architects of chaoz + 2nd sight + burning maja @bambi galore, hamburg, 20151220Seit mir jemand im zarten Alter von ca. acht Jahren das „Live at the Rainbow“-Video von IRON MAIDEN zeigte, begleitet mich die Stimme des damaligen Sängers Paul Di’Anno in meinem Leben. Mit den ersten beiden MAIDEN-Alben hat er Musikgeschichte geschrieben und zwei der besten Scheiben eingesungen, die das Genre hervorgebracht hat. Egal, was er danach gemacht hat, welche falschen (Management-)Entscheidungen vielleicht getroffen wurden, welchen Ärger er hatte und womöglich auch selbst verursacht hat etc. – das kann ihm niemand mehr nehmen. Und es war beileibe nicht alles schlecht, was Di’Anno nach IRON MAIDEN musikalisch getrieben hat: Mit BATTLEZONE hat er einige prima Songs auf dem Kerbholz, das erste KILLERS-Album kann einiges, das Live-Album zusammen mit PRAYING MANTIS ist Weltklasse („Cheated“ mit Di’Anno am Gesang!) und eine Soloscheibe wie „Nomad“ müssen andere erst einmal hinbekommen. Seine mit Songs seiner anderen Projekte angereicherten IRON-MAIDEN-Livesets, mit denen er viele Jahre um die Welt tingelte, wiesen großen Unterhaltungswert auf, wie einige Live-DVDs und -CDs belegen, sollen in qualitativer Hinsicht aber geschwankt haben und stark von der jeweiligen Tagesform abhängig gewesen sein. Leider war es mir nie vergönnt, einem dieser Gigs persönlich beizuwohnen. Im Herbst letzten Jahres wiederum dürfte es gewesen sein, dass ich von seinem neuen Projekt hörte, den ARCHITECTS OF CHAOZ mit deutschen Musikern, die ihm zuvor bereits als PHANTOMZ für seine MAIDEN-and-more-Shows zur Seite standen. Deren Teilnahme am diesjährigen Rock-Hard-Festival war dann einer der ausschlaggebenden Punkte für mich, mir ein Festivalticket zuzulegen. Welch weise Entscheidung das war, bewies deren Auftritt, denn die Songs hatten Klasse und zündeten sofort. Das Album „The League of Shadows“ zählt für mich neben der neuen MAIDEN-3LP zu den Höhepunkten des Jahres. Nun also kamen die Architekten auch nach Hamburg, um genau zu sein beendeten sie ihre Tour hier, und zwar dankenswerterweise im besten Metal-Laden der Stadt, der atmosphärischen und intimen Bambi Galore. Da gab’s gar keine andere Option, als hinzugehen! Sonderlich eilig hatte ich es allerdings nicht, denn die beiden Vorbands sagten mir gar nichts. Ich tat jedoch gut daran, trotzdem pünktlich zu erscheinen, denn BIENE BURNING MAJA aus der Eifel, deren eigene Vokabelschöpfung Heavy Hardrock’n’Roll wie Arsch auf Eimer passt, hatten zwar mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen – Drummer verhindert, Bassgurt gerissen –, doch der Ersatzdrummer (im DIMPLE-MINDS-Shirt) machte seine Sache verdammt gut, der Gurt wurde vom AoC-Kollegen schnell behelfsmäßig, aber wirksam geflickt und so stand einem guten Gig nichts mehr im Wege. Besonders dem zu 200 % motivierten Basser und Bandsprecher quoll das Adrenalin aus allen Poren und nach jedem Song freute er sich aufrichtig und auf ansteckende Weise, an diesem Abend in Hamburg spielen zu können. Auf die Ohren gab’s statt vom mir befürchtetem altbackenen, schnarchnasigen Hardrock ordentlich arschtretende Songs, die gute Laune verbreiteten und von denjenigen, die bereits den Weg ins Bambi gefunden hatten, gut auf- und angenommen wurden. Der Sänger hat ’ne klasse Stimme und kann auch gut mal die Töne länger halten, die Gitarrenfraktion sorgt für Melodien, die geschmeidig ins Ohr gehen und der Bassist flitzt über die vier Saiten, als würde er nach Anschlägen pro Minute bezahlt. Der absolute Kracher aber war dann die musikalisch kräftig aufpolierte WESTERNHAGEN-Coverversion „Mit 18“, gesungen von besagtem Bassisten. Grandios! Meine Begleiterin hat sich gleich ’ne CD mitgenommen, hört gern selbst mal bei Soundcloud rein. Ein gelungener Auftakt, mit dem sich die Band Sympathien erspielt haben dürfte.

