„Spielen heute nicht irgendwo KREATOR?“ – Tom Angelripper

Die letzten SODOM-Gigs in Hamburg hatte ich ebenso verpasst wie EXODUS seit der Rückkehr ihres Shouters Zetro – ich war also dermaßen unterthrasht, dass ich mir ein Ticket für dieses offenbar von MTV gesponsorte (weil unter „MTV Headbangers Ball Tour“ firmierende) Konzertereignis besorgte und auch die Liebste dafür begeistern konnte. Interessanterweise hatte ich alle vier Bands schon mal in unterschiedlichen Konstellationen in der Markthalle gesehen und glaubte, eigentlich auf die passend zur Vorweihnachtszeit eingeladenen griechischen und US-amerikanischen Engel verzichten zu können, zumal es sich um einen Dienstag handelte und ich am nächsten Tag ein Referat über eher unmetallisches Liedgut, nämlich das Nibelungenlied, hätte halten sollen. Entgehen lassen wollte ich mir natürlich trotzdem nichts und traf mich mit der besseren Hälfte um 18:00 Uhr an der Markthalle.

SUICIDAL ANGELS gaben pünktlich ab 18:30 Uhr dem Affen Zucker. Die Griechen gewinnen sicher keinen Originalitätspreis und klingen in ihren schwächeren Momenten nach SLAYER-Ausschussware, haben aber auch eine beachtliche Anzahl schön ruppiger Aggro-Thrasher unter den Flügeln, die sie auch über dem Hamburger Publikum fallenließen. In Quartettbesetzung mit zwei Gitarren wurde ordentlich Druck erzeugt und Araya-like gekeift, besonders „Bloodbath“ kam sehr geil rüber. „Seed of Evil“ ist wohl so was wie der METALLICA-Song im Set. Für den vorletzten Song „Moshing Crew“ rief man in der schon überraschend gut gefüllten Halle zu Circle Pit und Wall of Death auf; generell gab’s ‘ne Menge Publikumsanimationen, für meinen Geschmack zu viel – und alle so yeah… Zu dieser Mucke passt’s meines Erachtens besser, wenn man auf die Bühne kommt, unprätentiös sein Set runterrotzt und wieder geht, statt zu versuchen, aktuellen KREATOR & Co. nachzueifern. Aber der Gig war durchaus ein guter Anheizer, nur die Drums waren bis auf Snare und Becken zu leise. Nach 40 Minuten war Schluss, was zehn mehr sind, als manch anderem Opener zugestanden werden.

Mit den Bay-Area-Thrashern DEATH ANGEL bin ich nicht allzu vertraut, habe lediglich den (allerdings sehr geilen!) ersten Langdreher im Schrank. In jüngere Platten hatte ich mitunter mal reingehört, konnte allerdings nicht viel damit anfangen. Ihren Markthallen-Gig vor einigen Jahren im KREATOR-Vorprogramm hatte ich aber vor allem aufgrund des Energielevels in guter Erinnerung. Auch heute lieferten sie einen Einstand nach Maß und konzentrierten sich zu meiner Freude auf ein Oldschool-Set mit vornehmlich altem Material – eine Art Motto, das sich durch den gesamten Abend ziehen sollte. Ergänzt wurde die Auswahl von „Thrown to the Wolves“, einem bockstarken, nicht ganz so alten Song, der besonders live stets oberfett ins Mett knallt, diesmal mit arschlangen Screams des Sängers Mark. Überhaupt, Mark O.: Welch ein unfuckingfassbares Energiebündel, dieser Typ!? Würde ich stimmlich auch nur einmal rauszuhauen versuchen, was er an diesem Abend ablieferte, ich wäre wochenlang heiser. Ständig war sein Mikroständer in der Luft, er peste über die Bühne und drehte völlig am Rad. Der Bassist hingegen entpuppte sich als Oberposer, der ständig mit nacktem Finger auf angezogene Leute zeigte und anschließend den Schumidaumen machte. Eigentlich vom obersten Regal war auch die dargebotene „Kill as One“-Version, leider durch ein überflüssiges Mitsingspielchen arg gedehnt. Was soll das? Spart euch lieber die Zeit und spielt stattdessen ‘nen weiteren Song! So wurde bereits um 20:12 Uhr der letzte Song angekündigt. Wie auch immer, vollkommen zurecht war die mittlerweile volle Markthalle nun so richtig warmgeworden, freudig entzückt und geil auf mehr. Ein Hammerauftritt, den, würde er auf einer klassischen 45-Minuten-Langrille als Livealbum veröffentlicht, ich mir sofort zulegen würde.

