nervosa + crisix + desolator 2Erst kürzlich hatte ich erfahren, dass im Rock Café St. Pauli, an dem ich schon oft vorbeigelatscht war, in unregelmäßigen Abständen empfehlenswerte Metal-Gigs stattfinden – und just stand ein wahres Knallbonbon bevor: Die brasilianischen Thrasherinnen NERVOSA zusammen mit zwei anderen Bands des Genres, von denen ich vorher nicht wirklich etwas gehört hatte. Freitag nach der Arbeitswoche also direkt auf den Kiez, (Veggie-)Döner verspeist, Bierchen geköppt, 12,- EUR Eintritt gelatzt und erst mal vor der Tür postiert und gesabbelt. Kurz darauf begannen DESOLATOR aus Southampton pünktlich wie die Maurer zu rödeln, ich vernahm da draußen zünftigen Krach mit DESTRUCTION-artigen Screams. Als ich dann nach einiger Zeit den Club betrat, wurde weniger geschrieen, dafür umso heftiger gemörtelt. Das Trio hatte sich der ultraschnellen Variante verschrieben und ehrlich gesagt klang das zwar in seinen besten Momenten schön punkig, oft aber auch schlicht chaotisch bis, äh, desolat (man verzeihe mir dieses Wortspiel). Briten und Thrash ist ja immer so’ne Sache (XENTRIX-Vinyl brauche ich trotzdem noch!), aber beim vergewaltigten „Iron Fist“-Cover begann ich langsam warm zu werden und mitzusingen – und nach ich glaube einer Zugabe war der Spuk dann auch vorüber.

nervosa + crisix + desolator 1Ganz anders CRISIX! Die fünf Spanier kamen, thrashten und siegten. Fand ich’s zunächst noch etwas albern, wie sie sich, während ihr Intro vom Band ertönte, mit dem Rücken zum Publikum stellten, hatten sie sofort meinen Respekt, als sie wie ein Inferno über den Laden brachen und sich auch kein Stück davon beeindrucken ließen, dass der Bassist kurzerhand die Bühne gen Backstage verließ, weil sein Instrument versagte und er – ohne dass der Gig unterbrochen worden wäre – kurz darauf mit nun funktionstüchtigem Viersaiter zurückkehrte. Chapeau! Teile des Publikums gingen steil und bangten heftig zum größtenteils flotten, hektischen, bisweilen crossoverigen Sound, der übrigens astrein abgemischt klang, und die – allein schon durch den nicht an ein Instrument gebundenen Sänger – auf der Bühne ziemlich aktive Band (mit Irokesenträger an den Drums) schaukelte sich gemeinsam mit dem Mob gegenseitig hoch. Irgendwann war dann der Bass schon wieder weg, erneut interessierte das die Bandkollegen keinen Meter; plötzlich wurden auch noch die Instrumente getauscht und in bester ANTHRAX-Manier „I’m The Man“ gerappt sowie METALLICAs „Hit The Lights“ zum Besten gegeben. Welch ein geniales organisiertes Chaos! Schwer unterhaltsam und technisch verdammt fit, von der ersten bis zur letzten Minute. Mich haben die Jungs etwas an BONDED BY BLOOD und ähnliche Neo-Oldschool-Thrasher erinnert, sprich hektisches, dabei erstaunlich präzises Geholze und alles etwas überdreht, dadurch dem Wahnsinn immer mal wieder sympathisch nah und insbesondere live perfekt zum Aufputschen und Auspowern geeignet. Geradezu unverschämt gut!

nervosa - victim of yourselfDie Mädels von NERVOSA taten mir jetzt leid – was sollte jetzt noch kommen, was sollten sie dem noch entgegenzusetzen haben? Hatte ich ’ne Ahnung – nämlich keine! Von ersten Minute an fraß man den Damen aus der Hand und auch mich haben sie schlicht umgehauen: Evil Thrash der alten Schule mit gewaltigem Riffing und einer singenden Bassistin, die mich in Sachen Phrasierung äußerst angenehm an CORONER oder auch DESTRUCTION erinnerte. Die Refrains mit ihren extra starken Betonungen ließen mich trotz Text-Unkenntnis mitgrölen und die Fäuste recken, wenn ich nicht gerade ungelenk vor der Bühne herumsprang. Von Nervosität auf der Bühne keine Spur und nachdem ich endlich auch dieses dämliche Wortspiel unterbringen konnte, bleibt einmal mehr der Sound, aber auch die ganze Atmosphäre im in dunkles Licht getauchten Rock Café lobend zu erwähnen, so dass das Gesamtpaket mit wohlverdienten „Nervosa!“-Sprechchören belohnt und die Brasilianerinnen nicht ohne Zugabe entlassen wurden. Nein, gerumpelt hat da nichts, weder Exoten- noch „Titten“-Bonus waren nötig und das Trio machte mit seiner EP und dem Debütalbum (mit dem tollen Titel „Victim of Yourself“) im Rücken nicht nur einen verdammt aufeinander eingespielten, sondern auch spielfreudigen Eindruck. Insbesondere Sängerin/Bassistin Fernanda sah man den Spaß an der Musik stets an, da sind Überzeugungstäterinnen am Werk. Ich weiß auch gar nicht mehr, weshalb mir diese Scheiben im Vorfeld irgendwie durchrutschten. Als ich im Nachhinein noch einmal in Ruhe reinhörte, wanderte das Zeug nicht nur unversehens auf die Einkaufsliste, sondern wusste mich auch ohne Live-Stimmung schwer zu begeistern. Zugegeben, hin und wieder sind die Songs vielleicht ein Minütchen zu lang und ist in Sachen Dynamik im einen oder anderen Refrain noch Luft nach oben, aber auf hohem Niveau.

Nach Verklingen des Schlussakkords liefen Musiker aller drei Bands noch gutgelaunt durchs Publikum und waren sich für kein Foto, Autogramm oder Klönschnack zu schade, die Stimmung war immer noch bestens und bei etwas mehr Werbung könnte ich mir gut vorstellen, dass die Bude rappelvoll geworden wäre. Den Laden habe ich jedenfalls fortan auf dem Schirm und mein Debüt als Gast im Rock Café hätte besser kaum ausfallen können, so dass ich noch lange davon zehrte – insbesondere von den grandiosen musikalischen Arschtritten!

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