Aller Wahrscheinlichkeit nach werden diese Zeilen gerade auf einem Computer-Bildschirm oder mobilen Endgerät gelesen. Vor gar nicht allzu langer Zeit jedoch gab es das World Wide Web noch gar nicht, gelesen wurden vornehmlich Print-Publikationen. Alles, was gelesen werden wollte, musste gedruckt werden, egal ob Buch, Zeitung, Reklame oder die Menükarte des Pizzadiensts. Der Siegeszug des Internets bedeutete jedoch nicht nur einen Rückgang an Print-Auflagen, sondern auch einen erbitterten Konkurrenzkampf klassischer Offset-Druckereien mit überregional erreich- und nutzbaren Druckanbietern, die ihre Dienste im Netz offerierten und dank automatisierter Abläufe trotz der Portokosten günstiger anbieten konnten.
Der Quickborner Lokaljournalist/-chronist, Kinderbuch- und Roman-Autor Peter Jäger hatte in den 1970ern selbst in einer Offset-Druckerei gearbeitet und griff dieses Thema für seinen nach „Kalte Wasser“ zweiten Roman „Eddie will leben“ auf, erschienen im Taschenbuch-Format im März 2015 im Kadera-Verlag. Auf knapp 300 Seiten beschreibt Jäger den Überlebenskampf Eddie Buchholz’, dessen Norderstedter Druckerei am Gutenbergring unter dem Online-Konkurrenzdruck ächzt und in finanzielle Schieflage gerät. Es gilt, möglichst alle sieben Arbeitsplätze zu erhalten. Als er seinen Mitarbeiter(innen) jedoch eröffnen muss, das Weihnachtsgeld wahrscheinlich nicht auszahlen zu können, stößt er auf Unverständnis. Und während er noch überlegt, wie er neue Aufträge an Land ziehen und seinen Betrieb zukunftsfähig aufstellen kann, wird sein Garagentor beschmiert und erleidet er einen Herzanfall. Glücklicherweise stehen seine Familie und Freunde ihm mit Rat und Tat zur Seite, doch die Situation bleibt prekär. Ob Sven, der Lebensgefährte seiner Tochter Monika und Inhaber einer Werbeagentur, tatsächlich behilflich sein kann, die Traditionsdruckerei wieder in wirtschaftlich rentable Fahrwasser zu lenken? Darüber hinaus muss Eddie dringend kürzer treten und lernen, Verantwortung abzugeben – nicht nur seine besorgte Ehefrau Hanna würde es ihm danken…
„Eddie will leben“ spielt kurz nach der Jahrtausendwende, in den Jahren 2001/2002, und verwebt ein aus zahlreichen unterschiedlichen Perspektiven von einem allwissenden Erzähler wiedergegebenes Mittelstands-Drama mit gleich mehreren persönlichen Schicksalen sowie geballtem Zeit- und Lokalkolorit. In einer Vielzahl episodischer Kapitel erfahren Leserinnen und Leser nicht nur von den typischen Problemen einer kleinen Mittelstandsdruckerei, sondern auch von der damaligen Lage im an die schleswig-holsteinische Kleinstadt Norderstedt angrenzenden Hamburg (die rechtspopulistische „Schill-Partei“ um Ex-Richter und Dumpfbacke Ronald Schill war gerade an die Macht gewählt worden), von einer Vielzahl real existierender Orte und von den Befindlichkeiten verschiedenster mit Eddie verbandelter Menschen.
