Auch im 31. Jahr seines Bestehens lud der Hamburger Gaußplatz zum zweitägigen Gratis-Open-Air-Festival, und mit meiner kleinen Kapelle war ich diesmal sogar live dabei. Das Billing wurde mehrfach durcheinandergewürfelt, wir waren für die leider verhinderten DETROIT 442 nachgerutscht. So traf ich mich am Freitag also direkt nach der Lohnarbeit mit den anderen Motherfuckers + Familienanhang am Proberaum, wo wir einen Bollerwagen mit unseren Plünnen befüllten, den wir anschließend durch den Stadtteil zogen. Am Aldi legten wir ‘nen Zwischenstopp ein, um noch ‘ne Palette Discount-Dosenbier mitzunehmen, als unsere Mobiltelefone einen Alarm meldeten: Schwarze Rauchwolken zogen aus der Hafencity kommend durch die Stadt und das Dachgeschoss eines Gebäudes brannte. Grund: Auf einer Baustelle waren Gasflaschen explodiert. Offenbar bereits zum wiederholten Male… Ein paar Böller zum Salut also. An beiden Tagen herrschte bestes Wetter, dem man aufgrund der Platzvegetation und -bebauung aber auch meist gut in den Schatten ausweichen konnte. GOSSESIEBEN aus Wittmund um Rohrpost-Fazinemacher Torben sollten gegen 18:00 Uhr den Liveband-Reigen eröffnen, waren aber noch mit Aufbau und Soundcheck beschäftigt. Wir holten uns unsere Freibier-/-mampf-Stempel bei Bühnen- und Soundchef Wurzel ab, waren überrascht, dass sogar ‘n Schein für die Bandkasse abfiel, und köpften die erste Pulle.

Als der Soundcheck durch war, ließen sich GOSSESIEBEN nicht lange bitten und traten den bereits zahlreich versammelten Musik- Connaisseuren mit ihrem deutschsprachigen Hardcore-Punk der schnörkellosen alten Schule kräftig in die Hintern. Torben bellte, angepeitscht von seinen drei Bandkollegen, aggressiv ins Mikro, legte gut paar Meter auf der Bühne zurück und kotzte sich über diverse eklige Missstände kräftig aus, dass es eine Freude war. Mit „Stadt der Mörder“ von LEFT JAB fand sich eine originell gewählte Coverversion mit Stadtteil- und Gaußplatzbezug im Set und ich freute mich über diesen gelungenen, schön anstachelnden Festivaleinstand!

GOSSESIEBEN bei Bandcamp:
https://gossesieben.bandcamp.com/

Dann sollten und wollten wir ran, an einen schnellen Umbau war aber nicht zu denken: Ein verdammtes Kabel für Hollers Bass-Amp fehlte. Die Technikdepots des Platzes wurden auf den Kopf gestellt, aber nix zu machen: Ein Ersatzgerät musste her. Dieses war dann aber rasch gefunden und eingestöpselt. Weiter zum Monitor-Check. Nix zu hören, mach ma‘ lauter. Immer noch nix. Noch lauter. Nix. Irgendwann des Rätsels Lösung: Sabotage! Die Dinger waren gar nicht an. Herrlich die Noisecore-Feedback-Orgie, als sie dann eingeschaltet wurden. „Das war unser Konzert, vielen Dank für eure Aufmerksamkeit“, scherzten die Kollegen von der Bühne. Teile des Publikums scharten bereits länger ungeduldig mit den Hufen und bewarfen uns mit Schmutz und Unrat. Gitarrist Kais kleiner Sohn tat es ihnen gleich, wenn er nicht gleich selbst auf der Bühne herumsprang und uns verprügelte. Anarchie und Anomie! Zum Glück gab’s Bier. Nachdem wir beschlossen hatten, dass das mit den Monitoren jetzt so gehe, legten wir direkt los, um Schlimmeres zu verhindern. Mein Gekeife ließen wir während der ersten Songs von Wurzel und seinem Kompagnon einpegeln. Der Gig machte Laune und klappte weitestgehend ohne weitere Probleme. Das Publikum bestachen wir mit dem warmen Billigdosenbier. Das war ‘ne reichlich bekloppte Idee, weil das gekühlte Flaschenpils nur ‘nen lumpigen Euro kostete (inflationsfreie Zone Gaußplatz!), funktionierte kurioserweise aber trotzdem. Wir zockten in ungefähr 40 Minuten 14 Stücke, darunter zum zweiten Mal überhaupt „Blutgrätsche“, und mit „Phoenix aus der Flasche“ gab’s ‘ne Livepremiere. Irgendwann turnte Kais kleiner Racker wieder auf der Bühne herum (natürlich mit Hörschutz, durch den kleine Kinder immer so aussehen, als müssten sie in viel zu jungen Jahren schon auf dem Bau arbeiten – mit dem Presslufthammer!), konterkarierte unseren Hatepunk mit Cuteness und stahl uns glatt die Show. Da wir ohnehin schon im Zeitverzug waren und nun mal auch keine Rockstars sind, übersprangen wir den Tschüß!-Zugabe!-Na-gut…-Teil und zockten das PROJEKT-PULVERTOASTMANN-Cover ohne vorausgehendes Brimborium. Dass wir daraus eigentlich ein Duett mit Originalsänger Snorre hätten machen können, der genau vor der Bühne stand, fiel mir leider erst im Nachhinein ein… Da ein paar Unentwegte dann aber trotzdem noch mehr wollten, spielten wir einfach „Blutgrätsche“ noch mal. Es war uns ein Vergnügen! Auf der Bühne war’s übrigens so warm, dass das obligatorisch von mir verschüttete Bier am Schluss komplett weggetrocknet war und ich die nun welligen Setlists einfach wieder einpacken konnte.

