Meine persönliche Punk-Sozialisation ist eng mit der ursprünglich aus dem südlichen Hamburger Umland stammenden Band SMALL TOWN RIOT verbunden. Ungefähr ab dem Jahr 2000 habe ich das Entstehen der Band hautnah mitverfolgt und war eng mit den Bandmitgliedern befreundet, insbesondere mit Timo – eine Freundschaft, die bis heute hält. Auf die „DEMOlition“-Demo-CD und das Debütalbum „Some Serious Shit“ folgte 2008 der Langdreher „Selftitled“, mit dem SMALL TOWN RIOT meines Erachtens ihren Zenit erreicht hatten. Von der Covergestaltung über die Musik und Texte bis hin zur Produktion und natürlich der Straßen-Attitüde der Band stimmte da einfach alles. Supereingängiger Punkrock, beeinflusst von melodischen US-Bands, Streetpunk und Oi!, jeder Song ein Ohrwurm, dabei nicht nur aufgrund der damals drei verschiedenen Sänger extrem abwechslungsreich und von Surf/Rock’n’Roll bis Hardcore weitere Einflüsse auf völlig selbstverständliche Weise miteinander vereinend. Zusammen mit der „Skulls & Stripes“-EP und den Beiträgen zur „Let The Bombs Fall…“-Vierer-Split ein enormes Hit-Arsenal, dem 2010 mit „Suicidal Lifestyle“ sogar noch ein weiteres Top-Album zur Seite gestellt wurde, das in geänderter Besetzung nicht minder kräftig auf die Kacke haute. Irgendwann war man ausgebrannt, legte die Band auf Eis und widmete sich unterschiedlichen anderen Projekten. Nun juckte es aber wieder in den Fingern und in der Besetzung Norman (Klampfe + Gesang)/Timo (Bass + Gesang)/ Andy (zweite Klampfe)/Herr Lehmann (Drums) begann man wieder regelmäßig zu proben. Das nicht abgerissene Interesse an der Band beantwortete man dann erstmals am 13.04.2019 mit dem von East-Coast-Concerts organisierten Reunion-Gig in Kiel, zu dem man neben den Flensburgern ANGORA CLUB auch uns als Support eingeladen hatte, womit ein Traum für mich wahr wurde: Einmal mit BOLANOW BRAWL zusammen mit den alten Kollegen von SMALL TOWN RIOT zocken!

Zu Teilen per Bahn, zu Teilen mit der Karre brachen wir also in Hamburg auf und waren saupünktlich um 17:00 Uhr an der Medusa, einer schnieken Location mit professioneller Bühne und großem Backstage-Bereich. Quasi zeitgleich trafen SMALL TOWN RIOT und wenig später auch ANGORA CLUB ein. Nun musste allerdings noch unser Lead-Klampfer Ole abgeholt werden, wofür Christian bis ans andere Ende Kiels schüsseln musste, wodurch wir für den Soundcheck schon mal entfielen. Diesen übernahmen kurzerhand SMALL TOWN RIOT, die den Sound dadurch perfekt auf sich zugeschnitten bekamen, jedoch auch mit der anscheinend nicht vollständig funktionstüchtigen Monitoranlage zu kämpfen hatten. Noch hielt ich mich in Sachen Alkoholika zurück, wollte erst mal was essen. Zur Auswahl standen Chili con carne und „vegane Pampe“, die sich als wohlschmeckend und offenbar auf Kichererbsenbasis (oder so) zubereitet entpuppte und meiner von der letzten DMF-Probe noch etwas angeschlagenen Kehle guttat. ANGORA CLUB wollten gern als zweite Band auf die Bretter. Uns sollte es recht sein, umso schneller würden wir den Pflichtteil hinter uns gelassen haben und uns gehen lassen können. Anfangen sollten wir irgendwann zwischen 8 und 9, hieß es – und natürlich hielten wir 8 für völlig unrealistisch, peilten 9 an und machten uns erst mal vom Acker, um bischn den Proletarier-Stadtteil Gaarden zu erkunden, wo die Kiosks großflächig damit werben, Oettinger und Paderborner im Angebot zu haben.


