Dieses Konzert war ein willkommener Anlass, langsam mal die Winterpause zu beenden. Die dänischen THE MOVEMENT, eine der wenigen Bands, die überhaupt noch auf Mod machen, hielt ich auf Platte früher für verzichtbar, sollen sich, so hieß es, live aber immer lohnen. 2020 kam das Album „Future Freedom Time“ raus, das ich dann doch ziemlich geil fand, und FORNHORST, jene noch junge Band aus dem schleswig-holsteinischen Hamburger Umland, die sich ums ehemalige EU!-KRAMPF- und ASIDE!-Mitglied Normen gegründet hat, wollte ich mir eh schon länger mal live geben. Zudem war das Konzert für die Beteiligung einer nun nicht gerade unbekannten ausländischen Band als Headliner – und für heutige Zeiten – echt bezahlbar, was sicherlich nicht zuletzt an den sehr publikumsfreundlichen Kalkulationen des Indras lag.
Das dachten sich offenbar auch viele andere und erschienen zahlreich, wobei gerade Teile zu meinem Bekanntenkreis Zählender schon gut vorgetankt hatten und herrlich besoffen waren, bevor die erste Band überhaupt angefangen hatte. Bis dahin blieb auch einige Zeit, denn erst mit einer Stunde Verspätung ging’s los. Bei besagter erster Band handelte es sich um die Emdener Nachwuchscombo SASCHA UND DIE HERINGE (Eigenbezeichnung „fischige Rambazambatruppe“), die ohne Sascha, aber mit einigen Heringen angereist war. Nach einem humorigen KI-generierten Fake-News-Beitrag als Intro ließ mich gewollt witziger Midtempo-Funpunk mit Rocktendenz meine Stirn in Falten legen, der miese Sound mit die Klampfen übertönendem Schlagzeug und Klackerbass tat sein Übriges. Die Gunst des Publikums sicherte man sich mittels Gratis-Pfeffi, den man verteilte, und setzte verstärkt auf Show-Einlagen: Menschen mit Heringsmasken auf der Rübe und in Mönchskutten waren der Anfang, gefolgt von einer Schauspieleinlage mit falscher Polizistin bei „Verhaftet wegen Alkohol“ bis hin zu tanzenden Heringsmädels und einem unvermeidlichen Mitmachspielchen, für das alle mal auf die Knie gehen sollten. Nee, lass das mal lassen… Das selbst für ein Erste-Vorband-Set offenbar noch nicht ausreichende eigene Material wurde mit Coverversionen angereichert: Bei „Gotta Go“ (AGNOSTIC FRONT) sagte ich noch zu meinem Kumpel, dass das, ähnlich wie „Blitzkrieg Bop“, verboten weil totgedudelt sei. Diesbzgl. bin ich mir beim später gespielten „Filmriss“ noch unsicher, es kratzt aber mindestens hart an der Grenze. Und als unverlangte Zugabe, als hätte ich’s geahnt: „Blitzkrieg Bop“. Alter! Von „Gotta Go“ war einer immerhin so begeistert, dass er die Bühne erklomm und mitsingen wollte, doch der Sänger hielt ihm nicht mal für den Chor das Mikro vors Maul. HC geht anders. Ok, zugegeben: Der eine oder andere Song klang nicht verkehrt, z.B. ‘ne Anti-Rechtsextremismus-Nummer, und der Sänger hat grundsätzlich ein angenehm raues Organ. Der Sound wurde, wie so oft, im Laufe der Zeit besser und wat weiß ich überhaupt schon, denn die Stimmung vor der Bühne war die ganze Zeit über gut.
- Sascha
- und die
- Heringe
Wenn ich das richtig mitgeschnitten habe, begannen FORNHORST als eine Art Solo-Projekt, nachdem Bandkopf Normen aufs Dorf im hohen Norden der Republik gezogen war. Die ersten Songs landeten 2022 bei Bandcamp und machten Bock auf mehr. Nachschlag gab’s in Form der seinerzeit noch unter dem Namen SCHNELLER geschriebenen Songs auf einer weiteren EP und im letzten Jahr schließlich des Albums „Leben ohne Scheiß“. Das Vinyl hab‘ ich dann auch gleich mal eingesackt, denn das Zeug gefällt mir: Flott gespielter, melodischer Punkrock mit zeitgemäßen, durchdachten deutschsprachigen Texten über Gesellschaft, Szene und das Älterwerden in beidem inklusive kräftiger, pointierter Refrains. Normen, der zugleich die Rhythmusklampfe spielt, hat ‘ne gute, angeraute Stimme, und der Leadgitarrist im Grunge-Look zaubert eine geile Melodie nach der anderen auf die Akkorde. Kuriosum: Da bis auf den Basser anscheinend niemand Bock auf Background-Gesang hat, kommen FORNHORST kurzerhand mit ‘nem eigenen Background-Sänger auf die Bühne – der trotzdem wesentlich schneller aus der Puste ist als Normen mit seiner Doppelbelastung. Der P.A.-Sound stimmt jetzt, und im Laufe des um die 15 Songs umfassenden Sets gerate auch ich in Bewegung und feiere die Songs mit ihren überwiegend direkt ins Ohr gehenden, schnell mitsingkompatiblen Refrains. Hervorheben möchte ich neben dem kompromisslosen „Kein Vergeben, kein Vergessen“ die klug formulierte P.C.-Kritik „Tommi“ über jemanden, der im Großstadt-AZ wahrscheinlich Hausverbot hätte, sich in seiner ländlichen Heimat aber gegen Nazis gerademacht, sowie die aufrührerische Hymne „Leben ohne Scheiß“. Für mich eine der erfreulichsten jüngeren deutschsprachigen Bands und auch live geiler Scheiß. Ich hoffe, bald mal wieder!
- Fornhorst
THE MOVEMENT wurden als krönender Abschluss ihrem guten Ruf vollends gerecht. In Trio-Formation mit aufs Nötigste reduziertem Schlagzeug und dem Trainer von Mainz 05 am Bass spielte man sich durch die eingängigen, souligen, anpeitschenden Modpunk-Hits mit tiefem, kehligem Gesang, dem reinsten Bassporno, sozialistisch-revolutionärer Attitüde und ebenso unvermittelten Rockstar-Posingfiguren wie Akrobatikeinlagen und, äh, Beckenwechseln. Der völlig überdrehte Bassist hielt es nicht lange in seinem Anzug aus und entkleidete sich nach und nach, bis er irgendwann oberkörperfrei auf der Bühne stand (und im Publikum Nachahmer fand). Etwas überrascht war ich, dass doch so viele es aushielten, einfach dazustehen und die Band anzuglotzen, statt das Tanzbein zu schwingen. Eines der letzten Stücke (oder das letzte?) war „Control Your Temper“, einer der ersten THE-MOVEMENT-Songs, die ich kannte, und dürfte in meiner etwas verschwommenen Erinnerung dann auch der Stimmungshöhepunkt gewesen sein. Musikalisch vollauf befriedigt ließ ich mich noch zum Absacken im Monkeys (wo die „Tainted Love“-Wave-Disco stattfand) überreden, haute mein letztes Saufgeld auf den Kopp und stellte zu meinem Verhängnis fest, dass man am Tresen nun auch mit Karte zahlen kann… Papperlapapp, so schlimm wurd’s gar nicht. War ‘n geiler Abend!
- The Movement