Endlich hatte es geklappt und die Hamburger Oi!-Punk-Hoffnung IN VINO VERITAS sollte im Skorbut auftreten, als zweite Band hatte man uns mit BOLANOW BRAWL auserkoren – einer zünftigen Party sollte also nichts mehr im Wege stehen: Außer der Alkohol, wie sich herausstellen sollte. Doch der Reihe nach: Bereits morgens fanden wir uns bei Andy Unemployed ein, um unsere Studioaufnahmen fortzusetzen. Bereits da hatte manch einer zu Blech- und Glaskannen alkoholhaltigen Inhalts gegriffen, trotzdem lief bis hierhin noch alles ok – wenn sich auch das punktgenaue Einspielen mehrerer Gitarren als eine gewisse Herausforderung herausgestellt hatte. Mehr oder weniger pünktlich fand man sich am frühen Abend im Skorbut ein, um alles aufzubauen und vorzubereiten. Das eine oder andere Bierchen war dabei und vom wie üblich eigens für den Gig besorgten Bolanow wurde ebenfalls genascht. Gegen 22:00 Uhr war der Laden für ein Konzert zweier Nachwuchsbands mehr als ordentlich gefüllt und IN VINO VERITAS, die sich nicht hatten lumpen lassen und gratis ihre neue Demo-CD samt Button und Aufkleber verteilten, legten den bis dato besten Gig aufs Parkett, den ich bisher von ihnen gesehen hatte. Das Publikum schien zu diesem Zeitpunkt bereits ungewöhnlich stark alkoholisiert, was jedoch erfreulicherweise dazu führte, dass sich eine euphorische Stimmung entwickelte und manch einer begeistert das Tanzbein zu den rauen Klängen der räudigen Hamburger schwang. Der Auftritt schien völlig pannenfrei abzulaufen und die gute Stimmung schlug sich auf die Band nieder – Frontmann Laddes Beleidigungen des Publikums gehören zum Konzept und „guten Ton“ –, man spielte sich förmlich in einen Rausch und setzte immer noch einen drauf. Sehr amtlich, Jungs, Prospekt! Dann kamen wir an die Reihe… ein Bierchen hatten meine Mitstreiter quasi ständig in der Hand und die beiden Bolanow-Buddeln wiesen mittlerweile eine bedrohlich niedrige Füllhöhe auf. Dass diese eigentlich dazu gedacht waren, sie während des Auftritts ins Publikum zu reichen, war anscheinend völlig in Vergessenheit geraten. Da man spätestens um Punkt Mitternacht Schluss mit Livemucke machen musste, brach Hektik aus. Zunächst rannten alle durcheinander, fanden sich dann nach und nach auf der Bühne ein; ein kurzer Soundcheck der Gitarren wurde absolviert und direkt zum Angriff geblasen. Es kam, wie es kommen musste: Mit Beginn des ersten Songs der unvernünftigerweise kurz vorm Konzert umgeschriebenen Setlist waren furchtbare Rückkopplungen auf der Bühne lauter als unser Sound. Abbruch, hier und da rumdrehen und nachjustieren und noch mal von vorn. Doch mit Einsatz meines Gesangs blieb dieser unhörbar, denn es gab massive Probleme mit den Mikros. Meines war schlichtweg aus, es wurden chaotisch Kabel und Mikros durchgetauscht, doch ohne Erfolg: Auch beim dritten Anlauf blieb ich stumm, obwohl ich mir die Kehle aus dem Leib grölte. Doch nach ein paar Versen wurde anscheinend endlich das Problem lokalisiert und war ich zu hören. Zu hören war auch die Leadgitarre bzw. das, was von ihr übrig war, und das war nicht viel: Im Endeffekt war sie ein alkoholbedingter Totalausfall, gegen den es auch nicht half, dass Gitarrero Ole sich nach jedem Song eine Nachstimmpause erbat. So etwas wie ein „Flow“ blieb völlig aus, doch den mittlerweile ebenfalls gnadenlos besoffenen Mob vor der Bühne interessierte das herzlich wenig, fleißig wurde getanzt, doch nicht nur das: Warum auch immer hatte man diverse Blumenvasen samt floristischer Inhalte in der Kellerpinte positioniert, mit der Folge, dass uns die Blumen um die Ohren flogen wie auf einem Klischee-Hippie-Konzert. Die Erste-Reihe-Tanzbären Kai (DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS) und Holli (HAMBURGER ABSCHAUM) entpuppten sich zudem als penetrante Groupies, die keine Gelegenheit ausließen, mich zu befummeln. Vom ganzen Kabelwirrwarr auf der besonders als Fünf-Mann-Kombo verdammt engen Bühne waren etliche offene Bierflaschen umgekippt und ergossen sich in riesigen Bier-Matsch-Dreck-Lachen auf den Brettern und im allgemeinen Chaos versuchte ich tapfer, mich auf die Texte zu konzentrieren und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Zwischen den Songs schien sich das Chaos stets zu vergrößern, zwischendurch war Oles Gitarre ausgegangen und ich musste ihm helfen, sie wieder einzuschalten, während munter durcheinandergeplappert wurde und beinahe jeder längst eine Art Tunnelblick eingenommen zu haben schien, der verhinderte, die völlig aus den Fugen geratene Gesamtsituation als solche zu begreifen. Locker drei Fünftel der Band waren betrunkener, als es noch vertretbar gewesen wäre; auch mich verließ es irgendwann und eine Strophe von „All I Have To Give“ wurde zu einem simplen „La la la…“. Der Bühnensound war längst so verquer, dass man kaum noch etwas differenziert heraushören konnte und eigentlich hätte nur noch gefehlt, dass jemand ins Equipment stürzt und sich die Knochen bricht oder die Technik zerstört – soundmäßig hätte es vermutlich keinen Unterschied mehr gemacht. Ich war heilfroh, als ich diese zwar Bolanow-authentische, jedoch sämtliche Ironie des Bandnamens vermissen lassende Farce hinter mir hatte und wir schlichen ohne Zugabe von der Bühne. Das war unser schlechtester Gig ever, peinlich und daneben, aber wir haben draus gelernt, den einen oder anderen guten Vorsatz für die Zukunft gefasst und hoffen, dass man uns das nicht zu lange nachtragen wird. Teile des Publikums jedenfalls ganz bestimmt nicht, denn unglaublicherweise gab es im Anschluss tatsächlich nicht wenige Stimmen, die uns völlig ernstgemeint zu einem geilen Auftritt beglückwünschten… Ok, so einen Schlamassel legt wahrscheinlich jede Band irgendwann mal hin und ich bin froh, dass wir unseren nun hinter uns haben und in Zukunft beweisen können, dass das ein historisches, weil einzigartiges, einmaliges Ereignis war. 😉
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