Udo Dirkschneider, „der kreischende Tarnanzug“, gastierte im Rahmen der Tour zum neuen Album „Touchdown“ in der Markthalle. Ich bin ja Fan der klassischen ACCEPT-Alben mit Udo am Mikro seit seligen Kindheitstagen, hatte aber nie die Gelegenheit, die Band in dieser Konstellation live zu sehen. Ein richtiger Fan seines Soloprojekts, mit dem er es mittlerweile auf sage und schreibe 19 Studioalben bringt, war ich hingegen nie so ganz, wenngleich das Debüt ein Knaller war und sich auch auf den Folgealben manch Hit findet, der in meinen Playlists gelandet ist. Nebenbei hat der umtriebige Mann auch noch weitere Projekte laufen – da lebt jemand ganz für die Musik, und das in Vollzeit. Den Tarnanzug hat er schon lange abgelegt, seine charakteristische Reibeisenstimme hingegen nicht.
Dass auf einem Mittwochabend die Show bereits lange vorher ausverkauft sein würde, hat mich dann aber doch überrascht. Also bin ich auf gut Glück nach Feierabend einfach mal hin. Die Schlange am Einlass staute sich fast bis zur Kreuzung, jeweils flankiert von Leuten, die ebenfalls Karten suchte. Als ich vom anderen der Ende der Schlange bereits wieder auf dem Rückweg war, vernahm ich ein „Braucht noch jemand ‘ne Karte?“ aus der Menge und ich traute meinen Ohren kaum. Ich rief: „Brauchen? Oder Suchen?“ – „Brauchen!“, schallte es zurück, und der Verkäufer stand sofort direkt vor mir. Sein Kumpel sei leider krankgeworden, daher habe er eine Karte über. Würde er mir für ‘nen Zwanni überlassen. Bei einem ursprünglichen Preis von 40 Öcken! Da er nicht anders auf meinen Schein herausgeben konnte, wurden zwar noch 25,- daraus, ich habe mich aber natürlich trotzdem tierisch gefreut – danke noch mal!
Also auf in die volle Bude und erst mal der Vorband lauschen: PRIMAL FEAR aus BaWü, liebevoll „die Primeln“ genannt, seit Ende der 1990er am Start. Gegründet wurde die Band von Mat Sinner (SINNER) und Ralf Scheepers, der zuvor bei TYRAN‘ PACE (kenne ihn als Sänger daher ebenso wie Udo im Prinzip seit meiner Kindheit) und GAMMA RAY gesungen hatte. Es heißt, er habe GAMMA RAY verlassen, um bei JUDAS PRIEST vorzusingen, die damals nach Rob Halfords Ausstieg auf Sängersuche waren. Das eigentlich Kuriose daran ist, dass er nicht genommen wurde, denn der Mann mit der Schiffschaukelbremserstatur kommt Halfords Gesangsstil doch ziemlich nah und beherrscht auch die höchsten Kopftöne spielerisch. Wie auch immer, ‘90er-Jahre-Power-Metal ist nicht mein Ding und sonderlich intensiv beschäftigt habe ich mich mit PRIMAL FEAR bisher nicht. Aufhorchen lassen hatte mich aber das vorletzte Album „Metal Commando“ aus dem Pandemie-Jahr 2020, das eine ganze Reihe starker Songs aufweist, wie sie auch mir gefallen. Leider ist Mat Sinner von seiner schweren Erkrankung offenbar noch nicht wieder so weit genesen, dass er zu touren in der Lage wäre, sodass er live am Bass ersetzt wird. Der Sound war zunächst mies – vermutlich der im Gegensatz zum Soundcheck vollen Halle geschuldet –, wurde aber bald besser. Als Opener peitschte man den dreisten JUDAS-PRIEST-Rip-Off „Chainbreaker“ durch, der immerhin ordentlich Dampf machte. Im weiteren Verlauf war mir das dann ehrlich gesagt zu viel Teutonen-Stampf-Metal zum Mitklatschen – wozu die Band auch immer wieder animierte. Scheepers hatte ‘ne Extraportion Hall- und Echoeffekte auf seinem Gesang, lieferte aber – wie die gesamte Band – souverän ab. Von meinen persönlichen Hits des „Metal Commando“-Albums wurde leider gar nichts gespielt, und „Another Hero“ von der aktuellen Langrille mag ich trotz gelungener Gesangsmelodie nicht mitsingen, denn wenn nach einem Erlöser verlangt wird, der uns den Weg aus dem Chaos weist, schaudert’s mich. Nach ca. 75 Minuten war dann Schluss, ohne dass ich zum Fan mutiert wäre.
Aber ich war ja wegen U.D.O. hier! Udo konnte seine Band jüngst um seinen alten ACCEPT-Kollegen Peter Baltes, einen weiteren Helden meiner frühen Metal-Sozialisation, verstärken, und der ist unlängst in einen Jungbrunnen gefallen – der Mann altert einfach nicht. Der Rest der Band ist deutlich jünger. Udos Sohnemann Sven an der Schießbude ist ein richtig geiler Drummer geworden, der zudem permanent die Stöcke hochwirft oder zwischen den Fingern wirbelt. Die beiden Gitarristen sahen in ihren Outfits und mit ihren Frisuren zwar etwas gewöhnungsbedürftig aus, waren spielerisch aber über jeden Zweifel erhaben und wurden für ihre auch mal ausgedehnteren Soli stets nach vorn in die Bühnenmitte gelassen, während Udo sich zurückzog, um ihnen die Show zu überlassen. Die Lightshow tauchte die Bühne immer mal wieder in das kühle Blau vom Artwork des aktuellen „Touchdown“-Albums, was schon schnieke aussah. Und die Mucke? Klang, ähnlich wie bei der Vorgruppe, beim ersten Song „Isolation Man“ noch gar nicht mal so gut, wurde aber schnell nachgeregelt. Von „Touchdown“ schafften es noch drei weitere Nummern ins Set, wobei der Titelsong sich auch live als veritable Abrissbirne entpuppte. Mit „Animal House“, dem balladesken „In The Darkness“ und „They Want War” waren drei Stücke des von mir favorisierten Debüts vertreten. Insgesamt fanden 20 Songs von 14 Alben Berücksichtigung, darunter als letzte Zugabe QUEENs „We Will Rock You“, das Udo für seine Solo-Scheibe gecovert hatte, in einer Mischung aus der schnellen und der populäreren Version. Von meinen persönlichen U.D.O.-Hits fand sich insgesamt eher wenig, dafür habe ich aber zum Beispiel „Pain“ durch die Live-Darbietung für mich entdeckt. Und dass man keine ACCEPT-Songs mehr live spielen würde, hat man offenbar ernstgemeint. Geht für mich klar, über ein „Balls to the Wall“ hätte ich mich aber trotzdem nicht beschwert. Alles in allem war’s eine schöne Erfahrung, olle Udo sogar zusammen mit Peter mal live zu sehen – und das begeisterte, nicht nur Refrains, sondern auch die eine oder andere Melodie von Udo dirigiert mitsingende und altersmäßig gut durchmischte Publikum dürfte es ähnlichgesehen und -gehört haben.
Ach, und da ich bei der Sause mit vier lokalen Underground-Bands im Bambi am Wochenende zuvor gesundheitsbedingt passen musste, war das dann tatsächlich mein erstes Konzert des noch jungen Jahres…
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