesen wilden und unübersichtlichen Tagen für kulturelles Programm, kreativen, friedlichen und/oder radikalen Protest, Hilfe in jederlei Hinsicht und vor allem das schöne Gefühl, mit seiner Wut und Verzweiflung, aber auch seinem Willen zu Ungehorsam und Courage alles andere als allein gewesen zu sein. Alles in allem dürfte diese Zeit viele politisiert und radikalisiert haben, wenn auch auf „beiden Seiten“ (vereinfacht ausgedrückt, natürlich gibt es zahlreiche Facetten und Schattierungen und das Letzte, das man jetzt gebrauchen kann, ist undifferenzierte Schwarzweißmalerei). Auch heute noch ist die mediale Berichterstattung ebenso voll von diesen Themen wie mein Facebook-Zeitstrahl und unabhängig davon, wie es weitergeht:

Scholz, Grote und Dudde, VERPISST EUCH!
ROTE FLORA BLEIBT!

04.07.2017, Hedonistisches Massencornern, Hamburg: DIE HANDLUNG + SPIKE

Die Bewohner Hamburgs hatten für diesen Dienstag zum hedonistischen Massencornern aufgerufen, um der durch die perverse Machtdemonstration namens G20 übertriebenen Bullenpräsenz etwas entgegenzusetzen und zu zeigen, wem eigentlich die Stadt gehört.  Auch nicht aktiv in die Anti-G20-Bewegung Involvierte, jedoch dennoch Interessiere bzw. Couragierte hatte der ganze faule Gipfelzauber bereits mehrere Tage auf die Straße getrieben, so z.B. am 29.06., als ein Brutalo-SEK morgens in zwei Privatwohnungen randaliert und mit Maschinenpistolen herumgefuchtelt hatte, was eine abendliche Spontandemo auf der Reeperbahn nach sich zog – nicht zu vergessen der in kritische Redebeiträge eingebettete Irie-Révoltés-Gig einen Tag später in der Roten Flora, der so unfassbar viele Leute anzog, dass sich die Einlassschlange bis in die Querstraße bog und natürlich ratzfatz die Bude voll und für uns kein Hineinkommen mehr war. Da hatten wir trotzdem noch eine ganze Weile draußen im Regen ausgeharrt, wo das Konzert auf einer Leinwand übertragen wurde, bis es uns dann doch ins O-Feuer zog, um dem U21-EM-Finale beizuwohnen. Im Anschluss war die Straße noch immer voll, die Stimmung war feierlich, ein Feuerwerk trug sein Übriges dazu bei.

Die Corner-Sause jedenfalls zog sich über die üblichen Viertel in Altona/Ottensen, St. Pauli sowie der Schanze und roch nach netter Freiluft-Party bei gutem Wetter und Bier vom Kiosk. Also nach Feierabend erst mal am Ottenser Pansenplatz vorbeigeschaut, den die Bullen zurückhaltend „bewachten“. Das neue Symbol des Widerstands, ein Zelt, wurde in der Mitte des Platzes aufgestellt und da sich niemand zum Pennen hineinlegte, provozierte es auch keinen Knüppeleinsatz der Dudde-Dödel. Von einer Bühne lärmte Technoschrott; der Platz füllte sich mit der Zeit beachtlich, jedoch waren eher wenige bekannte Gesichter auszumachen.

Mit einem Besucher floh ich nach den ersten Kannen Bier in erster Linie vor der Plastikmucke in Richtung Kiez, wo ich mich an der Ecke Wohlwill-/Thedestraße mit weiteren Menschen bei schon besserer Musik und fröhlicher Stimmung traf, die jedoch kippte, als von der Räumung des nahegelegenen Camps im Gählers-Park berichtet wurde. Dort angekommen hatten die Bullen ihr destruktives Werk anscheinend gerade beendet und ließen sich unter kaum misszuverstehenden Ausrufen der hedonistischen Camp-Sympathisanten aus dem Park hinauskomplimentieren, was natürlich schön anzusehen war, jedoch schnell den Verdacht nahelegte, dass man dadurch zwecks Einkesselung in den Park gelockt werden sollte. Dem war glücklicherweise nicht so, die Staatsmacht hatte anscheinend schlicht ihren Einsatz beendet und erst mal nichts mehr zu tun.

Außer natürlich, ohne Sinn und Verstand irgendwelche Straßen zu blockieren, indem sie sich vermummt, martialisch und bewaffnet postierte.  Eine der noch freien Straßen jedoch führte dann über kurz oder lang an die Schanze-Kiez-Grenze, den Arrivati-Park am Neuen Pferdepark – und, siehe da: da spielten SPIKE vor beachtlicher Kulisse. Wir platzten mitten ins Set, sahen eine gewohnt stimmgewaltige und diesmal in feinem Zwirn barfuß auftretende Sängerin mit ihrer Pokerface-Band und hörten ihren Punkrock mit viel Melodie, mal ruhiger, mal wilder, stets dominiert von der weiblichen Ausnahmestimme. Der Sound hatte diesmal nicht ganz so viel Wumms, man konnte sich noch gut dabei unterhalten – offenbar ging es weniger darum, klassische Konzertatmosphäre zu schaffen und alles zu dominieren als mehr um eine etwas offensivere Form der Volksfestbeschallung. Der letzte Song wurde unterbrochen, weil jemand eine Durchsage zur aktuellen Entwicklung des Bullenterrors machte und uns darüber informierte, dass sich in unserem Rücken bereits wieder eine ganze Schergenschar aufgebaut hatte. Anschließend unterschätzte Beastar kurz die Länge seines Gitarrenkabels, als er sich Richtung Publikum bewegte, but the band played on und das Ding war schnell wieder eingestöpselt. Coole Nummer, der Gig, vor allem endlich mal GUTE MUSIK an diesem Dienstag! Geht doch.

Bier gab’s im gut frequentierten Grünen Jäger, wo man auch auf Toilette gehen konnte, oder eben weiterhin an den Kiosken, vor denen die Hedonisten mittlerweile in langen Schlangen anstanden, als befände man sich 1985 in der DDR und es gäbe Bananen. Manch Kioskbetreiber machte vermutlich den Umsatz seines Lebens. Ob die dadurch evtl. pro-G20 wurden…? 😉