Unser erster Abstecher führte uns in einen Dönerladen, in dem gerade zwei der mitgereisten Damen speisten. Eigentlich gilt dort „Bier nur außer Haus“, aber angesichts unserer durstigen Truppe wollte der gute Fleischspießbräter anscheinend nicht auf leicht verdiente Einnahmen verzichten und füllte sein Flaschenbier in neutrale Becher um, damit niemand sah, dass er uns gegen seine eiserne Regel verstoßen ließ. Weiter ging’s auf der Suche nach einer typischen Eckspelunke, die wir schnell gefunden wähnten. Kaum über die Schwelle getreten, glaubten wir, vom offenbar griechischstämmigen Gastwirt mit offenen Armen empfangen zu werden – ein Irrglaube, denn statt uns eine Runde zu zapfen, erklärte er uns, dass es sich um eine geschlossene Gesellschaft handele und wir leider gehen müssten. Pah, dann eben in die nächste Pinte. Die befand sich direkt nebenan der Medusa; im „Holsten-Krug“ war der Tresen gesäumt mit Trinkern älteren Semesters, einer sang lautstark „Der HSV wird niemals untergehen“ oder so und sackte anschließend für ein Schläfchen auf der Theke zusammen. In der Glotze lief Fußball, Kurze 1,- €. Hier waren wir richtig. Ein paar Biere und Schnäpse wechselten die Besitzer, die Wirtin war auf zack und willig, uns abzufüllen. Es dürfte ungefähr 20 vor 9 gewesen sein, als wir zurück in der Medusa waren. Dort erwartete uns das überraschende Bild einer rappelvollen Bude und ungeduldig auf uns wartender Gäste inkl. einiger weiter angereister Freunde und Bekannte sowie hektisch auf den Beginn drängender Organisatoren. Ich hatte nie im Leben damit gerechnet, dass schon vor 9 fast alle Besucher da wären, aber in Kiel ticken die Uhren halt etwas anders.

Also schnell paar Plastikchips gegen Bandbier eingetauscht und ab auf die Bühne, um mit „Total Escalation“ das Motto des Abends vorzugeben. Wir hatte vorne links und rechts je einen Monitor, mittig, also für mich als Sänger, leider keinen. Ich ließ mich nach dem ersten Song auf den Dingern so laut wie möglich drehen, blieb für mich selbst aber weiterhin eher schemenhaft wahrnehmbar. Ich versuchte, diesmal nicht den Fehler zu machen, mich generell zu leise zu wähnen und dagegen anzubrüllen zu versuchen, was mir hoffentlich einigermaßen gelang. Davon abgesehen machte der Gig großen Spaß und flutschte gut durch. Wir kamen diesmal mit nur einer Stimmpause aus und bis auf den einen obligatorisch versemmelten Song-Beginn erlaubten wir uns keinen größeren Fauxpas. Nach den Erfahrungen in Rendsburg hatten wir unser Set um „On The Run“ erweitert und „Fame“ als potentielle Zugabe aufbewahrt, die dann auch eingefordert wurde. Im Laufe des Gigs hatte sich ein Pogomob gebildet, kurioserweise nicht vor der Bühne, sondern etwas weiter hinten und eher seitlich. Fast ein wenig vermisst habe ich das Unterfangen meiner Bandkollegen, mich öffentlich zu düpieren, meine Ansagen zu sabotieren oder Fake-News zu kolportieren, vielleicht habe ich’s aufgrund meiner Monitorlosigkeit auch schlicht nicht vernommen. Weil’s so dermaßen voll war, hatten wir darauf verzichtet, eine Merch-Ecke aufzubauen, aber trotzdem einige T-Shirts verkauft. Das‘ doch geil! Darauf erst mal wat trinken.