„Persecution Mania“ (in Kombination mit der „Exposure of Sodomy“-EP) ist mein SODOM-Lieblingsalbum, zudem – ebenso wieder Nachfolger „Agent Orange“ – ein Meilenstein der deutschen Thrash-Historie. Dass der Gitarrist jener Großtaten, Frank Blackfire, nach einer radikalen Bandumbesetzung wieder an der Seite Tom Angelrippers musiziert, man sich außerdem um einen zweiten Klampfer verstärkt und DESASTER-Trommeltier Husky zum Kesselrühren verpflichtet hat, machte mich natürlich extrem neugierig/geil auf einen SODOM-Gig dieses Line-Ups (dessen Live-Premiere auf dem Rock-Hard-Festival ich mir immerhin im WDR hatte ansehen können). Und dann ist da ja noch die EP mit den zwei neuen Songs, die kaum Wünsche offenlassen… Nach ein paar labbrigen Pommes vom Markthallen-Frittenschmied konnten wir eine mittels zwei großer Knarrenheinz-Aufsteller mit diabolisch leuchtenden Augen ins „Persecution…“-Design versetzte Bühne erblicken, auf denen die Herren Schwarzfeuer & Co. nach einem Intro sogleich mit dem Uralt-Kultrumpler „Blasphemer“ eröffneten! Alter Fatter, damit hatte ich nun nicht gerechnet. Das ganze Set bestand nahezu ausschließlich aus Songs bis inkl. des (endlich mal wieder berücksichtigten) „Tapping The Vein“-Albums, der Schwerpunkt lag natürlich auf der Blackfire-Ära. Von „Vein“ gab’s „One Step Over The Line“, was ok ist, lieber hätte ich aber „Body Parts“ oder „Skinned Alive“ gehört – oder auch den Titelsong. Oder „The Crippler“. Egal, Songs wie „Sodomy and Lust“, „Agent Orange“ und „Tired and Red“ krachten genauso splitternd ins Fressbrett wie die beiden neuen Kanonenschläge „Partisan“ und das crustige „Conflagration“. Zu den evil Songs und der etwas übertriebenen Lightshow gesellten sich wie gewohnt kumpelhafte Ansagen Toms, die Band verteilte Bier für die ersten Reihen und Frank entledigte sich bald seines Blackfire-Shirts, um mit freiem Oberkörper zu posieren. Der obligatorischen Abrissbirne „Bombenhagel“ folgte leider kein „Ausgebombt“, dieses Doppel hätte den Gig perfekt abgerundet.  Nach einer knappen Stunde war erst mal Feierabend und ein herrlich grimmiger Oldschool-Ruhrpott-Thrash-Gig beendet, der einen gelungenen Rollback darstellte – wenn auch leider ohne Zugabe. Frank wieder zusammen mit Tom musizieren zu sehen, ist großartig, die zweite Gitarre hält den Druck permanent aufrecht und Husky hat gegen einen technischen Power-Drummer wie Makka natürlich einen schweren Stand, sorgt aber ein bisschen für so etwas wie Chris-Witchhunter-Charme. Mehr davon! Ich freue mich aufs Album. Und dass mich mitten im Set die Nachricht erreichte, dass das Seminar und damit auch das Referat am nächsten Morgen ausfalle, machte den Abend perfekt und ließ mich gleich mal noch ‘ne Pilsette ordern.