Nach einer kurzen Umbaupause betraten ein paar Herrschaften mittleren Alters die Bühne, der Frontmann inkl. Magier-Umhang: DIE HANDLUNG sah bizarr aus und spielte bluesigen Heavy-Rock mit eigentümlichen Texten z.B. über Kastratensänger TINY TIM, der auf der Bühne gestorben sei, jedoch lediglich möglicherweise. Meinem Besuch beschrieb ich die Band scherzhaft als „German BLACK SABBATH“ und tatsächlich erinnerte der erste Song ein wenig an „Sabbath Bloody Sabbath“. In der Folge wechselten sich wohl launige Ansagen, in denen man z.B. den permanent überm Viertel kreisenden Hubschrauber als eigens für den Gig anberaumtes, sauteures Hintergrundgeratter ausgab, mit weiteren eigenwilligen Songs ab, während die Laune allgemein ziemlich gut war, ich aber viel mit Getränkenachschub, Klogängen und Gequatsche beschäftigt war. Mich gar nicht mehr der Band widmen konnte ich dann, als die Bullen sich um ihre Show betrogen fühlten und sich plötzlich auf der großen Kreuzung am Park mit einem Riesenaufgebot positionierten und damit nicht nur den Straßenverkehr zum Erliegen brachten, sondern auch sämtliche Aufmerksamkeit auf sich und Schaulustige anzogen. Und als sich nach Polizeimeinung schließlich zu viele Menschen auf der Kreuzung aufhielten, fotografierten, quatschten, weitertranken etc., war man der Meinung, die Straße sei nun besetzt worden, weshalb man endlich mal die protzigen neuen Wasserwerfer zum Einsatz bringen konnte. Dass der Verkehr vor der eigenen Abriegelung normal floss, interessierte da natürlich nicht mehr – so sieht Hamburger Einsatzplanung unter Klobürsten-Dudde aus, diesem vielleicht dämlichsten aller selbstverliebten Vollpfosten, die seine Position im Nachkriegs-Hamburg besetzten, aus. Innerhalb seiner Truppe hat er sich permanent hochgeputscht, ist für seine schräge Rechtsauffassung bekannt, wird ständig von Gerichten zurückgepfiffen und hatte nun – nach wochenlangem unverhältnismäßigem Generve der Hamburger Bürger und vor allem dem widerrechtlichen Einschreiten gegen G20-Kritiker-Camps – die Stimmung abermals sinnbefreit hochgekocht.

Nachdem wir das Schaulaufen und Gespritze zusammen mit den mittlerweile immer größer gewordenen Menschenmassen – schließlich wollte jeder mal gucken, was da los ist – bei ein, zwei Absackern lange genug beobachtet hatten, machten wir uns auf den Heimweg. Die Provokationen schienen zur Kenntnis genommen worden zu sein, doch um deshalb durchzudrehen o.ä. bestand seitens der Trinker kein Anlass. Ganz so leicht lässt man sich den Spaß in Hamburg eben nicht verderben.

24.06.2017, Wohlwillstraßenfest, Hamburg: SPIKE + BRUTALE GRUPPE 5000 + SPITTING NAILS + S.O.S.

Wie bereits mehrfach erwähnt, ist das Wohlwillstraßenfest auf St. Pauli eines der angenehmsten, was in erster Linie an seiner nichtkommerziellen Ausrichtung liegt. Zudem ist es eine erstklassige Fluchtmöglichkeit vor den zeitgleich den Kiez vereinnahmenden „Harley Days“, die für Zahnarzt- und Anwalts-Massenwanderung gen Reeperbahn sorgen – Midlife Crisis olé! Für das ganze Drumherum mit Flohmarkt, diversen Fressbuden etc. hatte ich diesmal keine Zeit, leider auch für die erste Band des Hamburger-Band-Reigens BIJOU IGITT, die wie eine Verwandte unserer mit BOLANOW BRAWL besungenen „Brigitte Bordeaux“  klingt, nicht. S.O.S. jedoch zockten offenbar noch nicht allzu lange, als ich am Paulinenplatz vor der Anhängerbühne eintraf und mich am melodischen Punkstoff von Sängerin Cecilie & Co. ergötzen konnte. Die hatten sich in letzter Zeit etwas rar gemacht, waren nun jedoch in alter Stärke wieder mit ihren ohrenschmeichelnden Melodien und Cecilies kräftiger Ausnahmestimme am Start, natürlich inkl. ABBA-Cover „S.O.S.“. Das ist nach wie vor kein Wischiwaschi-Trallala-Zeug, sondern flott gespielter, gern mal hymnischer Punk mit HC-Einflüssen, echten Hits und Wiedererkennungseffekt. Cecilie wurd’s zu eng auf der Bühne und so wandelte sie durch’s Publikum, das sich gerade warmtrank. Gesungen wird auf Englisch, mit der einen Ausnahme, wenn die Dame mit ihrer großen Country-Gitarre eine spanischsprachige Nummer schmettert. Dank der zwei Gitarren ist der Sound auch immer schön dicht. Perfekter Auftakt für einen sonnigen Samstag!

Weitaus weniger anfangen konnte ich dann mit SPITTING NAILS, die in Trio-Größe einen zwar durchaus brachialen, jedoch in Richtung Sludge oder so tendierenden modernen Hardcore kredenzten, bei dem keine rechte Freude aufkommen will. Der getragene Brüllgesang nimmt den Songs jegliche Energie und macht aus dem tiefergestimmten Gerödel ein ermüdendes, monotones Etwas. Das geht mir aber auch bei allen anderen Bands dieses Bereichs so, weshalb ich diese Musikrichtung generell überflüssig finde – sorry. Während sich der Drummer seinen Schnurri schwindelig trommelte und der Gitarrist sich die Seele aus dem Leib brüllte, kam einfach nichts rüber, das mich irgendwie angesprochen hätte und selbst der Bassist zog es irgendwann vor, lieber auf seinem Hocker Platz zu nehmen.

Die paranoiden Laser-Punks, Pollenallergiker und Möchtegern-Münchener BRUTALE GRUPPE 5000 treiben schon länger ihr Unwesen, liefen bisher aber immer unter meinem Radar – vermutlich dank ihrer Aluhüte und Anti-Gesichtserkennungs-Pornobalken. Die sich aus Leuten von CONTRA REAL, LOSER YOUTH und PRAXIS DR. SHIPKE rekrutierende Band konnte mir nun aber nicht mehr entwischen und meine Befürchtungen, dass sie sich irgendeinem nervigen, klinischen Elektroschrott verschrieben haben könnten, wurden nicht bestätigt, im Gegenteil: Das ist schon gitarrendominierter Hardcore, nur eben zusätzlich mit so’nem lütten Casio-Keyboard, das der Shouter, der sich damit unten vor der Bühne positioniert hatte, hin und wieder bediente und als Fixpunkt zum Drumherumrennen nutzte. Nun ging ich von konzeptionellen Inhalten aus, die auf die dämlichsten Verschwörungstheorien hereinfallenden und gern mit mind. einem Bein im rechten Sumpf watenden Paranoiker abzielen, doch dies scheint nur bei einem Teil der Songs der Fall zu sein; andere setzen sich mit sehr realen und weltlichen Themen auseinander, dabei sich die künstlerische Freiheit herausnehmend, klassische Song-, Vers- und Textlängen außer Acht zu lassen – der kürzeste Song ist vier Sekunden „lang“ – und sich schön aggressiv freizupöbeln. Anhänger der leisen Töne sind BG5k eher nicht, das geht mehr Richtung Urschreitherapie, nur eben nicht auf die dumme Tour. Wenngleich bis auf manch als Refrain prominent platziertes Hauptwort („Glyphosat“) nicht viel von den Texten zu verstehen war, machte der Gig gerade aufgrund seiner sich aus dem Bandkonzept ergebenden Entrücktheit Laune und wirkte extrem kurzweilig, wenn auch die eine oder andere populäre Videospiel-Melodie, die nach den Stücken aus dem Keyboard ertönte, dem eigenen Material fast die Show zu stehlen drohte. 😉 Freue mich jedenfalls auf unseren gemeinsamen Gig in Norderstedt.