Wir sind auch bei Bandcamp:
https://disillusionedmotherfuckers.bandcamp.com/

Nun stand das Heimspiel für Weste, Nina, Needlz und Toni, sprich: die LIQUOR SHOP ROCKERS an. Vor ein paar Jahren hatten wir mit ihnen anlässlich meines Geburtstags schon mal im Gängeviertel gespielt. Die Band hatte letztes Jahr leider krankheitsbedingt absagen müssen und ist durch den ganzen Brexit-Mist und dessen Auswirkungen auf ihren schottischen Gitarristen Needlz ohnehin gebeutelt. Umso schöner, dass es dieses Jahr geklappt hat! Teile des Auftritts verschwimmen in meiner Erinnerung etwas, da ich viel in Smalltalk involviert war, aber nach, ich glaube, anfänglichen Soundproblemen war das wieder ‘ne feine Mischung aus Punkrock und Hardcore-Vibes, dargereicht von alten Szenehasen. Und diese verstehen es nach wie vor, ordentlich Druck zu machen, Spielfreude an den Tag zu legen und eingängige Songs mit dem nötigen Maß an Aggression und Verbindlichkeit herauszuschmettern. Wie Needlz an der Klampfe abgeht, grenzt an Sport und ist ein echter Hingucker, ebenso natürlich der hochgewachsene Weste, der in seiner Gestik seinen HC-Hintergrund nicht verbergen kann (und vermutlich auch gar nicht will, wozu auch?). Nina lässt den Viersaiter ordentlich knarzen und Toni schenkt seinem Drumkit kräftig einen ein. Dass Weste für den einen oder anderen Text zum Spickzettel greifen musste, kann man ihnen kaum verdenken. Klasse Band, die uns den Umständen zum Trotz hoffentlich noch lange erhalten bleibt!

LIQUOR SHOP ROCKERS bei Bandcamp:
https://liquorshoprockers.bandcamp.com/

Mittlerweile war’s dunkel geworden und das französische Heavy-Punk-Trio CAPRICÖRN stand auf der Bühne. Das kannte ich bisher noch nicht, klopfte mit seinem flotten MOTÖRHEAD- und Crust-beeinflussten Hardcore-Punk aber gut aufs Mett. Die englischsprachigen Texte teilten sich der Gitarrist und der Bassist, wobei letzterer zunächst gar nicht zu hören war, aber anscheinend rasch das Mikro ausgewechselt bekam. Die eher düstere Stimmung der Musik passte zur Dunkelheit, die rauen Stimmen schmirgelten gut was weg und an den Instrumenten war man ziemlich tight. Der dominante Bass klang nicht selten – nicht unähnlich der vorausgegangenen Band – wie ‘ne zweite Klampfe. Vor ungefähr ‘nem Jahr ist das aktuelle Album „Sink In Tears“ erschienen, das ziemlich gut durchläuft. Atmosphärischer Stoff mit gutem Gespür für interessante, griffige Songs, live sehr überzeugend dargeboten. Nach dem letzten Akkord ging’s für mich aber flugs in die Koje, schließlich sollte es am nächsten Abend pünktlich weitergehen.