Wesentlich unprätentiöser als SODOM und ohne spezielle Lightshow bogen EXODUS direkt mit „Bonded By Blood“ um die Ecke, was nicht nur mich sofort in Ekstase versetzte. Zu meiner positiven Überraschung setzte auch diese Bay-Area-Legende fast volles Pfund auf gut abgehangenes Material und knallte einem einen Klassiker nach dem anderen vor den Latz: „Exodus“, „Fabulous Disaster“, „And Then There Were None“, „A Lesson in Violence“, „Piranha“… Eine unglaublich geile Version von „Impaler“ spaltete reihenweise Schädel, „Toxic Waltz“ wurde angekündigt, doch stattdessen METALLICAs „Motorbreath“ gezockt, bevor die (Achtung, Wortspiel) Giftwaltze tatsächlich rollte. Abgerundet wurde das Set von „Blacklist“ vom „Tempo Of The Damned“-Album (dem besten der EXODUS-„Neuzeit“) und „Body Harvest“, dem einzigen gespielten Song des aktuellen, für mich leider enttäuschenden Langdrehers „Blood In Blood Out“, der live wesentlich besser als auf Platte kam. Die letzte Nummer „Strike of the Beast“ durfte ein SUICIDAL ANGEL mitträllern, während im Pit wieder eine Wall of Death errichtet werden musste; dann war leider Schicht im Schacht. Zwischendurch fragte Drummer Tom Hunting, ob jemand bereits 1985 anwesend gewesen sei, als man hier zusammen mit VENOM aufgetreten sei (was ich leider verneinen musste, da war ich fünf und gerade parallel auf einem HC-Punk-Gig) und bedankte sich bei allen für die Erfüllung seines Lebenstraums. Leck mich am Arsch, war das ein geiler Gig! Schade nur, dass auf den eigentlichen Chefgitarristen Gary Holt wieder einmal verzichtet werden musste, weil er mit SLAYER unterwegs war (deren Jeff Hanneman er seit dessen tragischen Ableben vertritt) und dass der Gesang oftmals dann, wenn Zetro nicht gerade in spitzen Frequenzen kreischte, ziemlich leise war. Ebenso schade, dass sofort die Lichter angingen und keine Zugabe mehr folgte.

Fazit: Hamburg ließ sich nicht vom Wochentag abschrecken und sorgte für volles Haus, während die Bands, vor allem natürlich die etwas betagteren, bewiesen, dass sie nicht zum alten Eisen, sondern nach wie vor zum Edelstahl gehören. An der Energie und Ausstrahlung der Thrash-Senioren kann sich manch spießiger Sesselfurzer gleichen Alters mal ganz dicke Scheiben abschneiden. Jedoch bedeuten Thrash-Konzerte dieses Levels im Jahre 2018 anscheinend leider auch minutiös einzuhaltende Zeitpläne, kaum Raum für Spontanität oder Zugaben, keine völlig durchdrehenden Maniacs mehr wie anno dazumal, die sich im Sekundentakt von der Bühne stürzten, dafür umso mehr durchchoreographierte Mitmachspielchen mit dem Publikum. Das wollte ich aber nur mal angemerkt haben, denn von dem, was ehemalige alten Helden wie METALLICA oder MEGADETH heutzutage so veranstalten, trennen Konzertereignisse wie dieses glücklicherweise immer noch Welten.

„They spend all their time building missiles, so people die. What kind of life do you expect for us to live? We’re angered by fear, because the time is near when some lunatic will finally pull the plug. And forever after you can hear the laughter, world’s being plastered by an evil bastard. Exterminating faster, devastating plaster, fabulous disaster! Now you can see what this all means to me when the bomb comes falling… down!“ *träller*