All dies führt leider dazu, dass sich die Geschichte immer wieder in seifigen Trivialitäten, Belanglosigkeiten und Geplänkel zu verlieren droht und die vielen Erzählstränge verwirren. Lokal- und Zeitbezüge wirken oftmals etwas bemüht, dass die Protagonist(inn)en sich ständig in irgendwelchen Centern treffen, mutet reichlich ungemütlich an, und die Nennung zahlreicher realer Markennamen grenzt an Product Placement. Altertümliche Sprüche und laue Witzchen erscheinen genauso bieder wie die ermüdend detaillierten Beschreibungen der Weihnachtsfeierlichkeiten, anlässlich derer Seidenfliegen und Fußpflegegutscheine verschenkt werden und man sich darüber freut, nachdem man sich am Esstisch über gereizte Gallen und Prostatabeschwerden ausgetauscht hat. Der blanke Familienhorror, hier verpackt als anheimelnd wirken sollender Realismus. Andere Dialoge würde so wohl nie jemand in der Realität führen:
„Ich esse knusprige Ente“, entschied Vera, ohne in die Speisekarte zu schauen. „Und du magst es bestimmt lieblich, Hanna, das weiß ich. Du bekommst die Ente mit Ananas.“
„…und beide Damen sind selbstverständlich meine Gäste“, ergänze Waldemar mit charmanten [sic!] Lächeln. „Ich habe mich übrigens für Rindfleisch mit Gemüse entschieden, das kommt hier knackig aus dem Wok.“ (S. 194)
Weniger gestelzt klingt es, wenn Werbefuzzi Sven sich mit Arbeitskampf konfrontiert sieht:
„Was für ein jämmerliches Palaver um lächerliche Weihnachts-Zahlungen. Die Rädelsführer besaßen die Reife von matschigen Birnen, sonst hätten sie brauchbare Ideen eingebracht, um ihre Arbeitsplätze zu retten. Schade, dass Eddie den Glatzkopf Kessler so schnell beiseite geschoben hatte. Ein Vergnügen wäre es ihm gewesen, dem Großmaul ein paar harte Haken zu verpassen.“ (S. 58)
Dazu sei angemerkt, dass jener Sven nicht etwa die Rolle eines Antagonisten einnimmt. Generell wird zwischen den Zeilen immer wieder vermittelt, es sei ein Unding, dass die Belegschaft auf ihren vertraglich vereinbarten Weihnachtslohn besteht. Es scheint sich aber ohnehin um einen seltsamen Menschenschlag zu handeln, der sich gegenseitig betrügt, Verständnis für die indiskutable „Schill-Partei“ äußert (Eddie) oder überdramatisierend mit Weglaufen droht (Hanna) – ohne dass all dies sonderlich problematisiert würde. Und statt im Zusammenhang mit Eddies Druckerei begangene handfeste Verbrechen aufzuklären, schließt „Eddie will leben“ mit einem irritierend kitschigen „Wird schon weitergehen“-Ende.
Lokaljournalismus lebt von der geschalteten Werbung seiner regionalen Anzeigekunden, weshalb ihm diese meist besonders am Herz liegen. Jäger als verdienter Lokaljournalist dürfte mit seinem Buch eine Lanze für kleinere regionale Betriebe haben brechen und Verständnis für ihre oft schwierige Situation wecken wollen, insbesondere angesichts immer globaler werdenden Konkurrenzdrucks durch das Internet. Offenbar unfreiwillig gelang Jäger stattdessen eine Art Porträt unsympathischer Menschen, denen man sicherlich vieles, nur nichts Gutes wünscht und die diverse Branchenklischees erfüllen, während sich die Geschichte wenig differenziert auf ihre Seite schlägt und für die Nöte sowie berechtigten Forderungen ihrer Angestellten nicht viel übrig hat. Nicht seinen besten Tag erwischt hatte offenbar auch das Lektorat, dem ein Anachronismus wie Facebook-Nutzung (die damals noch gar nicht möglich war) ebenso durchrutschte wie „Katheder“ (statt Katheter), „ein Paparazzi“ u.ä. So hinterlässt die Lektüre einen letztlich unbefriedigenden Eindruck, was schade ist, da das Konzept – realistische konfliktreiche Geschichten „aus der Nachbarschaft“ mit Insider-Wissen vor realer Kulisse erzählt – durchaus vielversprechend erscheint.
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