Nach Feierabend ging’s direkt zum Hamburger Hafengeburtstag, wo für gewöhnlich von „offizieller Seite“ auf der Jolly-Roger-Bühne ein paar interessante Acts auftreten, aber auch die inoffizielle Mini-Bühne am Störtebeker in der Hafenstraße den DIY-Ethos hochhält, Getränke zu fairen Preisen feilbietet, sogar eigenhändig Cocktails mixt und viel idealistischen Krach zu bieten hat. Paar Leute treffen, bischn rumgucken, wat futtern – was man halt so macht. Das Wetter spielte mit und war angenehm trocken, das Publikum war dies selbstverständlich nicht und obwohl schon ordentlich Leute auf den Beinen waren, traf ich nicht allzu viele bekannte Gesichter und vielen stand irgendwie Lustlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Keine Ahnung, ob’s am frühen Zeitpunkt lag, ob man eine stressige Woche in den Knochen hatte oder was auch immer, so richtig prall war die Stimmung jedenfalls noch nicht. Ich hielt mich hauptsächlich an die Störtebeker-Bühne, wo allerdings nie jemand wusste, wer wann spielen würde, geschweige denn, wer denn da gerade auf der Bühne stünde. Interessant war eine Punk-Band mit recht cooler Sängerin/Gitarristin; das war sehr hörenswert, was da fabriziert wurde. Der eigentliche Grund meines Erscheinens aber war CLUSTER BOMB UNIT, jene schwäbische D-Beat/Crust/HC-/Raw-Punk/Whatever-Combo, von der ich mich akustisch mal so richtig verprügeln lassen wollte. Nach einem minutenlangen Intro mit Kriegssoundkulisse aus der Konserve ging’s dann auch exakt wie erwartet ab und Oliver an den Drums brüllte im Duett oder abwechselnd mit Frontfrau Julia, während der Rest der Band koordinierten, hammerharten Krach absonderte. Ein heftiges Brett, ergänzt von einigen weiteren Soundsamples etc. Das Publikum lauschte dem Treiben wohlwollend und soweit ich das mitbekomme habe durchaus erfreut, zum Asphaltpogo traute sich aber niemand so recht. Drummer/Shouter Oliver kotzte sich über das lahmarschige Publikum aus, was prima zur wuterfüllten Darbietung passte. Der kleine Mitgrölhit „Wut“ war natürlich auch im Set und gefällt mir mit seinem superaggressiven Drumming immer noch mit am besten. Spießig und vernunftbetont wie ich an diesem Abend noch war, ließ ich die letzten ein, zwei Songs oder so sausen, um noch eine verhältnismäßig frühe Bahn nach Hause zu bekommen. CBU hatte ich schon lange auf dem „gerne mal live“-Zettel und ich konnte glücklich meinen Haken danebensetzen. Schönes, brutales Ding.

