It’s in your head, Zombie! – Der verzweifelte Versuch einer Retrospektive ohne Notizen oder lückenlose Erinnerungen
Das zweitägige War-In-Your-Head-Festival ging in die vierte Runde und erstmals war ich mit von der Partie. Das zweitägige D.I.Y.-Festival wird komplett ehrenamtlich von einem Zusammenschluss der Konzertgruppen „Punkbar“ und „Beyond Borders“ organisiert und da die Renovierung der zweiten Konzert-Location nicht rechtzeitig abgeschlossen werden konnte, verlegte man die zweite Bühne kurzerhand in den (dann doch etwas intimeren) Keller der Fabrique, was viel Hin-und-Her-Rennerei ersparte. Zunächst galt es aber, überhaupt hineinzukommen. Im Internet hatte ich etwas von 18:00 und 19:00 Uhr gelesen und dass man ja pünktlich sein solle, da sonst die Gefahr bestünde, dass das Eintrittskontingent bereits erschöpft sei. Da Murphy’s Law besagt, dass bei verspätetem Eintreffen wegen Überfüllung geschlossen ist, man, findet man sich pünktlich wie die Maurer ein, jedoch besser leichte Lektüre wie „Krieg und Frieden“ oder „Das Kapital“ mitnimmt, um die Wartezeit totzuschlagen, entschied ich mich fürs kleinere Übel und tauschte kurz vor 1900 Nachkriegszeit einen frisch gebügelten Zehner gegen ein giftgrünes Eintrittsbändchen, das mir in diesem Moment herzlich wenig half: Organisatoren, Helfer und Helfershelfer liefen nicht unbedingt tiefenentspannt durch Gebäude und das Drumherum, während für Normalsterbliche die streng bewachte Pforte verschlossen blieb. Ok, ich wollte ohnehin erst mal Dinieren und wich dem mit seiner Beschränkung auf Pommes Frites etwas mauen Essenangebot (das ist jetzt Jammern auf hohem Niveau 😉 ) zu Domino’s aus, die einem für ‘nen Fünfer ‘ne okaye Pizza ohne Extrawürste zubereiten, die den Wanst füllt. Hinuntergeschlungen werden musste diese allerdings ohne Kaltgetränk, da besagte Pforte auch den Zugang zum Tresen verwehrte. Draußen waren zwar ein Cocktail- und ein Schnapsstand aufgebaut worden, Bier gab’s allerdings lediglich in den Krallen diversen bereits sturztrunken aufschlagenden Jungvolks. Nun hätte ich mich locker jener beiden Stände bedienen und mich in Windeseile selbst in jenen Zustand befördern können, doch so sehr ich für bescheuerte Ideen zu haben bin, so skrupelbehaftet war ich noch. Und eines war sicher: Früher oder später würde ich sie ohnehin einholen.
Das Bombenwetter jedenfalls ließ einen problemlos draußen ausharren, bis es endlich die Stufen hinunter in den düsteren Keller ging, wo um ca. 20:20 Uhr STATIC MEANS eröffneten und damit die kolportierte Reihenfolge ad absurdum führten. Die Leipziger spielten englischsprachigen Post-Punk mit Keyboarderin und Sängerin in Personalunion, der eigentlich nicht so meine Mucke ist, live mit aufgekratzter, Grimassen schneidender und entfesselt zu ihrer eigenen Darbietung tanzender Frontfrau jedoch so viel Energie und Lebenswut transportierte, dass es eine Freude war, dem beizuwohnen – wenn sich auch pünktlich zum Konzertbeginn der erste Punk in einer Wandeinbuchtung neben der Bühne schlafenlegte. Reinhören unter https://staticmeans.bandcamp.com/.
Die Treppen in den großen Saal hochgehastet, wurde man Zeuge, wie MOPED aus Betzdorf so was wie schweinerockigen Punk’n’Roll zockten und durchaus einige Interessierte versammelten, die in der großen Bude jedoch noch etwas verloren aussahen. Die spielfreudige Band ließ sich von ein, zwei Leuten frenetisch abfeiern (mitgereiste Bandkumpanen? 😉 ), der Bassist unternahm Ausflüge ins Publikum und zeitweise wurde vor der Bühne mehr fotografiert und gefilmt als getanzt. Wenn’s auch nicht 100%ig meine Cup of Pee ist, hat die Band das sehr souverän geschultert und den Energiekick nahm ich gerne mit, zumal der Sound schön knackig durch die P.A. schallte. Hatte sich da eigentlich eine „Alcohol“-Coverversion (GANG GREEN) eingeschlichen? Das gibt auf jeden Fall Pluspunkte. Reinhören unter https://moped-wwhc.bandcamp.com/.