Die alten DER-UNFUG-UND-SEIN-KIND-Haudegen Beastar, Paul und Alex hatten vor einiger Zeit die Punkrock-Band SPIKE aus der Taufe gehoben, an der es nun war, den musikalischen Teil des Abends abzuschließen.  Ganz im Mittelpunkt steht die Sängerin im etwas gewöhnungsbedürftigen Trainingsanzug- und Riesenohrringe-Outfit, die jedoch eine Hammerstimme hat, mit dieser umzugehen weiß und sich in englischer Sprache souveränst durch das melodische, arschtretende Material singt, dabei gern mal sportlich um sich tretend. Das Zeug geht super in die Gehörgänge und begeisterte den überwiegenden Teil der größeren Menschenmenge vor der Bühne mit seiner Energie, Attitüde und Finesse. Schön, dass die jetzt offenbar öfter mal was machen, denn nach ihrem Live-Debüt vor etwas über zwei Jahren im Kraken war das erst mein zweiter SPIKE-Gig. Da dürfte noch einiges gehen!

Gute Ausbeute also mal wieder und ein schöner Noch-nicht-ganz-Ausklang des Straßenfests, das erst in der Kneipe sein Ende fand und im Vergleich zu manch anderem „alternativen“ Straßenfest angenehm entspannt und stressfrei ablief. Danke an die Veranstalter und Mitverantwortlichen und bis nächstes Jahr, wa?

23.06.2017, Rondenbarg, Hamburg: TORTENSCHLACHT + AMOKDRANG

Ost-Punk-Abend in der Rodenbarg’schen Dröhnbude, u.a. mit den Mädels von TORTENSCHLACHT – das versprach, ein Spaß zu werden, also schleppte ich mich nach einer anstrengenden Woche mit letzter Kraft dorthin (ok, ganz so schlimm war’s auch nicht). Leider war ich alles andere als pünktlich, sodass ich verpasste, wie Robotta höchstpersönlich aus dem SCHLEIMKEIM-Buch „Satan, kannst du mir noch mal verzeihen“ vorlas. Um die Platzkneipe herum hatte man ein paar Stände aufgebaut, u. a. einen mit Ossi-Leckereien wie Sternburg Export für 1,20 den Halben – geile Scheiße. Dem Lockruf des Ostens waren trotz des üblichen Hamburger Überangebots an Ausgehmöglichkeiten erfreulich viele erlebnisorientierte Subkulturanhänger gefolgt und tummelten sich bei gutem Wetter zwischen den Ständen sowie an und in der Kneipe. Was die Live-Musik betrifft, hieß es diesmal nicht „Ladies first“, sondern die Gentlemen von AMOKDRANG aus Leipzig alias Hypezig brachten ab kurz nach 22:00 Uhr Soljanka und Sterni zum Schäumen. Das derbe Organ des Shouters und Rhythmusgitarristen röhrte durch deutschsprachige, räudige Oi!- und Ska-Punk-Songs, wie sie derart dreckig und authentisch irgendwo auf Sachsens Straßen zwischen Mülltonnen und Erbrochenem gezeugt wurden. Das gute Sterni wurde gleich mehrfach besungen (u.a. in der TERRORGRUPPE-Interpretation „Mein Sternburg ist wichtiger als Deutschland“), Leipzig in „Hypezig“ umbenannt und per „Asoziale Druckbetankung“ Lust auf dieselbe gemacht. Der Leadgitarrist und auch der Bassist hatten’s technisch überraschend gut drauf, wobei nicht immer beide Gitarren zum Einsatz kamen; bei manch Ska-Punk-Nummer legte der Sänger seine Klampfe beiseite.  Derer waren’s für meinen Geschmack dann auch ein paar zu viel, nicht alle davon gingen mir so glatt in Bein. Als besonderen Trumpf hatte man aber einen Song im Gepäck, der sich den jüngst verstorbenen GUNTER GABRIEL vorknöpfte, genauer: sein sozialchauvinistisches Anti-Hartz-IV-Empfänger-Gepöbel irgendwann Ende des letzten Jahrzehnts in Eisleben, als es hieß: „Ihr habt ja so viel Zeit, sonst wärt ihr nicht am Nachmittag schon hier! Ich hab‘ leider keine Zeit, ich muss meinen Arsch immer in Bewegung halten!“ Ähnlich wie unter ADOLF NOISE wurde daraus ein Song, diesmal jedoch im angenehmeren Punk-Gewand. Je länger AMOKDRANG zockten, desto mehr ging’s vor der Bühne bei allgemein guter Stimmung rund und zu Zugaben nötigte man sie auch. Drückt euch AMOKDRANG ruhig mal unter https://amokdrang.bandcamp.com/, wobei dort seltsamerweise die Songs der Split-Scheibe wesentlich besser in der (dort ebenfalls hörbaren) Tape-Version klingen.

Mit Rostocks vielleicht femininster Band, dem Trio TORTENSCHLACHT, verbindet mich seit unserem gemeinsamen Gig im Bagehl ‘ne freundschaftliche Bekanntschaft, sodass jedes Wiedersehen eine Freude ist, doch auch ohne könnte ich nichts Negatives berichten. Deutschsprachiges hanseatisches Liedgut über Dinge, die nicht nur Mädels Spaß machen sowie über weniger Erfreuliches, erweitert um wohlgewählte Coverversionen von SCHLEIMKEIM („In der Kneipe zur trockenen Kehle“), INA DETER („Neue Männer braucht das Land“) und, schelmisch augenzwinkernd, den DIMPLE MINDS („Durstige Männer“) – dann auch inkl. Publikumsmikro, wodurch die drei sich den Gesang teilenden Kodderschnauzen Unterstützung aus vollen Kehlen bekamen. Die Instrumentierung schrammelte, zupfte und schlagklopfte dazu, was Material und Kondition hergaben und Dank des Ausbleibens technischer Probleme flutschte das alles flüssiger und souveräner als beim vorherigen HH-Gig. Dabei rappelt es immer noch überaus charmant in der Kiste, weshalb mir Vergleiche mit SMEGMA und einst ähnlich unbefangen aufspielenden Kapellen in den Sinn kommen, als man frei von der Leber weg sang und spielte, was man wollte und der Spaß an erster Stelle stand. Den hatten auch alle Anwesenden und feierten inkl. meiner Wenigkeit eine zünftige Party vor und auf der Bühne, weshalb dieser mein bisher östrogenialster ToSchla-Gig wurde.

Fazit: Perfekter Abend für Freunde der rustikalen Rutsche und ein Leckerbissen für Ostzonen-Gourmets.

