Am gestrigen Freitag ging es dann zu den ehemals notorisch erfolglosen kanadischen Metallern von ANVIL, die auf ihrer Tour einen Abstecher ins Hamburger Knust machten. Hatte ich die Band in der Vergangenheit wie so viele eher am Rande wahrgenommen, wurde mein Interesse durch den tragikomischen Dokumentarfilm „Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft“ nachhaltig geweckt und ich habe mich näher mit der Diskographie der Herren auseinandergesetzt – und dabei so manche Perle entdeckt. Falls wer mit dem Namen gar nichts anfangen kann, zitiere ich mich mal eben selbst: „Die kanadische Heavy-Metal-Band Anvil wurde zu Beginn der achtziger Jahre durchaus vielbeachtet: In ihr vereinten sich ein skandalträchtiges, provokantes Image und technisches wie songwriterisches Geschick; ihre Musik, eine Mischung aus frühem amerikanischen Power Metal und damals visionärem Speed Metal, inspirierte zahlreiche Künstler und übte Einfluss auf die Entwicklung des Thrash Metal aus, der bis dato schnellsten und härtesten Spielart des Metals. Mit ihren Alben „Metal on Metal“ und „Forged in Fire“ schufen sie Referenzwerke, die bis heute Bestand haben und allgemein respektiert werden. Doch dann wurde es ruhiger um die Band, die zwar grundsätzlich in der Fachpresse noch stattfand, aber vielerorts in Vergessenheit geriet, während diejenigen, mit denen sie damals die Bühne teilten oder die sie inspiriert hatten, große kommerzielle Erfolge feierten – und das, obwohl Anvil weiterhin in schöner Regelmäßigkeit Platten veröffentlichten.“

Da sie mich auf dem letztjährigen Wacken Open Air mit ihrer wahnsinnigen Spielfreude und ihrem sympathischen Auftreten bereits überzeugt hatten, beschloss ich, auch diesem Clubgig beizuwohnen. Ein Abendkassenpreis von 24,- EUR für nur eine Band – Vorgruppe gab es keine – hatte mir die Entscheidung aber nicht unbedingt leicht gemacht. Bleibt zu hoffen, dass die Jungs mit der Karsten-Jahnke-Konzertdirektion einen guten Deal ausgehandelt haben und sie auf ihre alten Tage endlich einmal ein bisschen Kohle in ihre Kassen spülen, gegönnt sei es ihnen. Karten waren an der Abendkasse noch reichlich vorhanden und es schien mir, als hätten viele sich ebenfalls eher spontan entschieden, an diesem Abend dem Knust einen Besuch abzustatten. Der Konzertort in Kieznähe und mit seinem zum Verweilen einladenden Außenbereich in Verbindung mit optimalem Wetter machten jedenfalls Lust auf einen metallischen Freitagabend und der Laden wurde letztlich rappelvoll.

