Als ich im zarten Grundschulalter begann, mich für Heavy Metal zu begeistern, bekam ich mal ein selbstaufgenommenes Mixtape geschenkt – es dürfte mein allererstes gewesen sein –, auf dem neben IRON MAIDEN, RUNNING WILD, DESTRUCTION & Co. die CRO-MAGS mit „We Gotta Know“ vertreten waren. Ich war sofort begeistert von der unbändigen Energie dieses Kraftprotzes von einem Song und hielt die Band schlicht für einen weiteren Metal-Act. Nachdem meine Punk- und Hardcore-Sozialisation nach meiner Pubertät so weit vorangeschritten war, dass ich selbst Straight Edgern nicht mehr prinzipiell ablehnend gegenüberstand, entdeckte ich irgendwann endlich auch die CRO-MAGS für mich neu und saugte die alten Kult-Aufnahmen, von denen es ja nun nicht allzu viele gibt, wie ein nasser Schwamm in mich auf. Was für geniale, auf den Punkt gebrachte Mucke prolliger, schwerst tätowierter, durchgeknallter Typen, die ihren New-York-Hardcore mit einer gewissen Metal-Kante verbanden und UNZÄHLIGE nachfolgende Bands damit nachhaltig beeinflussten! Direkt von der Straße in die Fresse. Die Bandköpfe John Joseph (Voc.) und Harley Flanagan (Bass) indes waren längst heillos zerstritten, hier und da gab es mal wieder vereinzelte Gigs, doch mal fehlte der eine, mal der andere. Mir war es nie vergönnt, einem beizuwohnen, doch Joseph begegnete mir in diversen Videos und machte stets einen ultrafitten Eindruck. Nun also war es endlich soweit und ich sollte an einem Auftritt Josephs & Co. partizipieren. Joseph, mittlerweile sogar unter die Bauchautoren gegangen – wer hätte ihm das früher zugetraut? – ist für mich schon so etwas wie ein Respektsperson, auch wenn man sicherlich nicht mit allem einverstanden sein muss, was der Herr so absondert. Besonders faszinierend an den CRO-MAGS finde ich aber, dass sie trotz derber, desillusionierender Straßentexte eine unheimlich positive Ausstrahlung versprühen und sich durch diese spezielle Mischung irgendwann Usus gewordener Kategorisierungen der Marke „Posi-“ oder „Bollo-Core“ entziehen. Damit sind sie für mich eine wunderbare Inspirationsquelle, die eine Nische ausfüllen, die eigentlich gar keine sein sollte, auf dem aktuellen „Hardcore-Markt“ aber anscheinend ist. Klasse finde ich dabei, dass es sie nicht im alljährlichen Package mit x anderen Bands in seelenlosen Kommerzschuppen zusammen mit den Top-Sellern der Szene gibt, sondern sie eben einen kleinen, feinen Clubgig wie diesen im sympathischen Hafenklang absolvieren. Die Bude war natürlich dementsprechend voll, mit meiner Meinung stehe ich alles andere als alleine da. Etwas schade fand ich, dass man keine lokalen Hardcore-Bands im Vorprogramm postierte, sondern mit den Bremern MÖRSER eine Death/Thrash/Grind-Kapelle aufspielen ließ, was meines Erachtens nur bedingt passte. Diese legte sich gut ins Zeug und mit zunehmender Spielzeit gefielen mir die Songs auch besser, insbesondere die thrashigeren Sachen mit akzentuierten Gitarrenriffs. Gleich drei röchelnde Sänger aufzufahren, ist aber mit Sicherheit übertrieben, andererseits sehe ich so etwas nun aber auch nicht alle Tage. Das Publikum nahm die Band irgendwo zwischen verhalten und passabel auf, aber eingestellt hatte ich mich eben auf einen anderen Sound an diesem Abend. Irgendwann war es dann auch soweit und John Joseph und seine Mannen bretterten mit „World Peace“ los, den sie prompt mehr oder weniger verhauten. Meine Skepsis stellte sich jedoch sehr schnell aus unangebracht heraus, denn spätestens Josephs sehr eigener Stil, sich zur Mucke zu bewegen, brachte sofort das „Cro-Mags-Feeling“, zudem sieht der Kerl immer noch wesentlich jünger aus, als er vermutlich ist. Ab dem zweiten Song war dann auch alles perfekt, jeder Song saß, alle Klassiker wurden dargereicht, Joseph klang prima und sein Vibrato in der Stimme, das er hin und wieder einsetzt, versieht die Songs mit einem individuellen