17.06.2017, Molotow, Hamburg: BAD MOJOS + BOLANOW BRAWL

Von Freud und Leid eines Bolanow Brawlers

Nachdem das Molotow ins schicke neue Gebäude nahe der Großen Freiheit umgezogen war, etablierte es die „Punk Cocktail“-Reihe mit kleinen Punk-Konzerten, die i.d.R. erst um Mitternacht beginnen und im kleinen „Karatekeller“ stattfinden. Nicht selten finden im großen Saal Parallelveranstaltungen wie Indie-Discos oder andere Konzerte statt und genau so war’s auch für diesen Samstag geplant: Zwei Bands und Disse oben, wir mit den eidgenössischen BAD MOJOS unten. Der gute DJ Starry Eyes, der uns zum Brawl herausgefordert hatte, hatte im Vorfeld einen stringenten Zeitplan verschickt und so fanden wir uns um 19:00 Uhr am neuen Proberaum ein, um unser Equipment inkl. drei Boxen und Gedöns aus dem sechsten Stock in unsere zwei Karren zu hieven und auch ja pünktlich um 20:00 Uhr am Molli zu sein.

Nachdem ich Sonntag nach dem zweitägigen Gaußfest heiser wie ein Marktschreier nach seinem ersten Tag auf dem Fischmarkt erwacht war, hatte sich eine linksseitige Mandelentzündung herauskristallisiert, die ich einmal mehr mit Locabiosol und Fenchelhonig zu bekämpfen versuchte, mich jedoch nicht davon abgehalten hatte, mit meinen beiden Bands bis zum Gig noch drei Proben hinzulegen. Ole hatte dann im Vorfeld schon bekundet, verkatert von Freitagnacht zu sein,  Christian kam gleich mal kräftig angetrunken von einer Geburtstagsfeier, die tagsüber (!) stattgefunden hatte und bei mir wurden Erinnerungen an unseren suffbedingten Totalausfall damals im Skorbut wach. Christian machte auch keinerlei Anstalten, mit dem Gesaufe aufzuhören, stattdessen lautete seine Taktik „Pegel halten“. Ich war gestresst. Vor Ort eröffnete man uns dann, dass der Karatekeller heute dicht bleiben und man alle Bands über die große Bühne peitschen würde. Für uns bedeutete das: Statt direkt auf die Bühne unser Zeug die Treppen hoch in den Backstage zu wuchten und zeitbedingt auf den Soundcheck zu verzichten, dafür aber die eindeutig geilere Bühne besudeln zu dürfen. Nun standen unsere Karren auf dem Gehsteig vorm Molotow denkbar ungünstig und Parkplatzsuche mitten auf dem Kiez ist auch immer so’ne Sache, weshalb wir beschlossen, die Dinger kurzerhand nach Hause zu chauffieren und später mit der Bahn zurück auf den Kiez zu gurken. Außerdem hatte ich Depp die Tüte mit unserem spärlichen Merch zu Hause gelassen und Christian die Setlist auszudrucken vergessen, weshalb ich mit zu ihm fuhr, um wenigstens ein paar Platten einzupacken und ihn an seinen Printjob zu erinnern. Letztlich druckte er gleich zehn Exemplare und machte sich später einen Spaß daraus, die halbe Bühne mit ihnen zu pflastern…

Bei Christian musste ich dann sein „Pegelhalten“ mitansehen, was meinen Puls nicht unbedingt senkte, den gerade wieder ausgenüchterten Ole involvierte man in Pfeffi-Verköstigungen (Sortenraten nach Art einer Blinde-Kuh-Variation) und als ich mir langsam wenigstens mein erstes Bierchen gönnen wollte, war keines da. Zu viert machten wir uns auf den Weg zum sich nicht unbedingt um die Ecke befindenden Supermarkt, wo wir für unsere paar warmen Bier gefühlte Stunden an der Kasse darben mussten. Denselben Weg ging’s zurück und endlich konnte ich meine trockene Kehle mit dem kühlen alkoholhaltigen Nass benetzen. Fürs zweite Bier war schon keine Zeit mehr, denn für 22:30 Uhr hatten wir uns am Ort des Geschehens verabredet und ich musste vorher unbedingt noch etwas essen. Gelatsche zur Bahn; angekommen auf dem Kiez seilte ich mich Richtung Pizzabäcker ab und harrte in der Schlange, während die Uhr unerbittlich tickte. Kaum die Mafiatorte vertilgt, galt es, sich über die wie üblich samstags um diese Zeit überfüllte Reeperbahn zu schieben und zu drängeln. Endlich zurück im Molotow war’s dann auch schon 23:00 Uhr und kaum hatte ich mir ‘ne Kippe gedreht, angesteckt und auf dem gemütlichen Backstage-Sofa platzgenommen, verdonnerten mich meine Bandkollegen, mit ihnen den ganzen Ranz wieder herunter auf die Bühne zu schleppen und straften mich, als ich nicht sofort Gewehr bei Fuß stand, in einer Mischung aus Realitätsverlust und Missgunst mit ihren teuflischen „Du alter Drückeberger schleppst doch eh nie was außer deinem Bier!“-Blicken. Also Kippe in den Mundwinkel, dat janze Jelöt wieder die Treppen runter, als ich mich erschrak: Verdammt, gleich würden wir anfangen müssen und ich hatte gerade einmal ein längst wieder ausgeschwitztes lüttes Pils intus! Mit gemütlichem Abhängen im Backstage oder am Merch-Stand (oder dem pittoresken Molotow-Garten) und sich langsam trinkend auf den Gig eingrooven war ja nix. Aus Stress wurde Panik und während die anderen ihre Kabelage zusammenfriemelten und dabei möglichst kompetent aus der Wäsche zu lugen versuchten, versuchte ich mich in Druckbetankung, indem ich mich endlich dem Genuss des Backstage-Biers hingab. Dabei wartete ich als von der Band zum „Bannerbeauftragten“ Ernannten darauf, endlich hinter die Schießbude zu können, um unseren Lappen aufzuhängen. Als es endlich so weit war, raunte mich ein nervöser Bandkollege auch noch an, dass das nun ja wohl überhaupt nicht mehr wichtig sei und wir jetzt anfangen müssten. Ich antwortete zweisilbig und brachte das gute Stück an, zumal es komfortable und sogar halbwegs passende Aufhängungen gab, die verhinderten, ewig lange mit Gaffa-Tape hantieren zu müssen, das einem jegliche Öko-Bilanz versaut und letztlich doch nicht verhindert, dass das Ding mitten im Set heruntersegelt.