Zurück im Keller war man noch mit dem Soundcheck beschäftigt und man merkte den Bremern NEUROTIC EXISTENCE an, dass sie gesteigerten Wert auf guten Sound, insbesondere auf der Bühne, legten. Als sie schließlich zufrieden waren und loslegten, wurde auch klar, warum: Bei zwei Gitarren und abwechselndem Gesang wird Monitormatsch vermutlich schnell zur Hölle. Den Gesang teilten sich ein männlicher Shouter und Szene-Urgestein Tati (ex-LOST WORLD, ex-APOKALIPSTIX) und unerfahren dürfte in dieser noch recht frischen Band niemand sein, dafür klang das viel zu – im positiven Sinne – abgewichst. Ich war ja nie der große Crust-Punk-Experte und früher (von einigen Ausnahmen abgesehen) regelrecht gelangweilt von diesem Stil, doch dass die Band dort ihre Wurzeln hat, ist unschwer zu erkennen. Statt monotonem Geballer und Gekeife oder ödem Gedröhne gab’s aber klar strukturierte, durchdachte und -arrangierte Songs auf die Löffel, mit vielen molligen Gitarren-Leads in drückender, düsterer, desillusionierter Atmosphäre – immer wieder schön, wenn Bands sich darauf besinnen, dass es dafür weder Post-Punk noch Kiffer-Doom braucht. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster, indem ich den NEUROTIC-EXISTENCE-Sound als „Post-Crust“ bezeichne und habe noch in wohliger Erinnerung, wie die Masse erstmals so richtig in Wallung kam und sich ein kleiner, aber sehr feiner Pogo-Mob vor der Bühne bildete, an dem ich mich zumindest zeitweise beteiligte. Dass es in dem schummrigen Loch und unter ständigem Angerempeltwerden extrem schwierig wurde, halbwegs brauchbare Fotos zu knipsen, liegt in der Natur der Sache… Nur wenige Tage vorm Gig hat die Band anscheinend ihr erstes Album „Insane“ veröffentlicht, das hier komplett gehört werden kann: https://neuroticexistencepunx.bandcamp.com/
Treppe wieder rauf, durch die Tür gezwängt und direkt feinste Klänge vernommen: Die Marburger MIRROR MONKEYS waren bereits in ihr Set eingestiegen und zockten US-beeinflussten, melodischen, höchst energischen Punkrock/Streetpunk mit kräftigen Chören und Singalong-Refrains, der so richtig schön Arsch trat und bei besten Soundverhältnissen sofort ins Blut ging wie Dextro Energen. Die Songs zündeten unmittelbar, die Refrains ließen sich oft nach einem Durchlauf sicher mitbrüllen und mit der Kraft von zwei Gitarren folgte ein Hit auf den nächsten. „I wanna get hurt, I wanna get drunk…“ – all killers, no fillers! Ein echtes Original scheint mir vor allem der Sänger zu sein. Der Typ sieht aus wie ein Fachinformatiker, wird auf der Bühne aber zum Tier und liefert ’ne Wahnsinnsshow! Ich schaltete folglich in den Pogo- und Abfeier-Modus und war damit im mittlerweile gut gefüllten Saal nicht allein. Die MIRROR MONKEYS mussten noch ’ne Zugabe spielen und dürften viele positiv überrascht haben. Für mich neben NEUROTIC EXISTENCE die Gewinner des Abends, obwohl beide Bands eigentlich unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Songs des selbstbetitelten Albums kann man sich unter https://mirrormonkeys.bandcamp.com/ reinfahren, aber live ist das Ganze noch mal um einiges geiler!