ANGORA CLUB sind zwar alte Hasen, aber noch ‘ne recht frische Band: 2018 gegründet, 4-Song-Demo am Start. Kuschelrock und Hasenpunk hat man sich aufs plüschige Fell geschrieben. Ich hatte zuvor nicht reingehört und befürchtete Hamburger Schule oder Artverwandtes, wurde aber positiv überrascht: Recht flotte, emotionale deutschsprachige Songs mit eher persönlichen, ernsten/ironiefreien Texten und Hardcore-Kante, technisch auf den Punkt und mit sehr souveräner Bühnenpräsenz. Nun hörte ich auch, dass der P.A.-Sound ziemlich gut war. Nicht schlecht; mich wirklich konzentriert ihrem Gig widmen konnte ich aber nicht, Smalltalk, freudige Wiedersehen mit alten Bekannten, Shirt-Verkauf etc. wussten dies zu verhindern. Zudem war der Auftritt gefühlt relativ kurz. Ich werde aber sicherlich in Hamburg noch mal die Gelegenheit bekommen, wäre doch gelacht.

Der gute Bert von East-Coast-Concerts hatte zwischenzeitlich übrigens ‘nen Kasten Bier springen lassen – ein verdammt feiner Zug! Auch das hatte dazu beigetragen, dass (nicht nur) ich zu SMALL TOWN RIOT gut auf Betriebstemperatur war. Timo hatte mir vorher schon die Setlist gezeigt, die 14 oder 15 Songs umfasste und die Erwartungshaltung steigerte. So ging’s dann mit „Addicted to Authority“ entspannt melodisch und leicht pop-punkig los, gefolgt von der Abrissbirne „Peer 52“, bei der ich meinen Verstand dann gegen die Wand warf und an diesem Abend auch nicht mehr wiederfinden sollte. Der Sound war gut und die Band bestens eingespielt – es wirkte fast, als sei sie nie weggewesen. Fröhlichere Songs, meist von Norman gesungen, gaben sich mit wütenden, von Timo aggressiv interpretierten Nummern die Klinke in die Hand, gespickt mit Hymnen à la „Working Class“ oder „Cheers & Goodbye“ – und zu meinem persönlichen Entzücken auch mit dem erhabenen OLIVER-ONIONS-Cover „Sphinx“ vom Bud-Spencer-&-Terence-Hill-Tribut-Sampler. Reunion 100%ig geglückt, ich im Euphorie- und Biertaumel, Bert am DJ-Pult für die Aftershow-Party, EIGHT BALLS dröhnten aus den Boxen, das Unheil nahm seinen Lauf und die Nacht lässt sich nicht mehr wirklich rekonstruieren. Ein Teil von uns sollte bei Ole pennen, Keith, Madame Flo und ich wollten mit der Bahn zurück nach Hamburg. Mit zwei Taxen samt Equipment sollten wir aber erst mal alle zusammen von der Medusa aus los. Das sorgte zumindest bei 3/5 unserer Band alkoholbedingt für hochgradige Verwirrung bis hin zu unangebrachtem Trotz, sodass der erschreckend nüchterne Don Raoulo alle Hände voll zu tun hatte, die Bande zusammenzuhalten. Ein Sack Flöhe wäre wohl einfacher zu hüten gewesen, letztlich trafen aber alle am Wunschort ein und unseren Krempel haben wir auch noch.

Fazit: Dass in Kiel nicht viel gehe, ist ein Gerücht – auch diesmal war’s ‘ne astreine Party, sogar mehr als das. Der Gig mit SMALL TOWN RIOT hat mir viel bedeutet und davon mal abgesehen sind Timo und Norman einfach zwei Typen, die miteinander Musik machen müssen – denn was dabei herauskommt, ist mehr als die Summe der Teile. Also danke an alle Beteiligten, an STR und ANGORA CLUB, an East-Coast-Concerts und das Medusa-Team, an Shitty Videos Galore fürs obige Live-Video sowie an alle Kieler Sprottinnen und Sprotten!

Ihren zweiten Reunion-Gig spielen SMALL TOWN RIOT am 18.05. im Goldenen Salon (Hamburg) und wir befinden uns Ende Mai auf Mini-Tour mit den irischen NILZ: 30.05. Sauerkrautfabrik (Harburg), 31.05. VeB (Lübeck), 01.06. Molotow (Hamburg, + OBN III’S). Sieht man sich?