Als es dann nach 20 weiteren Minuten tatsächlich losging, fiel mir siedend heiß ein, dass meine Stimme noch total kalt war. Einen Soundcheck zum „Warmsingen“ gab’s ja nicht und sämtliche Gelegenheiten, z.B. meine Bandkollegen anzubrüllen, hatte ich aufgrund meiner guten Erziehung ungenutzt verstreichen lassen. Das war aber egal, wenn bereits während des Eröffnungsakkords bemerkte ich, dass ich angepisst genug war, um gar nicht mehr erst warm werden zu müssen und so sang ich das gesamte Set durch ‘ne Kelle aggressiver als für gewöhnlich. Dafür hielten Kehle und Mandel aber stand – nur die paar höheren Töne wollten diesmal nicht so – und der Bühnensound war auch überraschend ok, nach einer kurzen Monitorkorrektur nach dem ersten Song hatte ich diesbzgl. keine Probleme mehr. Dann und wann waren wir ja berüchtigt für ausufernde alberne Laberparts zwischen den Songs, aufgrund des engen Zeitplans verzichteten wir jedoch diesmal darauf und drückten aufs Gas. Meine Beleidigungen gegen die eine oder andere Kackband brachte ich dennoch unter, verteilte Bolanow ans Publikum (der irgendwann überraschend zurückkam) und stieß mit den Gästen an. Zwangspausen gab’s lediglich, weil Stulle massive Probleme mit seinem Bass hatte. Das Credo „Never Change a Running System“ außer Acht lassend, hatte er eigens für den Gig brandneue Saiten aufgezogen, von denen ihm die E-Seite nun ständig vom Bund rutschte, was ihn zusehends stresste und das eine oder andere Nachstimmen erforderlich machte. Wirklich aus dem Konzept brachte ihn das allerdings nicht, er biss die Zähne zusammen und basste das Set konsequent durch. Für seinen Zustand spielte auch Christian erstaunlich souverän und er war (möglicherweise in Anlehnung an die BAD MOJOS und ihre irren Verkleidungen) in Kragenhemd und Badeshorts geschlüpft, was ihn wie einen Vollhonk erscheinen ließ.  Taktgeber und Uhrwerk Raoul an den Drums hingegen war die Lässigkeit in Person und Ole fiedelte seine Leads bravourös herunter. Als ich auf der Bühne stand, war sämtlicher Stress vergessen und das Ding flutschte recht gut. Überhaupt, die Bühne: Endlich mal wieder Platz, sodass man sich nicht gegenseitig auf die Latschen trat und den Christian sowie insbesondere Stulle für ein paar sportlich-elegante Jumps ausnutzten, zudem ein schönes Sammelsurium an Monitorboxen, keine fiesen Rückkopplungen oder sonst irgendein nervenzehrender Scheiß. Ein nicht unbedingt gewohnter Luxus.

Unser Set hatten wir um drei Songs gekürzt, um mit rund 40 Minuten Spielzeit auszukommen. Die Menge vor der Bühne schwankte (nicht alkoholbedingt, sondern ihre Stärke betreffend), hin und wieder wurde sich auf ein Tänzchen eingelassen und zum Schluss, zu „Fame“ und als unser Neuling „Red Lips“ seine zweite und somit erstmals gesangsfehlerfreie Aufführung erlebte, ging’s noch mal ganz gut ab. Das war dann auch der Abschluss unseres Gigs, den Christians Sandy aus sicherer Entfernung fotografisch dokumentierte (besten Dank!). Fazit: Stulle zieht besser die alten Saiten wieder auf, in Sachen Takttreue und Präzision ist allgemein ebenso noch Luft nach oben wie in Bezug auf Kräfteeinteilung und Kondition bei mir, was aber schon mal wesentlich schlimmer war. Der neue Song knallt, das Molotow ist auch aus Bandsicht ‘ne geile Hütte und jeglicher Stress im Vorfeld war reichlich unnötig und vor allem hauptsächlich selbstgemacht.

Nun ging’s aber mal schön innen Garten und Backstage, entspannen und mit den Gästen schnacken, Bandbier saufen, den obligatorischen Verriss von Stulles Bruder abholen. Dass ich auf der Bühne noch auf unsere Platte hingewiesen hatte und sich daher am besten jemand mit dem Ding mal an den Merch-Stand gesetzt hätte, hatte ich total vergessen. Wir sind schon so Verkaufsgenies… Die BAD MOJOS, mit denen ich leider kein einziges Wort gewechselt hatte, schlüpften schließlich in ihre Kostüme und waren, als ich mich vor die Bühne gesellte, schon bei ihrem GG-ALLIN-Cover „Don’t Talk To Me“ und somit fast der Hälfte ihres Sets angelangt – da hatte anscheinend auch jemand Gas gegeben. Live klang das Trash-Garage-Sonstwas-Punk-Trio vornehmlich nach astreinem ’77-Pogo-Punk, wie er zeitlos und nie überholt klingt und auf der mittlerweile rappelvollen Tanzfläche für ekstatischen Ausdruckstanz sorgte. Der Sound war spitze, das Bier schmeckte dazu nochmal so gut und ich schoss ein paar Fotos vom Bühnenrand. Chapeau an die Kantonbewohner!

Natürlich wurde nach Beendigung der Backstage-Party noch die Nacht zum Tag gemacht, bevor mich um 12:00 Uhr der Wecker terrorisierte und schmerzhaft daran erinnerte, dass das Zeug aus dem Molotow wieder in die Autos verstaut, zum Proberaum gefahren und in den sechsten Stock geschleppt werden musste. Das war’s natürlich allemal wert ; großes Dankeschön an dieser Stelle an DJ Starry Eyes, der nach dem BAD-MOJOS-Gig übrigens noch einen Punk-Klassiker nach dem anderen durch die P.A. jagte, und natürlich ans gesamte Molotow-Team! Bolanow und Molotow sind ‘ne gute Kombination. Es war uns ein Vergnügen!

09. + 10.06.2017, Gaußplatz, Hamburg: GAUSSFEST 2017

25 Jahre Gaußplatz! Unter diesem Jubiläumsmotto stand das diesjährige Gaußfest, für das wieder einmal der Wagenplatz mehrere Tage lang Freunde aus Hamburg und aller Welt lud, um’s bei freiem Eintritt und Bier zu ‘nem lumpigen Euro kräftig krachen zu lassen – diesmal sogar schon Donnerstag mit einem Warm-Up-Gig im El Dorado, der Platzkneipe, beginnend, wo AAARGH FUCK KILL, EXIT SMASHED und KANISTERKOPF zum Tanze baten. Der fand jedoch ohne mich statt.