CAPRICÖRN bei Bandcamp:
https://capricornrock.bandcamp.com/

Tatsächlich ging’s Samstag sogar dermaßen pünktlich los, dass HOT SCHROTT bereits spielten, als ich um kurz nach 18:00 Uhr wieder auf dem Platz eintraf. Die hatten ein Heimspiel und stießen auf reges Interesse, sicherlich nicht nur, weil dieser Auftritt als ihr vorletzter überhaupt angekündigt worden war. Ich hatte ehrlich gesagt bis hierhin kaum Berührungspunkte mit der Band, weil mich die in den Plattenkritiken herangezogenen Vergleiche in Richtung Rachut und Früh-/NDW-Punk eher abgeschreckt hatten. „Post-Emotion-Punk“ bezeichnet das Quintett seinen Stil, der mit mal süßlichem, mal rauem weiblich-männlichem Wechselgesang ebenso punktet wie mit zeitgeistkritischen Texten. Manche Songs wurden um ‘ne Geige ergänzt. Der Sound klingt häufig etwas monoton und minimalistisch, die Drums bewusst zurückgenommen. Textlich scheint’s zuweilen aber bischn verklausuliert und eigen zuzugehen. Die Vergleiche kann ich nachvollziehen und so ganz meine Mucke spielen HOT SCHROTT nicht, kreativer als die zigste D-Beat-Combo sind sie aber allemal. Ehrlich gesagt diente mir der Gig ‘ne ganze Weile als Hintergrundbeschallung zum Ankommen, Essen und zu trinken Beginnen, vor der Bühne herrschte aber großer Andrang.

HOT SCHROTT bei Bandcamp:
https://hotschrott.bandcamp.com/

Die Berliner NOT THE ONES hatte ich mir als hörenswerte Band notiert, von der ich mir beizeiten vielleicht mal Vinyl zulegen sollte. Nun stehen mittlerweile so viele Namen auf dieser Liste, dass ich diesen zunächst gar nicht mehr so recht zuordnen konnte, es mir dann aber wie Schuppen aus den Ohren fiel: Klar, das Punktrio mit seinem ‘77er-Sound britischer Machart und den frischen, oft eingängigen Melodien! Die Sängerin/Gitarristin stellte den neuen Drummer Victor vor und kommunizierte relativ viel mit dem Publikum. Den Gaußplatz kannten NTO offenbar von mehreren vorausgegangenen Konzerten. Eine schnelles Nachschlagen in meinem Konzerttagebuch ergab, dass ich sie auf der 2017er Ausgabe des Festivals ins Gespräch vertieft ignoriert hatte. Herrje. Mir lief der Gig bei tollem Sound jedenfalls gut rein. Schnörkelloser melodischer Oldschool-Punkrock bei herrlichem Sonnenschein ist und bleibt halt was Feines!

NOT THE ONES bei Bandcamp:
https://nottheones.bandcamp.com/

Leider waren die Berliner bereits die vorletzte Band, denn die multinationale Latino-Punkband DEATH MARIACHIS, die eigentlich mit BUTCHER BABY auf ‘ner kleinen Tour hätte sein sollen, hatte leider kurzfristigst abgesagt. Der BUTCHER-BABY-Auftritt wurde daraufhin lange hinausgezögert bzw. die MARIACHIS-Spielzeit blieb einfach ungenutzt. Ungefähr 21:45 Uhr dürfte es gewesen sein, als die Londoner, die u.a. ein Mitglied der RESTARTS in ihren Reihen wissen, zum Angriff bliesen. Das war ‘ne sehr rotzige Mischung aus klassischem UK-Iro-und-Nieten-Punk der Marke EXPLOITED und Konsorten sowie wüstem und heavy US-Geballer à la POISON IDEA. Rüpelig, asig, auf Krawall gebürstet und oberkörperfrei, ohne, dass man ihnen dafür den Strom abstellen würde. Irgendwas von POISON IDEA wurde sogar gecovert, angeblich auch etwas von ZZ TOP verpunkt – was aber auch ein Scherz gewesen sein kann. Im Publikum wurden Pyros gezündet, vor der Bühne betrunken gepogt und das Bier floss bei diesem treibenden Beat doppelt so schnell die Kehlen herunter. „No Pasaran“ gab’s einmal im regulären Set und abschließend noch mal als Zugabe, dann war Feierabend. Schade, dass es das jetzt gewesen sein soll, denn der Gig war als letzter BUTCHER-BOYS-Auftritt überhaupt angekündigt. Warum diese vielen Bandauflösungen?

BUTCHER BABY bei Bandcamp:
https://butcherbaby.bandcamp.com/

Die Party war aber noch nicht vorbei und an diesem Abend machte ich ungefähr bis zur magischen Grenze von 2:00 Uhr, nach der bekannterweise meist nichts Gutes mehr passiert, weiter, saß auf den Stufen des Holzrondells, trank, quatschte mit alten und neuen Bekannten (und schleppte gefühlt alle fünf Minuten meine Pionierblase aufs Klo). Eine schöne zweitägige Auszeit war das mal wieder; danke dafür an den Gaußplatz und Vogelfrei e.V., alle Bands und Mitmenschen, die zum Gelingen beigetragen haben, die Veltins-Brauerei und nicht zuletzt Flo (Farbfotos) und Torben (Schwarzweißfotos) für die Schnappschüsse unseres Gigs! Am 11.11. sind wir übrigens wieder dort zu sehen, dann in der Platzkneipe El Dorado zusammen mit unseren verhaltensauffälligen Kollegen vom INBREEDING CLAN für einen Soli-Gig!