Weitaus weniger anfangen konnte ich dann mit der lokalen zweiten Band 2ND SIGHT, was jedoch hauptsächlich an mir liegen dürfte, denn mit diesem Sound irgendwo zwischen Epic Power Metal, US-Metal und Angeproggt-Vertracktem à la FATES WARNING werde ich allgemein nicht warm. Für ihr Metier allerdings dürfte das doch ziemlich gut gewesen sein; am Gesangsmikro ein kleiner Mann mit großer Stimme, der den genretypisch hohen Kopfgesang mühelos beherrscht und seine Performance leicht theatralisch mit viel Gestik unterstreicht. Der Sound war perfekt und die Band hatte einige Fans vor der Bühne versammelt, die sie gut unterstützten und abfeierten. Abgefeiert habe ich dann auch, als 2ND SIGHT unvermittelt den „Saber Rider And The Star Sheriffs“-Titelsong spielten und herrlich trocken und ironiefrei darboten, als wäre das selbstverständlich. Damit kriegten sie natürlich auch mich. Beim nächsten Mal bitte „He-Man and the Masters of the Universe“ gleich hinterher 😉

Nach einer letzten Umbaupause mit schnellem Soundcheck („Ist der Sound gut? Ok, dann sind wir inner Dreiviertelstunde wieder da! We are Motörhead and we play Rock’n’Roll!“) war es dann an der Zeit für die ARCHITECTS OF CHAOZ um den Mann, dessen musikalische Relevanz schon so häufig in Abrede, dessen Karriere so oft totgesagt wurde – reichlich vorschnell, denn Totgesagte leben bekanntlich länger. Klar, es tut weh, den alten Haudegen an den Rollstuhl gefesselt und noch immer unter Knieschmerzen leidend zu sehen. Kurz vor der Show sagte er, er wäre nach der Tour ziemlich durch und seine Stimme würde wohl eher nach „Alvin und den Chipmunks“ klingen, doch nachdem man ihn auf die Bühne gehievt hatte, war wie auf Knopfdruck alles da! Diese wahnsinnig markante Stimme, die wie Donnerhall die Erde beben und die Wände zittern lässt, die kehlig growlt, aggressiv zetert, bluesig und mit Vibrato singt, die Töne hält und in fiese Höhen vordringt, falsettig kreischt und es vor allem versteht, mittels dieses Umfangs seinen Texten Bedeutung, Ausdruck und Pathos zu verleihen. Bis auf etwas Delay hatte er anscheinend nichts auf seinem Mikro und scheinbar problemlos das komplette Set durchgezogen (lediglich den guten alten „Marshall Lockjaw“ hat er auf der Setliste leider übersprungen). Direkt mit dem Opener „Erase the World“ hat man sämtliche Möbel im näheren Umkreis geradegerückt und sofort war vergessen, dass da ein fuß- (bzw. knie-)lahmer älterer Mann vor einem sitzt – mit seiner durch Mark und Bein gehenden Gesangsleistung war er ganz der Di’Anno-Paule, wie man ihn kennt und liebt. Solange er am Ende einer Tour noch eine solche Leistung abzurufen in der Lage ist, wäre es tatsächlich eine Schande, würde er das Live-Musiker-Dasein aufgeben. Davon ist jedoch überhaupt keine Rede mehr, viel zu hochwertig ist das Songmaterial – meines Erachtens das Beste, was Paul seit MAIDEN gemacht hat. Songs wie „Erase the World“, „How Many Times“, „When Murder Comes to Town“ oder „Dead Eyes“ sind 1A-Ohrwürmer, der Stil ist allürenfreier, komplett unpeinlicher und schnörkelloser No-Bullshit-Metal, dessen Spektrum von der melancholischen Ballade über Riff- und Melodiemonster bis hin zu Speed-Metal-Abrissbirnen reicht. Das Gitarrenduo Andy und Joey lässt keine Wünsche offen und die Rhythmusfraktion zimmert mehr als nur das Fundament, wenn Gonzo am Tieftöner den Teppich ausrollt und Dom sein Drumkit nach allen Regeln der Schlagwerkerkunst verdrischt. Angereichert wurde das Set mit dem ALEX-HARVEY-Cover „The Faith Healer“ aus