Am Freitag hatte es dann noch mal kräftig geschüttet, doch entgegen des ursprünglichen Zeitplans begannen die Kieler VLADIMIR HARKONNEN erst, als die Himmelsschleusen vorerst geschlossen hatten. Dadurch traf ich sogar fast noch pünktlich ein, um ihrem Metal-Punk-Brett beizuwohnen. Rauer, aggressiver Grölgesang von Ex-BONEHOUSE-Philipp, englischsprachige Texte frei von Plattitüden und metallisches Geriffe, wenn auch diesmal von nur einer Klampfe, gewürzt mit Philipps gewohnt humorvollen Ansagen („Als wir angekommen sind, sagte ein Punk zu mir: ‚Ey, du siehst aus wie meine Mudder!‘ Der scheint eine sehr attraktive Mutter zu haben. Alle sehr freundlich hier!“) – das macht natürlich Laune. Vor der Open-Air-Bühne hatten sich große Schlammpfützen gebildet und manch Besucher machte sich einen Spaß daraus, in ihnen herumzuspringen und zu versuchen, ihren Inhalt auf den großen Rest des Publikums zu verteilen. Großen Respekt rang dem Frontmann ab, als es einer Dame gelang, auf den Schlussakkord genau mit Anlauf und Gebrüll in den Schlamm zu springen und die Bühne dabei zu besudeln. Großen Respekt rang mir wiederum ab, wie es Philipp gelang, sich nach einem fiesen Versuch seines Bassisten, ihn hinterrücks von der Bühne in den Schlamm zu schubsen, gerade noch so am Gebälk des Bühnendachs festzuhalten. Reflexe wie ‘ne Katze – und wer solche Bandkollegen hat, braucht vermutlich keine Feinde mehr. Leider nach wie vor hochaktuell war das kompetente SLIME-Cover „Schweineherbst“, erstaunlich gut war der P.A.-Sound und bereits reich versammelt das trinkfreudige Publikum, dem ich mich vorbehaltlos mittels Hasseröder anschloss. Gelungener Auftakt!

Die Hamburger RESTMENSCH hatte ich nun schon länger nicht mehr gesehen und was soll ich noch groß zu ihnen schreiben, was ich nicht schon längst kolportiert hätte? War natürlich klasse wie immer, aggressiver und doch durchdachter HC-Punk mit deutschsprachigen Texten in Tradition TOXOPLASMAs und Konsorten, Power-Drumming, Ex-NEUE-KATASTROPHEN-Stimme Alex am Gesangsmikro und flottes Punk-Riffing von THRASHING-PUMPGUNS-Flo. Immer wieder gern gesehen und gehört, wenn es auch leider wieder zu pissen begonnen hatte.

Keinen Day Off hatten sich DEVIL’S DAY OFF genommen, die mich mit ihrer Mischung aus Punk’n’Roll, Hard- und Schweinerock diesmal stärker überzeugten als im April in den Fanräumen. Die Songs gingen besser ins Ohr, die Hitdichte erschien höher, die Band routinierter und bestens aufgelegt. Mit ihrem rockigen Sound traf sie exakt den Nerv manch Besuchers, der die Hamburger kräftig abfeierte. Schöner Gig, bei dem sich auch das Wetter wieder gebessert hatte.

Mit den RAZORS blieben wir musikalisch auch gleich in Hamburg, wenngleich ihr Sound natürlich Original-’77-Insel-Punk ist – Kunststück, stammen der Hansestadt Dienstälteste doch auch aus jener Zeit. Diese an dieser Stelle noch näher zu beschreiben, hieße, Bier auf den Gaußplatz zu tragen. Danker & Co. lieferten wie nicht anders gewohnt sauber ab, zocken immer noch ein geileres klassisches Punkrock-Brett als viele Nachahmer und ließen die bekannten Coverversionen einfließen, die einen RAZORS-Gig rund machen. Bei keiner anderen Band wurde an diesem Tag so viel mitgesungen wie bei den RAZORS und vor mittlerweile gefühlt 100.000 Leuten wäre das eigentlich bereits ein krönender Abschluss des ersten Open-Air-Tags gewesen, doch hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass noch eine Überraschungsband antreten würde – Franzosen, die eigentlich vor mehreren Jahren bereits eingeplant gewesen seien, sich jedoch offenbar um ein paar Jährchen verspätet hätten und kurzfristig verlauten haben ließen, nun in der Nähe zu sein und ‘rumzukommen…

Dabei handelte es sich um niemand Geringeren als die „Psychopunks“ MANOR FREAKS, die eine Mördershow aufs Parkett legten und hart dafür arbeiteten, die Stimmung nochmals zu steigern. Eine herrliche fiese Punkabilly-Show um Mitternacht, original mit Standbass, Flat und trashig-morbider Atmosphäre ist natürlich etwas Feines und bockte noch mal so richtig. Musikalisch hochkarätiger Stoff und eine extrem spielfreudige Band, die das Ambiente sichtlich genoss. Welch Schlusspunkt unter den ersten Festivaltag!

Am zweiten Tag schlug ich bereits nachmittags auf, das Wetter war nun durchgehend einwandfrei und die Schlammpfützen ein gutes Stück weit abgetragen, da die Besucher vom Vortag eine Menge davon mit nach Hause genommen hatten oder noch immer an Kleidung und Körpern mit sich herumschleppten. Die erste Zeit vertrieb ich mir damit, Kai Motherfucker an seinem Aufnäherstand Gesellschaft zu leisten. Den musikalischen Teil eröffneten dann gegen 17:15 Uhr HAMBURGER ABSCHAUM, deren Auftritt auf dem Affengeburtstag mir noch in wohliger Erinnerung war. Während eines solchen Heimspiels lässt sich das Septett selbstverständlich nicht die Butter vom Brot nehmen und lieferte dementsprechend vor einer bereits wieder sehr gut aufgelegten, mitunter sehr textsicheren Meute „vollbepackt mit zwei Akkorden“ feuchtfröhlich ab – mal mit Trompete, mal ohne, mal mit Kettensäge, mal ohne, aber stets mit bunten Rauchbomben, die man ins Publikum warf. Hier und da arbeitete man mit Spracheinspielern aus der Konserve, beispielsweise beim Pro-Flüchtlingssong. Vor ihrem größten Gassenhauer „Nich‘ mein Ding“ befeuerten die Sänger Frank und Nico das Publikum zusätzlich und nach einer extrem partytauglichen Mischung aus altem und neuem Material musste der ABSCHAUM für zwei Zugaben ran, u.a. einfach noch mal „Nich‘ mein Ding“. Bei ein, zwei Enden war man sich auf der Bühne nicht ganz einig, doch das hatte Charme, zumal alles andere für meine Ohren absolut souverän flutschte. Wer nicht spätestens jetzt wieder in voller Feierlaune war, hatte vermutlich ganz andere Probleme.

PROTEST GROTESK von mutmaßlich irgendwo aus’m Pott müssen dann der „evtl. Special Guest“ vom Flyer gewesen sein, anne Drums anscheinend der ehemalige SS-KALIERT-Trommelbube. Die Band hat seit ein paar Jahren ein Album draußen und spielt dreckigen HC-Punk mit Metal-Schlagseitig, bischn krustig und mit einer aggressiven Sängerin gesegnet, die schreit, was die Kehle hergibt und der man anmerkt, dass da etwas aus ihr raus muss. Authentischer Stoff also, dem an diesem Tag leider die zweite Gitarre abging, die offenbar leider verhindert war. Der geschminkte verbliebene Klampfer hielt aber so gut wie möglich dagegen und dass der rifftechnisch was auf dem Kasten hat, wurde durchaus deutlich. Wenngleich manch Song, wahrscheinlich gerade unter diesen Umständen, irgendwie unorthodox und gewöhnungsbedürftig klang, gefielen mir die Power, Energie und Überzeugung, die da von der Bühne kamen. Würde ich bei Gelegenheit gern noch mal in kompletter Besetzung sehen.