Am nächsten Tag begann ich entgegen sonstiger Gewohnheiten bereits um 13:00 Uhr zu saufen, denn der straffe Zeitplan sah zunächst eine Bandprobe und einen anschließenden Besuch auf dem Hafengeburtstag vor, um erst diverse Bands auf der Jolly-Roger-Bühne zu verfolgen und später weitere Auftritte am Störtebeker mitzunehmen. Es begann mit den SEWER RATS, Punkabilly aus Köln. In jedem Falle nett anzuhören, wenn auch erst einmal recht harmlos und poppig. Zum Ende hin steigerten sich die Kölner aber deutlich und packten einige Ohrwurm-Melodien aus, die für beste Laune sorgen, die – verglichen mit dem Vortag – anscheinend auch alle anderen ohnehin schon hatten. Es herrschte allgemeine Euphorie und Partylaune, das alkoholhaltige kühle Nass floss die Kehle runter und lockerte den ausgemergelten, alternden Körper ebenso wie die Zunge. An der Störtebeker-Bühne herrschte wieder die allgemeine Verwirrung darüber, wer wann spielen würde und wer aktuell gerade lärmt, im Laufe des Nachmittags und Abends waren jedenfalls diverse dissonante und atonale Klänge zu vernehmen, teilweise mit brachialer Vehemenz und damit energiegeladen-charmant vorgetragen, teilweise aber auch eher zum Weghören. Auf der Jolly-Bühne folgten die TICKING BOMBS aus Schweden. Skinhead-Streetpunk von der Stange, absolut vorhersehbar und schon x-mal gehört. Live am frühen Abend unter freiem Himmel direkt an der Hamburger Elbe natürlich perfekt, um ein paar Pils dabei zu verhaften, aber nichts, was mich jetzt besonders geflasht hätte und dringend auf den Einkaufszettel wandern würde. Mein persönlicher Höhepunkt des Abends sollten einmal mehr die EMILS werden, die sich für ihren dritten Gig, den ich seit ihrer Reunion sehen sollte, wohl keinen Ort mit mehr Credibility als die Hafenstraße aussuchen konnten. Da jedoch abermals niemand wusste, wann die überhaupt spielen würden, mischte man sich eben unters Volk vor der Bühne, laberte mit diversen bekannten Fratzen, trank und hörte sich an, was sonst noch so alles von der Bühne schallte. Was das jetzt im Einzelnen war, weiß ich aber beim besten Willen nicht mehr. Die Stimmung jedenfalls war auf ihrem Höhepunkt, glückliche und besoffene Gesichter überall und alle hatten Bock auf einen Abend in sympathischer Runde bei Punkrock und Bier. Als die EMILS endlich anfingen, muss ich bereits verdammt voll gewesen sein, aber auch nüchtern wäre der Auftritt der reinste Genuss gewesen. Der Set wurde für den Auftritt zurechtgestutzt, komplexere Songs wurden gestrichen und damit eine spitzenmäßige, festivaltaugliche, ultrakompakte Songauswahl ausschließlich aus großartigen gottverdammten Hits bestehend präsentiert, dass mich nichts mehr hielt und ich bedingungslos alles abfeierte und dabei so ekstatisch zuckte, dass ich es noch Tage später in den Nackenwirbeln spürte. Über die Qualitäten der EMILS und ihren deutschsprachigen Hardcore-Punk habe ich in jüngerer Vergangenheit bereits reichlich Worte verloren, deshalb genug davon, nur noch soviel: Ein perfekter, großartiger Gig, der mich so dermaßen durchschüttelte, dass der Alkohol die Kontrolle über jede einzelne Pore meines Körpers übernahm und mein Gehirn nur noch auf Durchdrehen programmiert war. Nach diesem absoluten Positivbeispiel für hamburgischen Altherrenpunk ging’s direkt die Treppe runter zur Jolly-Bühne, wo sich mit RAZZIA eine noch ältere Hamburger Punk-Legende an einem Gig in Originalbesetzung versuchte. Eigentlich hatte man doch aber mit dem ganzen HC-Punk-Ding von früher nichts mehr zu tun und ich erinnere mich nur zu gut an ein Interview mit Original-Sänger Rajas vor einiger Zeit, in dem er sich negativ und abfällig darüber ausließ, dass Punks zu öffentlichen Straßenfesten billiges, selbst mitgebrachtes Bier trinken, statt die überteuerte Plörre an den Ständen zu kaufen – und ihn als Kirmes-Veranstaltungsheini o.ä. damit arm zu machen drohten… oder irgendsoeine Scheiße jedenfalls. Dementsprechend skeptisch war ich und als ich dann sah und hörte, wie man ohne einen Funken Energie oder Authentizität den alten Klassiker „Arsch im Sarge“ verunstaltete, hatte ich nur noch den gestreckten Mittelfinger für diese Farce übrig, wollte mir aber die Laune nicht verderben lassen und zog schnell wieder von dannen – in die nächste Kneipe, wo die Party weiterging und die Nacht in einem meiner schlimmsten Abstürze seit Jahren endete. Doch darüber hülle ich den Mantel des Schweigens und Vergessens.