Um ca. 21:15 Uhr betraten Lips, Robb Reiner und G5 die Bühne und legten mit ihrem eigenen, kongenialen Instrumental „March of the Crabs“ los – nicht als Einlaufmusik vom Band, sondern direkt live gespielt. Seine Begrüßung sprach Sänger und Gitarrist Lips nicht durchs Gesangsmikro sondern durch das seiner Gitarre und sprang bereits nach den ersten Takten ins Publikum, wo er den Song auch zu Ende spielte – da weißte gleich Bescheid. Von Scheu oder irgendwelchen Allüren keine Spur, ganz im Gegenteil. Der Sound im Knust war sehr gut und perfekt aufeinander abgestimmt, alles andere wäre gerade bei dem Eintrittspreis aber auch eine Enttäuschung gewesen. Es folgten die Klassiker „666“ und „School Love“, anschließend der Titeltrack vom aktuellen, vierzehnten Studioalbum „Juggernaut of Justice“, mit „Winged Assassins“ ein weiterer Klassiker, dann erneut vom „JoJ“-Album „On Fire“ gefolgt vom Titeltrack des vorausgegangenen, sehr guten Albums „This is Thirteen“, der in seinem schleppenden Tempo live besonders mächtig und erhaben klang und seine volle Wucht entfaltete. Sehr geil! Der Überhit „Mothra“ über das japanische B-Movie-Ungeheuer wurde dann mit ausufernden Gitarrensoli und Lips’ berüchtigtem Gitarrenspiel mittels einen Vibrators als Showeinlage unheimlich in die Länge gezogen. Eigentlich kann ich solchem Angeber-Metall und Gitarrengewichse ja nicht viel abgewinnen und mag es eher geradliniger, bei ANVIL-Lips wirken solche Einlagen jedoch nicht arrogant, selbstverliebt und abgehoben nach dem Motto „Ich bin Gott und ihr seid Dreck!“, sondern eher wie „Hey, ich bin genauso Dreck wie ihr, aber hört mal, was ich Tolles kann!“ – also weniger wie ein verzogener reicher Junge, der seinen Schulfreunden von seinen Erlebnissen im elitären Tennisclub berichtet, sondern mehr wie ein rotznäsiger Straßenjunge, der im Müll ein paar Schätze gefunden hat und diese stolz seinen Kumpels zeigt. Da macht es einfach Spaß, zuzusehen und zuzuhören, das hat Credibility. Sehr zu meiner Freude hatte man den Bonustrack und meinen heimlichen Favoriten vom „This is Thirteen“-Album „Thumb Hang“ in die Setlist aufgenommen, der nun dargeboten wurde. Anschließend ging’s noch mal so richtig rund, denn es erklang das eigentlich nur um ein kolossales Drumsolo konstruierte „White Rhino“. Der unglaubliche Robb Reiner bewies jetzt mit enormem Nachdruck, warum er als einer der besten Metal-Drummer gehandelt wird: Krakengleich verprügelte er minutenlang sein Schlagzeug, während Lips und G5 von der Bühne gingen und sich eine Pause gönnten, um nicht von Robb abzulenken. Was für eine eindrucksvolle Demonstration seiner Schlagzeugkünste, ich musste vor Begeisterung laut loslachen! Ich frage mich nur, wo er im Alltag seine sechs weiteren Arme versteckt… Es folgten „Fuckin’ Eh“ und „New Orleans Voodoo“ von „JoJ“ und als vermeintlich letzter Song das frenetisch gefeierte „Metal on Metal“, der wohl populärste Song des Trios.

Um Zugaben ließ man sich aber nicht lange bitten und das hypnotische „Forged in Fire“ läutete den abschließenden Dreierblock ein, der mit dem Klassiker „Jackhammer“ um dem straighten „JoJ“-Rocker „Running“ endete und den Schlusspunkt unter das Konzert setzte. Insgesamt stand die Band knapp zwei Stunden auf der Bühne und hat zwischen und auch während der Songs viel mit dem Publikum kommuniziert, ein paar Anekdötchen erzählt, Späßchen gemacht usw. Es wirkte fast wie ein Abend mit alten Freunden, kurioserweise. Etwas übertrieben hat es Lips aber mit seinen Sympathiebekundungen an das Publikum, die er vermutlich bei jedem Gig, egal wo, bringt. Nach dem Konzert blieb ein großer Teil des Publikums noch vor Ort, trank ein paar Bierchen, quatschte und genoss den lauen Hamburger Sommerabend. Die Band hat sich wohl noch unters Publikum gemischt und ordentlich Hände geschüttelt.

Ich hab es keinesfalls bereut, dem Ganzen beigewohnt zu haben, denn ANVIL machen live einfach jede Menge Spaß und sind zudem eine technisch brillante Liveband, die dabei auch noch die ganze Zeit wirkt, als würde sie das alles locker aus dem Ärmel schütteln, viel wert auf Entertainment legt und dabei ohne irgendein albernes, aufgesetztes Image auskommt. Ein erinnerungswürdiges Konzert. Den Publikumsreaktionen und aufgeschnappten Gesprächsfetzen konnte ich entnehmen, dass ich mit meiner Meinung nicht allein dastand. Lediglich den fiesen Thrash-Klopper „Doctor Kevorkian“, auf den ich mich den ganzen Tag gefreut hatte, hätte man dann auch gern mal spielen dürfen… aber irgendwas ist ja immer. Verwundert war ich allerdings auch vom Publikum. Dass man auf Metal-Konzerten nicht (mehr) so abgeht wie z.B. auf Punk- oder HC-Shows, weiß ich ja, aber dass man wie angewurzelt auf einer Stelle steht und sich auf reines, vorsichtiges Headbangen beschränkt, hat mich als jemanden, der sehr selten derlei Gigs besucht, dann doch überrascht. Etwas mehr Bewegung wäre schon schön gewesen. Positiv zur Kenntnis genommen habe ich aber den hohen Anteil weiblicher Konzertbesucher.

Also, es gilt: „The ANVIL was forged in fire!“ pommesgabel