Nun besteht ein solches Festival nun ja aber nicht nur aus Livemucke. Es gibt auch Aufnäher- und T-Shirt-Stände abzuklappern, es gibt Fressstände und neben der herkömmlichen Theke Bowle- und Cocktail-Ausschank – vor allem aber läuft einem dort eine Vielzahl bekannter Gesichter über den Weg, darunter auch einige, die man länger nicht mehr gesehen hat. Kurzum: Ich machte es mir in einem Bauwagenvorgarten bei den Rostockern gemütlich und hatte dabei vermutlich mehr Spaß, als die Berliner NOT THE ONES mir hätten bieten können, weshalb ich diese Band kurzerhand aussetzte. Und gesungen wurde auch dort, z.B. über „Hanser Rostock“…

Für die LIQUOR SHOP ROCKERS raffte ich mich jedoch noch einmal auf. Das Hamburger „All-Star-Projekt“ um Weste (ex-LEFT JAB), Nina (ex-RECHARGE), Needlz (ANTI-CLOCKWISE) und Toni (ex-STONE COLD BLACK) gehört zum neuen heißen Hamburger Scheiß und zockt mit jahrelanger Erfahrung aus ihren anderen Bands auf dem Buckel einen deftig drückenden Sound irgendwo zwischen Hardcore-Punk und punkigem Hardcore mit englischen Texten, treibend, selbstbewusst und schön auffe Omme. Nachdem ich mich im November in der Lobusch erstmals mit ihnen vertraut hatte machen können, wusste ich nun, was mich erwartet. Weste und Co. traten einem die Falten aus dem Arsch und machten alles richtig, was das Publikum ihnen mit großem Zuspruch und Begeisterung dankte. So wurden ihnen folgerichtig Zugaben abverlangt, zu denen „(You Gotta) Fight For Your Right (To Party)“ von den BEASTIE BOYS gehörte, das inklusive CITY-RATS-Gastsänger geschmettert wurde. Geht ab – weiter so!

Aus meiner „Zone“ getauften MeckPomm-Ecke kam ich danach nicht so recht wieder hoch, sodass mir trotz ausdrücklicher Empfehlungen die HH-Kiel-Connection NOM durch die Lappen ging. Meine Aufmerksamkeitsspanne war nun aber auch längst ausgeschöpft und der Alkoholkonsum – mittlerweile war ich von Hasseröder auf Veltins umgestiegen – trug sein Übriges dazu bei. Als ich begann, ‘90er-Jahre-Wrestling-Einlaufhymnen von meinem Telefon abzuspielen, war das Niveau schließlich endgültig im Keller und als der offenbar nur zum Klönschnack vorbeigekommene IVV-Ladde wieder das Weite gesucht hatte, suchte ich noch die After-Show-Party in der Platzkneipe auf und verhaftete ‘nen Absacker mit KANISTERKOPF Herrn Lehmann, bevor ich auf den Wogen der Euphorie Richtung Koje ritt.

25 Jahre Gaußplatz – das hieß nicht nur derbe Party, sondern auch 25 Jahre erkämpfter Freiraum, Selbstbestimmung, Wohn- und Ereigniskultur, Raum für kleine (und größere) Bands, eine Oase inmitten Hamburgs. P.A.-Chef Wurzel hatte den Sound permanent gut im Griff, besonders die Drums ballerten dieses Jahr echt gediegen. Doch nicht nur er, sämtliche Mitverantwortlichen hatten wieder einmal ein feistes Spektakel auf die Beine gestellt und dürfen sich mal kräftig auf die Schultern klopfen lassen. Das begann schon bei der für Hamburgs D.I.Y.-Festivals typischen handverlesenen Bandauswahl, ein Garant für hochklassigen Abwechslungsreichtum ohne Spacken. Tatsächlich konnte ich wieder mit allem, das ich mir angesehen hatte, etwas anfangen, von der einen oder anderen Krachkapelle war ich ohnehin schon Fan. Meines Wissens blieb auch stets alles friedlich, ein Fest also für die ganze Familie inkl. ihrer Hunde. Erstmals gab ich mir beide Tage und hab’s nicht bereut. Einziger, jedoch großer Wermutstropfen: Es fehlten einige, die leider nicht mehr unter uns weilen, was sich trotz Nachwuchses dann und wann reichlich seltsam anfühlte. Ey, ihr habt was verpasst! Aber ich hab‘ einen für euch mitgetrunken. Für alle anderen gilt: Auf das nächste Vierteljahrhundert Gaußplatz! Prost!

PaTrick Bahners – Entenhausen: Die ganze Wahrheit

Wer hat sie als Kind nicht gern gelesen? Die Abenteuer der Ducks und ihrer Freunde, Bekannten und Gegner nicht nur in Entenhausen in Comicform. Duck’scher Chefzeichner für den Disney-Konzern war Mr. Carl Barks, deutsche Chef-Übersetzerin Frau Dr. Erika Fuchs, die den Dia- und Monologen sowie den Gedanken ihrer Schützlinge einen eigenen Stempel aufdrückte. Manch einen faszinierten die Entenhausener Überlieferungen auch über die Kindheit hinaus und ein paar Bildungsbürger unter ihnen wurden zu Donaldisten, um sich fortan wissenschaftlich mit Entenhausen auseinanderzusetzen. Einer von ihnen ist der ehemalige Feuilleton-Chef der FAZ, Patrick Bahners, der 2013 mit „Entenhausen: Die ganze Wahrheit“ im C.H.-Beck-Verlag seinen 208 Seiten starkes Debütband vorlegte, schick gebunden und mit integriertem Lesezeichen.

Die Prämisse der Donaldisten lautet, dass Entenhausen real sei und Barks sowie Fuchs eine Art Medien gewesen seien, die Informationen aus ihm empfangen und damit die Grundlage für die donaldistische Forschung geschaffen, das einzig wirklich authentische, unverfälschte Material überliefert hätten – im Gegensatz zu den zahlreichen weiteren Zeichnern und Textern, die außen vor bleiben müssen. Es handelt sich also nicht nur um ausgeprägtes Nerdtum, sondern auch um eine Art Pseudowissenschaft, vielmehr eine Parodie auf wissenschaftliche Arbeit, die sich der Herangehensweise tatsächlicher Wissenschaften bedient. Ihre Voraussetzungen sind die Einfalt, jene Quellen vollumfänglich zu akzeptieren und der Scharfsinn, ihre Widersprüche herauszuarbeiten, zu untersuchen und schließlich in wissenschaftlichen Einklang mit dem von Barks erschaffenen Universum zu bringen und dadurch aufzulösen.