Zeit zum Verschnaufen blieb im Anschluss kaum, denn DISCONFECT aus Bremen luden in den Keller. Man hat sich, der Name lässt es bereits erahnen, dem D-Beat verschrieben, jenem seinerzeit von DISCHARGE kreierten HC-Punk-Stil also, mit dem das ja immer so’ne Sache ist: So sehr ich DISCHARGE auch mag, so überflüssig finde ich viele ihrer Nachahmer. Allerdings weiß ich nicht, wann ich überhaupt zuletzt klassischen D-Beat live gehört hatte, und DISCONFECT konnten mit zwei Besonderheiten punkten, die sie aus der Masse der D-Beatles heraushebt: Zum einen wäre da der Shouter, der sich nicht stumpf durchs Set brüllt, sondern mit seinem Corpsepaint in der Visage dem Affen ordentlich Zucker gibt und hyperaktiv vor der Bühne herumtollt, zum anderen gibt es da den Gitarristen, der mit seinen Frontmann kontrastierenden geschrieenen Einzeilern unter Zuhilfenahme ’ner ordentlichen Portion Hall für Wiedererkennungseffekt und apokalyptische Atmosphäre sorgt. So war der Gig dann doch ziemlich geil, zumal auch hier der enge Keller mit mittlerweile vielen verschwitzten, nicht mehr ganz nüchternen Menschen das exakt passende Ambiente bot. Gecovert wurde der Klassiker „Fight Back!“ der großen Vorbilder, nur die Lautstärke des Shouters bekam man leider nie so ganz eingepegelt. Nachdem er anfänglich arg leise war, wurd’s mit der Zeit aber immer besser. Schönes Ding, das es auch bei Bandcamp gibt: https://disconfect.bandcamp.com/
Besonders gespannt war ich auf die Braunschweiger MORIBUND SCUM, nachdem ich Sänger/Gitarrero Rosi auf dem letztjährigen Hafengeburtstag kennengelernt hatte. Seine Band kannte ich bisher lediglich von zahlreichen Aufklebern auf dem Lobusch-Klo und war ganz überrascht, als er mir seine Kapelle nannte – für einen Crust-Sänger erfüllte er nämlich so ziemlich genau null Klischees, stattdessen konnte man sich mit ihm prima über TOTO und JOURNEY unterhalten, als wir schön angeschallert in Small-Town-Timos Bude mit ’ner gemeinsamen Bekannten bei ’nem Beutel Absackerbier herumsaßen. Nun auf der großen Fabrique-Bühne konnte ich mir ein musikalisches Bild seiner Band machen (auf die Idee, vorher mal irgendwo reinzuhören, war ich natürlich nicht gekommen). Und, alter Vatter, die Jungs können spielen! Als Crust würde ich das nicht unbedingt einordnen, eher als ’nen groben Bastard aus Death- und Thrash-Metal sowie Metal-Punk, durchaus technisch und kalkuliert, dabei trotzdem räudig, unprätentiös evil und den Metaller in mir weckend. Hatte ich in dieser Qualität wirklich nicht erwartet, wobei einmal mehr der differenzierte, druckvolle Soundmix das Optimum aus der Band herausholte. Könnten auch locker mal mit musikalisch halbwegs passenden Underground-Metal-Bands in der Bambi Galore zocken. Grüße an Rosi an dieser Stelle, wenn wir musikdiskussionstechnisch diesmal auch nicht unbedingt auf einen Nenner kamen, haha (aber das war auch an Tag 2) … Vorher reinhören hätte ich hier können: https://moribundscum.bandcamp.com/
Nie reingehört hatte ich auch in BLATOIDEA. Die Londoner Chaos-Punks und CASUALTIES-Lookalikes sind seit 2008 aktiv, hatten jedoch lange Zeit mit ihrem Drummer ziemliche Kacke am dampfen, worauf ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte – darüber wurde woanders genug geschrieben und verständlicherweise überschattete das das musikalische Œuvre der Band. Neuer Drummer, neues Glück und ein Engagement als Headliner des ersten Festivalabends. Dieser ganze Spike- und Iro-Stylo-Krempel, wo der Scheitel nicht mit dem Vorschlaghammer, sondern mit der Wasserwaage gezogen wird, beeindruckt mich schon lange nicht mehr, aber was zählt, ist natürlich die Mucke. Diesbzgl. ließen die Briten wenig anbrennen und spielten sichtlich angetan von der imposanten Kulisse vor der großen Bühne einen sehr fitten Chaos-/Street-/HC-Punk-Stiefel, wie er einfach Spaß macht. Die Stimmung war ausgelassen und freundschaftlich; die Zeiten, in denen solche Bands profilierungssüchtige Nietenkaiser in Massen anziehen, scheinen vorbei, stattdessen feierten fast alle zusammen diesen gediegenen Abschluss des ersten Tags. Ich muss zugeben, mich bei mittlerweile Band Nummer 7 nicht mehr an Details erinnern zu können. Die Songs dürften etwas weniger dreckig als beispielsweise die der natürlich immer wieder gern als Vergleich herangezogenen CASUALTIES sein, dafür hier und da riffbetonter, vielleicht leicht thrashig. Werde ich bei Gelegenheit mal nachhören, möglich ist’s unter https://blatoidea.bandcamp.com/.
