Der Bauwagenplatz im Herzen der Stadt lud einmal mehr zum zweitägigen Gratis-Open-Air-Festival bei Bier für ‘nen lumpigen Euro sowie Essen und Eis zum Selbstkostenpreis. Das Wetter spielte diesmal nicht ganz so gut mit wie beispielsweise noch letztes Jahr und am ersten Tag musste ich passen, am zweiten ließ ich mir einen Besuch aber nicht nehmen. Zwei Bands hatte ich dennoch auch diesen Samstag schon verpasst; FRONTALANGRIFF, die aktuelle Band um Ex-RAWSIDE- und Ex-TROOPERS-Mitglied Ralle an der Gitarre schienen aber noch nicht allzu lange zu spielen, als ich eintraf. Rustikaler deutschsprachiger HC-Punk der alten Schule aus Berlin, der gut Alarm machte und sich inhaltlich mit den Schattenseiten der Gesellschaft und der menschlichen Existenz auseinandersetzte. Wurde entsprechend gut aufgenommen und machte Lust auf mehr. Es war noch früh am Abend, das Wetter hatte sich bereits seit ein paar Stunden beruhigt und der Platz war neben den Bewohnerinnen und Bewohnern voller Gäste, die Bock auf Party hatten.

Nach relativ kurzer Umbau- und Soundcheck-Phase betrat mit THE SYSTEM eine uralte (1980 gegründete) UK-Anarchopunk-Combo die Bühne, die sich – im Gegensatz zu den alten Aufnahmen – mittlerweile mit weiblichem Gesang präsentiert. Hatte ich beim ersten Song noch die Befürchtung, dort würden ein paar alte Säcke gelangweilt ihr Set runterschrubben, änderte sich dies schon mit der zweiten Nummer: Die Stimme der Sängerin erweitert den Sound um eine reizvolle zusätzliche Klangfarbe, zudem zockte die Band derart tight, dass sich die Mischung aus ’77, Anarcho-Stakkato und UK ‘82 angenehmerweise eher zu letzterem verschob. Die meist mehrstimmigen Refrains blieben im Ohr und ließen sich rasch mitsingen, u.a. weil der von Wurzel gezauberte Sound so gut war, dass der Gesang mitsamt seinem charmanten britischen Akzent schön im Vordergrund stand. Auch wenn die Sängerin wie angewurzelt dastand und lediglich ein bisschen hin und her wippte: Vor der Bühne ging’s nun richtig rund und es wurde fröhlich durch den Matsch gesprungen. So schnell wollte THE SYSTEM dann auch niemand gehen lassen, sodass zwei, drei Songs noch mal als Zugaben über den Platz schallten. Sehr geiler Gig!

BARACKCA aus Budapest, Ungarn (oder wie es die Band sagt: „aus Scheißland“), existieren auch schon seit 1993 und sind sowas wie ‘ne lebende Ostblock-Punk-Legende – wie mir mein Kollege Holler verriet, denn ich hatte die nicht wirklich auf dem Schirm. Der Sound bewegt sich irgendwo zwischen Punkrock und Melodic Hardcore, frei von etwaigen folkloristischen Elementen. Der Sänger machte sämtliche Ansagen auf Deutsch und bereits während des Soundchecks Werbung fürs auf dem Platz angebotene Speiseeis für Mensch und Hund. Während seiner langen, zum Teil ironie- und humorgespickten Einführungen ließ sich prima Punk-Bingo spielen: Gegen Religion: check, gegen Politik: check, gegen Geld, Polizei und Arbeit: check, gegen Grenzen, Krieg und Nationalismus: check, für Hausbesetzungen, Anarchismus, und die Arbeiterklasse: check, für Alkohol: check, für Atomkrieg, damit endlich Ruhe ist: Bingo! Gesungen wurde vornehmlich in Landessprache, zuweilen aber ebenfalls teutonisch, beispielsweise beim „Arbeit ist scheiße“-Song oder beim Alkohollied – inklusive „Jawohl, jawohl, ich liebe Alkohol“-Mitsingpart fürs Publikum. Dieses – und da nehme ich mich keinesfalls aus – hatte seinen Spaß, sodass noch ‘ne Zugabe und sogar ein bisschen mehr durchgepeitscht wurde.

Schöne Bandauswahl wieder, soweit ich es dieses Jahr mitbekommen habe, und bei den Getränkepreisen geht man irgendwann voll wie tausend Ungarn nach Hause und hat nächsten Mittag trotzdem noch ein paar Kröten für die Frühstücksbrötchen auf Tasch‘. Danke den Bewohnerinnen und Bewohnern des Gaußplatzes für die einmal mehr gelungene Sause! Und die Arschlöcher, die am Freitag Teile der sanitären Anlagen zerstört haben, soll der Blitz beim Scheißen treffen! Sind wir hier auf dem Gaußfest oder bei FCSP vs. HRO im Millerntorstadion?!