Denn wer sich mit fiktiven Welten einmal näher auseinandergesetzt hat, wird die Ungenauigkeiten und Widersprüche kennen, die sich gern in sie einschleichen, wird über einen längeren Zeitraum, womöglich noch von mehreren mehr oder weniger unabhängig voneinander agierenden Menschen, an ihnen gearbeitet, konstruiert und geschrieben. Streng genommen beginnen die Entenhausener Widersprüche ja bereits mit den körperlichen Erscheinungsformen ihrer Bewohner, die an humanoide Enten, Hunde und Schweine erinnern, während es weiterhin sehr wohl herkömmliche Enten, Hunde und Schweine gibt – von ihren seltsamen verwandtschaftlichen Verhältnissen ganz zu schweigen. Dies greift Bahners ebenso erläuternd und sinnstiftend auf wie Detailfragen nach der tatsächlichen Anzahl der Stadtgründer und ihrer jeweiligen Geschichte, was wiederum wichtige Versatzstücke im Versuch wurden, die komplette Stadthistorie zu ergründen und zu belegen, darüber hinaus das politische System und soziale Gefüge, Auffassungen von Recht und Gesetz, Stand des Fortschritts und der Entenhausener Wissenschaft bis hin zur Religion und vielem Weiteren mehr. 115 Schwarzweiß-Bilder aus den Quellen (sprich: den Comics) helfen dabei, Bahrens zu folgen und in Kontext zu seinen Quellen setzen zu können, evtl. auch eigene Erinnerungen an die eine oder andere Bark’sche Geschichte zu wecken.

Eine der wichtigsten Fragen bleibt dabei, wo genau Entenhausen eigentlich liegt und ob auf unserer uns bekannten Erde, in einem Paralleluniversum oder gar in der Zukunft. Als Leser erfährt man vom – tatsächlich in die Tat umgesetzten – donaldistischen Unterfangen der Erstellung eines detaillierten Stadtplans (inkl. aller ehemaligen Behausungen Donald Ducks, satte 32 an der Zahl) sowie von Hans von Storchs Theorie eines Paralleluniversums, bis Bahners schließlich als seinen bis zur Drucklegung vermutlich größten donaldistischen Coup Entenhausen in einer postnuklearapokalyptische Zukunft verortet, in der Hawaii mitunter aufgrund wandernder Kontinentalarchitektonik auf dem Landwege zu erreichen ist – streng wissenschaftlich erörtert, versteht sich.

Die in sieben Kapitel aufgeteilte und um ein detailliertes Quellenverzeichnis ergänzte Arbeit Bahrens’ verdeutlicht nicht nur die Unterschiede, sondern gerade auch die vielen Parallelen zu unserer Welt, ihrer Geschichte und unserer Kultur und schafft damit einerseits ein Bewusstsein für die vielen, bei ihrer Entdeckung gerade für die jungen Comic-Rezipienten durchaus lehrreichen Anspielungen auf reale Personen und Ereignisse über die Populärkultur hinaus, nutzt diese Erkenntnisse andererseits, um sein eigenes Wissen zu prostituieren und das eine oder andere Duck’sche Detail – und Bahners geht überaus detailverliebt vor – in einen Kontext zu rücken, der vielen Comic-Lesern bisher entgangen sein dürfte. Insofern erfährt man nicht nur viel über Entenhausen, sondern auch einiges über unsere Realität.

Eine gerade heutzutage an Bedeutung gewinnende Erkenntnis dürfte dabei sein – und das ist eine weitere interessante Lesart des Buchs –, auf welche Weise sich abstruse Thesen bis hin zu Verschwörungstheorien in wissenschaftlichem Duktus begründen und scheinbar belegen lassen. Da sich Bahners dieser Sprache konsequent bedient und seine Ironie auf den ersten Blick vornehmlich gut versteckt zwischen den Zeilen einarbeitet, liest sich „Entenhausen: Die ganze Wahrheit“ nicht so leicht wie die entsprechenden Comics, auch nicht wie übliche Sekundärliteratur von Fans für Fans, sondern richtet sich eher an mit wissenschaftlicher Quellenbearbeitung und ihrer schriftlichen Ausdrucksform zumindest ansatzweise Vertraute oder eben an Neugierige, die sich davon nicht abschrecken lassen. Als seichte Unterhaltungsliteratur ist Bahners’ Werk nur bedingt geeignet, am ehesten für mit den Barks-Comics in einem Ausmaße Aufgewachsene, dass sie sich über die zahlreichen Wiedererkennungseffekte beim Lesen von Bahners’ Ausführungen freuen – doch gerade diese Art Vorkenntnisse sind zum Buchgenuss eben nicht erforderlich, vielmehr ein gehobenes Allgemeinbildungsniveau, das sich einem den Großteil der Anspielungen und Vergleiche Bahners’ erschließen lässt.

Ich persönlich kann mich nicht davon freisprechen, bei geschichtlichen Details, spätestens aber bei Bahners’ Spiel mit der lateinischen Sprache bisweilen mehr Bahnhof als alles andere verstanden zu haben, wenngleich seine Intention deutlich blieb – im Gegensatz zum für meinen Geschmack dann eben doch auf Dauer ermüdenden, weil sich über eine übertriebene Seitenanzahl ziehenden Fall Herrn Bläulichs, der in den Comics Kaiser von Amerika werden wollte und sich dafür auf einen Codex Raptus berief. Weit weniger totgeritten hat Bahners den guten alten Genitiv, dessen Verzicht mir nicht immer sinnvoll erschien. Bevor ich mich aber ähnlich in Details verliere wie der Autor, attestiere ich einen interessanten, horizonterweiternden Special-Interest-Ausflug als meine erste über TV-Berichte hinausgehende Konfrontation mit dem Donaldismus, der zudem Lust macht, auf eine der Barks-Werksausgaben zu sparen und chronologisch aufbereitet wieder in die postnuklearapokalyptische Welt Entenhausens mit ihren Kontinentalverschiebungen und Frau Dr. Fuchs’ hervorragenden Übersetzungen einzutauchen, nachdem der Großteil der alten Comichefte unlängst an eine neue Generation weitergegeben wurde.

Mad-Taschenbuch Nr. 8: Al Jaffee – Das Buch der dummen Sprüche

Mit dem achten Mad-Taschenbuch erschien 1975 Stammzeichner Al Jaffees zweiter Auftritt in Buchform. Diesmal durfte er sich gänzlich seinen klugen Antworten auf dumme Fragen widmen, Jaffees Stammrubrik in den Mad-Magazinen. Nach einem schönen Vorwort und einer Widmung Jaffees an sich selbst ist das Buch in 14 Kapitel (hier „Abt.“ genannt) aufgeteilt, darunter die bekannten Doppelseiter in Comicform mit verschiedenen möglichen Antworten auf dumme Fragen sowie je einer Sprechblase zum Selbstausfüllen, mehrseitigen Comics, die natürlich ebenfalls die reinsten Spruchfeuerwerke sind und für den Sprücheklopfer böse enden, sowie weiteren Variationen wie schlagfertigen Reaktionen auf vermeintlich kluge Antworten und einem selbstironischen finalen Kapitel. Rund 160 Seiten stark und meines Erachtens mit das Beste, was Mad zu bieten hatte.

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