Nachdem ich mich nun fast permanent im Inneren aufgehalten hatte, dürstete es mich nach, klar, Bier, aber auch Freiheit und Luft und war ich wie so oft eher angestachelt denn ermattet, also ging’s mit einigen Leuten weiter ins Onkel Otto und als das schloss, sogar noch in den Park Fiction. Mit diversem Punkvolk trank ich Bier auf der Wiese, hörte D-Punk-Klassiker aus dem Ghettoblaster (oder der „Soundbar“ oder was auch immer), laberte über Gott und die Welt (woran ich mich natürlich null erinnern kann), fühlte mich wie Anfang 20 und genoss den Sonnenaufgang, ohne zu ahnen, dass es der heißeste Tag des Jahres werden sollte. An Ort und stellte pennte ich irgendwann ein und erwachte mit ’nem fiesen Sonnenbrand und ohne meine Kutte. Das kommt davon… Einmal Chaot, immer Chaot!
Nach kurzem Frischmachen und rudimentärem Frühstück ging’s direkt zum Punx Picnic am Bahnhof Altona, wo auch gleich weitergesoffen wurde, aber, wie im Jahr zuvor, alles friedlich blieb, der ursprüngliche Initiator jedoch weiterhin schmerzlich vermisst wird – R.I.P., Karsten! Irgendwann brach ich zum Gängeviertel auf, allerdings nur, um mich bald wieder Richtung Onkel Otto zu verabschieden, wo meine Kutte aufgetaucht war. Dort nahm ich das gute Stück in Empfang und traf mich mit Small-Town-Timo, mit dem ich natürlich einen hob und über den Kiez schlenderte. Erst deutlich nach 22:00 Uhr war ich wieder im Gängeviertel, bekam noch den Rest von, ich glaube, MISSSTAND mit und hatte, nachdem ich mir ja am Vortag das volle Programm in jeglicher Hinsicht gegeben hatte, gar nicht mehr so dermaßen Bock auf Live-Mucke. Stattdessen quatschte ich mich in diversen Gesprächen fest und hielt mich viel draußen auf, wo Mark zudem auf seiner Akustikklampfe für Hintergrundbeschallung sorgte. Ich kann nur hoffen, mich nicht um Kopf und Kragen gesabbelt zu haben, denn perfiderweise beherrsche ich bis zu einem gewissen Punkt souveränes Auftreten bei völliger Trunkenheit. Da fällt mir ein, dass an beiden Tagen die am Donnerstag stattgefundene Diskussionsrunde zum Thema Grauzone mit Michael Weiss im Menschenzoo häufiges Thema war. Dem einen oder anderen bot ich glaube ich an, mit ihm oder ihr gern noch mal in Ruhe darüber zu reden, bekomme das aber alles nicht mehr zusammen. Wer sich also angesprochen fühlt, kann sich gern bei mir melden 😀 Irgendwann stieß dann auch Flo hinzu, die jedoch kein Bändchen mehr bekam (ausverkauft!), sodass ich mich ohnehin weiter draußen aufhielt, bis es zur Aftershow-Disco mit Chartsmucke quer durch den Garten ging, ich wieder mal über diverse ’90er-Jahre-Geschmacksentgleisungen den Kopf schüttelte, Anderem wiederum huldigte, irgendwann selbst nach dem Kotzen kein Bier mehr herunterbekam und schließlich die Segel strich. Somit kann ich zu den Bands des zweiten Tags leider so gar nichts schreiben. Mea culpa!
Aber unabhängig davon, dass ich mich mal wieder nicht zusammenreißen konnte, an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Organisatorinnen und Organisatoren sowie Respekt vor dieser bestens gewuppten Mammutaufgabe! Draußen, wo sich an beiden Tagen stets eine Vielzahl Besucher aufhielt, hatte man Dixies aufgestellt, damit nicht alles vollgeschifft wird, zu den bereits erwähnten Ständen gesellte sich einer mit vermutlich lesenswerter Literatur, Fanzines, ’ner Plattenkiste… Man konnte sich wirklich permanent pudelwohl fühlen, er herrschte echte D.I.Y.-Festival-Atmosphäre und das Wetter spielte auch noch mit (sogar etwas mehr, als mir lieb war). Der Bandauswahl merkte man an, dass sie handverlesen war und Bekanntheitsgrad oder Image eine untergeordnete Rolle spielten. So bekam man einen schönen Überblick über einen quicklebendigen Underground quer durch die Subgenres der Szene und ein Gefühl dafür, welche Bands bereit sind, die antikommerzielle D.I.Y.-Ausrichtung mitzutragen und zu unterstützen. Insofern kann ich jedem nur den Besuch solcher Veranstaltungen nahe legen, sie erweitern den Horizont und machen vor allem VERDAMMT VIEL SPASS! Up The Punx!
Vernünftige Fotos gibt’s übrigens bei Kevin Winiker Konzertfotografies Fratzenbuch:
Tag 1
Tag 2
Und Video-Fanzine-Beiträge bei SCHRAIBFELA.
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