alten KILLERS-Tagen, das ich noch nie so gut (und eigen) wie an diesem Abend gehört habe, „A Song for You“, das ebenfalls aus der KILLERS-Ära stammt und dem BATTLEZONE-Klassiker „Children of Madness“ vom gleichnamigen Album, das für Paul nach wie vor von großer Bedeutung zu sein scheint. Die obligatorischen MAIDEN-Songs „Killers“ und „Phantom of the Opera“ sorgten dann zum Ende noch mal für kollektiven Wahnsinn in einer ohnehin schon rauschartigen, aufgepeitschten Atmosphäre. Die Band mit ihren jungen, hungrigen Musikern wirkt wie eine Frischzellenkur für Paul auf mich; die Energie, die da von der Bühne kam, übertrug sich auf den für einen Sonntagabend amtlich gefüllten Club und animierte zum Headbangen, Fäusterecken, Mitgrölen. Wenn nicht gerade das Getränk alle war oder die Blase drückte, bekam mich nichts aus der ersten Reihe weg. Der Sound war perfekt, klar, drückend und laut; die Pausen zwischen den Songs nutzte Paul für Konversation mit dem Publikum, gern schnoddrig, frech, augenzwinkernd und reagierte schlagfertig auf Zwischenrufe. Von der „One Man Army“ und „Roadcrew“ namens Macke ließ er sich mit „Medicine“, Bierchen und ’ner Kippe versorgen und lobte den Mann in den höchsten Tönen. Fragwürdiges Austeilen gegen seine Ex-Band o.ä. verkniff er sich hingegen. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das war ein großartiger, erinnerungswürdiger Gig!

Eigentlich hatte ich vor, mir die AoC-LP an diesem Abend zu kaufen, doch als ich im Vorfeld in weiser Voraussicht gefragt hatte, ob man Vinyl mitbringen würde, eröffnete man mir, dass dieses bei der Band bereits ausverkauft sei! Leicht panisch orderte ich das gute Stück übers Internet, das inzwischen auch angekommen ist, aber es nicht mehr rechtzeitig zum Konzert zu mir geschafft hatte. Dort allerdings gab’s ein schönes Sammler- und Erinnerungsstück in Form einer auf gerade mal 200 Exemplare limitierten Split-CD mit PERZONAL WAR anlässlich der gemeinsamen Tour (auch wenn diese an diesem Abend gar nicht spielten), die u.a. den bisher anscheinend nur online veröffentlichten Song „Je suis Charlie“ und ’ne gemeinsame JUDAS-PRIEST-Coverversion von „United“ enthält und in dekorativer Blechbüchse daherkommt. Schönes Teil zum fairen Kurs, das natürlich eingesackt wurde. Als alter Punkrocker hab’ ich mir nie viel aus Autogrammen gemacht, doch mit dieser Tradition brach ich an diesem Abend und ließ mir ein paar Stücke aus meiner Sammlung, u.a. altes Maiden-Vinyl, nach der Show von Paul signieren und gegen ein gemeinsames Foto hatte er auch nichts einzuwenden. Meine Begleiterin ließ unterdessen die erwähnte Tour-CD von allen Chaoz-Architekten bekritzeln. Danke an alle und es wäre glatt gelogen, würde ich behaupten, dass mir das kurze Treffen mit dem alten Recken vom „Live at the Rainbow“-Video nichts bedeutet hätte… Der Abend hat mich doch ziemlich geflasht und ich ziehe meinen Hut vor Paul und seinen Bandkollegen. Ich bin mir sicher, dass wenn man dieses Qualitätslevel halten kann, man schon beim nächsten Hamburg-Abstecher einen größeren Laden wird beehren müssen und wünsche viel Durchhaltevermögen, Inspiration und den verdienten Erfolg. Noch viel mehr wünsche ich aber Paul alles Gute und dass seine Knie endlich wieder in Ordnung kommen! Get well soon, Paul, and have a Rock’n’Roll Christmas!

Hier gibt’s noch einen ganz Arsch voll großartiger Fotos von Andreas’ Konzertfotografie, dessen ARCHITECTS-OF-CHAOZ-Fotos ich freundlicherweise verwenden darf (sind also alle von ihm) – danke!