Erkennungsmerkmal. Hit folgte auf Hit, souverän und arschtretend. Vorne wurde getanzt, hinten andächtig gelauscht und dazwischen irgendwo ich und andere Interessierte dichtgedrängt, die die Energie des Sounds in sich aufnahmen. Das Publikum war bunt gemischt, Kurz- bis Langhaarige, verschiedene Leute, denen die Band etwas bedeutet, wenngleich ich doch verwundert war, auf kaum bekannte Gesichter zu treffen. Wer trinken wollte, trank, wer rauchen wollte, tat das im Eingangsbereich oder vor der Tür, Dogmatiker, Hardcore-Päpste und Gewalttänzer der nervigen Sorte sind mir nicht aufgefallen. Angenehm. Kurzzeitig sorgte Joseph für Verwirrung, als er seine Lobesrede auf die deutsche Punk- und Hardcore-Szene nicht ausreichend erwidert sah und er in etwa so was wie „Is it still wrong to have German pride?“ fragte. Tja, manch Ami ist da eben etwas anders drauf und wird vermutlich nicht ganz nachvollziehen können, welche Debatten über (vermeintlichen?) Nationalstolz und Patriotismus innerhalb der deutschen Szene(n) gerade anlässlich der Fußball-EM aktuell auch wieder geführt werden. Das möchte an dieser Stelle aber nicht vertiefen. Ansonsten wetterte Joseph kurz gegen Establishment und System, ließ aber in erster Linie die Musik für sich sprechen. Seine vegane Lebensweise machte er genauso wenig zum Thema wie den Hare-Krishna-Kram, es blieb eine undogmatische Hardcore-Show, die kompakt die besten Cro-Mags-Stücke sowie das Bad-Brains-Cover „Attitude“ zusammenfasste und in Form eines frisch klingenden Energieballs ins Publikums blies. Klar, sicherlich wurden die Songs nicht mit dem gleichen Wahnsinn wie früher intoniert und natürlich legte Joseph nicht so viele Kilometer wie zu Jugendzeiten auf der Bühne zurück, und das Publikum rastete auch nicht völlig aus und lieferte sich wilde Stagedive-Schlachten. Wir haben nicht mehr 1986. Stattdessen wirkten die Stücke gereift und die Band erfahren und smart, obwohl die Inhalte die gleichen waren. Das stand ihnen gut, nichts wirkte für mein Empfinden albern oder aufgesetzt, sondern in Würde gealtert. Verdammt, es ist schwer zu beschreiben, jedenfalls hatte ich auch dann noch meinen Spaß an der Sause, als nach bereits 43 Minuten die Setlist nichts mehr hergab und Schluss war. Die relevanten Songs waren gespielt und damit war alles gesagt, es waren nicht unnötig aufgeblähte Nummern, sondern raue HC-Songs, zumeist auf das Wesentliche beschränkt, aber eben dennoch allesamt sofort voneinander unterscheidbar, direkt ins Ohr gehend und dort hängenbleibend, verdiente Genreklassiker mit höchstem Wiedererkennungsfaktor, präzise und prägnant – und in ihrer Schnörkellosigkeit eben bereits nach einer Dreiviertelstunde abgefrühstückt. Es ist ein straightes Oldschool-Hardcore-Konzert und kein mit viel Brimborium angereicherter Heavy-Metal-Gig, um den Bogen wieder zu meinem alten Mixtape zu spannen. Nicht wirklich die alte Schule war hingegen der Eintrittspreis, aber wenn man es geschafft hat, dass ich mir trotzdem nicht verarscht vorkomme, hat man anscheinend alles richtig gemacht. Das mag zugegebenermaßen aber auch daran liegen, dass ich die späteren, metallastigen Cro-Mags-Alben, auf denen zum Teil auch John Joseph singt, gar nicht kenne, mich nie mit ihnen beschäftigt habe, von ihnen überhaupt nichts hören wollte. Wer auf ein Konzert voller Songs dieser Platten gehofft hatte, wird mit Sicherheit enttäuscht gewesen sein. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich auch einmal diesen Scheiben widmen sollte…? Ganz gut geklingelt dürfte die Kasse übrigens auch am Merchandise-Stand haben, denn viele stürzten sich geradezu auf die in der Tat recht stilvolle, kleine Klamottenkollektion. Fazit: Für mich alles soweit im grünen Bereich und vor allem einen kleinen Traum erfüllt: Haken hinter „Cro-Mags live“! So, und nun bitte mal zusammen mit Joseph UND Flanagan!
Schreibe einen Kommentar