Endlich mal wieder ein Auswärtsgig – natürlich einer mit Hindernissen. Aufgrund diverser Umstände fuhren wir tatsächlich mit drei verschiedenen Autos, ein Teil sogar per Bahn, die Strecke in Richtung Bremen, um nach und nach in der Villa im beschaulichen Rotenburg an der Wümme einzutingeln. Christian z.B. war eigentlich auf dem Punk & Disorderly in Berlin unterwegs, fuhr eigens für den Gig nach Rotenburg und direkt nach dem Auftritt wieder zurück. Zuvor allerdings verfuhr er sich im Ort des Geschehens, woraufhin man mit vereinten Kräften versuchte, ihm den Weg zu weisen und ihn schließlich am Bahnhof abholte. Als die Rasselbande endlich vereint war, wurde aus Zeitgründen auch der Plan über Bord geworfen, in der Mitte zu spielen und überließ diese Aufgabe KOUKOULOFORI, an deren Stelle wir nun den Abend musikalisch eröffneten.
Ich war zum ersten Mal in der Villa, die sich als überaus gemütlich eingerichteter selbstverwalteter Veranstaltungsort entpuppte, mit viel D.I.Y.-Geist und Liebe zum Detail. Oben ein zünftiger Tresen, Sofaecke und Küche, unten Konzertraum, kleine Bar und Getränkeausgabe. Faire Preise, Eintritt gegen Spende und zu futtern gab’s leckeres Chili mit Reis und Brot satt. Kompliment an die Köchinnen! Der Mischer kümmerte sich um die Soundchecks und warnte schon mal vor, dass es nicht immer ganz einfach sei, den Gesang voll zur Geltung zu bringen. Als wir uns auf der ebenerdigen „Bühne“ einfanden, um das gut aufgelegte Publikum in die Geheimnisse eines Bolanow Brawls einzuweihen, erzählte Stulle ein paar schlechte Witze und animierte zwei Einheimische damit, nach vorne zu kommen und folkloristisches rotenburgsches Liedgut zu schmettern. Einen besseren Einstieg kann man sich kaum wünschen und mit nahezu revolutionär umarrangierter Setlist, genauer: „Brigitte Bordeaux“ antworteten wir mit Bolanow-style Streetpunk und zockten uns anschließend durch all unsere Weisen. Zwar machte mir meine Erkältung etwas zu schaffen, ganz zu schweigen vom ungelüfteten, verqualmten Keller, aber Fenchelhonig und Bier halfen und mit sinnfreien Publikumsdialogen à la „Wer kommt alles aus Rotenburg… an der Tauber?“ etc. ließ sich prima Zeit zum Luftholen schinden. Nachdem ich in der Vergangenheit durchaus mal den falschen Song angesagt hatte, verrutschte diesmal meine Kapelle kollektiv in der Setlist, ansonsten blieb auch dieser Gig weitestgehend pannenfrei. Das dankbare Publikum forderte im Anschluss sogar mit Nachdruck eine Zugabe, worauf wir fast schon anfängermäßig unvorbereitet waren und schlicht nix mehr in petto hatten. Die coolste Antwort „Zugaben sind für Poser!“ fiel uns leider gerade nicht ein. Und auch, wenn sich bewahrheitete, was ich befürchtet hatte, nämlich dass meine Stimme doch wieder etwas untergegangen war, hat der Gig Lust auf mehr gemacht!
KOUKOULOFORI, die am Tag zuvor in Oldenburg gezockt hatten und Rotenburg quasi auf dem Rückweg mitnahmen, stammen wie alle Bands dieses Abends aus Hamburg. Der eigenständige Sound erinnert Stulle an PROPAGANDHI, womit man vielleicht ‘nen stilistischen Anhaltspunkt hat. Engagierte, kritische deutsche Texte, sowohl ruppigere als auch melancholisch-melodische Songs, sogar ‘ne Offbeat-Nummer – das weiß stets zu gefallen, zumal das Trio über einen der besten Hamburger Punk-Drummer verfügt, dem zuzusehen der reinste Drum-Porno ist. Kam auch allgemein gut an und mindestens ein Rotenburger Altpunk dankte es gar, indem er sich vor der Band auf dem Boden herumrollte und seine Sympathiebekundungen durchs ausgeschaltete Mikro, das noch von unserem Gig dastand, mit dem ganzen Publikum zu teilen versuchte.
Apropos, so ganz die Jüngsten sind zwei Viertel der COCK-UPS auch nicht mehr, wollen’s dafür umso stärker noch mal wissen. Das Quartett um Nietenkaiser und Shouter Sven hat ex-IN-VINO-VERITAS, jetzt-ARRESTED-DENIAL-Gitarrero Sascha in seinen Reihen und war damit neben KOUKOULOFORI die zweite Band des Abends, die sich ein Bandmitglied mit den Hamburger Streetpunks teilt. Sven stellte sich zwischenzeitlich als Cyndi Lauper vor und Sascha trat mit (gern auch mal übers Gesicht gezogener) Wollmütze und ein paar Kilo weniger auf den Rippen, dafür ein paar atü mehr auf dem Kessel auf. Musikalisch klang das für mich wie ’77-Punk meets THE EXPLOITED und damit durchaus reizvoll, schön schnörkellos und frontal. Beim ein oder anderen Song wütete sich Sven durchs Publikum, die kompetente Version von ANGELIC UPSTARTS‘ „Teenage Warning“ widmete man kurzerhand uns und auch das „Now I Wanna Be Your Dog“-Cover ging gut in Bein und Hüfte. Sascha verarschte permanent KOUKOULOFORI und bezichtigte sie des Studentenpunks; diese wiederum sind gut eskaliert und haben versucht, sich mit Sabotage-Akten wie dem Überkleben der Setlist zu rächen. Sehr unterhaltsame Showeinlage. Leider reichte die Aufmerksamkeitsspanne manch Villa-Besuchers nicht für drei Bands, so dass unverständlicherweise der Zuspruch abgenommen hatte, statt auf seinem Höhepunkt anzulangen. Der Band war’s glücklicherweise egal und hatte ebenfalls sichtlich Spaß an ihrem schweißtreibenden, angenehm dreckigen Gig.
Trotz zur Verfügung gestellter Pennplätze und avisierten Frühstücks machten sich nach und nach alle aus dem Staub, meine sonst so trinkfreudigen und feierwütigen Bandkollegen waren aus diversen Gründen sogar schon direkt nach unserem Gig kollektiv abgehauen. Mich und meine persönliche kleine Reisegruppe um Bleifuß-Chaffeur Dave zog es zurück nach Hamburg, als doch tatsächlich das Bier alle war (!), jedoch nicht, ohne mich herzlich für die die Einladung und die Gastfreund zu bedanken. Tolle Arbeit, die da (hoffentlich noch lange!) in der Villa geleistet wird und wir kommen beizeiten sehr gern wieder! Dann wird die „Total Escalation“ auch wieder wörtlich genommen…
P.S.: Danke an Katharina für unsere und die KOUKOULOFORI-Fotos.
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